Examensreport: Strafrecht 1. Examen aus dem April 2016 Durchgang in Hamburg

Sachverhalt (beruht auf einem Gedächtnisprotokoll)

Der A betreibt eine abgelegene Gaststätte. Als an einem besonders regnerischen Tag der Weg zur Gaststätte nur sehr schwer zu erreichen ist, rechnet er gar nicht mehr damit, dass noch Gäste kommen werden. Sehr erfreut ist A, als die muskelösen X, Y und Z seine Gaststätte betreten und ein Drei-Gänge-Menü bestellen. Während A in der Küche das Essen zubereitet, sitzen X, Y und Z am Tisch. Als A im Barbereich etwas holen muss, hört er, wie die drei Gäste sich unterhalten, ohne dass diese den A wahrnehmen. Dabei hört A wie X, Y und Z besprechen, dass sie zunächst das Menü essen und anschließend den A mit einem mitgebrachten Seil fesseln wollen, um dann Wertgegenstände zu entwenden. Danach wollen sie den Autoschlüssel des A entwenden und mit dem SUV des A davonfahren. Als A dies hört, gerät er in Panik. Er versucht zunächst mit seinem Festnetz die Polizei anzurufen. Jedoch hat A seine Rechnungen nicht bezahlt und kann deshalb keine Nummer wählen. Sein Mobilfunk funktioniert auch nicht, da er kein Netz in seiner Gaststätte hat. Bei einer Flucht müsste A an X, Y und Z vorbei und würde sofort auffallen. Nachdem die drei Gäste mittlerweile lautstark nachgefragt gemacht haben, wann denn die Vorspeise gebracht werden würde, überlegt sich A einen Plan. Er serviert sodann eine „Aufmerksamkeit des Hauses“; einen Aperitif, in den A zuvor ein starkes Betäubungsmittel gemixt hat. Er geht richtigerweise davon aus, dass man durch das Betäubungsmittel mindestens eine Stunde in einen tiefen Schlaf fallen wird. Als X, Y und Z davon trinken, werden sie bewusstlos, sodass A entkommen kann. Da A sich aufgrund des schlechten Wetters verfährt, kommt er erst drei Stunden später mit der Polizei zur Gaststätte zurück. In der Zwischenzeit waren X,Y und Z mit Magenschmerzen aufgewacht und sind gefahren, ohne Gegenstände mitzunehmen.

Am nächsten Morgen ist A in der Stadt. Er ist mit einem Fahrzeug unterwegs, dass auf einen Freund zugelassen ist. Beim Ausparken zerkratzt er das Auto der D. Die D stand an ihrem Fahrzeug und sieht alles. A übergibt der D den Fahrzeugschein, die diesen jedoch nicht lesen kann, da sie ihre Lesebrille nicht dabei hat. Außerdem gibt er ihr noch eine Visitenkarte. Auf der Visitenkarte steht aber nur der Künstlername des A und ein Bild von ihm als Rocker. Des Weiteren hinterlässt A ihr noch zwei Telefonnummern unter denen er auch tatsächlich erreichbar ist. Danach verabschieden sich beide und A fährt davon. Später kommt eine Freundin der D dazu und macht sie darauf aufmerksam, dass der Fahrzeugschein nur den Halter ausweist. Dies muss jedoch nicht der Fahrer sein. Deshalb holt D einen Polizisten dazu und sagt, dass sie Rechtsrat benötige. Während der Polizist den Unfall aufnimmt, ruft die D unter der Telefonnummer den A an. Erst dann teilt dieser ihr den vollen Namen und seine Anschrift mit.

Am nächsten Tag bittet A seinen Freund B, mit ihm Schmuck aus dem Haus seiner Ex-Frau F zu entwenden. B willigt ein. A weiß, dass die F an diesem Abend nicht zu Hause sein wird, da sie mit ihrem neuen Freund in der Oper ist. A und B treten zunächst die Terrassentür ein. Da sie nicht wissen, ob dies jemand gehört hat, stellt sich B vor das Haus. In der Zeit entwendet A zwei Schmuckstücke im Wert von 500 € aus einem Schrank. Dann geht A zu dem Wandtresor, den er noch von früher kennt. A geht davon aus, dass es immer noch die gleiche Zahlenkombination wie früher ist, als er noch in dem Haus gewohnt hat. Leider wurde der Zahlencode aber geändert, sodass A den Tresor nicht öffnen kann. Deshalb ruft er seinen Freund C an und sagt ihm, er solle ihm eine Brechstange bringen, da er etwas öffnen müsse. C weiß von alledem nichts. Während A auf C wartet, entwendet A weiteren Schmuck im Wert von 500 €. Als C dann ankommt, sieht er sofort, dass hier etwas nicht in Ordnung ist. A gibt dann zu, dass er den Tresor öffnen will und er jetzt den 20 kg schweren „Kuhfuß“ haben möchte. C sagt, dass er mit so einer kriminellen Handlung nichts zu tun haben will, gibt aber den Kuhfuß und fährt wieder weg. Sodann versucht A den Tresor aufzubrechen. Als er gerade absetzt, kommt der Nachbar der F zu dem Haus und ruft „Weg da“. A und B flüchten mit der Beute.

Einige Tage später gehen A und B zu dem Juwelier J. Sie bieten J den Schmuck für 900 € an, der aber einen tatsächlich Wert von 1000 € hat. Sie sagen, dass es sich dabei um ein Erbstück handle. J erkennt sofort, dass A und B nervös sind und dass etwas nicht stimmen kann. Er wittert jedoch ein Geschäft und sagt wahrheitswidrig, dass der Schmuck leider nicht viel wert sei und er nur 100€ zahlen könne. A und B willigen enttäuscht ein. Später teilen A und B die Beute gleichmäßig auf.

Zu prüfen ist die Strafbarkeit von A, B und C nach dem StGB.
Etwaige Strafanträge sind gestellt.

Unverbindliche Lösungsskizze

1. Handlungsabschnitt: In der Gaststätte (Strafbarkeit des A)

§§ 223 I, 224 I Nr. 1, 3 StGB durch das Servieren des Aperitifs

I. Tatbestand

  1. Körperliche Misshandlung/ Gesundheitsschädigung
    (+), Bewusstlosigkeit, Magenschmerzen

  2. Beibringung von Gift
    (+), starkes Betäubungsmittel

  3. Hinterlistiger Überfall
    (+), Opfer gehen nicht von Betäubungsmittel im Aperitif aus

  4. Vorsatz (+)

II. Rechtswidrigkeit

  1. § 32 StGB
    (-), zwar Angriff auf Vermögen und Willensentschließung wg. §§ 249 I, 250 II Nr. 1, 25 II, 30 II 3. F. StGB, aber noch nicht gegenwärtig, da erst Menü gegessen werden sollte

  2. § 34 StGB

a) Notstandslage

aa) Gefahr für Rechtsgut (+), s.o.

bb) Gegenwärtigkeit
(+) Begriff weiter als bei § 32, Angriff muss noch nicht begonnen haben

b) Notstandshandlung

aa) Erforderlichkeit
(+), kein Telefon, X, Y, Z körperlich Überlegen

bb) Interessenabwägung
(+), Vermögen/Willensentschließung überwiegt körperliche Unversehrtheit (vgl. Strafrahmen)

c) Notstandswille (+)

III. Ergebnis: §§ 223 I, 224 I Nr. 1, 3 StGB (-)

2. Handlungsabschnitt: der nächste Morgen (Strafbarkeit des A)

§ 142 I Nr. 1 StGB

I. Tatbestand

  1. Unfall im Straßenverkehr
    (+), Kratzer am Auto (lebensnah) nicht völlig belanglos

  2. Unfallbeteiligter iSd. § 142 V StGB (+)

  3. Entfernen vom Unfallort (+)

  4. Verletzung der Feststellungspflicht

a) Feststellungsinteressent
(+), D ist hier Feststellungsinteressent

b) Verletzung der Pflicht?
(+), keine Feststellungen zur Person

c) Verzicht auf Feststellung?
(+), beide verabschieden sich; Verzicht weder abgenötigt, noch erschlichen

II. Ergebnis: § 142 I Nr. 1 StGB (-)

3. Handlungsabschnitt: Im Haus der Ex

1. Teil: A und B

A. §§ 242 I, 244 I Nr. 3, 25 II StGB (bzgl. zweier Schmuckstücke aus Schrankim Wert von 500 Euro)

I. Tatbestand

  1. Fremde bewegliche Sache (+)

  2. Gemeinschaftliche Wegnahme
    (+), A nimmt weg, B wird es aufgrund gemeinsamen Tatplans und Tatherrschaft (steht vor Haus) über § 25 II StGB zugerechnet

  3. Einbrechen in Wohnung
    (+), durch A, Zurechnung für B

  4. Vorsatz/Zueignungsabsicht (+)

II. Rechtswidrigkeit/Schuld (+)

III. Ergebnis: § 244 I Nr. 3 StGB (+)
B. §§ 242 I, 243 I Nr. 2, 22, 23 I, 25 II (bzgl. Schmuck in Tresor durch Eingabe des PINs)

Problem: Versuch eines Regelbeispiels

  1. h.L.: (-), Arg.: § 22 StGB – nur Tatbestände können versucht werden

  2. BGH (+); Arg.: Tatbestandsähnlich

II. Ergebnis: § 242 I, 243 I Nr. 2, 22, 23 I, 25 II StGB (-)

C. §§ 242 I, 22, 23 I, 25 II StGB (bzgl. Schmuck im Tresor durch Eingabe des PINs)

I. Gemeinsamer Tatentschluss
(+), B willigt ein, insoweit (lebensnah) kein Exzess

II. Unmittelbares Ansetzen
(+), Eingabe der Zahlenkombination, Zurechnung für B

III. Rechtswidrigkeit/Schuld

IV. Ergebnis: §§ 242 I, 22, 23 I, 25 II StGB (+)

D. §§ 242 I, 25 II (weiterer Schmuck im Wert von 500 Euro) (+)

E. §§ 242 I, 244 I Nr. 1a, 22, 23 I, 25 II (versucht den Tresor aufzubrechen)

I. Tatbestand

Problem: Einbruchswerkzeug (Kuhfuß) = gefährliches Werkzeug?

  1. aA: Verwendungswille = (-)

2.aA: typische Verwendungsweise = (-)

  1. BGH: Waffenersatzfunktion = wohl (-)

II. Ergebnis: §§ 242 I, 244 I Nr. 1a, 22, 23 I, 25 II StGB (-)

F. §§ 242 I, 22, 23 I, 25 II, 243 I 2 Nr. 1 StGB (versucht den Tresor aufzubrechen)

Problem: Versuch eines Regelbeispiels (s.o.)

Ergebnis: §§ 242 I, 22, 23 I, 25 II, 243 I 2 Nr. 1 StGB (-), aber § 242 I, 22, 23 I, 25 II StGB (+)

G. §§ 303 I, 25 II StGB
(+) tritt aber in Gesetzeskonkurrenzen hinter § 244 I Nr. 3 zurück

H. §§ 123 I, 25 II StGB
(+) tritt aber in Gesetzeskonkurrenzen hinter § 244 I Nr. 3 zurück

2. Teil: C

§§ 242 I, 22, 23 I, 25 II, 27, (243 I 2 Nr. 1) StGB (durch Übergabe des Kuhfußes)

I. Tatbestand

  1. Vorsätzliche rechtswidrige Haupttat
    (+), §§ 242 I, 25 II, 22, 23 I StGB von A und B, (s.o.)

  2. Hilfeleisten
    (+), Übergabe des Kuhfußes ist Förderung

  3. Vorsatz
    (+), C hatte sichere Kenntnis, dass er Tat nicht billigt schadet nicht

II. Rechtswidrigkeit

III. Schuld

IV. Strafe, § 243 I 2 Nr. 1 StGB (wenn man diesen oben mit BGH bejaht hat)

V. Ergebnis: §§ 242 I, 22, 23 I, 25 II, 27, (243 I 2 Nr. 1) StGB (+)

4. Handlungsabschnitt: Juwelier

A. §§ 263 I, 22, 23I, 25 II StGB

I. Tatentschluss

  1. bzgl. Täuschung über Tatsachen
    (+), konkludent über Eigentum

  2. bzgl. Irrtum (+)

  3. bzgl. Vermögensverfügung
    (+), Übergabe 900 €

  4. bzgl. Schaden
    (+), Schmuck zwar 1.000 € wert (aber nur Besitzerlangung), bzgl. 900 € Eigentumsverlust

  5. Bereicherungsabsicht (+)

II. Unmittelbares Ansetzen
(+), bereits Juwelier angesprochen

III. Ergebnis: §§ 263, 22, 23 I, 25 II StGB (+)

B. § 259 I StGB
(-), Stehler kein Hehler

C. § 261 I StGB
(-), keine taugliche Vortat; i.Ü.: § 261 IX 2 StGB

D. § 246 I StGB
(-), entweder tatbestandslose Zweitzueignung (BGH) oder mitbestrafte Nachtat (h.L.)