A. Sachverhalt (vereinfacht)
A ist als Angestellter des Stadtschulamts der Stadt F der L-Schule in F als Schulsekretär zugewiesen. Bei der L-Schule handelt es sich um eine weiterführende berufliche Schule in Trägerschaft der Stadt F. Nach der internen Aufgabenverteilung ist A allein für das Bestell- und Zahlwesen zuständig, was unter anderem die Bestellung von Druckern, Tonern, Büromaterial und Hygieneartikeln umfasst. Er prüft den Bedarf, bereitet Bestellungen vor, nimmt Lieferungen entgegen, prüft die Rechnungen, bereitet die Zahlungsvorgänge vor und holt die dafür notwendigen Unterschriften eines Mitglieds der Schulleitung bzw. des Kollegiums der Schule ein.
A teilt M, einem Händler, mit, dass er für die Verbrauchsmittelbestellungen der L zuständig sei. Beide kommen überein, dass A Provisionen erhalten soll, wenn M bei künftigen Bestellungen bevorzugt beauftragt wird. Die Provisionen sollen für alle von M mit der Schule getätigten Geschäfte gezahlt werden, insbesondere auch dann, wenn M nur Rechnungen ausstellt, ohne dass Lieferungen erfolgen.
In Umsetzung dieser Abrede tätigt A bei M zum Schein eine Bestellung und M übersendet daraufhin eine Rechnung über 1.000 Euro. Auf der Grundlage der Rechnung erstellt A eine Auszahlungsanordnung, die er der Schulleiterin zur Unterschrift vorlegt. Die Schulleiterin unterzeichnet gutgläubig die Auszahlungsanordnung, woraufhin die Stadt F dem M den in der Rechnung ausgewiesenen Betrag überweist. Eine Lieferung erfolgt – wie von A von vornherein geplant – nicht.
A erhält dafür von M eine „Provisionszahlung“ in Höhe von 100 Euro.
Strafbarkeit des A?
B. Die Entscheidung des BGH (Urt. v. 13.01.2016 – 2 StR 148/15)
I. Strafbarkeit wegen Bestechlichkeit gemäß § 332 I StGB
A könnte sich wegen Bestechlichkeit strafbar gemacht haben, indem er mit M vereinbarte, gegen eine “Provisionszahlung” Scheinrechnungen entgegenzunehmen und der Schulleitung Auszahlungsanordnungen vorzulegen.
1. Tatbestand
a. A als Amtsträger
Zunächst müsste A als Amtsträger (§ 11 I Nr. 2 StGB) zu qualifizieren oder für den öffentlichen Dienst besonders verpflichtet worden sein (§ 11 I Nr. 4 StGB).
Der Begriff des Amtsträgers wird in § 11 I Nr. 2 StGB definiert. A war weder Beamter/Richter noch stand er in einem sonstigen öffentlich-rechtlichen Amtsverhältnis, so dass er allenfalls nach § 11 I Nr. 2 c StGB als Amtsträger einzustufen sein könnte. Dazu müsste er dazu bestellt gewesen sein, bei einer Behörde oder bei einer sonstigen Stelle oder in deren Auftrag Aufgaben der öffentlichen Verwaltung unbeschadet der zur Aufgabenerfüllung gewählten Organisationsform wahrzunehmen.
Zunächst müsste es sich bei dem Stadtschulamt um eine zuständige Stelle, etwa eine Behörde, gehandelt haben. Der Begriff der Behörde wird im StGB nicht definiert; § 11 I Nr. 7 StGB regelt nur, dass auch Gerichte „Behörden“ sind. Eine Behörde im verwaltungsrechtlichen Sinne ist jede Stelle, die Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrnimmt (§ 1 IV VwVfG). Die Schule selbst ist als Einrichtung der öffentlichen Daseinsvorsorge eine Behörde. Nach Auffassung des BGH handelt es sich auch bei dem Stadtschulamt, das den Betrieb der Schule ermöglichen soll, um eine Behörde i.S.v. § 11 I Nr. 2 c StGB:
„Beim Stadtschulamt der Stadt F. handelt es sich um eine “Behörde”, die im Bereich der Daseinsvorsorge Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrnimmt (vgl. insoweit Senat, Urt. v. 16.07.2004 – 2 StR 486/03, NJW 2004, 3129, 3130 f.; BGH, Urt. v. 29.01.1992 – 5 StR 338/91, BGHSt 38, 199, 201; vgl. auch MüKo/Radtke, StGB, 2. Aufl., § 11 Rn. 51, 52). Liegt im Bereich der Daseinsvorsorge die Erfüllung von “Aufgaben der öffentlichen Verwaltung” vor, so sind auch die sie ermöglichenden Tätigkeiten selbst öffentliche Verwaltung; d.h. auch das staatliche Auftreten auf der Nachfragerseite zum Zwecke der Erfüllung von Aufgaben der Daseinsvorsorge stellt eine Aufgabe der öffentlichen Verwaltung dar (vgl. Ransiek, NStZ 1997, 519, 522; Müko/Radtke, a.a.O. § 11 Rn. 52). Entsprechend ist nicht nur der Betrieb der in Trägerschaft der Stadt F. stehenden Schule eine Aufgabe der öffentlichen Verwaltung, sondern auch die den Betrieb der Schule ermöglichenden Tätigkeiten.“
A müsste desweiteren bestellt worden sein, Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrzunehmen. Es bedarf also einer „Bestellung“, während eine bloß faktische Tätigkeit unzureichend wäre. Dem Bestellungsakt kommt damit eine Warnfunktion für den Betroffenen zu, die ihm seine gesteigerte Verantwortung vor Augen führen soll. Nach Auffassung des BGH bedarf es aber keines förmlichen, öffentlich-rechtlichen Bestellungsaktes. Ausreichend ist entweder die Eingliederung in die Organisationsstruktur einer Behörde bzw. einer sonstigen Stelle oder aber eine über den Einzelauftrag hinausgehende längerfristige Tätigkeit bei oder für eine Behörde bzw. sonstige Stelle. Auf dieser Grundlage bejaht der BGH die „Bestellung“ des A:
„Der Angeklagte war auch zur Wahrnehmung von Aufgaben der öffentlichen Verwaltung bestellt. Dazu genügt es, dass er beim Stadtschulamt als Angestellter in einem öffentlich-rechtlichen Anstellungsverhältnis beschäftigt war. Eines weitergehenden Bestellungsaktes bedurfte es nicht, denn schon durch seine Anstellung war der Angeklagte längerfristig und organisatorisch in die Behördenstruktur eingegliedert. Zugleich war ihm bewusst, bei einer Behörde tätig zu sein, die ihrer gesetzlichen Zweckbestimmung gemäß Aufgaben der öffentlichen Verwaltung erfüllt (vgl. auch Senat, Urt. v. 19.12.1997 – 2 StR 521/97, BGHSt 43, 370, 380; BGH, Urt. v. 19.06.2008 – 3 StR 490/07, BGHSt 52, 290, 299). Damit war für den Angeklagten hinreichend deutlich erkennbar, dass mit seiner Anstellung strafbewehrte Verhaltenspflichten verbunden waren, wie sie den in einem öffentlich-rechtlichen Anstellungsverhältnis bei einer Behörde beschäftigten Personen obliegen (vgl. auch BGH, Beschl. v. 09.12.2010 – 3 StR 312/10, BGHSt 56, 97, 108).“
Schließlich müsste A auch dazu verpflichtet gewesen sein, auch selbst Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrzunehmen. Der BGH stellt zunächst die allgemeinen Anforderungen dar, wonach jedenfalls eine gewisse selbständige und eigenverantwortliche Tätigkeit, wenngleich nicht unbedingt eine gehobene oder schwierige Tätigkeit erforderlich sei:
„Die Amtsträgereigenschaft setzt weiter voraus, dass der zur Wahrnehmung von Aufgaben der öffentlichen Verwaltung Bestellte solche Aufgaben auch selbst wahrnehmen muss (vgl. BGH, Urt. v. 28.11.1979 – 3 StR 405/79, NJW 1980, 846, 847; Lackner/Kühl/Heger, StGB, 28. Aufl., § 11 Rn. 9a). Mit diesem Merkmal sind Begrenzungen der Reichweite des Amtsträgerbegriffs in zwei Richtungen verbunden: Zum einen kommt es auf die tatsächliche Ausübung der Verwaltungstätigkeit an, zu deren Ausführung die Person bestellt worden ist. Diese Begrenzung ergibt sich aus der für Abs. 1 Nr. 2 lit. c relevanten funktionalen, auf die konkrete Tätigkeit abstellenden Betrachtungsweise statt der institutionellen Anknüpfung in den Fällen des Abs. 1 Nr. 2 lit. a und Nr. 2 lit. b. Zum anderen führt – in Abgrenzung zu dem für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichteten nach § 11 I Nr. 4 StGB – nicht jede Tätigkeit bei einer Behörde, die Aufgaben der öffentlichen Verwaltung erfüllt, eine Amtsträgereigenschaft der agierenden Person herbei (vgl. Heinrich, Der Amtsträgerbegriff im Strafrecht, S. 515; MüKo/Radtke, a.a.O. § 11 Rn. 77). Erforderlich ist jedenfalls eine gewisse selbständige und eigenverantwortliche, wenngleich nicht unbedingt eine gehobene oder schwierige Tätigkeit (vgl. LK/Hilgendorf, StGB, 12. Aufl., 2007, § 11 Rn. 52; vgl. auch Ransiek, NStZ 1997, 519, 523).
Rein mechanische oder nur untergeordnete Hilfstätigkeiten, wie zum Beispiel Reinigungs- oder Schreibarbeiten (vgl. zum strafrechtlichen Beamtenbegriff des § 359 StGB aF: Senat, Urt. v. 25.04.1953 – 2 StR 780/51, NJW 1953, 1153; RG, Urt. v. 29.10.1898 – 3409/98, RGSt 31, 293) innerhalb der öffentlichen Verwaltung begründen daher keine Amtsträgereigenschaft (vgl. Fischer, StGB, 63. Aufl., § 11 Rn. 23c). Auch Dienste als Kraftfahrer genügen für die Amtsträgereigenschaft nicht (vgl. NK/Saliger, StGB, 4. Aufl., § 11 Rn. 38). Solche Beschäftigte können nur dann, wenn sie für den öffentlichen Dienst gem. § 11 I Nr. 4 StGB besonders verpflichtet wurden, Täter der §§ 331 ff. StGB sein.
Erforderlich ist vielmehr, dass der Betroffene mit der selbstständigen Wahrnehmung von Aufgaben der öffentlichen Verwaltung betraut ist (vgl. LK/Hilgendorf, StGB, a.a.O. § 11 Rn. 36; Lackner/Kühl/Heger, a.a.O. § 11 Rn. 9a; vgl. auch KG, Beschl. v. 24.01.2008 – 3 Ws 66/07, NStZ-RR 08, 198) und er diese Aufgaben – wenn auch auf niedriger Ranghöhe – unmittelbar wahrnimmt (vgl. MüKo/Radtke a.a.O. § 11 Rn. 77). Anhalt für eine solche eigene unmittelbare Aufgabenwahrnehmung sind das Vorhandensein eines “gewissen Entscheidungsspielraums” und die Vornahme von Verwaltungshandeln mit unmittelbarer Außenwirkung (vgl. Heinrich, a.a.O., S. 518; vgl. auch Ransiek, NStZ 1997, 519, 524). Die Anforderungen an den “Entscheidungsspielraum” dürfen indes nicht hoch angesetzt werden, wenn und soweit es sich um Tätigkeiten handelt, die innerhalb des Zuständigkeitsbereichs der Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrnehmenden Behörde liegen (MüKo/Radtke, a.a.O. § 11 Rn. 77).
Danach nimmt zwar der tatsächliche Entscheidungsträger stets Aufgaben der öffentlichen Verwaltung auch “selbst” wahr. Doch auch derjenige, der in sonstiger Weise unmittelbar an Verwaltungsentscheidungen mitwirkt, weil er gewisse Machtbefugnisse und Einflussmöglichkeiten besitzt und im Rahmen dessen zumindest vorbereitend oder unterstützend an der Entscheidung eines anderen mitwirkt, kann diese Voraussetzung erfüllen. Dies ist jedenfalls dann der Fall, wenn seine Tätigkeit ein “unentbehrliches Glied” in der Kette von Verrichtungen darstellt, die letztlich zu einer bestimmten Verwaltungsentscheidung führt (Heinrich, a.a.O., S. 518 f.). Dabei reicht es aus, dass der Betroffene im Rahmen des ihm zugewiesenen Zuständigkeitsbereichs über eine jedenfalls praktische Einflussnahmemöglichkeit verfügt; er also durch eine inhaltliche Befassung mit der jeweiligen Aufgabe allein oder zusammen mit anderen das Ergebnis der Aufgabenerfüllung mitbestimmen oder zumindest beeinflussen kann (vgl. SK- StGB/Rudolphi/Stein, StGB, 7. Aufl., § 11 Rn. 29 ff. m.w.N.; BeckOK StGB/von Heintschel-Heinegg, StGB, Stand 01.12.2015 § 11 Rn. 29; a.A. Ransiek, NStZ 1997, 519, 525). Ob die Wahrnehmung von Aufgaben der öffentlichen Verwaltung nach außen als Verwaltungshandeln in Erscheinung tritt oder in der Öffentlichkeit als solche bemerkbar ist, ist dagegen unerheblich (NK/Saliger, a.a.O. § 11 Rn. 38); auch eine bloß beratende Tätigkeit bei der Beschaffung und Verwaltung der für eine Universitätsklinik benötigten Lebensmittel kann genügen (vgl. zu § 359 StGB aF: RG, Urt. v. 31.08.1940 – 3 D 202/40, RGSt 74, 251, 253; zustimmend LK/Hilgendorf, StGB, aaO § 11 Rn. 52).“
Danach bejaht der BGH die Amtsträgereigenschaft des A:
„Unter Zugrundelegung dieses Maßstabs nahm der Angeklagte selbst Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahr. Auch wenn er formal nach außen nicht als Entscheidungsträger auftrat, stand er im Rahmen der ihm zugewiesenen Aufgaben in Kontakt mit potentiellen Zulieferern von Verbrauchmaterialien, traf faktisch die Entscheidung darüber, dass Bestellungen realisiert und welche Zulieferer beauftragt wurden, wie auch darüber, dass Zahlungen angewiesen wurden. Dabei prüfte der Angeklagte fortlaufend den Bedarf der Schule wie auch die späteren Rechnungen und bereitete die Bestellungen sowie die von ihm als rechnerisch richtig gezeichneten Zahlungsanordnungen vor.“
b. Übrige Tatbestandsmerkmale
Indem A und M die Provisionszahlung als „Lohn“ für die Vorbereitung von Auszahlungsanordnungen zur Begleichung von bloßen Scheinrechnungen vereinbarten, hat sich A eine Gegenleistung dafür versprechen lassen, eine Diensthandlung vorzunehmen, durch die er seine Dienstpflichten verletzten wird. Darin liegt der Abschluss einer sogenannten Unrechtsvereinbarung. A handelte auch vorsätzlich.
2. Rechtswidrigkeit und Schuld
A handelte rechtswidrig und schuldhaft.
3. Ergebnis
A hat sich wegen Bestechlichkeit gemäß § 332 I StGB strafbar gemacht. Die spätere Annahme der versprochenen Gegenleistung stellt keine neue selbständige Tat dar.
II. Strafbarkeit wegen Betruges gemäß § 263 I StGB
Indem A der gutgläubigen Schulleiterin eine Auszahlungsanordnung vorgelegt hat, um die Auszahlung des rechtsgrundlosen Rechnungsbetrages an M durch die Stadt F zu veranlassen, hat er sich zudem wegen eines drittbegünstigenden (Dreiecks-)Betruges gegenüber der Schulleiterin zu Lasten der Stadt F strafbar gemacht. Bestechlichkeit und Betrug sind durch zwei Handlungen (§ 53 StGB) begangen worden.
C. Fazit
Der Fall bietet Gelegenheit, sich mit Inhalt und Systematik der Bestechungsdelikte (§§ 331-334 StGB) und dem Begriff des Amtsträgers zu befassen.
An dieser Stelle sei daran erinnert, dass der Große Senat für Strafsachen des BGH niedergelassene, für vertragsärztliche Versorgung zugelassene Ärzte weder als Amtsträger nach § 11 I Nr. 2 c StGB noch als „Beauftragte“ der Krankenkassen eingestuft hat. Damit scheidet eine Strafbarkeit nach §§ 331 ff. oder § 299 StGB aus, wenn ein Arzt von Pharmaherstellern Geld annimmt, um bestimmte Medikamente bevorzugt zu verschreiben (Beschl. v. 29.03.2012 – GSSt 2/11). Derzeit berät der Bundestag den Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung von Korruption im Gesundheitswesen, der die „bei der strafrechtlichen Bekämpfung von Korruption im Gesundheitswesen [bestehenden] Lücken“ schließen soll (BT-Drucks. 18/6446).
Du möchtest weiterlesen?
Dieser Beitrag steht exklusiv Kunden von Jura Online zur Verfügung.
Paket auswählen