<h2 id="überblick---vertretungsmacht">Überblick - Vertretungsmacht</h2>

<p>Bei der Stellvertretung gibt es drei Möglichkeiten, Vertretungsmacht zu erlangen: Rechtsgeschäftlich, kraft Gesetzes oder kraft Rechtsscheins.</p>
<h3 id="i.-rechtsgeschäftlich">I. Rechtsgeschäftlich</h3>
<p>Die rechtsgeschäftlich erlangte Vertretungsmacht heißt Vollmacht und ist in § 166 II BGB legaldefiniert. Ein Sonderfall der rechtsgeschäftlich erlangten Vertretungsmacht ist die Prokura, die in den §§ 48 ff. HGB geregelt ist. Nach § 49 HGB darf der Prokurist alles, was Gegenstand eines (nicht notwendigerweise bestimmten) Handelsgeschäfts sein kann. So kann ein Prokurist eines Repetitoriums auch Windkraftanlagen kaufen. Insofern handelt es sich bei der Prokura um eine rechtsgeschäftlich erlangte Vertretungsmacht mit gesetzlich umschriebenen Umfang.</p>

<h3 id="ii.-gesetzlich">II. Gesetzlich</h3>
<p>Weiterhin kann die Vertretungsmacht gesetzlich erlangt werden. Beispiele: Gesetzliche Vertretungsmacht der Eltern für ihre Kinder, §§ 1626, 1629 BGB. Weitere Standard-Vertretungsnormen des Gesellschaftsrechts: Der Vorstand vertritt den eingetragenen Verein gemäß § 26 I 2 BGB. Die Gesellschaft bürgerlichen Rechts wird grundsätzlich gemeinschaftlich von den Gesellschaftern vertreten, § 720 I BGB, wobei auch abweichend Einzelvertretungsmacht vereinbart werden kann. Die OHG wird gem. § 124 HGB von ihren Gesellschaftern vertreten, wobei der Grundsatz der Einzelvertretung gilt. Auch insoweit kann abweichend Gesamtvertretung vereinbart werden.  Gem. §§ 161 II, 124 HGB wird die KG von ihren Komplementäre vertreten, wobei der Grundsatz der Einzelvertretung gilt. Hierbei ist zu beachten, dass eine Vertretung durch die Kommanditisten gem. § 170 HGB ausgeschlossen ist. Hintergrund ist, dass die, die von der persönlichen Haftung ausgeschlossen sind, auch nicht vertreten können. Die GmbH wird gem. § 35 GmbHG durch den Geschäftsführer vertreten. Die Aktengesellschaft wird durch den Vorstand vertreten, § 78 AktG.<br>
Bei der Klausurbearbeitung handelt es sich nicht um ein “Problem”, wenn eine Gesellschaft auftaucht, sondern es wird erwartet, die jeweiligen Normen zu kennen und zu benennen.</p>
<h3 id="iii.-kraft-rechtsscheins">III. Kraft Rechtsscheins</h3>
<p>Ferner kann einer Vertretungsmacht kraft Rechtsscheins bestehen. Die Vertretungsmacht kraft Rechtsscheins kann gesetzlich geregelt sein oder ungeschriebenen Merkmalen folgen.</p>
<h4 id="gesetzlich-geregelte-fälle">1. Gesetzlich geregelte Fälle</h4>
<p>Gesetzlich geregelte Fälle der Vertretungsmacht sind in den §§ 170 - 173 BGB normiert. Fallbeispiel: A erteilt B Vollmacht und stellt auch eine Vollmachtsurkunde aus. Später widerruft A diese Vollmacht, zieht jedoch die Urkunde nicht ein. B schließt weiter Verträge im Namen des A unter Vorlage dieser Urkunde ab. Aus der Urkunde folgt ein Rechtsschein einer bestehenden Vertretungsmacht. Ebenso ist ein Fall der Vertretungsmacht kraft Rechtsscheins in § 15 HGB geregelt. Dort ist in § 15 I HGB insbesondere die negative Publizität des Handelsregisters geregelt. Das heißt, was im Handelsregister nicht steht, obwohl es dort stehen müsste, gilt als nicht geschehen. Beispielsfall: A erteilt B Prokura. Dies wird im Handelsregister eingetragen. Später widerruft A die erteilte Prokura, lässt den Widerruf jedoch nicht im Handelsregister eintragen. Nun erzeugt das Handelsregister den Rechtsschein, der B habe die erteilte Prokura nie widerrufen, sodass B weiterhin als Prokurist gilt, § 15 HGB.</p>
<h4 id="ungeschriebene-fälle">2. Ungeschriebene Fälle</h4>
<p>Ungeschriebene Fälle der Vertretungsmacht kraft Rechtsschein sind die Grundsätze der Duldungs- und Anscheinsvollmacht.</p>



Prokura ist eine rechtsgeschäftlich erteilte Vertretungsmacht mit gesetzlich umschriebenem Umfang, vgl. §§ 48 ff. HGB.

Die Duldungsvollmacht ist ein ungeschriebener Fall der Vertretungsmacht kraft Rechtsscheins, bei der Vertretene Kenntnis davon hat, das ein anderer Rechtsgeschäfte in seinem Namen abschließt, aber dennoch untätig bleibt.

Die Anscheinsvollmacht ist ein ungeschriebener Fall der Vertretungsmacht kraft Rechtsscheins, bei der der Vertretene hätte erkennen und verhindern können, dass ein andere Rechtsgeschäfte in seinem Namen schließt.

BGB AT

Zivilrecht

Vertretungsmacht

Stellvertretung, §§ 164 ff. BGB

<h2>Aufbau der Prüfung - Duldungs- und Anscheinsvollmacht</h2>

<p>Die <strong>Duldungs- und Anscheinsvollmacht</strong> sind ungeschriebene F&auml;lle der Vertretungsmacht kraft Rechtsscheins. Wie alle Rechtsscheinstatbest&auml;nde setzen auch die Duldungs- und Anscheinsvollmacht drei Dinge voraus: einen Rechtsscheinstatbestand, die Zurechnung sowie die Gutgl&auml;ubigkeit des Dritten.&nbsp;</p>

<h3>I. Rechtsscheinstatbestand</h3>

<p>Im Rechtsscheinstatbestand verlangen die Duldungs- und Anscheinsvollmacht ein wiederholtes Auftreten des Vertreters als Vertreter, denn hierdurch wird der Eindruck erweckt, jemand habe Vertretungsmacht.</p>

<h3>II. Zurechnung</h3>

<p>Bei der Zurechnung unterscheiden sich Duldungs- und Anscheinsvollmacht.</p>

<h3>1. Duldungsvollmacht</h3>

<p>Die Duldungsvollmacht fordert die Kenntnis des Vertretenen sowie dessen Unt&auml;tigkeit. Beispiel: A wei&szlig;, dass B in seinem Namen Rechtsgesch&auml;fte abschlie&szlig;t, ohne Vertretungsmacht zu haben, und bleibt dennoch unt&auml;tig, duldet dieses Verhalten somit. Dadurch tr&auml;gt A dazu bei, dass ein Rechtsscheinstatbestand entsteht und muss sich deshalb das Verhalten des B zurechnen lassen.</p>

<h3>2. Anscheinsvollmacht</h3>

<p>Im Rahmen der Anscheinsvollmacht wird hingegen lediglich fahrl&auml;ssige Unkenntnis des Vertretenen gefordert. Beispiel: B schlie&szlig;t im Namen des A Rechtsgesch&auml;fte ab, ohne Vertretungsmacht zu haben und ohne dass Letzterer dies wei&szlig;. H&auml;tte A dies aber erkennen und verhindern k&ouml;nnen, dann muss er sich das Verhalten des B zurechnen lassen.&nbsp;</p>

<h3>III. Gutgl&auml;ubigkeit des Dritten</h3>

<p>Zuletzt fordern Duldungs- und Anscheinsvollmacht die Gutgl&auml;ubigkeit des Dritten. Wenn also der potentielle Vertragspartner wei&szlig;, dass der Betroffene keine Vertretungsmacht besitzt, dann ist er nicht schutzw&uuml;rdig. Vergleiche hierzu auch &sect; 173 BGB, der f&uuml;r die F&auml;lle der geschriebenen Vertretungsmacht kraft Rechtsschein die Gutgl&auml;ubigkeit des Dritten voraussetzt.&nbsp;</p>


§ 173 BGB

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