BGH zur Einordnung einer langfristigen unentgeltlichen Überlassung von Wohnräumen

A. Sachverhalt (vereinfacht)

E ist Eigentümerin eines mit einem Mehrfamilienhaus bebauten Grundstücks. Sie hat das Grundstück von ihrem im Jahr 2008 verstorbenen Ehemann, der sie als befreite Vorerbin einsetzte, geerbt. Die beiden gemeinsamen Söhne, K und B, wurden zu gleichen Teilen als Nacherben eingesetzt.

Anfang 2011 unterzeichnet die 74-jährige E ein mit „Gebrauchsüberlassungsvereinbarung“ überschriebenes Schriftstück, mit dem sie sich verpflichtet, ihrem Sohn B – befristet bis zum 31. Dezember 2041 - unentgeltlich drei Wohnungen in der Immobilie zur Verfügung zu stellen. B ist nach der Vereinbarung berechtigt, Änderungen an den ihm überlassenen Objekten vorzunehmen, frei über sie zu verfügen und Dritten Rechte hieran einzuräumen, während E verpflichtet ist, die Objekte angemessen zu versichern und in gebrauchsfähigem Zustand zu erhalten. Eine Pflicht des B, Betriebskosten zu zahlen, besteht nicht, auch eine Eigenbedarfskündigung der E ist ausgeschlossen. B übernimmt gemeinsam eine der Wohnungen selbst, die übrigen Wohnungen vermietet er und vereinnahmt die Mietzahlungen.

Mit Anwaltsschreiben vom 13. März 2012 lässt E gegenüber B die Gebrauchsüberlassungsvereinbarungen unter Berufung auf einen nicht näher spezifizierten Eigenbedarf kündigen. E verstirbt und wird von K und B zu gleichen Teilen beerbt. K erklärt erneut die Kündigung und verlangt die Herausgabe der drei Wohnungen.

Kann K von B die Herausgabe der drei Wohnungen verlangen?

 

B. Die Entscheidung des BGH (Urt. v. 27.01.2016 – XII ZR 33/15)

I. Anspruch aus §§ 985, 2039 S. 1 BGB

K könnte gegen B ein Anspruch auf Herausgabe der Wohnungen aus § 985 BGB zustehen.

B ist im Hinblick auf die selbst bewohnte Wohnung unmittelbarer und im Übrigen jedenfalls mittelbarer Besitzer.

K und B haben E zu gleichen Teil beerbt, sind also Miteigentümer der streitgegenständlichen Immobilie. Nach § 2039 S. 1 BGB kann jeder Miterbe – im Wege einer gesetzlichen Prozessstandschaft – zum Nachlass gehörende Forderungen geltend machen und Leistung an alle Miterben fordern. Das gilt auch für einen Anspruch, den ein Miterbe gegen einen anderen Miterben geltend macht. Das bedeutet vorliegend, dass K (nur) die Einräumung von Mitbesitz verlangen könnte.

Möglicherweise steht B aber ein Recht zum Besitz i.S.v. § 986 BGB zu.

1. „Gebrauchsüberlassungsvereinbarung“ als Leihvertrag

E und B haben eine „Gebrauchsüberlassungsvereinbarung“ getroffen. Darin verpflichtet sich E, den Gebrauch an verschiedenen Wohnungen unentgeltlich an B zu überlassen. Daher liegt es nahe, in den Vereinbarungen Leihverträge nach §§ 598 ff. BGB zu sehen.

Denkbar ist grundsätzlich aber auch die Einordnung als Schenkung. Das hätte im Hinblick auf das Formerfordernis des § 518 I BGB weitreichende Folgen. In einer Entscheidung aus dem Jahre 1981 hat der BGH allerdings entschieden, dass ein Vertrag, der die Verpflichtung zur unentgeltlichen Gebrauchsüberlassung einer Wohnung auf Lebenszeit zum Inhalt hat, als Leihvertrag und nicht als Schenkung einzuordnen sei. Zu Begründung hat er ausgeführt, dass es an einer für eine Schenkung charakteristischen unentgeltlichen und das Vermögen endgültig mindernden Zuwendung fehle:

„Es stellt sich indessen die weitere Frage, ob ein Vertrag, der - wie hier - auf die Besitzüberlassung einer Wohnung zum unentgeltlichen Gebrauch gerichtet ist, seinem Wesen nach eine Schenkung ist. Das ist zu verneinen. In der bloßen vorübergehenden Gebrauchsüberlassung einer Sache liegt in der Regel keine das Vermögen mindernde Zuwendung, die für eine Schenkung gem. § 516 I BGB erforderlich wäre (vgl. Senat, LM § 516 BGB Nr. 2; RG, JW 1921, 1362); denn in diesem Falle verbleibt die Sache im Eigentum und mithin im Vermögen des Leistenden. Auch der Besitz als vermögenswertes Recht wird dann nicht endgültig, sondern nur vorübergehend aus der Hand gegeben. Allein das Merkmal der Unentgeltlichkeit macht die Zuwendung noch nicht zu einer Schenkung. Wer sich vertraglich verpflichtet, einem anderen den Gebrauch der Sache unentgeltlich zu gestatten, begründet vielmehr einen formlos zulässigen Leihvertrag gem. § 598 BGB. Nichts anderes aber ist ein unentgeltliches schuldrechtliches Wohnrecht, von dem das BerGer. ausgeht (vgl. Haase, in: MüKo, § 598 Rn. 20; vgl. auch BGHZ 12, 380 (399) = NJW 1954, 918; zur Rechtslage bei Gewährung von Wohnrecht und Rente vgl. BGH, WM 1982, 100), genauso wie ein entgeltliches schuldrechtliches Wohnrecht keinen Vertrag eigener Art, sondern einen Mietvertrag darstellt (BGH, LM § 535 BGB Nr. 45). Da eine Leihe gerade die Gestattung des unentgeltlichen Gebrauchs zum Gegenstand hat, kann auch in der damit verbundenen Zuwendung des Wertes einer sonst möglich gewesenen Eigennutzung der Sache keine Schenkung gesehen werden. Soweit sich aus den Urteilen des Senats, NJW 1970, 941 und WM 1970, 1247, eine andere Auffassung ergeben könnte, wird daran nicht festgehalten.“ (Urt. v. 11.12.1981 – V ZR 247/80).

An diese Rechtsprechung knüpft der BGH auch in diesem Fall an:

„Wie der Bundesgerichtshof wiederholt in Fällen der Vereinbarung eines unentgeltlichen schuldrechtlichen Wohnrechts entschieden hat, liegt in der bloßen vorübergehenden Gebrauchsüberlassung einer Sache in der Regel keine das Vermögen mindernde Zuwendung, wie sie für eine Schenkung gemäß § 516 I BGB erforderlich wäre. Denn die Sache verbleibt im Eigentum und mithin im Vermögen des Leistenden. Auch der unmittelbare Besitz wird dann nicht endgültig, sondern nur vorübergehend aus der Hand gegeben. Allein das Merkmal der Unentgeltlichkeit macht die Zuwendung noch nicht zu einer Schenkung. Wer sich vertraglich verpflichtet, einem anderen den Gebrauch der Sache unentgeltlich zu gestatten, begründet vielmehr einen formlos zulässigen Leihvertrag gem. § 598 BGB. Da eine Leihe gerade die Gestattung des unentgeltlichen Gebrauchs zum Gegenstand hat, kann auch in der damit verbundenen Zuwendung des Wertes einer sonst möglich gewesenen Eigennutzung der Sache keine Schenkung gesehen werden (BGHZ 82, 354 = NJW 1982, 820; BGH Urt. v. 20.06.1984 - IVa ZR 34/83 - NJW 1985, 1553 und v. 10.10.1984 - VIII ZR 152/83 - NJW 1985, 313 sowie Beschl. v. 11.07.2007 - IV ZR 218/06 - FamRZ 2007, 1649, 1650).“

Auch die in Anbetracht des Lebensalters der Verleiherin (74 Jahre) überaus lange Vertragslaufzeit (bis 2041), die bereits bei Vertragsschluss absehbar über den Tod der Verleiherin hinaus gelten sollte, spreche nicht für eine Schenkung, da das Lebensalter der Vertragsschließenden für die rechtliche Bewertung irrelevant sei:

„Dass die Gebrauchsüberlassung auch über den Tod des Überlassenden hinaus andauern sollte, etwa weil eine Überlassung auf Lebenszeit des Wohnberechtigten vereinbart und ein Vorversterben des Überlassenden zu erwarten ist, macht insoweit keinen Unterschied. Auf das jeweilige Alter der Vertragsschließenden und die Wahrscheinlichkeit, dass der eine den anderen überlebt, kann für die rechtliche Behandlung derartiger Abreden nicht abgehoben werden (BGH Urt. v. 20.05.1984 - IVa ZR 34/83 - NJW 1985, 1553).“

Eine das Vermögen endgültig mindernde Zuwendung könnte aber vorliegen, wenn die langfristige unentgeltliche Überlassung zum Gebrauch der Wohnungen wirtschaftlich einer Weggabe von Substanz nahekommen würde. Vorliegend fehle es aber an Anhaltspunkten dafür, dass der Wert der Immobilie insgesamt – nicht nur der überlassenen Wohnungen – nach Ablauf der Vertragslaufzeit erschöpft gewesen wäre:

„Ob dann, wenn die Gebrauchsüberlassung der wirtschaftlichen Weggabe der Sache nahe kommt, von einer Schenkung i.S.d. § 516 BGB auszugehen ist (offen gelassen von BGH Urt. v. 20.06.1984 - IVa ZR 34/83 - NJW 1985, 1553), bedarf keiner Entscheidung. Denn ein solcher Fall ist hier nicht gegeben. Dass der Wert der streitgegenständlichen Immobilie nach Ablauf der Vertragslaufzeiten von 31 Jahren erschöpft wäre, ist nicht ersichtlich. Es wird auch weder von der Revision geltend gemacht noch ist es vom Berufungsgericht festgestellt. Soweit im Berufungsurteil ausgeführt ist, der wirtschaftliche Wert des auch dem Kläger zustehenden Nachlassgegenstands werde in Ansehung der Vertragslaufzeit nahezu vollständig ausgehöhlt, bezieht sich dies auf die (zeitliche) Nutzungsmöglichkeit durch die Nacherben, nicht aber auf den Wert der überlassenen Sache insgesamt.“

Gegen die Einordnung als Leihvertrag könnte aber sprechen, dass die Parteien eine Reihe von Abreden getroffen haben, die von den in §§ 598 ff. BGB getroffenen Regelungen abweichen. Der BGH geht aber davon aus, dass dies nichts an der Qualifizierung der Abrede als Leihvertrag ändere:

„Schließlich führt das Berufungsgericht zutreffend aus, dass die von den Vertragsparteien vereinbarten Abweichungen von der in §§ 598 ff. BGB gesetzlich vorgesehenen Ausgestaltung der Leihe nicht die Annahme rechtfertigen, es liege kein Leihvertrag vor. Dies gilt sowohl für die Erlaubnis zur Gebrauchsüberlassung an Dritte, deren Erteilung das Gesetz in § 603 S. 2 BGB vorsieht, als auch dafür, dass sich die Erblasserin abweichend von § 601 I BGB zur Übernahme der gewöhnlichen Erhaltungskosten verpflichtet hat. Diese Gesetzesbestimmung ist ebenso abdingbar (jurisPK-BGB/Colling [Stand: 1. Oktober 2014] § 601 Rn. 12; Palandt/Weidenkaff BGB 75. Aufl. § 601 Rn. 3; Soergel/Heintzmann BGB 13. Aufl. § 601 Rn. 5) wie das in § 605 Nr. 1 BGB vorgesehene Recht des Entleihers zur Eigenbedarfskündigung (allg.M., vgl. etwa BeckOK BGB/Wagner [Stand: 1. Februar 2015] § 605 Rn. 1; jurisPK-BGB/Colling [Stand: 1. Oktober 2014] § 605 Rn. 11; MüKo/Häublein 6. Aufl. § 605 Rn. 6; Staudinger/Reuter BGB [2013] § 605 Rn. 1). Die von den Vertragsparteien gegenüber dem gesetzlichen Modell vorgenommenen Modifikationen ändern nichts daran, dass eine unentgeltliche Gebrauchsüberlassung und mithin eine Leihe vorliegt.“

Daher ist die Gebrauchsüberlassungsvereinbarung als Leihvertrag einzuordnen.

2. Formnichtigkeit des Leihvertrages

Möglicherweise ist der Vertrag nach § 125 S. 1 BGB nichtig.

Für den Leihvertrag selbst enthält das Gesetz keine Formvorschriften, auch handelt es sich nach dem oben Gesagten nicht um ein Schenkungsversprechen, das nach § 518 I BGB der notariellen Beurkundung bedarf. Allerdings haben die Parteien das recht weitreichende Kündigungsrecht nach § 605 Nr. 1 BGB ausgeschlossen. In der Literatur wird vertreten, dass in diesen Fällen eine analoge Anwendung des § 518 I BGB angezeigt sei. Begründet wird dies damit, dass die Interessen des Verleihers andernfalls nicht hinreichend geschützt werden könnten.

Dem tritt der BGH entgegen und stellt – die Wirksamkeit des Ausschlusses von § 605 Nr. 1 BGB – darauf ab, dass die Interessen des Verleihers durch das Kündigungsrecht nach § 314 BGB hinreichend gewahrt seien:

„Auch bei Ausschluss der Eigenbedarfskündigung stellt die Leihe ein Minus zur Schenkung dar, weil das Eigentum beim Verleiher verbleibt und der Entleiher die geliehene Sache nur als Fremdbesitzer nutzt (Staudinger/Reuter BGB [2013] § 598 Rn. 9). Darüber hinaus steht dem Verleiher bei Dauerschuldverhältnissen wie der Leihe auf Zeit jedenfalls die Kündigung aus wichtigem Grund gemäß § 314 BGB offen, um sich bei Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Vertragsverhältnisses von diesem zu lösen (vgl. auch BGHZ 82, 354 = NJW 1982, 820, 821). Zwar ist dieses Sonderkündigungsrecht durch die vertraglichen Regelungen dahin modifiziert, dass der Eigenbedarf des Verleihers eine Unzumutbarkeit i.S.d. § 314 I BGB - eigentlich - nicht begründen kann. Es ist jedoch in den Blick zu nehmen, dass die Leihe aufgrund ihrer Unentgeltlichkeit zu den Gefälligkeitsverträgen gehört (Staudinger/Reuter BGB [2013] Vorbem. zu §§ 598 ff. Rn. 8). Dem Entleiher kann es daher, zumal bei Hinzutreten eines verwandtschaftlichen Näheverhältnisses zwischen den Vertragsparteien, im Einzelfall gemäß § 242 BGB verwehrt sein, sich auf den vertraglich vereinbarten Kündigungsausschluss zu berufen (vgl. zur sog. Ausübungskontrolle grundlegend Senatsurt. BGHZ 158, 81 = FamRZ 2004, 601, 606). Im Ergebnis führt daher auch der Ausschluss der Eigenbedarfskündigung des § 605 Nr. 1 BGB nicht zu einer mit der Schenkung vergleichbaren Interessenlage, so dass die entsprechende Anwendung der schenkungsrechtlichen Formvorschriften ausscheidet (so etwa Staudinger/Reuter BGB [2013] § 598 Rn. 9; vgl. auch Gitter Gebrauchsüberlassungsverträge S. 151 f.; Palandt/Weidenkaff BGB 75. Aufl. Einf. v. § 598 Rn. 4; Soergel/Heintzmann BGB 13. Aufl. Vor § 598 Rn. 6).“

Danach kommt es auch nicht darauf an, ob ein eventueller Formangel durch Bewirkung der versprochenen Leistung nach § 518 II BGB (analog) geheilt worden ist.

3. Sittenwidrigkeit des Leihvertrages

Möglicherweise ist der Leihvertrag sittenwidrig und damit nach § 138 I BGB nichtig. Nach der bekannten Formel der Rechtsprechung sind Rechtsgeschäfte sittenwidrig, die gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denken verstoßen. Da es sich dabei nicht um einen ohne Weiteres subsumtionsfähigen Obersatz handelt, haben sich insoweit verschiedene Fallgruppen herausgebildet. Dabei wird in der Rechtsprechung auch immer mal wieder der Fall genannt, dass ein Vertrag auf eine Gesetzesumgehung gerichtet ist.

Möglicherweise ergibt sich hier eine Umgehung des § 2113 II BGB, wonach unentgeltliche Verfügungen eines Vorerben (E) unwirksam sind, soweit sie das Recht des Nacherben (K und B) vereiteln oder beeinträchtigen würden. Bei dem Abschluss eines Leihvertrages als schuldrechtlichem Verpflichtungsgeschäft handelt es sich nicht um eine Verfügung i.S.v. § 2113 II BGB, möglicherweise aber um ein Rechtsgeschäft, das einer Verfügung derart ähnlich ist, so dass ein Schutz der Nacherben über § 138 I BGB angezeigt ist.

Dem tritt der BGH aber entgegen. Der Schutzzweck des § 2113 BGB sei nicht berührt. Ein Leihvertrag des Vorerben binde den Nacherben nicht, so dass der Nacherbe vom Entleiher die Herausgabe der entliehenen Sache verlangen könne. Das sei hier nur deswegen anders, weil K zugleich auch Erbe der E und damit deren Rechtsnachfolgerin sei:

„Dem sind schuldrechtliche Verpflichtungsgeschäfte nicht vergleichbar, wie auch die vorliegende Fallgestaltung der Raumleihe durch den Vorerben verdeutlicht. Durch einen Leihvertrag über Räume wird dem Nachlass für den Nacherben weder das Grundstück noch sonstiges Vermögen entzogen. Bis zum Eintritt des Nacherbfalls unterbleibt lediglich die Fruchtziehung durch den Vorerben, die aber ohnedies - von den Fällen der ordnungswidrigen oder übermäßigen Fruchtziehung des § 2133 BGB abgesehen - allein diesem zusteht. Mit einem vom Vorerben abgeschlossenen Leihvertrag wird schuldrechtlich auch nicht der Nacherbe verpflichtet, weil er nicht der Rechtsnachfolger des Vorerben ist. Ein Vertragsübergang findet nur bei zur Erbschaft gehörenden Miet- oder Pachtverträgen über Grundstücke und eingetragene Schiffe aufgrund der besonderen gesetzlichen Anordnung in §§ 2135, 1056, 566 BGB statt, nicht aber bei der Leihe. Mithin kann der Nacherbe mit Eintritt des Nacherbfalls vom Entleiher die Herausgabe aus § 985 BGB verlangen. Allein der Vorerbe - oder seine Erben - haften gegebenenfalls wegen Nichterfüllung der Überlassungsverpflichtung gegenüber dem Entleiher.

Dieser Herausgabeanspruch scheitert im zu entscheidenden Fall allein daran, dass die Nacherben zusätzlich personenidentisch mit den Erben der Vorerbin und damit deren Rechtsnachfolger sind, weshalb die beiden Entleiher ihnen gegenüber ein Recht zum Besitz gemäß § 986 BGB haben.

Als Erbengemeinschaft nach der Erblasserin sind Kläger und Beklagter zu 1 in die Stellung als Verleiher eingerückt, und zwar sowohl gegenüber der Beklagten zu 2 als auch gegenüber dem Beklagten zu 1. Dass Letztgenannter in einem der beiden Vertragsverhältnisse der Entleiher ist, führt dort nicht zur (teilweisen) Konfusion. Denn der Nachlass bildet infolge seiner gesamthänderischen Bindung ein Sondervermögen, so dass die Vereinigungswirkung von Recht und Verbindlichkeit erst eintritt, wenn aus dem Nachlass einzelne Rechte auf Miterben übertragen werden (BGH Urt. v. 08.04.2015 - IV ZR 161/14 - FamRZ 2015, 1025 Rn. 15; MüKo/Leipold 6. Aufl. § 1922 Rn. 127, 129; Palandt/Weidlich BGB 75. Aufl. § 1922 Rn. 6). Dass eine Bindung der beiden Mitglieder der Nacherbengemeinschaft über den Tod der Vorerbin hinaus an die Leihverträge besteht, berührt mithin nicht den Schutzzweck des § 2113 BGB, sondern ist ausschließlich der Erbfolge nach der Erblasserin und dem Umstand geschuldet, dass der Kläger die Erbschaft nach der Erblasserin nicht ausgeschlagen hat.“

Der Vertrag ist damit nicht nach § 138 I BGB nichtig.

4. Kündigung des Leihvertrages

Möglicherweise ist das Recht zum Besitz des B durch die Kündigung des Leihvertrages erloschen. Sowohl E als auch K – nach dem Tod der E – haben die Kündigung des Vertrages erklärt. Fraglich ist, ob eine der Kündigungserklärungen wirksam war.

a. Kündigung durch E

Ein Kündigungsgrund könnte aus § 605 BGB oder § 314 BGB folgen.

(1) § 605 Nr. 1 BGB

Unabhängig von der Frage, ob E und B wirksam die Anwendbarkeit des § 605 Nr. 1 BGB ausgeschlossen haben, gibt es keine Anhaltspunkte dafür, dass E der verliehenen Wohnungen infolge eines nicht vorhergesehenen Umstandes bedurfte. Der nicht näher spezifierte Hinweis auf einen Eigenbedarf jedenfalls genügt nicht.

(2) § 314 BGB

§ 605 BGB stellt anerkanntermaßen keine abschließende Regelung dar, so dass daneben weiterhin die allgemeine Vorschrift des § 314 BGB Anwendung findet.

Zunächst stellt der BGH die Anforderungen an eine Kündigung nach § 314 BGB dar:

„Voraussetzung für eine außerordentliche Kündigung aus wichtigem Grund ist, dass dem Kündigenden die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen nicht zugemutet werden kann. Dies ist im Allgemeinen nur dann anzunehmen, wenn die Gründe, auf die die Kündigung gestützt wird, im Risikobereich des Kündigungsgegners liegen. Wird der Kündigungsgrund hingegen aus Vorgängen hergeleitet, die dem Einfluss des Kündigungsgegners entzogen sind und aus der eigenen Interessensphäre des Kündigenden herrühren, rechtfertigt dies nur in Ausnahmefällen die fristlose Kündigung. Die Abgrenzung der Risikobereiche ergibt sich dabei aus dem Vertrag, dem Vertragszweck und den anzuwendenden gesetzlichen Bestimmungen (BGH Urt. v. 11.11.2010 - III ZR 57/10 - NJW-RR 2011, 916 Rn. 9 m.w.N.). Bei der Kündigung eines Gefälligkeitsverhältnisses [gemeint: Gefälligkeitsvertrag] sind an das Vorliegen eines wichtigen Grundes keine hohen Anforderungen zu stellen. Es genügt vielmehr, dass ein vernünftiger Grund für die Beendigung spricht (BGH Urt. v. 07.11.1985 - III ZR 142/84 - NJW 1986, 978, 980).“

Solche vernünftigen Gründe sind hier allerdings nicht hinreichend dargelegt und auch sonst nicht ersichtlich.

b. Kündigung durch K

Im Hinblick auf die durch K erklärte Kündigung ist schon fraglich, ob er die Kündigung alleine wirksam erklären kann. Denn er bildet im Hinblick auf die Rechtsnachfolge nach E mit B – dem Entleiher – eine Erbengemeinschaft (§ 2032 BGB). Gestaltungsrechte – zu denen die Kündigung gehört – unterfallen nicht der Regelung über die gesetzliche Prozessstandschaft nach § 2039 S. 1 BGB, sondern sind als „Verfügung“ i.S.v. § 2040 I BGB grundsätzlich von allen Miterben gemeinschaftlich zu erklären. Ob das auch dann gilt, wenn der weitere Miterbe (B) – wie hier – zugleich der Adressat der Gestaltungserklärung ist, kann aber offenbleiben, wenn K sich ohnehin nicht auf einen Kündigungsgrund berufen kann.

Auch hier bestehen keine Anhaltspunkte für die Anwendung von § 605 BGB oder § 314 BGB. Denkbar wäre aber ein Sonderkündigungsrecht analog §§ 2135, 1056 II 1 BGB. Danach kann der Nacherbe (K) einen vom Vorerben (E) abgeschlossenen Miet- oder Pachtvertrag kündigen, so dass nur eine analoge Anwendung in Betracht kommt. Der BGH sieht aber kein Bedürfnis für eine solche Analogie:

„Der Kläger kann sich auch nicht auf ein Sonderkündigungsrecht gemäß oder analog §§ 2135, 1056 II S. 1 BGB stützen. Eine direkte Anwendung der Vorschriften scheitert bereits daran, dass der Leihvertrag nicht in § 2135 BGB genannt ist. Für eine entsprechende Anwendung fehlt es an einer planwidrigen Regelungslücke. Die Vorschrift des § 2135 BGB stellt aus Gründen des Mieter- und Pächterschutzes (Staudinger/Avenarius BGB [2013] § 2135 Rn. 1 ff.; vgl. auch Senatsurt. v. 20.10.2010 - XII ZR 25/09 - NJW 2011, 61 Rn. 12) sicher, dass der Nacherbe ausnahmsweise bei bestimmten Miet- und Pachtverhältnissen in die Rechte und Pflichten einer vom Vorerben geschlossenen schuldrechtlichen Vereinbarung eintritt, und gewährt dem Nacherben im Gegenzug ein Sonderkündigungsrecht. Für Leihverträge hat der Gesetzgeber ein entsprechendes Regelungsbedürfnis nicht gesehen, so dass es insoweit damit sein Bewenden hat, dass dem Nacherben aus dem vom Vorerben geschlossenen Vertrag keine Verpflichtungen entstehen. Mangels einer vertraglichen Verbindung zwischen Nacherbe und Entleiher bedarf es aber auch keines Sonderkündigungsrechts für den Nacherben.“

5. Ergebnis

Der zwischen E und B wirksam vereinbarte Leihvertrag wurde nicht gekündigt und besteht damit fort. B steht damit ein Recht zum Besitz nach § 986 BGB zu, das den Anspruch aus § 985 BGB ausschließt.

II. Anspruch aus §§ 2138 II, 1967, 249 S. 1 BGB

Möglicherweise stand K gegen E ein Schadensersatzanspruch aus § 2138 II BGB, den er gemäß § 1967 BGB gegen B geltend machen kann. Der BGH sieht allerdings schon den Tatbestand des § 2138 II BGB nicht als erfüllt an:

„Der Tatbestand des § 2138 Abs. 2 BGB ist durch die von der Erblasserin [E] abgeschlossenen Leihverträge nicht erfüllt, so dass [B] als Miterbe schon mangels Schadensersatzverpflichtung der Erblasserin [E] nicht auf Naturalrestitution im Wege der Herausgabe haftet. Entgegen der von der Revision vertretenen Auffassung bedeutete der Abschluss der Leihverträge keine Verminderung der Nacherbschaft, weil diese Verträge für die Nacherben als solche keine Bindung entfalten. Zu einer wirtschaftlichen Beeinträchtigung der Raumnutzung durch beide Nacherben führt erst der Umstand, dass sie auch die Erblasserin beerbt haben. Insoweit wirkt sich insbesondere aus, dass [K] die Erbschaft nach der Erblasserin nicht ausgeschlagen hat. Denn bei Ausschlagung wäre [B] alleiniger Verleiher und dem Herausgabeanspruch der Erbengemeinschaft aus § 985 BGB stünde kein Recht zum Besitz der Beklagten gegenüber.“

III. Ergebnis

K steht kein Anspruch auf Herausgabe der Wohnungen zu.

C. Fazit

Eine äußerst komplexe Entscheidung mit Bezügen zum allgemeinen Vertragsrecht und zum Erbrecht – diese Kombination dürfte den Prüfungsämtern sehr reizvoll erscheinen.

Der Originalfall bietet noch ein prozessuales Problem, weil E während des von ihr gegen (ihren Erben zu 1/2!) B angestrengten Rechtsstreits verstorben ist, wodurch der Rechtsstreit unterbrochen wurde (§ 239 ZPO). Der BGH musste damit die Frage beantworten, wer den Rechtsstreit auf Klägerseite fortführt (Stichwort: gesetzlicher Parteiwechsel). Daher sei die Entscheidung auch Referendarinnen und Referendaren zur Lektüre empfohlen.

BlogPlus

Du möchtest weiterlesen?

Dieser Beitrag steht exklusiv Kunden von Jura Online zur Verfügung.

Paket auswählen