Fall: Das Sommermärchen
D wohnt in der Stadt H in einem kleineren Wohnblock im dritten Stock in einer Wohnung mit Balkon. Hinter dem Haus, in dem der D wohnt, befindet sich eine ca. 6 m breite Gartenanlage, an die sich dann der nächste Häuserblock, parallel zu demjenigen, in dem D wohnt, anschließt. In diesem Block wohnt der T genau gegenüber von D, allerdings im Erdgeschoss. T hat auch einen Balkon. Die Balkons beider Wohnungen liegen zu der Gartenanlage hin.
Während T glühender Anhänger der Fußballnationalmannschaft seines Heimatlandes ist, interessiert den D Fußball eher nicht, gleichwohl hängt er aber zu entsprechenden Ereignissen eine Deutschlandfahne am Balkongeländer auf. Während der letzten WM hat T es sich zur Angewohnheit gemacht, bei jedem Tor „seiner Mannschaft“, gelegentlich aber auch bei guten Aktionen, auf seinen Balkon zu eilen und die Stunde des Triumphs mit dem Abbrennen von Feuerwerkskörpern, insbesondere von für diesen Fall zurückgelegten Silvesterraketen, angemessen zu feiern. Hierbei kam es schon häufiger vor, dass die von T abgeschossenen Raketen auf den Balkon des D und von dort durch offene Fenster zum Teil auch in die Wohnung des D drangen und dort explodierten.
Als der D den T einmal persönlich traf, forderte er ihn unter Hinweis auf die Gesetzeslage auf, außer an Silvester, keinerlei Feuerwerkskörper mehr abzubrennen. T antwortete hierauf nicht und spielte statt dessen nur teilnahmslos scheinend an einem in diesem Zusammenhang hervorgezogenen Klappmesser herum. D entfernte sich.
Am nächsten Tag spielte die Mannschaft des T wieder und es kam erneut zu einer Reihe von Raketen-Abschüssen und auch Beinahe-Treffern der Wohnung des D. D meldete den Vorfall daher bei der zuständigen Ordnungsbehörde. Der Beamte Ü, selbst glühender Anhänger derselben Mannschaft wie der T, meinte, da könne er nichts machen. Bei besonderen Ereignissen wie Fußballspielen gelte das Feuerwerksverbot nicht und im Übrigen könne er ja solange drinnen bleiben, wenn die anderen feiern.
D weiß, dass die Mannschaft des T schon zwei Tage später wieder ein Spiel haben wird. Im Übrigen hat T, da es sich um ein besonders wichtiges Spiel handelt, das kann D von seinem Balkon aus sehen, eine ganze Batterie an Raketen und ähnlichen Feuerwerkskörpern bereits auf dem Balkon postiert, um schon auf alles vorbereitet zu sein.
D möchte nun von Ihnen wissen, ob er dem T bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache verbieten lassen kann, auf seinem Balkon außerhalb der Silvesterzeit Feuerwerk abzubrennen, um so zu verhindern, dass der T dann wieder Raketen auf seinen Balkon schießt.
§ 23 Abs. 2 der 1. SprengV lautet:
Pyrotechnische Gegenstände der Kategorie 2 dürfen in der Zeit vom 2. Januar bis 30. Dezember nur durch Inhaber einer Erlaubnis nach § 7 oder § 27, eines Befähigungsscheines nach § 20 des Gesetzes oder einer Ausnahmebewilligung nach § 24 Absatz 1 verwendet (abgebrannt) werden. Am 31. Dezember und 1. Januar dürfen sie auch von Personen abgebrannt werden, die das 18. Lebensjahr vollendet haben.
Anmerkung: Gehen Sie davon aus, dass handelsübliche Silvesterraketen der Kategorie 2 unterfallen.
Bei der Bearbeitung ist das Recht des Landes Sachsen zugrundezulegen.
A. Zulässigkeit
Der Antrag des D müsste zunächst zulässig sein.
I. Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs, § 40 I VwGO
Zunächst müsste der Verwaltungsrechtsweg eröffnet sein. Eine aufdrängende Spezialzuweisung ist nicht ersichtlich, so dass der Rechtsweg nach § 40 I VwGO eröffnet sein könnte. Dies setzt voraus, dass es sich um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art handelt, die keinem anderen Gericht zugewiesen ist. Streitentscheidende Normen sind hier solche des SächsPBG. Diese Normen berechtigen und verpflichten ausschließlich einen Träger hoheitlicher Gewalt. Sie sind mithin öffentlich-rechtlicher Natur, so dass auch die Streitigkeit öffentlich-rechtlicher Art ist. Da keine Verfassungsorgane über Verfassungsrecht streiten, ist die Streitigkeit auch nichtverfassungsrechtlicher Art. Das Eingreifen einer abdrängenden Sonderzuweisung ist nicht ersichtlich, so dass der Verwaltungsrechtsweg eröffnet ist.
II. Statthafte Antragsart
Die statthafte Antragsart richtet sich gem. §§ 122, 88 VwGO nach dem Begehren des Antragstellers.
D begehrt ein ordnungsbehördliches Einschreiten im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes, da ein langwieriges Hauptsacheverfahren seinem Hauptziel – der Verhinderung des Abschießens von Raketen beim nächsten Spiel – nicht gerecht wird.
Diesem Begehren könnte der Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 I VwGO entsprechen. Dies setzt nach der Abgrenzungsregel des § 123 V VwGO voraus, dass in der Hauptsache nicht die Anfechtungsklage die statthafte Klageart ist.
In der Hauptsache wäre eine Klage des D darauf zu richten, dem T dauerhaft zu untersagen, Feuerwerkskörper außerhalb Silvester abzuschießen. Bei einem solchen ordnungsbehördlichen Verbot handelt es sich um einen VA i.S.v. § 35 S. 1 VwVfG.
Statthafte Klageart wäre damit die Verpflichtungsklage nach § 42 I 2. Fall VwGO.
Damit ist im Eilverfahren der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 I VwGO die statthafte Antragsart.
Da es dem D um die Sicherung der Verwirklichung bisher vorhandener Rechte geht, handelt es sich um eine Sicherungsanordnung, § 123 I 1 VwGO.
III. Antragsbefugnis, § 42 II VwGO analog
D müsste nach § 42 II VwGO analog antragsbefugt sein.
Dies ist der Fall, wenn die Möglichkeit besteht, dass der Antragsteller in seinen subjektiv-öffentlichen Rechten verletzt ist.
Hier besteht die Möglichkeit, dass D einen Anspruch auf ordnungsbehördliches Einschreiten gem. § 12 SächsPBG hat.
Anspruchsqualität
Fraglich ist, ob § 12 SächsPBG überhaupt ein subjektiv-öffentliches Recht begründen kann.
Nach der Schutznormtheorie gilt: Eine Norm begründet subjektiv-öffentliche Rechte, wenn sie nicht nur dem Allgemeininteresse, sondern auch Individualinteressen dient.
§ 12 SächsPBG schützt die öffentliche Sicherheit und Ordnung. Die öffentliche Sicherheit umfasst auch Individualgüter. Damit schützt die Norm auch Individualinteressen und kann Anspruchsgrundlage sein.
D ist damit antragsbefugt.
IV. Antragsgegner, § 78 I VwGO analog
Der richtige Antragsgegner bestimmt sich nach § 78 I VwGO analog.
V. Allgemeines Rechtsschutzbedürfnis
Das allgemeine Rechtsschutzbedürfnis ist gegeben, da D zuvor einen Antrag bei der Behörde gestellt hat.
Ergebnis zu A: Der Antrag ist zulässig.
B. Begründetheit
Der Antrag ist begründet, wenn Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund glaubhaft gemacht sind.
I. Anordnungsanspruch
D könnte einen Anspruch auf ordnungsbehördliches Einschreiten haben.
1. Anspruchsgrundlage
Anspruchsgrundlage ist § 12 SächsPBG.
2. Formelle Voraussetzungen
D hat bei der Behörde einen Antrag gestellt. Weitere formelle Probleme bestehen nicht.
3. Materielle Voraussetzungen
Es müssten die Tatbestandsvoraussetzungen des § 12 SächsPBG vorliegen.
a) Schutzgut
Schutzgüter sind öffentliche Sicherheit und Ordnung.
Hier betroffen: öffentliche Sicherheit, da Individualgüter des D (Gesundheit, Eigentum) gefährdet sind.
T verstößt mit dem Abbrennen von Feuerwerk gegen § 23 II 1. SprengV.
Allein ein objektiver Gesetzesverstoß begründet kein subjektives Recht, wohl aber die Gefahr für Individualinteressen.
Da bereits Raketen in Ds Wohnung explodierten, liegt eine konkrete Gefährdung seiner Gesundheit vor.
b) Gefahr
Eine Gefahr ist die hinreichende Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts.
Hier: wiederholtes Explodieren von Raketen in der Wohnung → konkrete Gefahr für die Gesundheit des D.
c) Richtiger Adressat (Störer)
T ist Verhaltensstörer gem. § 14 I SächsPBG.
Durch das Zünden der Raketen setzt er die unmittelbare Ursache für die Gefahr.
Ergebnis: Tatbestandsvoraussetzungen des § 12 SächsPBG liegen vor.
4. Rechtsfolge
§ 12 SächsPBG eröffnet Ermessen. Dieses müsste auf Null reduziert sein.
a) Entschließungsermessen
Die Behörde hat nicht eingeschritten, da sie meinte, das Verbot gelte bei Fußballspielen nicht.
Dies ist rechtsfehlerhaft, da § 23 II 1 SprengV eindeutig nur Silvester ausnimmt.
Die Behörde hat ihr Ermessen nicht ausgeübt → Ermessensausfall.
Zudem ist aufgrund der hohen Gefährdung der Gesundheit des D das Ermessen auf Null reduziert.
b) Auswahlermessen
Ein Verbot des Abbrennens ist die einzig geeignete Maßnahme, da Beschlagnahmen der vorhandenen Raketen die Gefahr nicht dauerhaft beseitigen würde.
Auch hier liegt Ermessensreduzierung auf Null vor.
Ergebnis: D hat einen Anordnungsanspruch.
II. Anordnungsgrund
Gefahr für die Gesundheit des D besteht unmittelbar.
Damit Anordnungsgrund gegeben (§ 123 I 1 VwGO).
III. Glaubhaftmachung
Anordnungsanspruch und -grund sind gem. § 123 III VwGO i.V.m. §§ 920 II, 294 ZPO glaubhaft gemacht.
IV. Gerichtliche Entscheidung
Das Gericht trifft eine eigene Ermessensentscheidung (§ 938 ZPO).
Da Ermessen auf Null reduziert ist, muss es den Antrag gewähren.
Eine Vorwegnahme der Hauptsache liegt nicht vor, da die Anordnung nur bis zur Entscheidung im Hauptsacheverfahren wirkt.
C. Endergebnis
Der Antrag ist zulässig und begründet.
Das Gericht wird die begehrte Anordnung erlassen.