Taschenbuch-Fall

A. Sachverhalt

Der Angeklagte – Philosophiestudent – entnahm aus einem Verkaufsstand eines Warenhauses einen neuen Rowohlt-Kriminalroman, den er in die Rocktasche steckte. Er wurde beobachtet und beim Verlassen des Warenhauses gestellt. Der Angeklagte hat sich unwiderlegt dahin eingelassen, er habe das Buch nur durchlesen und es dann zurückbringen wollen. Von einem Studenten der Rechte habe er erfahren, dass ein Gebrauchsdiebstahl nicht strafbar sei. Diese den meisten Menschen unbekannte Tatsache habe er ausnützen wollen. Man könne ihm wohl einen Vorwurf moralischer Art machen, ein Dieb sei er jedoch nicht, denn er habe nicht mit Zueignungsabsicht gehandelt.

B. Worum geht es?

Der Angeklagte hat den objektiven Tatbestand des Diebstahls nach § 242 StGB verwirklicht. Dabei handelte er auch vorsätzlich i.S.v. § 15 StGB. Das genügt für eine Strafbarkeit wegen Diebstals indes nicht. Voraussetzung ist desweiteren, dass der Angeklagte im Zeitpunkt der Tat (vgl. § 16 I 1 StGB: „bei Begehung der Tat“) mit der Absicht rechtswidriger Zueignung gehandelt hat; es handelt sich um ein Delikt mit überschießender Innentendenz.

Die beabsichtigte Zueignung setzt sich aus zwei Komponenten zusammen, einer positiven und einer negativen: der vorübergehenden Aneignung und der dauerhaften Enteignung. Hinsichtlich der vorübergehenden Aneignung muss der Täter mit dolus directus 1. Grades (Absicht) handeln, hinsichtlich der dauerhaften Enteignung genügt dolus eventualis (Eventualvorsatz).

Regelmäßig wird die Aneignung umschrieben mit der Formel, dass der Täter sich wie ein Eigentümer gerieren müsse (se ut dominum gerere). Das lässt sich hier mit guten Gründen annehmen, weil der Angeklagte das Taschenbuch – wie es einem Eigentümer zusteht (§ 903 BGB) – zu eignen Zwecken sinnvoll nutzen wollte, indem er es liest. Problematisch ist indes der Enteignungsvorsatz. Der Angeklagte handelte mit dem Willen, das Buch wieder an seinen Eigentümer zurückzuführen. Um die Substanz des Buches sollte der Eigentümer nach dem Willen des Angeklagten also nicht enteignet werden. Enteignung kommt aber auch dann in Betracht, wenn zwar die Sache nach dem Gebrauch ihrer Substanz dem Berechtigten wieder zugänglich gemacht wird, jedoch ihr Sachwert durch den Gebrauch teilweise oder ganz entzogen wird. Dann wird der bloße Gebrauch zum Verbrauch. Es geht hier also um die Frage der Abgrenzung zwischen (nur in Ausnahmefällen [§§ 248b, 290 StGB] strafbarer) unbefugter Ingebrauchnahme (Gebrauchsanmaßung; sogenannter furtum usus) und Diebstahl. Das OLG hatte die folgende Frage zu beantworten:

„Wird der Buchhändler enteignet, wenn der Täter ein neuwertiges Buch liest und es im Anschluss zurückgibt?“

C. Wie hat das OLG entschieden?

Das OLG Celle bestätigt im Taschenbuch-Fall (Urt. v. 16.03.1967 – 1 Ss 10/67) die Verurteilung der Vorinstanz wegen Diebstahls. Der Angeklagte habe mit der Absicht gehandelt, sich das Taschenbuch rechtswidrig zuzueignen. Es liege kein bloßer Gebrauch vor. Vielmehr habe der Angeklagte mit dem Willen gehandelt, den Eigentümer zu enteignen, weil er das Buch teilweise verbraucht habe. Durch die Lektüre könne das Buch nunmehr nicht mehr als Neuware verkauft werden, weswegen sein Eigentümer um dessen ursprüngliche wirtschaftliche Funktion enteignet worden sei:

„Das RG hat hierzu ausgeführt (RGSt. 44, 335) ein Verbrauch liege dann vor, wenn die Sache infolge des Gebrauchs ihre wirtschaftliche Bestimmung im wesentlichen nicht mehr erfüllen könne, wenn sie deshalb im Verkehrssinne eine andere Sache geworden sei. Ein solcher Verbrauch sei jedoch dann nicht gegeben, wenn die Sache trotz des Gebrauchs, wirtschaftlich gesehen, weiterbestehe, so daß sie noch als dieselbe gelte wie vorher, wenn auch vielleicht mit gewissen Abnützungsmängeln behaftet. Tatbestandsmäßige Zueignung liegt danach nur vor, wenn die Sache für ihre Zweckbestimmung unbenutzbar geworden ist (LK, a.a.O.; Schönke-Schröder, a.a.O. Rz. 51; Maurach, BT, 4. Aufl., § 26 III C 1 a bb; Welzel, Das Deutsche Strafrecht, 7. Aufl., S. 290; OLG Braunschweig, a.a.O.: OLG Hamm in JMBlNRW 62, 110) oder -um es mit Rudolphi (GoltdA 1965, 31 [39]) auszudrücken - wenn eine solche Benutzung erfolgt ist, die der Sache ihre Funktionsfähigkeit in einer bestimmten Richtung endgültig entzieht. Nach Auffassung des Senats kann es nun keinem Zweifel unterliegen, daß neuwertige Sachen, die vom Eigentümer wirtschaftlich für den Verkauf als neue Sachen zum Verkauf bereitgestellt werden, infolge des Gebrauchs aber nicht mehr als neuwertig angesehen werden können, ihre ursprüngliche wirtschaftliche Funktion- und zwar für dauernd - nicht mehr erfüllen können, weil es sich nunmehr um Gebrauchtwaren handelt. Das fabrikneue Kraftfahrzeug des Autohändlers wird zum Gebrauchtwagen, neue Bekleidungsstücke können nach Gebrauch nur im Altwarengeschäft Verwertung finden, gebrauchte Bücher werden in das Antiquariat überführt. Diese Beispiele ließen sich für weite Bereiche des Handels vermehren. Hiernach ist die Annahme des Amtsrichters, der Angeklagte habe sich das Buch - objektiv gesehen - rechtswidrig zugeeignet, frei von Rechtsirrtum. Das Buch sollte von der Firma K. wie von jedem Buchhändler - als neues Buch verkauft werden. Als solches wird es zum Verkauf angeboten; der Käufer will dementsprechend auch ein neues Buch erwerben, wenn er hier kauft. Das Buch wäre in einem für den Verkäufer wesentlichen Wert gemindert, wenn der Angeklagte es gelesen hätte. Hierdurch hätte dieser es auch zu seinem eigenen Vorteil verwertet; denn er hätte die Mittel erspart, die er aufwenden müßte, wenn er sich das Buch zum Lesen auf andere Weise verschaffen müßte.

Daran macht der Einwand der Revision keinen Unterschied, daß Bücher in Buchhandlungen und Warenhäusern vom Publikum in die Hand genommen, durchgeblättert und abschnittsweise gelesen zu werden pflegen. Alles dies geschieht mit Wissen und Willen des Verkäufers zum Zwecke der Auswahl. Diese Art der Benutzung ist regelmäßig nicht so intensiv, wie wenn das gesamte Buch gelesen wird, eine Wertminderung tritt hierdurch kaum oder gar nicht ein. Das Buch kann seine wirtschaftliche Bestimmung noch erfüllen. Möglicherweise muß der Verkäufer die wirtschaftliche Bestimmung des Buches als eines neuen ändern, wenn es infolge Unvorsichtigkeit des Verkäufers oder des Publikums beschädigt oder beschmutzt wird. Darauf kommt es hier aber nicht an, da es sich nach den Feststellungen um ein neues, nicht um antiquarisches oder im Preis herabgesetztes Exemplar gehandelt hat.“

D. Fazit

Diebstahl ist strafrechtlicher Kernprüfungsstoff, und zwar sowohl im Referendar- als auch Assessorexamen. Fragen rund um die Zueignungsabsicht, die auch im Rahmen von § 249 StGB relevant werden können, sollten von Prüfungskandidaten sicher beherrscht werden. Der klassische Taschenbuch-Fall, um dessen „richtige“ Lösung auch fast 50 Jahre später weiterhin kontrovers gerungen wird, ist dabei ein guter Anlass, sich mit der Zueignungsabsicht im Speziellen und dem Diebstahl im Allgemeinen zu befassen.