Update: Wann liegt ein „Einsteigen“ vor?

A. Ausgangspunkt

Kürzlich berichteten wir über einen Vorlagebeschluss des OLG Oldenburg nach § 121 GVG (sogenannte Divergenzvorlage).

Das OLG möchte sich der ständigen Rechtsprechung des BGH widersetzen und ist der Auffassung, dass ein Einsteigen (§ 243 I 2 Nr. 1 StGB, § 244 I Nr. 3 StGB) schon dann vorliege, wenn der Täter zwar eine zum ordnungsgemäßen Zugang bestimmte Öffnung benutzt, jedoch das Eindringen durch diese Öffnung eine manipulative Überwindung einer zum Öffnen nicht bestimmten mechanischen Sperre erfordert. Der Täter beweise in solchen Fällen nämlich eine „Geflissentlichkeit und Hartnäckigkeit“, die es rechtfertige, ein „Einsteigen“ zu bejahen.

Nunmehr liegt die Antwort des BGH auf die Vorlagefrage vor.

 

B. Die Entscheidung des BGH (Beschl. v. 10.03.2016 – 3 StR 404/15)

Der  BGH tritt der Auffassung des OLG entgegen, hält an seiner Rechtsprechung fest und stellt klar:

„Wer eine Räumlichkeit durch eine zum ordnungsgemäßen Zugang bestimmte Tür betritt, steigt nicht im Sinne von § 243 I 2 Nr. 1, § 244 I Nr. 3 StGB ein, unabhängig davon, auf welche Weise er die Tür geöffnet hat.“

Zunächst stellt der BGH dar, dass die höchstgerichtliche Rechtsprechung bereits seit dem Jahre 1881 den Begriff des Einsteigens  definiere als das Eindringen durch eine zum ordnungsgemäßen Eintreten nicht bestimmte Öffnung unter Überwindung eines entgegenstehenden Hindernisses:

„Schon das Reichsgericht hat das Einsteigen definiert als das Eindringen durch eine zum ordnungsgemäßen Eintreten nicht bestimmte Öffnung unter Überwindung eines entgegenstehenden Hindernisses (RG, Urt. v. 14.05.1881 - Rep. 980/81, RGSt 4, 175, 176). An dieser Definition hat der Bundesgerichtshof - bei teilweise abweichender Formulierung - in zahlreichen Entscheidungen festgehalten (neben BGH, Beschl. v. 27.07.2010 - 1 StR 319/10, NStZ-RR 2010, 374, 375 siehe BGH, Urt. v. 19.06.1952 - 4 StR 463/51, LM 1953 Nr. 5: “auf ordnungswidrigem Weg […] Zugang […] verschafft”; v. 23.04.1953 - 4 StR 743/52, NJW 1953, 992; v. 07.11.1957 - 4 StR 521/57: “Öffnung war ersichtlich kein ordnungsgemäßer Zugang”; v. 11.03.1960 - 4 StR 574/59, BGHSt 14, 198, 200; v. 16.11.1999 - 1 StR 506/99, NStZ 2000, 143, 144; Beschl. v. 26.02.2014 - 4 StR 584/13, StraFo 2014, 215; vgl. auch BGH, Urt. v. 12.06.1985 - IVa ZR 17/84, NJW-RR 1986, 103 zu § 1 Nr. 2a der Allgemeinen Einbruchdiebstahlversicherungs-Bedingungen: “auf […] nicht vorgesehene Weise Zugang […] verschafft”). Soweit in einer Reihe von Entscheidungen das Erfordernis des Betretens durch eine hierfür nicht bestimmte Öffnung keine ausdrückliche Erwähnung fand (vgl. BGH, Urt. v. 05.02.1957 - 5 StR 526/56, BGHSt 10, 132, 133; v. 10.06.1958 - 5 StR 212/58; v. 11.05.1993 - 1 StR 896/92, NJW 1993, 2252, 2253; Beschl. v. 06.09.1968 - 4 StR 390/68; v. 18.06.1982 - 3 StR 196/82, juris; v. 01.02.1984 - 3 StR 423/83, StV 1984, 204), war dies lediglich dem Umstand geschuldet, dass bereits die weitere Voraussetzung der Überwindung von Hindernissen nicht erfüllt war. Diese müssen sich ihrerseits aus der Eigenart des Gebäudes oder der Umfriedung des umschlossenen Raumes ergeben (BGH, Urteil v. 05.02.1957 - 5 StR 526/56, BGHSt 10, 132, 133; Beschl. v. 06.09.1968 - 4 StR 390/68); Schwierigkeiten allein beim Schaffen der Zugangsmöglichkeit genügen nicht (ausdrücklich RG, Urt. v. 21.01.1886 - Rep. 38/86, RGSt 13, 257, 258; siehe auch BGH, Beschl. v. 01.02.1984 - 3 StR 423/83, StV 1984, 204; unklar: BGH, Urt. v. 16.11.1999 - 1 StR 506/99, NStZ 2000, 143, 144).“

Daran hält der BGH fest und begründet dies – schulmäßig – unter Rückgriff auf die anerkannten Auslegungsmethoden:

I. Wortlaut

„Das hergebrachte Begriffsverständnis deckt sich schließlich mit dem allgemeinen Sprachgebrauch. Dieser versteht Einsteigen als das Sichverschaffen unrechtmäßigen Zutritts durch Hineinklettern (siehe www.duden.de/rechtschreibung/einsteigen#Bedeutung2). Soweit diese Definition die Stelle des Zutritts nicht näher umschreibt, bedeutet dies in der Sache keinen Unterschied. Denn dafür, dass eine zum ordnungsgemäßen Eintreten bestimmte Öffnung als Ort des Zugangs ausscheidet, spricht bereits das Erfordernis des Hineinkletterns, unabhängig davon, ob man darunter lediglich auf- und absteigende bzw. “herablassende” (so RG, Urt. v. 14.05.1881 - Rep. 980/81, RGSt 4, 175, 176; v. 12.04.1882 - Rep. 688/82, RGSt 6, 186, 190) oder auch kriechende Bewegungen versteht (so BGH, Urt. v. 23.04.1953 - 4 StR 743/52, NJW 1953, 992; v. 10.06.1958 - 5 StR 212/58; Beschl. v. 18.06.1982 - 3 StR 196/82, juris Rn. 2).“

II. Historie

„Bereits der Gesetzgeber des Strafgesetzbuches für die Preußischen Staaten v. 01.07.1851 ging davon aus, dass ein Einsteigen beim Betreten eines Gebäudes oder sonstigen umschlossenen Raums durch einen ordnungsgemäßen Zugang ausschied. Nach § 218 Nr. 3 des Strafgesetzbuches für die Preußischen Staaten lag ein schwerer Fall des Diebstahls vor, wenn ‘in einem Gebäude oder in einem umschlossenen Raum vermittelst Einbruchs oder Einsteigens gestohlen wird’. Eine Legaldefinition des Begriffs des Einsteigens war in § 222 ausdrücklich geregelt. Danach war ein ‘Einsteigen […] vorhanden, wenn der Eintritt in Gebäude oder umschlossene Räume über Dachwerk, Thüren, Mauern, Hecken oder andere Einfriedungen oder durch Fenster, Kellerlöcher oder andere nicht zum Eingang bestimmte, unter oder über der Erde befindliche Öffnungen bewirkt wird’.

§ 243 Nr. 2 des Strafgesetzbuches des Norddeutschen Bundes in der Fassung v. 31.05.1870 sah vor, dass ein schwerer Diebstahl gegeben war, wenn ‘aus einem Gebäude oder umschlossenen Raume mittels Einbruchs, Einsteigens oder Erbrechens von Behältnissen gestohlen wird’. Das Strafgesetzbuch des Norddeutschen Bundes wurde zum 1.01.1872 unverändert als Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich übernommen. Der Gesetzgeber verzichtete in Abkehr von dem Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten darauf, eine Legaldefinition für den Begriff des Einsteigens in das Gesetz aufzunehmen. Nach seiner Ansicht war eine entsprechende Definition nicht erforderlich, da der Begriff des Einsteigens ‘dem gemeinen Leben angehört und ohne gesetzgeberische Erklärung dem Verständnisse des Laien zugänglich’ sei (Motive zum Strafgesetzbuch für den Norddeutschen Bund, Reichstagsprotokolle [1867/70,12], S. 74). Eine inhaltliche Änderung gegenüber der Legaldefinition des Strafgesetzbuches für die Preußischen Staaten, nach der ein Einsteigen bei einem Betreten durch einen ordnungsgemäßen Zugang nicht in Betracht kam, war vom Gesetzgeber nicht gewollt (vgl. Motive zum Strafgesetzbuch für den Norddeutschen Bund, Reichstagsprotokolle [1867/70,12], S. 74; Kletke, Kommentar zum Strafgesetzbuch für den Norddeutschen Bund, 1. Aufl., § 243, S. 168 f.; Hahn, Kommentar zum Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich, 3. Aufl., § 243, S. 307; Schwarze, Kommentar zum Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich, 1. Aufl., § 243, S. 533 f.).

[…] Dieser gesetzgeberische Wille, der im Gesetzestext einen ausreichenden Niederschlag (vgl. BVerfG, Urt. v. 16.02.1983 - 2 BvE 1/83, 2/83, 3/83 und 4/83 -, BVerfGE 62, 1 [45] m.w.N.) gefunden hat, gilt unverändert fort. Insbesondere wollte der Gesetzgeber die Auslegung des Begriffes des Einsteigens bei einem Diebstahl weder durch das Erste Gesetz zur Reform des Strafrechts vom 25.06.1969 (Drucks. V/4094, S. 36; Protokoll der 122. Sitzung des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform, Materialien, Band III, S. 2457 ff.), durch welches die Qualifikationen des schweren Diebstahls zu Regelbeispielen umgewandelt wurden, noch durch das Sechste Gesetz zur Reform des Strafrechts vom 26.01.1998 (BT-Drucks. 13/8587, S. 43), durch welche der Wohnungseinbruchsdiebstahl zur Qualifikation hochgestuft wurde, ändern (vgl. auch Vogel a.a.O., Vorb. zu den § 242 ff. Rn. 23).“

III. Systematik

“Dieses Ergebnis wird weiter gestützt durch die Binnensystematik der § 243 I S. 2 Nr. 1, § 244 I Nr. 3 StGB. Der Alternative des Eindringens ist zu entnehmen, dass das Betreten durch eine hierzu bestimmte Öffnung nur dann vom Regelbeispiel bzw. der Qualifikation erfasst sein soll, wenn dies unter Nutzung eines falschen Schlüssels oder eines anderen nicht zur ordnungsgemäßen Öffnung bestimmten, auf den Schließmechanismus einwirkenden (vgl. BGH, Urt. v. 09.12.1955 - 2 StR 354/55, NJW 1956, 271) Werkzeuges geschieht. Fälle der Überwindung sonstiger entgegenstehender Hindernisse werden wiederum (nur) dann von der Tathandlungsmodalität des Einbrechens erfasst, wenn der Täter entweder die Substanz der Umschließung verletzt oder nicht unerhebliche körperliche Kraft aufwenden muss (vgl. LK/Vogel a.a.O., § 243 Rn. 20 m.w.N.). Fehlt es - wie nach Ansicht des vorlegenden Oberlandesgerichts im vorliegenden Fall - an einer dieser Voraussetzungen, kann dem nicht dadurch begegnet werden, dass das Vorgehen nunmehr unter den Begriff des Einsteigens subsumiert wird.”

IV. Sinn und Zweck

„Dass möglicherweise Sinn und Zweck der gesteigerten Strafdrohung - der erhöhte Rechtsfrieden des Verwahrungsortes (RG, Urt. v. 19.05.1919 - III 92/19, RGSt 53, 262, 263; BGH, Beschl. v. 11.05.1951 - GSSt 1/51, BGHSt 1, 158, 164 f.) sowie die in den Anstrengungen des Täters zum Ausdruck kommende besondere Geflissentlichkeit und Hartnäckigkeit des Diebes (vgl. Reichstagsprotokolle 1867/70,12, S. 74) - auch die vorliegende Konstellation erfassen, rechtfertigt es nicht, das anhand der historischen, systematischen und grammatikalischen Auslegung gefundene, eindeutige Ergebnis zu revidieren. Die teleologischen Erwägungen könnten - bei tatsächlich vergleichbarer Gewichtigkeit der Fälle - allenfalls zu der Annahme eines unbenannten besonders schweren Falles des § 243 I S. 1 StGB führen (vgl. BGH, Beschl. v. 27.07.2010 - 1 StR 319/10, NStZ-RR 2010, 374, 375; BT-Drucks. IV/650, S. 402 f.).“

C. Fazit

Die Entscheidung des BGH ist überzeugend. Auch wenn sie in der Sache nichts Neues bringt (und leider nicht ausdrücklich dazu Stellung nimmt, ob die Villa tatsächlich eine „Wohnung“ war), sondern die bisherige Auslegung bestätigt, sollten Prüfungskandidaten die Gelegenheit nutzen und die grundlegenden Definitionen der §§ 243, 244 StGB wiederholen. Die Entscheidung ist geradezu eine Einladung an die Prüfungsämter.

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