OLG Zweibrücken: Eigentum an einer Bronzeskulptur

A. Sachverhalt (vereinfacht)

Die Stadt S ist Eigentümerin der von dem Künstler Prof. Dr. L geschaffenen und von der Sparkasse gestifteten Bronzeskulptur mit dem Werktitel „Mensch im Widerstreit“. Die Skulptur wird im Jahr 1996 von der S am Eingang zu der neu gestalteten Fußgängerzone in der unteren Hauptstraße aufgestellt. Im Jahr 2006 lässt die S sie auf den Gehweg vor dem Anwesen S1 umsetzen.

Die 1,70 m große Skulptur steht auf einem ebenerdig eingelassenen 75 cm langen, 51 cm breiten und 20 cm tiefen Sandsteinsockel. Darin befinden sich vier ca. 15 cm lange und ca. 2 cm dicke Metallstäbe, die in ein Betonfundament von etwa 0,80–1 m Tiefe verankert werden. Bei einer späteren Überprüfung stellt sich heraus, dass die Skulptur nicht – wie geplant – auf einer im Eigentum der S stehenden öffentlichen Verkehrsfläche aufgestellt wurde, sondern auf einem Teil des Gehwegs, der zu dem Grundstück S1 gehört, das im Eigentum der Sparkasse steht. Das Grundstück S1 wird später von der Sparkasse an die W-OHG und von dieser im Herbst 2012 an den B veräußert; B wird im Dezember 2013 in das Grundbuch eingetragen. Im November 2012 schließen S und B eine als „Gestattungsvertrag“ überschriebene Vereinbarung, mit welchem S dem B die Erlaubnis erteilt, einen Teil einer unmittelbar an das Grundstück S1 grenzenden öffentlichen und im Eigentum der S stehenden Verkehrsfläche als Stellplatzfläche für sein Grundstück zu nutzen. In § 2 Nr. 8 des Vertrags treffen die Parteien zudem die folgende Vereinbarung:

„B verpflichtet sich, die Skulptur „Mensch im Widerstreit“ auf seinem Grundstück dauerhaft an einem im Einvernehmen mit der S getroffenen Standort aufzustellen.“

Das Vertragsverhältnis soll auf unbestimmte Zeit laufen. Eine Kündigungsmöglichkeit für beide Parteien wird in § 6 des Vertrags näher geregelt.

Im Sommer 2014 kündigt B ordnungsgemäß den Gestattungsvertrag, lässt die Skulptur entfernen und lagert sie bei sich ein. Er geht davon aus, infolge der Verankerung der Skulptur in seinem Grundstück auch ihr Eigentümer zu sein.

S fordert die Herausgabe der Skulptur. Zu Recht?

 

B. Die Entscheidung des OLG Zweibrücken (Urt. v. 01.10.2015 – 4 U 57/15)

I. Anspruch aus dem Gestattungsvertrag

S könnte ein Anspruch auf Herausgabe aus dem gekündigten Gestattungsvertrag zustehen. Ausdrücklich ist ein solcher Anspruch in dem Vertrag, der primär die Verpflichtung der S zur Überlassung des Teils einer als Stellplatzfläche zu nutzenden öffentlichen Verkehrsfläche zum Gegenstand hatte, nicht vorgesehen.

Ein solcher Anspruch könnte sich aus § 604 I BGB oder § 546 I BGB ergeben. Allerdings hat S B nicht den „Gebrauch“ der Skulptur überlassen. Das Interesse an § 2 Nr. 8 des „Gestattungsvertrages“ lag nicht bei B, sondern bei S, die einen Standort für die Skulptur brauchte. Daher ist dieser Teil des Vertrages – anders als derjenige, der die Überlassung der Verkehrsfläche an B betrifft – nicht als Gebrauchsüberlassungsvertrag einzuordnen. Auch die Qualifikation als Verwahrungsvertrag mit der Folge einer Rückgabepflicht aus § 695 BGB liegt eher fern.

Denkbar wäre zudem, dem Gestattungsvertrag im Wege einer ergänzenden Vertragsauslegung (§§ 157, 133 BGB) eine Herausgabepflicht zu entnehmen. In einer Entscheidung aus dem Jahre 1982 hat der BGH zu den Voraussetzungen einer ergänzenden Vertragsauslegung ausgeführt:

„Eine ergänzende Vertragsauslegung ist zulässig, wenn eine Vereinbarung der Parteien in einem regelungsbedürftigen Punkt fehlt. Dabei ist es unerheblich, aus welchem Grund die Parteien diesen Punkt offengelassen haben: Ob sie bewußt auf eine ins einzelne gehende Regelung verzichtet haben, ob die “Lücke” von Anfang an bestanden hat oder ob sie sich erst nachträglich als Folge des weiteren Verlaufs der Dinge ergeben hat. Bei einer erforderlichen Ergänzung des Vertragsinhalts ist darauf abzustellen, was die Parteien bei einer angemessenen Abwägung ihrer Interessen nach Treu und Glauben als redliche Vertragspartner vereinbart hätten, wenn sie den von ihnen nicht geregelten Fall bedacht hätten.“ (BGH NJW 1982, 2184 (2185))

In einer weiteren Entscheidung hat er aber auch zugleich die Grenzen der ergänzenden Vertragsauslegung definiert:

„Nicht alles, worüber im Vertrage eine Regelung fehlt, kann durch Auslegung ergänzt werden. Falls die Beteiligten zu einem bestimmten Punkt keine Vereinbarung treffen, kann zumeist angenommen werden, daß sie die Ausgestaltung ihrer vertraglichen Beziehungen den Gesetzesvorschriften überlassen. …

Eine durch Auslegung zu schließende Vertragslücke besteht nur dann, wenn der Vertrag innerhalb des durch ihn gesteckten Rahmens oder innerhalb der wirklich gewollten Vereinbarungen ergänzungsbedürftig ist. Die richterliche Auslegung darf nicht zu einer Erweiterung des Vertragsgegenstandes führen, sie muß in dem Vertrag auch eine Stütze finden. Sie muß sich als zwingende selbstverständliche Folge aus dem ganzen Zusammenhang des Vereinbarten ergeben, so daß ohne die vorgenommene Ergänzung das Ergebnis in offenbarem Widerspruch zu dem nach dem Inhalt des Vertrages tatsächlich Vereinbarten stehen würde.“ (BGH NJW 1982, 2190 (2191))

Danach ist fraglich, ob dem Gestattungsvertrag im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung ein Herausgabeanspruch zu entnehmen ist. Mit einem solchen Herausgabeanspruch würde B eine Leistungspflicht treffen, obwohl das Interesse an der Aufstellung der Skulptur (jedenfalls in erster Linie) bei S liegt. Denkbar wäre zwar ein Anspruch, wonach B verpflichtet wäre, das Abmontieren und Abholen der Skulptur nach Vertragsende zu dulden. Eine (aktive) Herausgabepflicht – mit der Pflicht, die Kosten dafür zu tragen – geht aber über diese bloße Duldung hinaus und würde den Vertragsgegenstand erweitern. Durch die Entfernung der Skulptur durch B hat sich der Sachverhalt zudem sehr weit von dem entfernt, was die Parteien dem Vertrag zugrundegelegt haben. Schließlich würde ein solcher Anspruch die Frage nach dem Eigentum an der Skulptur präjudizieren (dazu sogleich); eine so weitreichende Konsequenz findet in dem Vertrag aber keine Stütze. Der Fall ist daher auf der Grundlage gesetzlicher Ansprüche zu lösen.

II. Anspruch aus § 985 BGB

S müsste Eigentümer der Skulptur sein, B deren Besitzer. Zudem dürfte B kein Recht zum Besitz zustehen (§ 986 BGB).

1. Eigentum der S

Ursprünglich stand die Skulptur im Eigentum der S. Sie könnte das Eigentum durch Verbindung gemäß § 946 BGB verloren haben, indem die Skulptur (irrtümlich) in dem Grundstück S1 verankert wurde. Das wäre dann der Fall, wenn die Skulptur dadurch mit dem Grundstück S1 dergestalt verbunden worden wäre, dass sie zu einem wesentlichen Bestandteil des Grundstücks im Sinne von §§ 93, 94 BGB geworden ist.

Nach § 93 BGB sind Bestandteile einer Sache, die voneinander nicht getrennt werden können, ohne dass der eine oder der andere zerstört oder in seinem Wesen verändert wird, wesentliche Bestandteile. Nach § 94 BGB gehören zu den wesentlichen Bestandteilen eines Grundstücks die mit dem Grund und Boden fest verbundenen Sachen.

a. § 93 BGB

Zunächst verneint der Senat die Voraussetzungen des § 93 BGB:

„Die Skulptur war kein wesentlicher Bestandteil des zu ihrer Aufstellung genutzten Grundstücks i.S.v. § 93 BGB. Denn durch die Trennung der Skulptur von dem sie tragenden Betonfundament wurden weder die Skulptur als solche noch das fremde Grundstück zerstört oder in ihrem Wesen verändert.“

b. § 94 BGB

Auch liege kein Fall des § 94 BGB vor:

„Die Skulptur war auch kein wesentlicher Bestandteil des Grundstücks des Bekl. gem. § 94 I 1 BGB, da die dafür notwendige feste Verbindung zwischen der Skulptur und dem Grundstück nicht bestand.

Der Annahme einer fehlenden festen Verbindung steht nicht entgegen, dass für den Abtransport das Betonfundament unterhalb der Steinplatte der Skulptur weggestemmt werden musste, um die einbetonierten Gewindestäbe freizulegen und zu durchtrennen. Für die tatrichterliche Beurteilung der Festigkeit einer Verbindung ist entscheidend, ob eine starke Beschädigung des abzulösenden Teils oder des verbleibenden Grundstücks unvermeidbar ist oder die Trennung nur unter unverhältnismäßiger Mühe oder Kosten möglich wäre.

Durch die beschriebene Trennung der Skulptur von dem Fundament wurden weder eine starke Beschädigung der Skulptur noch des verbleibenden Grundstücks herbeigeführt. Die Skulptur kann an einem anderen Ort wieder in gleicher Weise aufgestellt werden und ihre Wirkung entfalten. Auch das Grundstück des Bekl. ist weder in seiner Nutzung noch in seinem wirtschaftlichen Wert wesentlich beeinträchtigt worden. Dass das Fundament unter dem Sandsteinsockel als wesentlicher Bestandteil des Grundstücks beschädigt wurde, stellt angesichts der Größe des Grundstücks und dessen Wert keine wesentliche Beschädigung dar (vgl. BGH, JZ 1987, S. 675 [676] = BeckRS 1986, 31074184).“

c. § 95 BGB

Überdies ergebe sich aus dem Gestattungsvertrag, dass es sich (nur) um einen Scheinbestandteil i.S.v. § 95 BGB handeln würde:

„Unabhängig davon ist der Senat aber auch der Auffassung, dass die Skulptur ohnehin nur zu einem vorübergehenden Zweck i.S.v. § 95 BGB auf dem Grundstück des Bekl. aufgestellt war und schon deshalb nicht zum Bestandteil des Grundstücks wurde. Die Skulptur „Mensch im Widerstreit“ ist eine von acht Skulpturen, die zum Zwecke der Verschönerung in dem Stadtgebiet der Kl. aufgestellt wurden. Insofern ergibt sich bereits aus der Natur der Sache, dass je nach Gestaltungsgesichtspunkten eine künftige Veränderung des Standortes der Skulpturen möglich sein sollte.“

d. Zwischenergebnis

Damit ist es zu keiner Verbindung i.S.v. § 946 BGB gekommen. Für einen rechtsgeschäftlichen (gutgläubigen) Erwerb des B gibt es keine Anhaltspunkte. S ist damit weiterhin Eigentümerin der Skulptur.

2. Besitz des B

B ist (unmittelbarer) Besitzer (§ 854 BGB).

3. kein Recht zum Besitz

B hat – jedenfalls nach Kündigung des Gestattungsvertrages – kein Recht zum Besitz i.S.v. § 986 BGB.

4. Ergebnis

S steht ein Anspruch auf Herausgabe nach § 985 BGB zu.

III. Anspruch aus § 1007 I BGB

B durfte davon ausgehen, dass er infolge der Verankerung Eigentümer der Skulptur geworden ist. Sein Rechtsirrtum ist jedenfalls nicht grob fahrlässig (§ 932 II BGB analog). Ein Anspruch aus § 1007 I BGB ist damit ausgeschlossen.

IV. Anspruch aus § 1007 II 1 BGB

Die Skulptur ist S nicht abhanden gekommen. S war allenfalls mittelbare Besitzerin der auf dem Grundstück des B stehenden Skulptur. Gegenstände können aber nur dem unmittelbaren Besitzer abhandenkommen (vgl. § 935 I 2 BGB).

V. Ansprüche aus § 861 BGB oder §§ 823 II, 858 BGB

S war allenfalls mittelbare Besitzerin, gegen die verbotene Eigenmacht i.S.v. § 858 BGB nicht verübt werden kann (vgl. auch § 869 S. 1 BGB).

C. Fazit

Eine kurze, „knackige“ Entscheidung, die Gelegenheit bietet, sich mit dem gesetzlichen Eigentumserwerb nach §§ 946 ff. BGB im Allgemeinen und den wesentlichen Bestandteilen nach §§ 93 ff. BGB im Besonderen auseinanderzusetzen.

 

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