Fall: Immer Ärger mit den Prokuristen

A, B und C sind Gesellschafter der X-OHG, die hochpreisige Textilien und Stoffe handelt. P ist dort Prokurist und insoweit befugt, Geschäfte bis zu einem Wert von Euro 30.000,- abzuschließen.
Am 19.3.2024 fiel durch einen Windzug ein von der Privatsekretärin des C (S) für diesen auf ihrem Schreibtisch bereitgelegtes Mettbrötchen von ihr unbemerkt in den Büromülleimer. Zufällig entdeckte der P das Brötchen während einer kurzen Abwesenheit der S. Er ging davon aus, dass diese es weggeworfen hatte und aß es auf. Hierbei erwischte ihn der C „in flagranti“. In einem sofort anberaumten „klärenden Gespräch“ stritt die S vehement ab, dass das Brötchen jemals in Kontakt mit dem Mülleimer gekommen sei. Vielmehr habe sie es gerade erst kurz bevor sie das Büro verlassen habe frisch zubereitet und auf ihrem Schreibtisch für den C bereit gelegt.
Aufgrund dieser „Unregelmäßigkeit“ wird P noch am selben Tage die Prokura entzogen. Der Entzug der Prokura wird am Folgetage im Handelsregister eingetragen und zwei Tage später bekannt gemacht. P ist über den Entzug der Prokura verärgert und kauft deshalb am 30.03.2024 im Namen der X-OHG bei Lieferant L für Euro 200.000,- Jute-Stoffe in für die X-OHG unverkäuflichen Farben und Qualitäten.
L wundert sich über die Bestellung der X-OHG, da diese sonst nur hochwertige Seidenstoffe bei ihm ordert, führt den Auftrag letztlich aber ohne Nachfragen aus. Dabei weiß er weder um die Beschränkung der Vertretungsmacht des P, noch um den Entzug der Prokura.

L verlangt nun die Zahlung der Euro 200.000,- von der X-OHG. Mit Erfolg?

Abwandlung 1
Starfriseur U. Balz (B) ist mit seinem von ihm ebenfalls betriebenen Friseurbedarfsversand, der europaweit über etliche Lagerhallen und Bürogebäude verfügt, geschäftlich derart eingespannt, dass er für die Fortführung dieses Betriebes dringend einen Prokuristen ernennen muss. Mangels anderer kurzfristig realisierbar Alternativen erteilt er der Friseusengehilfin Susi (S) Prokura für diesen Betrieb, die aber nicht im Handelsregister eingetragen wird.
Bereits nach kurzer Zeit kommt es aufgrund einer Reihe nicht nachvollziehbarer Anschaffungen durch S zu einem Zerwürfnis zwischen S und B. B entzieht darauf hin der S die Prokura wieder, was wiederum nicht im Handelsregister eingetragen wird.
S zeigt sich beleidigt und bestellt unter Berufung auf ihre Prokura bei Händler H eine Palette „decadence“ (Champagner in Dosen) zum Preis von Euro 13.500,-.
H hatte zwar gehört, dass zwischen S und B gewisse Meinungsverschiedenheiten bestehen, um den Entzug der Prokura wusste er jedoch nicht. Vielmehr ging er sowohl im Moment der Auftragsannahme, als auch im Zeitpunkt der Lieferung davon aus, dass die S nach wie vor Prokuristin des B ist.

Kann H von B Zahlung der Euro 13.500,- verlangen?

Abwandlung 2
Die Friesengeist KG, eine norddeutsche Destillerie, hat zwei Komplementäre: K1 und K2, die Gesamtvertretungsmacht besitzen. Als K2 65 Jahre alt wird, scheidet er, wie seit langem geplant, aus der Friesengeist KG aus. Trotz der ansonsten sorgfältigen Vorbereitungen wird vergessen, das Ausscheiden des K2 im Handelsregister einzutragen. Kurze Zeit später kauft K1 für die Friesengeist KG zwei Tankwagen von T zur Lagerung und zum Transport bestimmter Destillate zum Kaufpreis von Euro 63.500,- pro Stück. Dabei tritt K1 in Alleinvertretung auf. T, der von dem Austritt des K2 aus der Friesengeist KG keine Kenntnis hatte, verlangt nun von diesem die Zahlung des gesamten Kaufpreises in Höhe von Euro 127.000,-.

Ist K2 zur Zahlung dieses Betrages an T verpflichtet?

Ausgangsfall
L könnte einen Anspruch aus § 433 II BGB i.V.m. § 105 II HGB auf Zahlung der Euro 200.000,- gegen die X-OHG haben.

A. Anspruch entstanden
Dafür müsste zunächst ein Anspruch auf Kaufpreiszahlung im Sinne des § 433 II BGB entstanden sein. Dies setzt voraus, dass zwischen der X-OHG und L ein wirksamer Kaufvertrag geschlossen wurde.

I. Wirksamer Kaufvertrag
Hierzu bedürfte es einer Einigung zwischen der X-OHG und L im Sinne der §§ 145 ff. BGB. Problematisch ist insoweit alleine, dass die Gesellschafter der X-OHG für diese selber keine auf den Abschluss eines Kaufvertrags gerichtete Willenserklärung abgegeben haben. Die X-OHG könnte jedoch durch den Prokuristen P gemäß §§ 164 ff. BGB vertreten worden sein. Hierfür müsste der P eine eigene Willenserklärung in fremdem Namen mit Vertretungsmacht abgegeben haben.

1. Eigene Willenserklärung des P
Die Bestellung der Jute-Stoffe bei L stellt ein eigene Willenserklärung des P dar.

2. In fremdem Namen
Die Willenserklärung müsste darüber hinaus in fremdem Namen abgegeben worden sein. Hier hat P das Angebot im Namen der X-OHG und damit in fremdem Namen abgegeben.

3. Mit Vertretungsmacht
P müsste insoweit auch mit Vertretungsmacht gehandelt haben. Die Vertretungsmacht könnte sich hier aus der dem P erteilten Prokura ergeben, die nach § 49 I HGB zu allen Arten von gerichtlichen und außergerichtlichen Geschäften und Rechtshandlungen, die der Betrieb eines Handelsgewerbes mit sich bringt, ermächtigt. Eine Verpflichtung der X-OHG über eine Willenserklärung des Prokuristen P setzt insbesondere voraus, dass die Prokura des P zum Zeitpunkt der Rechtshandlung, hier des Abschlusses des Kaufvertrags, noch bestand.
Vorliegend wurde dem P die Prokura am 19.3.2024 entzogen. Dieser Entzug ist unabhängig von den Beweggründen wirksam, da die Prokura nach § 52 I HGB jederzeit frei widerruflich ist. Der Umstand, dass der Widerruf der Prokura erst am Folgetage ins Handelsregister eingetragen wurde, ist für dessen Wirksamkeit unbeachtlich, weil der Eintragung nur deklaratorische Wirkung zukommt.
Aufgrund des Widerrufs der Prokura am 19.3.2024 hatte der P am 30.3.2024, dem Tage der Auftragserteilung, keine Vertretungsmacht mehr. Er handelte damit insoweit ohne Vertretungsmacht.

4. Negative Publizität des Handelsregisters, § 15 I HGB
Die X-OHG könnte aber das Erlöschen der Prokura und damit den Mangel der Vertretungsmacht der L nicht entgegenhalten, wenn die Voraussetzungen des § 15 I HGB vorlägen. Nach dieser Vorschrift gilt, dass solange eine in das Handelsregister einzutragende Tatsache nicht eingetragen und bekanntgemacht ist, sie von demjenigen, in dessen Angelegenheiten sie einzutragen war, einem Dritten nicht entgegengesetzt werden kann, es sei denn, dass sie diesem bekannt war (sog. negative Publizität des Handelsregisters).

a. Erlöschen der Prokura als einzutragenden Tatsache
Entsprechend müsste es sich bei der Prokura um eine einzutragende Tatsache im Sinne des § 15 I HGB handeln. Einzutragen sind eintragungspflichtige Tatsachen. Diese ergeben sich regelmäßig aus dem Gesetz. So ist bspw. nach § 53 II HGB auch das Erlöschen der Prokura ins Handelsregister einzutragen und stellt damit eine einzutragende Tatsache im Sinne des § 15 I HGB dar.

b. Tatsache nicht eingetragen oder nicht bekannt gemacht
Voraussetzung des § 15 I HGB ist weiter, dass die einzutragende Tatsache nicht eingetragen oder die Eintragung nicht bekannt gemacht worden ist. Vorliegend erfolgte die Eintragung und wurde auch bekanntgemacht. Damit sind die Voraussetzungen des § 15 I HGB nicht erfüllt.

5. Ausnahmefall des § 15 II 2 HGB
Aus § 15 II 1 HGB folgt für den Fall, dass die Tatsache eingetragen und bekanntgemacht worden ist, dass ein Dritter sie gegen sich grundsätzlich gelten lassen muss. Eine Ausnahme von dieser Grundregel stellt § 15 II 2 HGB auf, wonach § 15 II 1 HGB nicht bei Rechtshandlungen gilt, die innerhalb von fünfzehn Tagen nach der Bekanntmachung vorgenommen werden, sofern der Dritte beweist, dass er die Tatsache weder kannte noch kennen mußte. Fraglich ist, ob diese Voraussetzungen hier in der Person des L vorliegen.

a. Rechtshandlung innerhalb von 15 Tagen nach der Bekanntmachung
Zunächst müsste die Rechtshandlung, hier der Vertragsschluss, innerhalb von 15 Tagen nach der Bekanntmachung erfolgt sein. Vorliegend erfolgte die Bekanntmachung am 22.3.2024 und der Vertrag wurde am 30.3.2024 geschlossen. Mithin erfolgte der Vertragsschluss innerhalb von 8 Tagen nach der Bekanntmachung, so dass die Fünfzehntagefrist des § 15 II 2 HGB gewahrt ist.

b. Beweis der Unkenntnis bzw. des Nichtkennenmüssens
Ferner müsste L im Bestreitensfalle beweisen können, dass er keine Kenntnis von dem Entzug der Prokura hatte bzw. diesen nicht kennen musste. Vorliegend stand L seit geraumer Zeit mit der X-OHG in einer regelmäßigen Geschäftsbeziehung, in deren Rahmen ihm der P als Prokurist der X-OHG bekannt war. L konnte daher darauf vertrauen, dass die X-OHG ihn über den Entzug der Prokura des P unterrichtet. Auch sonst gab es aus der Sicht des L keine Anhaltspunkte dafür, mit einem Entzug der Prokura des P zu rechnen. L musste daher den Entzug der Prokura nicht kennen. Es ist daher davon auszugehen, dass L der diesbezügliche Beweis möglich ist.

c. Rechtsfolge des § 15 II 2 HGB
Liegen damit hier die Voraussetzungen des § 15 II 2 HGB vor, so kann die X-OHG die Eintragung und Bekanntmachung des Entzugs der Prokura des P dem L hier nicht entgegenhalten. Rechtsfolge des § 15 II 2 HGB ist damit, dass die Prokura dem L gegenüber als nicht widerrufen gilt. Daher muss sich die X-OHG gegenüber L so behandeln lassen, als hätte P mit Vertretungsmacht gehandelt.

6. Beschränkung der Vertretung
Fraglich ist ferner, wie es sich auswirkt, dass die Vertretungsmacht des P im Innenverhältnis zur X-OHG auf Geschäfte bis zu einem Wert von Euro 30.000,- beschränkt ist. Dies beantwortet sich aus § 50 I HGB. Danach ist die Beschränkung des Umfangs der Prokura Dritten gegenüber unwirksam. Demgemäß entfaltet die Beschränkung der Vertretungsmacht des P im Innenverhältnis zur X-OHG keine Wirkung im Außenverhältnis zwischen der X-OHG und L. Sie steht damit der Wirksamkeit des Einigung bezüglich des Kaufvertrags nicht entgegen.
Nach allem steht L aufgrund des wirksamen Kaufvertrags über die Lieferung von Jute-Stoffen ein Kaufpreisanspruch in Höhe von Euro 200.000,- aus § 433 II BGB i.V.m. § 105 II HGB zu.

II. Anspruch nicht erloschen und durchsetzbar
Der Anspruch ist auch nicht erloschen oder undurchsetzbar. L wird mit Erfolg die Zahlung der Euro 200.000,- von der X-OHG verlangen können.

Abwandlung 1
H könnte möglicherweise einen Anspruch auf Zahlung des Kaufpreises des Dosen-Champagners in Höhe von Euro 13.500,- gegen B aus § 433 II BGB haben.

I. Anspruch entstanden
Dazu müsste zunächst ein entsprechender Anspruch entstanden sein. Dies setzt den Abschluss eines wirksamen Kaufvertrags über die Palette „decadence“ zwischen H und B voraus. B selbst hat keine entsprechende Willenserklärung abgegeben, so dass fraglich ist, ob ihm die Erklärung der S zuzurechnen ist. Dies wäre der Fall, wenn S ihn wirksam im Sinne der §§ 164 ff. BGB vertreten hätte.

1. Eigene Willenserklärung in fremdem Namen
Hierzu müsste die S eine eigene Willenserklärung in fremdem Namen abgegeben haben. Vorliegend hat S eine eigene Willenserklärung in Bezug auf den Ankauf der Palette unter Berufung auf „ihre Prokura“ abgegeben. Diese Prokura bezog sich, das wusste der H, auf den Betrieb des B, so dass davon auszugehen ist, dass sie das Geschäft im Namen des B abschließen wollte. Damit liegt hier eine eigene Willenserklärung im fremden Namen durch vor.

2. Vertretungsmacht
Die Willenserklärung müsste auch mit Vertretungsmacht abgegeben worden sein. Eine solche wäre gegeben, wenn S Prokuristin des B war.

a. Wirksame Erteilung und Umfang der Prokura, §§ 48 I, 49 I HGB
S wäre nur dann Prokuristin, wenn ihr die Prokura wirksam im Sinne des § 48 I HGB erteilt worden wäre. Danach kann die Prokura nur von dem Inhaber des Handelsgeschäfts oder seinem gesetzlichen Vertreter und nur mittels ausdrücklicher Erklärung erteilt werden. Hier hat der B, als Inhaber seines Friseurbedarfsversands, der aufgrund seiner Größe ein Handelsgeschäft darstellt, der S ausdrücklich die Prokura für diesen Betrieb erteilt. Damit liegt eine wirksame Erteilung der Prokura im Sinne des § 48 I HGB vor.
Fraglich ist aber, ob die Anschaffung von Gegenständen, die nicht Gegenstand des Geschäfts sind, wie hier die Champagner-Dosen, vom Umfang der Prokura gedeckt sind. Nach § 49 I HGB ermächtigt die Prokura zu allen Arten von gerichtlichen und außergerichtlichen Geschäften und Rechtshandlungen, die der Betrieb eines Handelsgewerbes mit sich bringt. Die Prokura deckt damit alle Geschäfte, die zum Betrieb „irgendeines“ Handelsgewerbes gehören. Der Umfang der Prokura wird daher nicht durch das konkrete Handelsgewerbe des Geschäftsherrn begrenzt. Vielmehr ist entscheidend, dass die vom Prokuristen getätigten Geschäfte in irgendeinem Handelsgewerbe vorkommen können. Vorliegend ist durchaus denkbar, dass die Champagner-Dosen von Getränkemarken oder ähnlichen Handelsgewerben verkauft werden. Damit ist der Kauf der Champagner-Dosen auch in sachlicher Hinsicht vom Umfang der Prokura gedeckt.

b. Widerruf der Prokura, § 52 I HGB
Die Prokura dürfte im Zeitpunkt der Geschäftsvornahme durch S nicht erloschen sein. Hier hat B der S die Prokura vor dem Abschluss des Kaufvertrags über die Champagner-Dosen entzogen. Dieser Entzug ist unabhängig von den Beweggründen wirksam, da die Prokura nach § 52 I HGB jederzeit frei widerruflich ist. Somit war S im Zeitpunkt des Kaufvertragesschlusses nicht mehr Prokuristin des Betriebes des B. Folglich hatte sie zu diesem Zeitpunkt grundsätzlich keine Vertretungsmacht.

c. § 15 I HGB
Fraglich ist, ob sich B möglicherweise wegen § 15 I HGB nicht auf den Widerruf und damit auf die fehlende Vertretungsmacht berufen kann. Dies könnte hier deshalb der Fall sein, weil der Widerruf der Prokura der S nicht im Handelsregister eingetragen war.

aa. Voraussetzungen des § 15 I HGB
Dafür müssten zunächst die Voraussetzungen des § 15 I HGB vorliegen, d.h. eine eintragungspflichtige Tatsache ist nicht in das Handelsregister eingetragen oder bekannt gemacht worden und der sich hierauf Berufende war gutgläubig. Wie bereits festgestellt, ist der Widerruf der Prokura nach § 53 II HGB einer eintragungspflichtige Tatsache (s.o.). Diese Tatsache ist auch nicht in das Handelsregister eingetragen worden. Weiterhin müsste H gutgläubig im Sinne des § 15 I HGB gewesen sein. Gutgläubig in diesem Sinne ist der Dritte, wenn er die einzutragende Tatsache nicht kennt. Vorliegend hatte der H zwar von den Meinungsverschiedenheiten zwischen S und B gehört, positive Kenntnis vom Widerruf der Prokura hatte er jedoch nicht. Er war mithin auch gutgläubig.

bb. Auswirkung der fehlenden Voreintragung
Fraglich ist, wie es sich auswirkt, dass schon die Erteilung der Prokura der S nicht im Handelsregister eingetragen war. Insoweit ist umstritten, wie dieser Fall der sog. sekundären Unrichtigkeit des Handelsregisters zu behandeln ist.

(1) 1. Ansicht
Nach einer Ansicht bestehe in diesem Fall bezüglich des Widerrufs der Prokura keine Eintragungspflicht, da es aufgrund der Nichteintragung der Erteilung der Prokura an einem Rechtsschein fehle, der dementsprechend auch nicht zerstört werden müsse. Mangels Eintragungspflicht bezüglich des Widerrufs sei § 15 I HGB in diesen Fällen nicht anwendbar.

(2) Gegenansicht
Die Gegenansicht geht dagegen davon aus, dass der Widerruf - auch im Falle der Nichteintragung der Erteilung der Prokura - in das Handelsregister eingetragen werden müsse. Begründet wird dies damit, dass der Geschäftsverkehr auch ohne Voreintragung von der Prokuraerteilung Kenntnis erlangt haben könne, so dass es geboten sei, diesen Rechtsschein durch Eintragung zu beseitigen. Gegenteiliges lasse sich auch dem Wortlaut des § 15 I HGB nicht entnehmen.
(3) Stellungnahme
Der zweiten Ansicht ist zuzustimmen: Nach dem dem § 15 I HGB zugrunde liegenden Grundsatzes der negativen Publizität des Handelsregisters braucht der Inhalt des Handelsregisters dem Dritten nicht bekannt sein. Vielmehr genügt, dass der wahre Sachverhalt nicht bekannt ist und der eintragungspflichtigen Anlass hatte, den Rechtsverkehr durch Eintragung in das Handelsregister und Bekanntmachung zu warnen. Hierfür ist der vorliegende Sachverhalt ein Beispiel, da der H ohne Eintragung der Prokura Kenntnis von dieser erlangt hatte und daher mangels Kenntnis des Widerrufs weiterhin vom Bestehen der Prokura ausgegangen ist. Dem dadurch entstandenen „falschen Eindruck“ kann sinnvollerweise nur durch eine ordnungsgemäße Eintragung ins Handelsregister und Bekanntmachung der Tatsache begegnet werden. Diese Ansicht zugrundegelegt, ist § 15 I HGB auch in den Fällen der sekundären Unrichtigkeit des Handelsregisters anwendbar.

Damit liegen hier die Voraussetzungen des § 15 I HGB vor.

cc. Rechtsfolge
§ 15 I HGB schützt, dem in dieser Vorschrift zum Ausdruck kommenden Grundsatz der negativen Publizität des Handelsregisters entsprechend, das Vertrauen des H auf das Schweigen des Handelsregisters. Damit kann sich hier der B nicht auf den Widerruf der Prokura der S berufen. Infolgedessen galt S im Zeitpunkt des Vertragsschlusses immer noch als Prokuristin des B. Sie handelte daher diesbezüglich mit Vertretungsmacht.
Damit liegen die Voraussetzungen der Stellvertretung nach §§ 164 ff. BGB vor. Rechtshinderungsgründe sind nicht ersichtlich, so dass ein wirksamer Kaufvertrag über die Palette Champagner-Dosen zwischen B und H geschlossen wurde. H hat damit einen Anspruch auf Zahlung des Kaufpreises für die Palette Champagner-Dosen in Höhe von Euro 13.500,- gegen B aus § 433 II BGB.

II. Anspruch nicht erloschen und durchsetzbar
Anzeichen dafür, dass der Anspruch erloschen oder undurchsetzbar sein könnte, sind nicht ersichtlich. H kann damit von B die Zahlung der Euro 13.500,- verlangen.

Abwandlung 2
T könnte einen Anspruch auf Zahlung des Kaufpreises für die Tanklaster in Höhe von Euro 127.000,- gegen K2 aus § 433 II BGB i.V.m. §§ 161 II, 105 II, 126 S. 1, 15 I HGB haben.
Voraussetzung dafür ist zum einen, dass T aus § 433 II BGB i.V.m. §§ 161 II, 105 II, 126 S. 1, 15 I HGB einen entsprechenden Anspruch gegen die Friesengeist KG hat und zum anderen, dass K2 noch für die Gesellschaft haftet.

A. Anspruch gegen die Gesellschaft
Ein Anspruch des T auf Kaufpreiszahlung bezüglich der Tanklaster setzt insbesondere voraus, dass ein wirksamer Kaufvertrag zwischen T und der Friesengeist KG geschlossen wurde. Vorliegend haben sich T und K1 für die Friesengeist KG über den Kauf von zwei Tanklastern zum Preis von Euro 127.000,- geeinigt. Ein Kaufvertrag zwischen T und der Friesengeist KG wäre dann zustandegekommen, wenn K1 die KG wirksam vertreten hat. Ob dies der Fall ist, bestimmt sich nach den §§ 164 ff. BGB.

I. Wirksame Stellvertretung

1. Vorliegen der Vertretungsmacht
Problematisch ist insoweit allein, ob K1 mit Vertretungsmacht gehandelt hat. Vorliegend waren ursprünglich K1 und K2 Gesamtvertreter der KG im Sinne der §§ 161 II, 124 II 1 HGB. Zu beachten ist jedoch, dass der K2 vor dem Vertragsschluss aus der KG ausgeschieden ist. K1 war damit nach dem Ausscheiden des K2 der einzige Komplementär und damit der einzige zur Vertretung berechtigte Gesellschafter der KG. Entsprechend ist er nach §§ 161 II, 124 I HGB zur alleinigen Vertretung der KG befugt, so dass sich hier mit dem Austritt des K2 aus der KG die Gesamtvertretung in eine Einzelvertretung gewandelt hat.
Dem steht auch nicht entgegen, dass das Ausscheiden des K2 nicht in das Handelsregister eingetragen wurde, da die Eintragung in das Handelsregister nach § 106 VI HGB nur deklaratorische Bedeutung hat.

2. § 15 I HGB
Grundsätzlich könnte sich T wegen der fehlenden Eintragung des Ausscheidens des K2 auf § 15 I HGB berufen, da das Handelsregister insoweit „schweigt“ (sog. Grundsatz der negativen Publizität, s.o.). Folge dessen wäre, dass K2 dem T gegenüber noch als Gesellschafter der KG anzusehen wäre, was wiederum zur Folge hätte, dass K1 die KG nur gemeinsam mit K2 gegenüber dem T hätte vertreten und verpflichten können. Dies wiederum läge nicht im Interesse des T. Zu beachten ist insoweit aber, dass § 15 I HGB, zugunsten des Dritten wirken soll, so dass dieser nicht verpflichtet ist, sich auf § 15 I HGB zu berufen. Entsprechend kann der Dritte entweder auf den Vertrauensschutz des § 15 I HGB verzichten oder aber sich darauf berufen, so dass ihm insoweit ein Wahlrecht zusteht.
Vorliegend verlangt T von K2 die Zahlung des Kaufpreises und gibt damit zu erkennen, dass er an dem Vertragsschluss, den K1 alleine für die KG herbeigeführt hat, festhalten möchte. Dies bedeutet zugleich, dass T an den wahren Tatsachen (dem Ausscheiden des K2 aus der KG, mit der Folge der Alleinvertretung durch K1) festhält.
Dies zugrundegelegt, greift § 15 I HGB hier diesbezüglich nicht ein, so dass die fehlende Eintragung des Ausscheidens des K2 nichts an der Vertretungsmacht K1 ändert.

K1 handelte damit im Zeitpunkt des Kaufvertragsabschlusses mit Vertretungsmacht und konnte damit die KG wirksam verpflichten, so dass ein wirksamer Kaufvertrag zwischen der KG und T zustande kam.

II. Zwischenergebnis
Zwischen der KG und T besteht ein wirksamer Kaufvertrag, aufgrund dessen der T die Zahlung des Kaufpreises für die Tanklaster in Höhe von Euro 127.000,- von der KG verlangen kann.

B. Haftung des K2
Zu prüfen ist weiter, ob K2 für die Verbindlichkeit der KG einzustehen hat. Eine solche Haftung könnte sich über §§ 161 II, 105 II, 126 S. 1 HGB oder, falls dies nicht der Fall ist, aus § 15 I i.V.m. §§ 161 II, 105 II, 126 S. 1 HGB ergeben.

I. Haftung aus §§ 161 II, 105 II, 126 S. 1 HGB
K2 könnte nach §§ 161 II, 105 II, 126 S. 1 HGB für die Zahlung der Kaufpreisverbindlichkeit der KG persönlich haften. Nach § 126 S. 1 HGB haften die Gesellschafter für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft den Gläubigern als Gesamtschuldner persönlich. K2 müsste dafür noch Gesellschafter der KG sein. Vorliegend ist K2 allerdings aus der KG ausgeschieden und damit kein Gesellschafter derselben mehr. Insbesondere haftet ein ausgeschiedener Gesellschafter nach § 137 I HGB nur für Verbindlichkeiten, die bis zu seinem Ausscheiden entstanden sind. Hier erfolgte das Ausscheiden des K2 vor der Begründung der Kaufpreisverbindlichkeit für die Tanklaster, so dass eine persönliche Haftung des K2 nach §§ 161 II, 126 S. 1 HGB ausscheidet.

II. Haftung aus §§ 161 II, 105 II, 126 S. 1, 15 I HGB
Fraglich ist, ob sich hier eine Haftung des K2 für die Verbindlichkeit der KG über § 15 I HGB ergibt.

1. Voraussetzungen des § 15 I HGB
Dazu müssten wiederum die Voraussetzungen dieser Vorschrift gegeben sein, das heißt, es müsste sich um eine eintragungspflichtige Tatsache handeln, die nicht eingetragen oder nicht bekannt gemacht worden ist und der Dritter müsste gutgläubig gewesen sein. Bei dem Ausscheiden aus einer KG handelt es sich gemäß §§ 161 II, 106 VI HGB um eine eintragungspflichtige Tatsache. Diese Tatsache ist vorliegend auch nicht eingetragen worden und T hatte keine positive Kenntnis von den wahren Umständen und war damit auch gutgläubig im Sinne des § 15 I HGB.

2. Rechtsfolgen des § 15 I HGB
Rechtsfolge des § 15 I HGB ist, dass K2 sein Ausscheiden dem T nicht entgegenhalten kann. Folge dessen ist, dass K2 über §§ 161 II, 105 II, 126 S. 1, 15 I HGB für die Kaufpreisverbindlichkeit der KG gegenüber H zu haften hat.

3. Vertretbarkeit des Ergebnisses
Fraglich ist, ob dieses Ergebnis vertretbar ist. Dies erscheint insoweit problematisch, als sich die Vertretungsmacht des K1 nach §§ 161 II, 124 I HGB einerseits und die persönliche Haftung des K2 nach §§ 161 II, 105 II, 126 S. 1, 15 I HGB auszuschließen scheinen, weil auf den in beiden Fällen gleichen Sachverhalt einmal § 15 I HGB nicht angewendet wird (bzgl. der Alleinvertretungsmacht des K1), um dann andererseits doch auf ihn angewendet zu werden (bzgl. der persönlichen Haftung des K2).
Ob dies zulässig ist, ist - wie sogleich näher dargestellt - umstritten. Einigkeit besteht insofern, dass der Dritte grundsätzlich ein Wahlrecht insoweit hat, ob er sich auf die Rechtswirkung des § 15 I HGB berufen möchte oder nicht. Streitig ist aber, ob es zulässig ist, dass der Dritte sein Wahlrecht hinsichtlich der gleichen Tatsache - hier bezüglich des Ausscheidens des K2 aus der KG - einmal so und einmal so ausübt, sich also gewissermaßen „die Rosinen rauspickt“.

a. 1. Ansicht
Nach einer Ansicht ist dies unzulässig, da ein solches Verhalten widersprüchlich sei und daher nicht Gegenstand eines Vertrauensschutzes sein könne. In Betracht käme nur eine einheitliche Ausübung des Wahlrechts, nach der es dem Dritten freistehe, ob er sich auf die tatsächliche Lage oder auf den Rechtsschein beruft. Nicht in Betracht komme aber, sich einmal auf den wahren Sachverhalt zu berufen und andererseits zugleich auch auf den Schein-Sachverhalt.
Nach dieser Ansicht dürfte der H sein Wahlrecht hinsichtlich des Ausscheidens des K2 aus der KG nicht unterschiedlich ausüben, so dass entweder K1 ohne Vertretungsmacht gehandelt hätte oder aber K2 nicht über §§ 161 II, 105 II, 126 S. 1, 15 I HGB haftet.

b. Gegenansicht (BGH), sog. „Rosinentheorie“
Demgegenüber bejaht der BGH die Möglichkeit, sich hinsichtlich derselben Tatsachen einmal auf die wahren Tatsachen und einmal auf den Schein-Sachverhalt und damit insoweit auf § 15 I HGB zu stützen. Nach dieser Ansicht hätte K1 mit Vertretungsmacht gehandelt und K2 haftet über §§ 161 II, 105 II, 126 S. 1, 15 I HGB persönlich für die Verbindlichkeit der KG bezüglich der Kaufpreisforderung des H.

c. Stellungnahme
Da beide Ansichten zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen, ist eine Stellungnahme erforderlich. Für die Ansicht des BGH spricht, dass es letztlich nicht darum geht, zwischen einem wahren und einem Schein-Sachverhalt zu wählen, da bei der Anwendung des § 15 I HGB nicht der Sachverhalt anders gewählt wird, sondern nur eine Rechtsfolge geltend gemacht wird. Dabei ist zu insbesondere beachten, dass es sich bei § 15 I HGB um eine Schutzvorschrift zugunsten des Dritten handelt, die unter Zugrundelegung der ersten Ansicht gerade dazu führte, dass der Dritte, hier H, ohne dafür etwas zu können (er wusste von dem Ausscheiden des K2 ja nichts), schutzlos wäre, wenn er - in Unkenntnis über das Ausscheiden des K2 - gegen diesen vorginge. Insoweit ist der Dritte schutzbedürftig. Dieses Schutzbedürfnis wird nur von der Ansicht des BGH aufgenommen. Sie ist daher vorzugswürdig.

Diese Ansicht zugrundegelegt, haftet K2 hier persönlich über § 433 II BGB i.V.m. §§ 161 II, 105 II, 126 S. 1, 15 I HGB für Kaufpreisverbindlichkeit der KG.

C. Ergebnis (Abwandlung 2)
K2 ist damit zur Zahlung der Euro 127.000,- an T verpflichtet.