Examensreport: ZR III 1. Examen aus dem April 2016 Durchgang in Berlin

Sachverhalt (beruht auf einem Gedächtnisprotokoll)

S möchte verreisen. Er entdeckt am 23. Dezember 2015 auf der Webseite der A-AG (im folgenden A) ein günstiges Angebot für einen Hin- und Rückflug von Hamburg nach Sevilla in der zweiten Februarwoche 2016. Da er nicht alleine verreisen möchte, bucht er 2 Hin- und Rückflüge zum Preis von je 180 €. Da S aber noch nicht weiß, wen genau er mitnehmen wird, trägt er im Buchungsformular in den Feldern für „Person 1“ seinen eigenen Vor- und Nachnamen und unter „Person 2“ jeweils „noch unbekannt“ als Vor- und Nachnamen ein. Ein Hinweis unter dem Buchungsformular besagte folgendes:

Bitte beachten Sie, dass eine nachträgliche Namensänderung nicht möglich ist. Der angegebene Name muss mit dem Namen im Ausweis des Reisenden übereinstimmen.

Nach der Bestätigung seiner Eingaben enthält S von der A – die aus Kostengründen ein vollautomatisiertes Buchungssystem verwendet, bei dem die Angaben nicht mehr durch eine menschliche Person gegengeprüft werden – eine Email, in welcher die Buchung bestätigt wird. Nachfolgend wird der Betrag von 360 € vom Konto des S per Lastschriftverfahren abgebucht.

Als S eine passende Reisepartnerin in der R gefunden hat, ruft er am 4. Januar 2016 bei A an, um den Namen der R nun zu übermitteln. Am Telefon wird ihm gesagt, dass eine nachträgliche Namensänderung nicht möglich sei und wegen des Sondertarifs eine Stornierung der Buchung ebenfalls nicht in Betracht käme. S könne aber einen weiteren Flug für die R zum Preis von 400 € buchen. S entscheidet sich dann, alleine zu verreisen.

Als S am 13. Februar 2016 zurückkehrt, will er sich die 180 € von A zurückerstatten lassen. S findet das Verhalten der A unverschämt, Verträge müssten ja wohl erfüllt werden. Allerdings ist er sich auch nicht ganz sicher ob da überhaupt ein Vertrag zustande gekommen ist. Die A meint, S müsse die 180 € sowieso bezahlen. Der in Rede stehende Hin- und Rückflug sei vollständig ausgebucht gewesen, hätte S den Hinweis bei der Buchung aufmerksam gelesen und von einer Buchung für die noch unbekannte Person abgesehen, hätte die A die Plätze sowohl auf dem Hin- als auch auf dem Rückflug an andere Kunden zum Preis von 180 € vergeben können.

Aufgabe 1: Kann S von A Rückzahlung der 180 € für die Buchung des Platzes von Person 2 verlangen?

Da S die an ihn erstatteten 180 € nicht zurückzahlen will, erhebt der Justiziar J der A am 2. März 2016 im Namen der A, Klage beim Amtsgericht Hamburg-Mitte und beantragt, den S zur Zahlung von 180 € zu verurteilen. Es wird ein früher erster Termin in der Sache für den 1. April 2016 festgesetzt und die Parteien ordnungsgemäß geladen. Wegen eines von J nicht verschuldeten Verkehrsunfalls erscheint für die A niemand zum Termin. Auf Antrag des S ergeht daher ein Versäumnisurteil gegen die A, wobei dieser auch die Kosten auferlegt werden. Das Urteil wird der A am 4. April 2016 zugestellt. Am 20. April kommt es zu einem Personalwechsel bei A. Der neue Justiziar N ist sauer über das ergangene Versäumnisurteil, weshalb er die Klageschrift vom 2. März 2016 am 22. April 2016 mit neuer Unterschrift und Datum vom 22. April 2016 erneut beim Amtsgericht Hamburg-Mitte einreicht.

Aufgabe 2: Ist die am 22. April 2016 erhobene Klage zulässig?

Gehen Sie davon aus, dass am 23. Dezember 2015 ein Flugbeförderungsvertrag zwischen S und A zustande gekommen ist. Beim Saubermachen des Flugzeugs nach der Landung am 13. Februar 2016 wird von einem Mitarbeiter der A das Handy des S auf dessen Sitz gefunden.
Noch am selben Tag erhält S von der A eine Email mit der Aufforderung, das Handy abzuholen. Dabei wird auf § 5 der allgemeinen Geschäftsbedingungen der A verwiesen:

§ 5: Im Flugzeug zurückgelassene Gegenstände, wie zB Telefone, Tablets, Kosmetikartikel, etc. gehen ins Eigentum der A über, wenn Sie vom Passagier nicht innerhalb einer Woche, nachdem dieser zur Abholung aufgefordert wurde abgeholt werden.

Diese AGB waren dem S auch bei der Buchung am 23. Dezember 2015 angezeigt worden. Er hatte diese mit einem Mausklick bestätigt.
Da S sehr viel Stress hat und ihm die Sache nicht besonders wichtig erscheint, begibt er sich erst am 25. Februar 2016 zu A um sein Handy abzuholen. Die A verweigert die Herausgabe unter Verweis auf ihre AGB.

Aufgabe 3: Hat S gegen A einen Anspruch auf Herausgabe des Handys?

 

Bearbeitervermerk:

1. Es ist auf alle Ansprüche und Gegenansprüche sowie auf alle aufgeworfenen Rechtsfragen - notfalls hilfsgutachtlich – einzugehen.

2. Auf europarechtliche und völkerrechtliche Vorschriften ist nicht einzugehen. 3. Der Wohnsitz des S befindet sich in Hamburg-Mitte.

 

Unverbindliche Lösungsskizze

Aufgabe 1: S gegen A auf Rückzahlung von 180 Euro für die Buchung des Platzes von Person 2

A. § 280 I BGB

I. Schuldverhältnis
-> Beförderungsvertrag (= Werkvertrag, § 631 BGB) bzgl. Person 2 -> Voraussetzung: Einigung, §§ 145 ff. BGB, bzgl. Person 2

  1. Angebot
    a) Angebot der A durch Anzeige auf Internetseite

(-); Arg.: bloße invitatio ad offenrendum

b) Angebot des S durch Ausfüllen und Absenden des Bestellformulars
Hier: Nur bzgl. „noch unbekannt“, kein nachträgliches Bestimmungsrecht des S; Arg.: Auslegung, §§ 133, 157 BGB, insbesondere auch des Hinweises der A

  1. Ergebnis: (-)

II. Ergebnis: (-)

B. § 812 I 1 1. Fall BGB

I. Anspruch entstanden

  1. Etwas erlangt
    Hier: Gutschrift auf Konto

  2. Durch Leistung des S (+)

  3. Ohne Rechtsgrund
    -> Beförderungsvertrag bzgl. „noch unbekannt“

-> Voraussetzung: Einigung, §§ 145 ff. BGB

a) Angebot des S (+), s.o.

b) Annahme der A durch Buchungsbestätigung

-> Auslegung nach dem objektiven Empfängerhorizont, §§ 133, 157 BGB, unter Berücksichtigung von Treu und Glauben, § 242 BGB

Hier: wohl (-); Arg.: Hinweis auf Internetseite, § 154 BGB; automatisierte Erklärung nicht maßgeblich, sondern der erkennbare dahinterstehende Wille der Person (A) (a.A. vertretbar)

  1. Rechtsfolge: Herausgabe des Erlangten

Hier: Wertersatz, § 818 II BGB

  1. Kein Ausschluss (+)

II. Anspruch nicht erloschen

-> Aufrechnung der A gem. §§ 387 ff. BGB 1. Aufrechnungslage

a) Gegenseitige Forderungen
-> A gegen S auf SE aus CIC, §§ 280 I, 241 II, 311 II BGB, wegen der Eingabe von „noch unbekannt“.

aa) Vorvertragliches Schuldverhältnis (+) Hier: § 311 II Nr. 1 BGB

bb) Pflichtverletzung

Hier: Eingabe von „noch unbekannt“, allerdings von Eingabemaske akzeptiert. Daher wohl (-).
(a.A. vertretbar)

b) Ergebnis: (-)

  1. Ergebnis: (-)

III. Anspruch durchsetzbar (+)

IV. Ergebnis: (+)

**Aufgabe 2:**Zulässigkeit der Klage vom 22. April 2016

I. Zuständigkeit des AG Hamburg Mitte

  • Sachlich, §§ 23, 71 GVG (+)

  • Örtlich, §§ 12, 13 ZPO (+)

II. Keine entgegenstehende Rechtskraft, § 322 ZPO

Hier: Versäumnisurteil gegen die Klägerin (A), § 330 ZPO; kein Einspruch (fristgerecht) eingelegt, §§ 338 ZPO; VU damit rechtskräftig.

III. Ergebnis: (-)

Aufgabe 3: S gegen A auf Herausgabe des Handys

A. § 985 BGB

I. Besitz der A (+), § 854 I BGB

II. Eigentum des S

  1. Ursprünglich (+)

  2. Eigentumserwerb der A, § 929 S. 1 BGB

a) Einigung, §§ 145 ff. BGB -> § 5 AGB

aa) Voraussetzung
-> Zurückgelassener Gegenstand, Aufforderung zur Abholung, Verstreichen der Wochenfrist (+)

bb) Wirksame Einbeziehung der AGB, §§ 305 ff. BGB
(-); Arg.: Überraschende Klausel, § 305c BGB, zumindest aber unangemessene Benachteiligung, § 307 II Nr. 1 BGB.

b) Ergebnis: (-)

III. Kein Recht zum Besitz, § 986 BGB (+)

IV. Ergebnis: (+)

B. § 1007 II BGB

I. Heutiger Besitz der A (+)

II. Früherer Besitz des S (+)

III. Abhandenkommen (+)

IV. Kein Ausschluss (+)

V. Ergebnis: (+)