BVerfG: die Meinungsfreiheit und das "Recht auf einen Gegenschlag"

A. Sachverhalt

K ist Moderator, Journalist und Unternehmer. Er war mit B liiert, bis sie ihn wegen Vergewaltigung und gefährlicher Körperverletzung Anfang des Jahres 2010 anzeigte. K wurde im darauf folgenden Strafprozess vor dem Landgericht freigesprochen, da ihm eine Straftat nicht nachgewiesen werden konnte. Zum Zeitpunkt der streitgegenständlichen Äußerungen war das Strafurteil noch nicht rechtskräftig.

Am Tag des Freispruchs sowie am Tag darauf – das Urteil war noch nicht rechtskräftig – äußerten sich der Strafverteidiger und der für das Zivilverfahren mandatierte Rechtsanwalt des K in Fernsehsendungen über B. Etwa eine Woche nach der Verkündung des freisprechenden Urteils erschien in einer wöchentlich erscheinenden Zeitschrift ein dreiseitiges Interview mit K unter der Überschrift „Mich erpresst niemand mehr“, in dem er sich wie folgt äußerte:

„(…) vor Gericht hatte mir mein Verteidiger … geraten zu schweigen. Was sollte ich auch mehr sagen als die kurze Wahrheit: „Ich war es nicht!“ und: „Ich habe keinem Menschen Gewalt angetan!“ (…) Ich hätte an jedem Prozesstag hundertmal aufstehen und sagen müssen: „Das ist gelogen!“ Was soll ich über lügende Zeuginnen sagen, (…)“

Über B, die in dem Strafverfahren als Nebenklägerin aufgetreten war, sagte er:

„Ich weiß, ich habe mich mies benommen. Ich habe Menschen verarscht. Es gibt keine Entschuldigung dafür. Aber das, was die Nebenklägerin mit mir gemacht hat, als sie sich den Vorwurf der Vergewaltigung ausdachte - das ist keine Verarsche. Das ist kriminell. Dafür gibt es keine Rechtfertigung. (…) Ich habe keinen Sprung in der Schüssel. Viel interessanter wäre doch zu erfahren, was psychologisch in der Frau vorging, die mich einer Tat beschuldigt, die ich nicht begangen habe. Die Nebenklägerin soll ja nach dem Urteil in einem Nebenraum des Gerichts erheblich randaliert haben.“

K und seine Anwälte äußerten sich in der Folge auch bei weiteren Gelegenheiten öffentlich zum Strafverfahren und zur Person der B.

B gab nach Erscheinen des Interviews mit dem K ihrerseits einer Illustrierten ein Interview, das eine Woche nach der Veröffentlichung des Interviews mit K erschien, ebenfalls zu einem Zeitpunkt, zu dem der Freispruch noch nicht rechtskräftig war. Zu Beginn des Hefts wird der Artikel mit den Worten angekündigt, dass B erstmals ihr Schweigen brechen wolle, auch im Hinblick auf das ausführliche Interview des K und das Auftreten seiner Anwälte in zahlreichen Talkshows.

Die unter anderem mit mehreren teilweise ganzseitigen Fotografien der B bebilderte Heftstrecke enthält neben dem Interview mit ihr auch einen mehrseitigen redaktionellen Beitrag.

B wird dort unter anderem wie folgt zitiert:

„Das Gericht unterstellt mir mit diesem Freispruch, dass ich so dumm und so niederträchtig sein könne, eine solche Vergewaltigungsgeschichte zu erfinden (…). Wer mich und ihn kennt, zweifelt keine Sekunde daran, dass ich mir diesen Wahnsinn nicht ausgedacht habe. Ich bin keine rachsüchtige Lügnerin.“

Im nachfolgenden Interview – textlich nicht zusammenhängend – äußert sich B wie folgt:

„(…) Fast unerträglich aber war für mich, die Aussagen der [von K] bezahlten Gutachter in der Presse lesen zu müssen. Diese Herren erklären vor Gericht, die Tat könne sich nicht so abgespielt haben, wie es die Nebenklägerin, also ich, behauptet - und man selbst sitzt zu Hause, liest das und weiß ganz genau: ES WAR ABER SO! (…)“

Zu den Aktivitäten des K im Internet:

„Ja, das kann er. Andere beschimpfen und bloßstellen (…) In seinen Augen hat er in der besagten Nacht ja nichts falsch gemacht. Er hat nur die Machtverhältnisse wieder so hergestellt, wie sie seiner Meinung nach richtig sind.“

Weiter erklärte B, dass sie eigentlich drei Traumata zu verarbeiten habe. Eines davon sei die Tat. Zudem schilderte sie, dass der K sie beim Verlassen ihrer Wohnung in jener Nacht mit dem Tod bedroht habe. Gegen Ende des Interviews äußert die B, dass sie nie vorgehabt habe, in die Öffentlichkeit zu gehen. Vor allem das „heuchlerische Interview“ des K zwinge sie aber dazu.

K begehrt von B daraufhin gerichtlich die Unterlassung der Äußerungen

  • „wer mich und ihn kennt, zweifelt keine Sekunde daran, dass ich mir diesen Wahnsinn nicht ausgedacht habe“,

  • „die Tat könne sich nicht so abgespielt haben, wie es die Nebenklägerin, also ich, behauptet - und man selbst sitzt zu Hause, liest das und weiß genau: ES WAR ABER SO!“,

  • „in seinen Augen hat er in der besagten Nacht ja nichts falsch gemacht. Er hat nur die Machtverhältnisse wieder so hergestellt, wie sie seiner Meinung nach richtig sind“,

  • sie habe drei Traumata, „einmal die Tat“ zu verarbeiten sowie

  • der Äußerung, dass er sie mit dem Tod bedroht habe.

Das Landgericht verurteilt B antragsgemäß.

K habe gegen B einen Anspruch auf Unterlassung der streitgegenständlichen Äußerungen aus §§ 823 I, 1004 I 2 BGB analog, § 186 StGB in Verbindung mit Art. 2 I, 1 I GG. Die Äußerungen „diesen Wahnsinn“ und „Machtverhältnisse wieder hergestellt“ seien als Meinungsäußerungen einzuordnen. Die Äußerungen „ES WAR ABER SO!“, „Traumata: einmal die Tat“ und die geschilderte Drohung des K seien als Tatsachenbehauptungen zu qualifizieren. Alle Äußerungen fielen in den Schutzbereich der Meinungsfreiheit der B und beträfen das allgemeine Persönlichkeitsrecht des K. Es liege keine unwahre Tatsachenbehauptung vor. B mache zu Recht geltend, dass die äußerungsrelevanten Tatsachen, das heißt die Frage, ob K eine Vergewaltigung und schwere Körperverletzung zu ihren Lasten begangen habe, jedenfalls nicht erwiesen unwahr seien. Zugunsten der B sei zu berücksichtigen, dass K sie dem öffentlichen Verdacht der Falschbeschuldigung ausgesetzt habe. Andererseits könne nicht außer Betracht bleiben, dass die Äußerungen der B zugleich einen schwerwiegenden Verbrechensvorwurf gegen den freigesprochenen K in sich bergen würden. Im Ergebnis gingen die Äußerungen der B in ihrer Detailtiefe sowie in der emotionalisierenden Darstellungsweise über das reine - weiterhin in großem Umfang bestehende - Informationsinteresse der Öffentlichkeit hinaus. Eine auf die wesentlichen Fakten beschränkte, sachliche Äußerung wäre ausreichend gewesen. Der Detaillierungsgrad der Äußerungen gehe auch über das für die Rehabilitierung der B Notwendige hinaus. Hinsichtlich der angegriffenen Äußerung, K habe sie mit dem Tod bedroht, fehle es überhaupt an einer Rechtsverteidigung der B, so dass die Zivilkammer des Landgerichts insoweit davon ausgehen müsse, dass es sich um eine unwahre und damit persönlichkeitsrechtsverletzende Tatsachenbehauptung handle.

Das OLG weist die Berufung der B hinsichtlich der untersagten Äußerungen im Wesentlichen zurück. Unter Bezugnahme auf die Entscheidung des Landgerichts führt es aus, dass die angegriffenen Meinungsäußerungen der B letztlich eigennützigen Zielen dienten, nämlich klarzustellen, dass sie bei Gericht und Anzeigenerstattung nicht die Unwahrheit gesagt habe. Der Meinungsäußerungsfreiheit sei hier auch nicht unter dem Gesichtspunkt des geistigen Meinungskampfes in öffentlichen Angelegenheiten der Vorzug zu geben. Vielmehr seien die angegriffenen Meinungsäußerungen von besonders gewichtiger Eingriffsintensität, denn durch diese verbreite die B weiterhin einen schwerwiegenden Tatvorwurf, von dem K nach einem umfangreichen Strafverfahren freigesprochen worden sei.

Zudem habe das Landgericht zu Recht darauf verwiesen, dass die angegriffenen Äußerungen in der konkreten Darstellungsweise über das reine Informationsinteresse der Öffentlichkeit hinausgingen und sich eben nicht allein auf die Auskunft beschränkten, dass der Tatbestand der Vergewaltigung aus Sicht der B erfüllt sei. Die Äußerungen enthielten eine nicht erforderliche Detailtiefe und wirkten emotionalisierend. Dies müsse der freigesprochene K letztlich nicht hinnehmen. Dem Grunde nach könne zwar ein Recht auf Gegenschlag der Beschwerdeführerin angenommen werden. Dies vermöge indessen die angegriffenen konkreten Äußerungen der B nicht zu rechtfertigen. Im Hinblick darauf, dass der Tatvorwurf nicht bewiesen worden sei, müsse die B bei der Wahrnehmung eines Gegenschlages Zurückhaltung zeigen. Der ergangene Freispruch könne nicht schlichtweg ignoriert werden.

Das OLG lässt die Revision nicht zu. Die dagegen gerichtete Nichtzulassungsbeschwerde weist der BGH zurück.

Form- und fristgerecht erhebt B gegen die drei Gerichtsentscheidungen Verfassungsbeschwerde.

Hat die Verfassungsbeschwerde Aussicht auf Erfolg?

 

B. Die Entscheidung des BVerfG (Beschl. v. 10.03.2016 – 1 BvR 2844/13)

Die Verfassungsbeschwerde hat Erfolg, soweit sie zulässig und begründet ist.

I. Zulässigkeit

Die Zuständigkeit des Bundesverfassungsgerichts ergibt sich aus Art. 93 I Nr. 4a GG, §§ 13 Nr. 8a, 90 ff. BVerfGG.

B, die als natürliche Person grundrechtsfähig und damit „jedermann“ i.S.v. Art. 93 I Nr. 4a GG, § 90 I BVerfGG ist, wendet sich gegen Gerichtsentscheidungen. Dabei handelt es sich um Akte öffentlicher Gewalt i.S.v. Art. 1 III GG und damit um taugliche Beschwerdegegenstände (Art. 93 I Nr. 4a GG, § 90 I BVerfGG).

B ist selbst, gegenwärtig und unmittelbar durch die Entscheidungen, nach denen ihr rechtskräftig bestimmte Äußerungen untersagt werden, betroffen und möglicherweise in ihrem Recht auf freie Meinungsäußerung aus Art. 5 I 1 GG betroffen. Mit Ablehnung der Nichtzulassungsbeschwerde durch den BGH ist das Urteil rechtskräftig (§ 544 V 2 ZPO), so dass B den ordentlichen Rechtsweg i.S.d. § 90 II BVerfGG ausgeschöpft hat. Auch sind keine weiteren gerichtlichen Möglichkeiten ersichtlich, so dass auch der Grundsatz der Subsidiarität der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde nicht entgegensteht. Den Anforderungen der §§ 23, 92, 93 BVerfGG hat B Genüge getan.

Die Verfassungsbeschwerde ist also zulässig.

B. Begründetheit

Die Verfassungsbeschwerde ist begründet, soweit die angegriffenen Entscheidungen B in ihren Grundrechten oder in Art. 93 I Nr. 4a GG genannten (grundrechtsgleichen) Rechten verletzt. Da das BVerfG keine „Super-Revisionsinstanz“ darstellt, ist sein Prüfungsmaßstab aber auf die Verletzung spezifischen Verfassungsrechts beschränkt, d.h. auf die Frage, ob bei der Anwendung des einfachen Rechts der Bedeutung und Einfluss der Grundrechte verkannt wurde. Solches setzt voraus, dass die Zivilgerichte bei der Auslegung und Anwendung der zivilrechtlichen Anspruchsgrundlagen entweder die Ausstrahlungswirkung der Grundrechte (sogenannte mittelbare Drittwirkung) ganz übersehen oder sie zwar gesehen, aber in ihrer Bedeutung und Tragweite falsch gewürdigt haben.

1. Verletzung der Meinungsfreiheit (Art. 5 I 1 GG)

a. Schutzbereich

Die Äußerungen, deren Wiederholung B untersagt wurde, müssten dem Schutzbereich des Art. 5 I 1 GG unterfallen.

Die Äußerungen der B müsste eine „Meinung” darstellen. Meinungen sind Werturteile und durch das Element der Stellungnahme, des Dafürhaltens, der Beurteilung geprägt. Meinungen fallen immer in den Schutzbereich des Art. 5 I 1 GG, unabhängig davon, ob eine Äußerung wertvoll oder wertlos, richtig oder falsch, gut oder schlecht, emotional oder rational begründet.

Davon zu unterscheiden sind Tatsachenbehauptungen. Diese unterscheiden sich von Meinungen durch ihren Bezug zur Realität: Anders als Meinungen sind Tatsachen dem Beweis zugänglich und können wahr oder unwahr sein. Erwiesen unwahre Tatsachenbehauptungen unterfallen von vornherein nicht dem Schutzbereich von Art. 5 I 1 GG, weil zu einer sinnvollen Meinungsbildung nicht beitragen können und damit kein schützenswertes Gut darstellen. Im Übrigen sind sie erfasst, soweit sie Voraussetzung für die Bildung von Meinungen sind. So hat das BVerfG in einer Entscheidung aus dem Jahr 1994 zur sogenannten Auschwitzlüge ausgeführt:

„Tatsachenbehauptungen sind dagegen im strengen Sinn keine Meinungsäußerungen. Im Unterschied zu diesen steht bei ihnen die objektive Beziehung zwischen der Äußerung und der Realität im Vordergrund. Insofern sind sie auch einer Überprüfung auf ihren Wahrheitsgehalt zugänglich. Tatsachenbehauptungen fallen deswegen aber nicht von vornherein aus dem Schutzbereich von Art. 5 I GG heraus. Da sich Meinungen in der Regel auf tatsächliche Annahmen stützen oder zu tatsächlichen Verhältnissen Stellung beziehen, sind sie durch das Grundrecht jedenfalls insoweit geschützt, als sie Voraussetzung für die Bildung von Meinungen sind, welche Art. 5 I GG in seiner Gesamtheit gewährleistet.“ (Beschl. v. 13.04.1994 – 1 BvR 23/94)

Danach unterfallen sämtliche von den Gerichten beanstandete Äußerungen der B dem Schutzbereich der Meinungsfreiheit. Dabei nimmt das BVerfG wohl an, dass sämtliche Äußerungen als Meinung und nicht als Tatsachenbehauptung einzuordnen seien:

„Die Urteile des Landgerichts und des Oberlandesgerichts berühren den Schutzbereich der Meinungsfreiheit der Beschwerdeführerin. Die Einordnung der Äußerungen als Werturteile und Tatsachenbehauptungen ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Die Gerichte sind zutreffend davon ausgegangen, dass auch die als Tatsachenbehauptungen eingeordneten Äußerungen durch das Grundrecht der Meinungsfreiheit geschützt sind, da sie Voraussetzung für die Bildung von Meinungen sind (vgl. BVerfGE 54, 208 <219>; 61, 1 <8>; 85, 1 <15>). Die Tatsachenbehauptungen sind nicht erwiesen unwahr. Im Strafverfahren konnte nicht geklärt werden, ob die Angaben der Beschwerdeführerin oder die des Klägers der Wahrheit entsprechen. Nach dem Freispruch des Klägers stellen sich deshalb die verschiedenen Wahrnehmungen als subjektive Bewertungen eines nicht aufklärbaren Geschehens dar, die nicht als Tatsachenbehauptungen, sondern als Meinungen zu behandeln sind.“

Interessant an dieser Einordnung ist, dass Tatsachenbehauptungen danach ihren Charakter als Tatsachenbehauptung verlieren sollen, wenn sie Gegenstand eines Strafverfahrens waren und das Gericht keine Feststellungen über den wahren Geschehensablauf treffen konnte. Das ist bemerkenswert, weil ein Freispruch in einem Strafverfahren die Aufklärbarkeit des Geschehens zu einem späteren Zeitpunkt nicht (zwingend) ausschließt.

Schließlich spielt es für den Schutz nach Art. 5 I 1 GG – anders als bei Art. 8 I GG – auch keine Rolle, dass die Äußerungen der B nicht der Förderung einer öffentlichen Debatte mit Gemeinbezug dienen:

„Allerdings beschränkt sich die Meinungsfreiheit nicht allein auf die Gewährleistung eines geistigen Meinungskampfs in öffentlichen Angelegenheiten und kann Art. 5 I S. 1 GG nicht auf ein rein funktionales Verständnis zur Förderung einer öffentlichen Debatte mit Gemeinbezug reduziert werden. Vielmehr ist das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung als subjektive Freiheit des unmittelbaren Ausdrucks der menschlichen Persönlichkeit ein grundlegendes Menschenrecht (vgl. BVerfGE 7, 198 <208>). Die Meinungsfreiheit ist als individuelles Freiheitsrecht folglich auch um ihrer Privatnützigkeit willen gewährleistet und umfasst nicht zuletzt die Freiheit, die persönliche Wahrnehmung von Ungerechtigkeiten in subjektiver Emotionalität in die Welt zu tragen.“

Der Schutzbereich ist damit eröffnet.

b. Eingriff

Durch die (rechtskräftige) Verurteilung wird es B untersagt, die angegriffenen Äußerungen zu wiederholen. Damit wird B final, unmittelbar, rechtsförmig und imperativ (vgl. § 890 ZPO) in ihrer Äußerungsfreiheit beschränkt, so dass schon nach dem (engen) klassischen Eingriffsbegriff ein Eingriff zu bejahen ist.

c. Rechtfertigung

Der Eingriff ist gerechtfertigt, wenn die Gerichtsentscheidungen verfassungsgemäß sind, also insbesondere das Grundrecht der B aus Art. 5 I 1 GG hinreichend beachtet wurde.

(1) Schranke

Die Meinungsfreiheit wird nicht schrankenlos gewährleistet, sondern findet ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre (Art. 5 II GG).

Ein Gesetz ist nach der Rechtsprechung des BVerfG allgemein, wenn es nicht eine Meinung als solche verbietet, es sich nicht gegen die Äußerung der Meinung als solche richtet, sondern vielmehr dem Schutz eines schlechthin, ohne Rücksicht auf eine bestimmte Meinung, zu schützenden Rechtsguts dient (sogenannte modifizierte Sonderrechtslehre. Bei §§ 823, 1004 BGB handelt es sich um allgemeine Gesetze nach diesen Maßstäben. Zudem handelt es sich dabei – so das BVerfG in dieser Entscheidung um „verfassungsrechtlich unbedenkliche Vorschriften“. Daher geht es allein um die Frage, ob die Zivilgerichte die Normen im Lichte des Verfassungsrechts zutreffend angewendet haben.

(2) Verfassungskonforme Anwendung der Gesetzesgrundlage

Die Prüfung der materiellen Verfassungsmäßigkeit der gerichtlichen Entscheidungen reduziert sich auf die Prüfung der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne (Angemessenheit). Maßgeblich ist eine Abwägung zwischen dem Gewicht der Einbuße an Meinungsfreiheit bei der B einerseits und der Schwere der Beeinträchtigung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des K durch die Äußerungen der B andererseits

Dazu führt das BVerfG einleitend aus:

„Die Gerichte haben die betroffenen unterschiedlichen Interessen und das Ausmaß ihrer Beeinträchtigung zu erfassen. Die sich gegenüberstehenden Positionen sind in Ansehung der konkreten Umstände des Einzelfalles in ein Verhältnis zu bringen, das ihnen jeweils angemessen Rechnung trägt.

Von Bedeutung ist für die insoweit gebotene Abwägung unter anderem, ob die Äußerung lediglich eine private Auseinandersetzung zur Verfolgung von Eigeninteressen betrifft oder ob von der Meinungsfreiheit im Zusammenhang mit einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage Gebrauch gemacht wird. Handelt es sich bei der umstrittenen Äußerung um einen Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung, so spricht eine Vermutung zugunsten der Freiheit der Rede (vgl. BVerfGE 7, 198 <212>; 93, 266 <294>). Allerdings beschränkt sich die Meinungsfreiheit nicht allein auf die Gewährleistung eines geistigen Meinungskampfs in öffentlichen Angelegenheiten und kann Art. 5 I S. 1 GG nicht auf ein rein funktionales Verständnis zur Förderung einer öffentlichen Debatte mit Gemeinbezug reduziert werden. Vielmehr ist das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung als subjektive Freiheit des unmittelbaren Ausdrucks der menschlichen Persönlichkeit ein grundlegendes Menschenrecht (vgl. BVerfGE 7, 198 <208>). Die Meinungsfreiheit ist als individuelles Freiheitsrecht folglich auch um ihrer Privatnützigkeit willen gewährleistet und umfasst nicht zuletzt die Freiheit, die persönliche Wahrnehmung von Ungerechtigkeiten in subjektiver Emotionalität in die Welt zu tragen.

Zu berücksichtigen ist weiter, dass grundsätzlich auch die überspitzte Meinungsäußerung der durch Art. 5 I GG geschützten Selbstbestimmung unterliegt (vgl. BVerfGE 54, 129 <138 f.>). Dabei kann insbesondere bei Vorliegen eines unmittelbar vorangegangenen Angriffs auf die Ehre eine diesem Angriff entsprechende, ähnlich wirkende Erwiderung gerechtfertigt sein (vgl. BVerfGE 24, 278 <286>). Wer im öffentlichen Meinungskampf zu einem abwertenden Urteil Anlass gegeben hat, muss eine scharfe Reaktion auch dann hinnehmen, wenn sie das persönliche Ansehen mindert (vgl. BVerfGE 12, 113 <131>; 24, 278 <286>; 54, 129 <138>).“

B wird untersagt, ihre Äußerungen zu wiederholen. Darin liegt stets eine erhebliche Beeinträchtigung der Meinungsfreiheit, wenngleich auch zu berücksichtigen ist, dass es nicht um einen Widerruf oder gar Sanktionierung (Strafe oder Schmerzensgeld) der bereits gefallenen Äußerungen geht. Es liegt daher ein Eingriff von hohem Gewicht in die Meinungsfreiheit der B vor.

Auf Seiten des K ist zu berücksichtigen, dass die B ihn weiterhin einer schweren Straftat bezichtigt, obwohl er freigesprochen wurde, wenngleich zu berücksichtigen ist, dass der Freispruch zum Zeitpunkt der Äußerungen der B noch nicht rechtskräftig war. Zudem hat B lediglich wiederholt, was der Öffentlichkeit durch die mediale Berichterstattung über den Prozess bereits bekannt war. Schließlich hat K durch sein vorangegangenes Interview eine Reaktion der B zusteht, provoziert, indem er sie als “lügende Zeugin” und als “kriminell” bezeichnet hat. In solchen Fällen steht B ein “Recht auf einen Gegenschlag” zu, von dem sie in einem unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang Gebrauch gemacht hat.

In der Abwägung kommt das BVerfG zu dem Ergebnis, dass die gerichtlichen Entscheidungen die Meinungsäußerungsfreiheit der B verletzen:

„Die Gerichte haben zunächst zutreffend einerseits auf Seiten der Meinungsfreiheit das große Informationsinteresse der Öffentlichkeit und andererseits zu Gunsten des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Klägers den Freispruch berücksichtigt, der dazu führt, dass die schweren Vorwürfe die Gegenstand des Strafverfahrens waren, jedenfalls nicht unbegrenzt wiederholt werden dürfen. Auch haben sie berücksichtigt, wieweit die Äußerungen sich auf öffentliche Angelegenheiten bezogen. Indem die Gerichte aber davon ausgingen, dass sich die Beschwerdeführerin auf die Wiedergabe der wesentlichen Fakten und eine sachliche Darstellung des behaupteten Geschehens zu beschränken habe, verkennen sie die durch das Grundrecht des Art. 5 I S. 1 GG geschützte Freiheit, ein Geschehen subjektiv und sogar emotionalisiert zu bewerten. Diese Auffassung übersieht auch das öffentliche Interesse an einer Diskussion der Konsequenzen und auch Härten, die ein rechtsstaatliches Strafprozessrecht aus Sicht möglicher Opfer haben kann. Zudem haben die Gerichte in die erforderliche Abwägung nicht den Druck eingestellt, der auf der Beschwerdeführerin lastete und sie dazu brachte, das Ergebnis des weithin von der Öffentlichkeit begleiteten Prozesses kommunikativ verarbeiten zu wollen.

Zu Gunsten der Beschwerdeführerin war in die Abwägung zudem einzustellen, dass sie sich in unmittelbarer zeitlicher Nähe zu dem (noch nicht rechtskräftigen) Freispruch äußerte und in Bezug auf die dem Kläger im Strafverfahren vorgeworfene Straftat keine neuen Tatsachen vorbrachte, sondern lediglich wiederholte, was der Öffentlichkeit aufgrund der umfänglichen Berichterstattung zu dem Verfahren bereits bekannt war.

Die Gerichte haben überdies das vorangegangene Verhalten des Klägers nicht in der gebotenen Weise berücksichtigt. Der Kläger hatte sich zuvor in einem Interview, dass für die Beschwerdeführerin Anlass war, in die Öffentlichkeit zu treten, diffamierend über die Beschwerdeführerin geäußert. Das Oberlandesgericht geht insoweit zwar zutreffend davon aus, dass der Beschwerdeführerin ein „Recht auf Gegenschlag“ zusteht. Die Gerichte verkennen aber, dass sie dabei nicht auf eine sachliche, am Interview des Klägers orientierte Erwiderung beschränkt ist, weil auch der Kläger und seine Anwälte sich nicht sachlich, sondern gleichfalls in emotionalisierender Weise äußerten. Der Kläger, der auf diese Weise an die Öffentlichkeit trat, muss eine entsprechende Reaktion der Beschwerdeführerin hinnehmen.“

d. Ergebnis

Die Entscheidungen verletzen B in ihrem Recht auf freie Meinungsäußerung.

2. Verletzung der allgemeinen Handlungsfreiheit (Art. 2 I GG)

Die allgemeine Handlungsfreiheit tritt hinter die spezielle Meinungsäußerungsfreiheit zurück.

III. Ergebnis

Die Verfassungsbeschwerde der B ist zulässig und begründet.

C. Fazit

Der „Fall Kachelmann“ hat nun auch das BVerfG erreicht, das sich – soweit ersichtlich – erstmals mit der Frage zu befassen hatte, ob und inwieweit Art. 5 I 1 GG einem (möglichen) Opfer einer Straftat das Recht vermittelt, Tatvorwürfe auch dann noch zu erheben, wenn der (mögliche) Täter freigesprochen wurde. Allgemeingültige Leitlinien hat die Kammer (vgl. § 93c BVerfGG) zwar nicht festgelegt, wohl aber wesentliche Abwägungselemente aufgezeigt. Das mindert die Prüfungsrelevanz des Beschlusses aber keinesfalls, weswegen die Entscheidung zum Anlass genommen werden sollte, sich mit der Meinungsäußerungsfreiheit und den weiteren in Art. 5 GG verbürgten Grundrechten zu befassen. Das gilt auch für den Prüfungsklassiker „Urteils-Verfassungsbeschwerde“.