Fall: Der hochpathogene Dünger
Der osteuropäische Düngemittelhändler A reist am Freitag, dem 20.10.2013, zu Verkaufsgesprächen in die Stadt X. Die Polizei in Stadt X hat kurz zuvor den Tipp eines V-Mannes erhalten, dass A in seinem Heimatland vermutlich häufiger in einschlägigen Kreisen verkehre und bei seiner „Dienstreise“ Pockenerreger (Typ: Variolavirus) zwecks Verkaufs in Deutschland transportieren könnte. Die Polizei will auf jeden Fall einer gesundheitlichen Bedrohung der Bevölkerung entgegenwirken. Als A nach seiner Ankunft in der Stadt X ein Taxi besteigt, nimmt die Polizei ihn daher in Gewahrsam. Dabei stellt sie den von A mitgeführten Koffer sicher, bei dem es sich um ein üblicherweise für den Transport von Gütern der Gefahrgutklasse 6.2. (Ansteckungsgefährliche Stoffe) benutztes Exemplar handelt, nachdem durch den herbeigerufenen Experten für biologische Kampfstoffe im Rahmen des durchgeführten Schnelltests tatsächlich Anzeichen für Pockenerreger festgestellt worden waren. A redet wild gestikulierend auf die Beamten ein, kann sich aber wegen mangelnder Sprachkenntnisse nicht verständigen, stattdessen erhält er auf der Wache eine Bescheinigung über die Wegnahme mit Begründung und Rechtsbehelfsbelehrung. Nach einer weiteren Untersuchung des Kofferinhalts stellt sich kurze Zeit später heraus, dass es sich nicht um hochpathogene Pockenerreger, sondern um ein der üblicherweise verwendeten Virenträgersubstanz im Aussehen ähnliches, für den Menschen vollkommen harmloses Düngemittel handelt, das A entwickelt hat und für das er in Stadt X Kaufinteressenten sucht. Das ungewöhnliche Transportmittel sollte den Schutz der mitgeführten Probe vor äußeren Einflüssen dienen. Das Ergebnis des Schnelltests beruhte, wie sich später herausstellte, auf einem Bedienungsfehler des hinzugezogenen Experten für biologische Kampfstoffe. Daraufhin wird A wieder freigelassen. Er verlangt über einen mittlerweile hinzugezogenen Anwalt sofortige Herausgabe seines Koffers samt Inhalt, da bei nicht ordnungsgemäßer Handhabung das Produkt Feuchtigkeit ziehe und damit unbrauchbar werde. Außerdem benötige er das Muster dringend, da er am nächsten Morgen ein Treffen mit einem Interessenten habe. Die Polizei verweigert die sofortige Herausgabe. Die Asservatenkammer sei geschlossen und der zuständige Beamte erst am kommenden Montag zu erreichen. A fordert durch seinen Anwalt wiederholt, aber vergeblich die Herausgabe und legt Anfechtungsklage gegen die Sicherstellung ein. Nun verlangt er beim zuständigen VG im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes die Herausgabe des Koffers samt Inhalt. Mit Erfolg?
Abwandlung:
Der Dünger wird durch eine fahrlässige unsachgemäße Handhabung der Polizei tatsächlich unbrauchbar. A kann daher die Probe seinem Kaufinteressenten nicht vorführen, so dass das noch von der Präsentation abhängende Geschäft im Werte von 8 Mio. EUR nicht zustande kommt. Kann A Schadensersatz verlangen und wenn ja, auf welchem Rechtsweg muss er diesen geltend machen?
Bearbeitervermerk:
§ 13 Kriegswaffenkontrollgesetz ist nicht anzuwenden.
Bei der Bearbeitung ist das VwVfG des Bundes zugrundezulegen.
Sofern Landesrecht relevant ist, ist das des Landes Bayern heranzuziehen.
Abwandlung:
Der Dünger wird durch eine fahrlässige unsachgemäße Handhabung der Polizei tatsächlich unbrauchbar. A kann daher die Probe seinem Kaufinteressenten nicht vorführen, so dass das noch von der Präsentation abhängende Geschäft im Werte von 8 Mio. EUR nicht zustande kommt. Kann A Schadensersatz verlangen und wenn ja, auf welchem Rechtsweg muss er diesen geltend machen?
Bearbeitervermerk:
§ 13 Kriegswaffenkontrollgesetz ist nicht anzuwenden.
Bei der Bearbeitung ist das VwVfG des Bundes zugrundezulegen.
Sofern Landesrecht relevant ist, ist das des Landes Bayern heranzuziehen.
1. Teil: Ausgangsfall
A. Zulässigkeit
I. Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs
Der Verwaltungsrechtsweg müsste eröffnet sein. Eine aufdrängende Sonderzuweisung ist vorliegend nicht ersichtlich. Es kommt daher als rechtswegeröffnende Norm § 40 I 1 VwGO in Betracht. Dazu müsste es sich um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit nicht verfassungsrechtlicher Art handeln und es dürfte keine abdrängende Sonderzuweisung greifen. Eine Streitigkeit ist öffentlich-rechtlich, wenn die streitentscheidenden Normen oder Handlungsformen öffentlich-rechtlicher Natur sind. Dabei sind nach der sog. Sonderechtstheorie Normen dann öffentlich-rechtlicher Natur, wenn sie ausschließlich einen Träger hoheitlicher Gewalt berechtigen oder verpflichten. Vorliegend sind die streitentscheidenden Normen solche des PAG. Diese Normen berechtigen und verpflichten ausschließlich einen Träger hoheitlicher Gewalt und sind daher öffentlich-rechtlicher Natur. Mithin liegt eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit vor. Die Streitigkeit dürfte auch nicht verfassungsrechtlicher Art sein. Vorliegend sind weder A noch die Polizei Verfassungsorgane, noch streiten Sie über formelles Verfassungsrecht. Die Streitigkeit ist daher nichtverfassungsrechtlicher Art. Ferner dürfte keine abdrängende Sonderzuweisung gegeben sein. In Betracht kommt § 23 I EGGVG. Diese Norm greift, wenn die Ordnungsbehörden oder die Polizei repressiv, also zur Strafverfolgung tätig werden. Werden sie demgegenüber präventiv, also zur Gefahrabwehr tätig, dann greift § 23 I EGGVG nicht. Hier wurde der Koffer sichergestellt. Eine Sicherstellung kann sowohl nach §§ 94 ff. StPO im Rahmen der Strafverfolgung, mithin repressiv, oder nach Art. 25 PAG zur Gefahrabwehr, also präventiv erfolgen. Dabei richtet sich die Zuordnung danach, welchen Zweck die Behörde bzw. Polizei mit der Sicherstellung verfolgte. Vorliegend handelte die Polizei in erster Linie zur Abwehr möglicher Gesundheitsgefahren durch die vermuteten Pocken, mithin präventiv, so dass § 23 I EGGVG hier nicht greift. Damit liegen Voraussetzungen des § 40 I 1 VwGO vor, so dass der Verwaltungsrechtsweg eröffnet ist.
II. Statthafte Antragsart
Die statthafte Antragsart richtet sich gemäß §§ 122, 88 VwGO nach dem Begehren des Antragstellers.
1. Eilrechtsschutz begehrt
Zunächst ist festzustellen, welche Verfahrensart, Eilrechtsschutz oder eine normale verwaltungsgerichtliche Klage, der Antragsteller begehrt. Vorliegend begehrt A ausdrücklich vorläufigen Rechtsschutz.
2. Abgrenzung zwischen § 80 V VwGO und § 123 I VwGO
Hinsichtlich der Eilrechtsschutzverfahren ist zwischen § 80 V VwGO und § 123 I VwGO abzugrenzen. Nach der Abgrenzungsregel des § 123 V VwGO bestimmt sich die statthafte Antragsart danach, welche Klageart in der Hauptsache statthaft ist. Ist dies die Anfechtungsklage, so ist das Verfahren nach § 80 V VwGO statthaft, andernfalls ist § 123 I VwGO die statthafte Antragsart. Vorliegend wendet sich A zum einen gegen die Sicherstellung und zum anderen begehrt er die Herausgabe des Koffers.
Welches in der Hauptsache die richtige Klageart hinsichtlich der Sicherstellung ist, hängt davon ab, welche Rechtsqualität man der Sicherstellung beimisst. Nach einer Ansicht handelt es sich bei der Sicherstellung um einen Realakt, so dass, wenn man davon ausgeht, dass noch keine Erledigung eingetreten ist, die negative Leistungsklage in der Hauptsache statthaft wäre. Nach anderer Ansicht handelt es sich bei der Sicherstellung um einen sog. Duldungs-VA, mithin einen VA im Sinne des § 35 S. 1 VwVfG, so dass mangels Erledigung, die Anfechtungsklage gemäß § 42 I 1. Fall VwGO statthaft wäre. Da die Ansichten zu verschiedenen Ergebnissen führen, bedarf es der Stellungnahme. Gegen die Annahme eines bloßen Realakts spricht, dass in der Sicherstellung immer zugleich der Befehl zu dessen Duldung liegt. Darin liegt eine Regelung, so dass das Abgrenzungsmerkmal des VA zum Realakt gegeben ist (a.A. vertretbar). Damit ist insoweit in der Hauptsache die Anfechtungsklage statthaft. Damit wäre hier § 80 V VwGO die statthafte Antragsart.
Hinsichtlich der Herausgabe als Aufhebung der Vollziehung der Sicherstellung ist dann der Antrag nach § 80 V 3 VwGO statthaft (sog. Annexantrag).
III. Antragsbefugnis, § 42 II VwGO analog
Gemäß § 42 II VwGO analog müsste A antragsbefugt sein. Die Antragsbefugnis ist gegeben, wenn nach dem Sachvortrag des Antragstellers die Möglichkeit besteht, dass er durch das gerügte Verwaltungshandeln in seinen subjektiv-öffentlichen Rechten verletzt ist. A ist hier Adressat eines belastenden Verwaltungsakts. Es besteht daher die Möglichkeit, dass er durch das Duldungsgebot des Verwaltungsakts in seinen Grundrechten aus Art. 14 I, 2 I GG verletzt ist. A ist daher antragsbefugt.
IV. Antragsgegner, § 78 I VwGO analog
Der Antrag des A müsste sich gegen den richtigen Antragsgegner wenden. Gegen welchen Adressaten der Antrag zu richten ist, bestimmt sich nach § 78 I VwGO analog.
V. Allgemeines Rechtsschutzbedürfnis
Ferner müsste A für seinen Antrag ein allgemeines Rechtsschutzbedürfnis haben. Dies setzt im Fall des § 80 V VwGO grundsätzlich voraus, dass Anfechtungsklage erhoben wurde, dieser Rechtsbehelf keine aufschiebende Wirkung hat, die Anfechtungsklage nicht offensichtlich unzulässig ist und im Falle des § 80 II Nr. 1 VwGO, dass ein vorheriger Antrag nach § 80 IV VwGO bei der entsprechenden Behörde gestellt wurde.
1. Anfechtungsklage eingelegt
Grundsätzlich ist zumindest gleichzeitig mit dem Antrag nach § 80 V VwGO die Anfechtungsklage einzulegen. Hier hat A vor der Antragstellung Anfechtungsklage eingelegt, so dass diese Voraussetzung gegeben ist.
2. Keine aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage
Die Anfechtungsklage dürfte im Falle des § 80 V VwGO keine aufschiebende Wirkung haben, da andernfalls, also wenn die Anfechtungsklage schon aufschiebende Wirkung hätte, kein allgemeines Rechtsschutzbedürfnis mehr für den Antrag nach § 80 V VwGO bestünde. Hier könnte die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage nach § 80 II Nr. 2 VwGO entfallen. Danach entfällt die aufschiebende Wirkung bei unaufschiebbaren Anordnungen und Maßnahmen von Polizeivollzugsbeamten. Die Sicherstellung erfolgte hier durch die Polizei und war aufgrund der angenommenen Gefährdungslage auch unaufschiebbar, so dass die Voraussetzungen von § 80 II Nr. 2 VwGO vorliegen. Damit entfaltete die Anfechtungsklage des A hier keine aufschiebende Wirkung.
3. Nicht offensichtlich unzulässig
Die Anfechtungsklage des A ist auch nicht offensichtlich unzulässig.
4. Vorheriger Antrag nach § 80 IV VwGO
Eines vorherigen Antrags bedarf es, dies lässt sich aus einem Umkehrschluss aus § 80 VI VwGO folgern, nur in den Fällen des § 80 II Nr. 1 VwGO. Ein solcher Fall liegt hier nicht vor (s.o.), so dass kein vorheriger Antrag an die Behörde nach § 80 IV VwGO erforderlich ist.
Damit liegt das allgemeine Rechtsschutzbedürfnis vor.
Der Antrag ist zulässig.
B. Begründetheit
I. Hauptantrag
Der Antrag nach § 80 V VwGO ist begründet, soweit das private Aussetzungsinteresse das öffentliche Vollzugsinteresse überwiegt. Maßgeblich hierfür sind die Erfolgsaussichten in der Hauptsache, für die wiederum entscheidend ist, ob der VA, hier die Sicherstellung, rechtmäßig ist oder nicht.
1. Rechtmäßigkeit der Sicherstellung
a) Ermächtigungsgrundlage
Die Sicherstellung stellt für R einen belastenden Verwaltungsakt im Sinne des § 35 S. 1 VwVfG dar und bedarf daher einer Ermächtigungsgrundlage. Ermächtigungsgrundlage für die Sicherstellung ist Art. 25 PAG.
b) Formelle Rechtmäßigkeit
aa) Zuständigkeit
Bedenken gegen die Zuständigkeit der Polizei bestehen hier nicht.
bb) Verfahren
Nach § 28 I VwVfG bedarf es bei einem belastenden VA grundsätzlich einer Anhörung. Eine solche ist hier nicht erfolgt. Ihr Fehlen könnte aber nach § 28 II Nr. 1 VwVfG entbehrlich sein. Danach kann von der Anhörung abgesehen werden, wenn sie nach den Umständen des Einzelfalls nicht geboten ist, insbesondere wenn eine sofortige Entscheidung wegen Gefahr im Verzug oder im öffentlichen Interesse notwendig erscheint. Hier bestand der Verdacht, dass A hochpathogene Pockenviren in einem Koffer mit sich führt, um sie zu veräußern. Ohne eine sofortige Sicherstellung des Koffers hätte jederzeit die Gefahr bestanden, dass A mit dem Koffer entkommt oder etwas aus dem Koffer austritt o.ä. Damit bestand dem Anschein nach eine Gefahr im Verzug. Zudem stand unter diesen Voraussetzungen das Eingreifen auch im öffentlichen Interesse. Damit liegen die Voraussetzungen des § 28 II Nr. 1 VwVfG vor, so dass eine Anhörung des A hier entbehrlich war.
cc) Form
Bedenken hinsichtlich der Form bestehen nicht. Die Sicherstellung ist damit formell rechtmäßig.
c) Materielle Rechtmäßigkeit
Die Sicherstellung im Sinne des Art. 25 PAG müsste auch materiell rechtmäßig sein. Dazu müssen die Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 25 PAG vorliegen und es müsste die richtige Rechtsfolge gewählt worden sein.
aa) Tatbestandsvoraussetzungen
Nach Art. 25 Nr. 1 PAG darf eine Sache sichergestellt werden, um eine gegenwärtige Gefahr abzuwehren.
(1) Schutzgut
Zunächst müsste ein Schutzgut im Sinne des Art. 25 PAG betroffen sein. Schutzgüter des Art. 25 PAG sind die öffentliche Sicherheit und die öffentliche Ordnung. Vorliegend könnte die öffentliche Sicherheit betroffen sein. Das Schutzgut der öffentlichen Sicherheit umfasst den Schutz von Individualgütern, den Schutz des gesamten geschriebenen Rechts und den Bestand des Staates und seiner Einrichtungen. Hier lägen, den Transport der Pocken angenommen, unter anderem Verstöße gegen Vorschriften des Gefahrgutbeförderungsgesetzes i.V.m. mit der Gefahrgutbeförderungs-Verordnung, gegen § 328 III StGB, gegen §§ 2, 3, 18, 20 I Gesetz über die Kontrolle von Kriegswaffen (KrWaffKontrG) i.V.m. dessen Anlage I und damit ein Verstoß gegen die Rechtsordnung vor. Ferner stellen die Pockenviren bei einem Austritt oder einer Verbreitung eine akute Lebensgefahr für alle Menschen dar, so dass das Individualgut Leben und damit auch von daher das Schutzgut der öffentlichen Sicherheit betroffen ist.
(2) Gefahr
Es müsste auch eine konkrete Gefahr für das Schutzgut gegeben sein. Eine solche liegt vor, wenn aufgrund der Umstände mit hinreichender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen ist, dass bei ungestörtem Fortgang des Geschehens eine Rechtsgutsbeeinträchtigung eintreten wird. Hier befand sich in dem Koffer nur Dünger, so dass tatsächlich keine Gefahr vorlag. Es könnte allerdings ein Fall der sog. Anscheinsgefahr vorliegen. Eine Anscheinsgefahr liegt vor, wenn die Würdigung der gefahrbegründenden Umstände bei ex ante-Betrachtung vertretbar das Vorliegen einer Gefahr annehmen lässt und sich dann bei ex post-Betrachtung (erst) herausstellt, dass objektiv keine Gefahr vorlag. Ist dies der Fall, d.h. läge eine Anscheinsgefahr vor, dann handelte es sich polizeirechtlich um eine „echte Gefahr“ und das Handeln der Polizei wäre von daher rechtmäßig. Hier hatte die Polizei konkrete Hinweise eines V-Manns dazu erhalten, dass A in den einschlägigen Kreisen verkehre und wahrscheinlich versuchen werde, Pockenviren in Deutschland zu verkaufen. Zweifel an der Richtigkeit dieser Informationen bestanden nicht. Es war daher anzunehmen, dass sich die Viren in dem Koffer befinden, was auch durch das Ergebnis des Schnelltests bestätigt wurde, so dass es ex ante vertretbar war, eine Gefahr anzunehmen. Somit lag eine Anscheinsgefahr und damit eine echte Gefahr im Sinne des Polizeirechts vor.
(3) Gegenwärtig
Es müsste sich auch um eine gegenwärtige Gefahr, also eine solche, die jederzeit und mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit in eine Verletzung des Schutzguts umschlagen kann, handeln. Hier hatte es den Anschein für die Polizei, dass A in einem Koffer Pockenviren mit sich trägt. Es bestand daher zum einen jederzeit die anscheinende Gefahr, dass A den Koffer öffnet und etwas aus dem Koffer entweicht o.ä. Wäre dies der Fall, dann käme es mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auch zu einer Verletzung des Schutzguts. Überdies lag bspw. hinsichtlich der §§ 2, 3, 18, 20 I KrWaffKontrG i.V.m. dessen Anlage I bereits eine Verletzung des geschriebenen Rechts vor, so dass sich die Gefahr bereits zur Störung fortentwickelt hatte. In diesem gegenüber einer gegenwärtigen Gefahr gesteigerten Fall, darf die Polizei „erst recht“ eingreifen.
(4) Ordnungspflichtigkeit
A müsste auch der richtige Pflichtige im Sinne der Art. 7, 8 PAG sein. A könnte zunächst Verhaltensstörer im Sinne des Art. 7 PAG sein. Verhaltensstörer ist, wer durch sein Verhalten unmittelbar die Gefahrenschwelle überschreitet. Hier hat A allerdings nur völlig ungefährlichen Dünger in dem Koffer gehabt, so dass er die Gefahrschwelle nicht überschritten hat. Aus der Sicht der Polizei war es ex ante aber vertretbar anzunehmen, dass A Störer ist, da alle in diesem Moment zur Verfügung stehenden Informationen darauf hindeuteten. A war damit Anscheinsverhaltensstörer und als solcher Pflichtiger im Sinne des Art. 7 PAG. Darüber hinaus ist A als Eigentümer des Koffers auch Anscheinszustandsstörer im Sinne des Art. 8 PAG.
bb) Rechtsfolge
Als Rechtsfolge sieht Art. 25 PAG Ermessen vor. Insoweit kann das Gericht wegen § 114 VwGO nur das Vorliegen von Ermessensfehlern prüfen. Vorliegend ist insoweit zwischen dem Entschließungs- und dem Auswahlermessen zu unterscheiden. Bedenken hinsichtlich der Ausübung des Entschließungsermessens bestehen nicht. Weiterhin müsste auch das sog. Auswahlermessen fehlerfrei ausgeübt worden sein. Insofern ist zwischen der Auswahlentscheidung hinsichtlich des Störers einerseits und hinsichtlich des gewählten Mittels andererseits zu unterscheiden. Hier war nur der A Störer, so dass eine Auswahl nicht zu erfolgen hatte und folglich dabei auch kein Fehler passiert sein kann. Auch hinsichtlich der Auswahl des Mittels sind Ermessensfehler nicht erkennbar. Dabei wurde insbesondere der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt, denn die Sicherstellung stellt sich als eine einen legitimen Zweck verfolgende, geeignete, aber auch erforderliche und zugleich angemessene Maßnahme dar, so dass der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt ist. Die Sicherstellung war damit rechtmäßig.
2. Besonderes Vollzugsinteresse
Die Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts allein rechtfertigt in Ansehung des Grundsatzes des § 80 I 1 VwGO noch nicht seinen Sofortvollzug. Für einen solchen muss ein über das Interesse an der möglichst frühzeitigen Vollziehung des VA hinausgehendes besonderes Vollzugsinteresse bestehen. Danach bedarf es einer Interessenabwägung, wobei zum einen danach zu fragen ist, welche Nachteile dem Antragsteller entstehen, wenn der Antrag abgelehnt wird, der VA daraufhin vollzogen wird und er aber später in der Hauptsache obsiegt; zum anderen, welche Nachteile der Allgemeinheit bei Stattgabe des Antrags entstehen, wenn später die Hauptsache abgewiesen wird.
Vorliegend war die Sicherstellung ursprünglich, d.h. im Zeitpunkt der Sicherstellung rechtmäßig (s.o.). Im Zeitpunkt der Antragstellung des A hatte sich aber bereits herausgestellt, dass keine Gefahr vorlag. In dieser Situation ist die Fortsetzung der Sicherstellung bzw. die weitere Verwahrung der Sache unzulässig, da der an der Sache Berechtigte diese nach Art. 28 I 1 PAG ab dem Zeitpunkt des Wegfallens der Voraussetzungen der Sicherstellung zurückverlangen kann. Damit fällt die Interessenabwägung zugunsten des A aus. Es besteht mithin kein besonderes Vollzugsinteresse mehr.
Damit ist der Hauptantrag begründet.
II. Annexantrag
Der Annexantrag nach § 80 V 3 VwGO ist begründet, wenn dem Antragsteller, hier dem A, bei summarischer Prüfung ein Vollzugsfolgenbeseitigungsanspruch zusteht. Ein solcher kann sich sowohl aus Spezialgesetzen ergeben, als auch aus dem allgemeinen Institut des Vollzugsfolgenbeseitigungsanspruchs folgen.
1. Anspruch aus Art. 28 I 1 PAG
Zunächst könnte A einen Anspruch aus der Anspruchsgrundlage des Art. 28 I 1 PAG auf Herausgabe der sichergestellten Sache haben. Bedenken gegen das Vorliegen der formellen Voraussetzungen für einen solchen Anspruch bestehen nicht, insbesondere hat A einen entsprechenden Antrag gestellt. In materieller Hinsicht müssten die Anspruchsvoraussetzungen vorliegen. Nach Art. 28 I 1 PAG sind sichergestellte Sachen an denjenigen, bei dem sie sichergestellt wurden, herauszugeben, sobald die Voraussetzungen für die Sicherstellung weggefallen sind. Hier hatte sich zwischenzeitlich herausgestellt, dass tatsächlich keine Gefahr vorlag und auch zukünftig nicht vorliegen wird, so dass die Voraussetzungen von Art. 25 Nr. 1 PAG und auch dessen anderer Modalitäten nicht vorliegen. Mit der Herausgabe des ungefährlichen Düngers würden sie auch nicht eintreten, so dass die Voraussetzungen von Art. 28 I 1 PAG vorliegen. Rechtsfolge der Vorschrift ist gebunden. D.h. die Polizei hat den Koffer herauszugeben. Damit hat A einen Anspruch auf Herausgabe des Koffers aus Art. 28 I 1 PAG.
Diesem Anspruch steht hier auch nicht entgegen, dass nach § 80 V 3 VwGO nach Sinn und Zweck des einstweiligen Rechtsschutzes grundsätzlich nur vorläufige Maßnahmen getroffen werden können und die endgültige Herausgabe des Koffers eine Vorwegnahme der Hauptsache darstellt, denn hier steht zum einen, trotz summarischer Prüfung, bereits jetzt fest, dass A den Koffer mangels Gefährlichkeit nicht wird zurückgeben müssen und zum anderen ist die Vorwegnahme der Hauptsache dann tolerabel, wenn anders durch sie kein effektiver Rechtsschutz gewährt werden kann. Hier benötigt A seinen Koffer „jetzt“, um seine Geschäfte tätigen zu können und nicht erst nach Abschluss des Hauptsacheverfahrens. Es widerspräche damit dem Gebot des effektiven Rechtsschutzes ihn in dieser Situation auf die Hauptsache zu verweisen.
2. Vollzugsfolgenbeseitigungsanspruch
Der Anspruch des A auf Herausgabe könnte sich ferner aus dem allgemeinen Institut des Vollzugsfolgenbeseitigungsanspruchs ergeben.
a) Herleitung
Der Vollzugsfolgenbeseitigungsanspruch ist nach einer Ansicht aus dem status negativus der Grundrechte abzuleiten. Nach anderen Ansichten aus Art. 20 III GG bzw. aus Gewohnheitsrecht. Dieser Streit muss hier nicht entschieden werden, da das Institut des Vollzugsfolgenbeseitigungsanspruchs an sich allgemein anerkannt ist.
b) Voraussetzungen
Es müssten die Anspruchsvoraussetzungen vorliegen. Dazu müsste ein hoheitliches Handeln vorliegen, dass zu einem rechtswidrigen Eingriff in ein subjektiv-öffentliches Recht führt, wobei die Folgen des Eingriffs bzw. der unmittelbaren Folgen noch an andauern.
aa) Hoheitliches Handeln
Es müsste zunächst ein hoheitliches Handeln vorliegen. Dies ist der Fall, wenn der Staat durch seine Behörden gegenüber dem Bürger im Über-Unter-Ordnungsverhältnis handelt. Hier handelt der Staat hinsichtlich der Aufrechterhaltung der Sicherstellung auf der Grundlage der Sicherstellung, also eines Duldungs-VA (s.o.), mithin im Über-Unter-Ordnungsverhältnis und damit auch hoheitlich.
bb) Eingriff in subjektiv-öffentliches Recht
Es müsste ferner ein Eingriff in ein subjektiv-öffentliches Recht gegeben sein. Als solches kommt hier das Eigentum aus Art. 14 I GG i.V.m. § 903 BGB des A an seinem Koffer und dem Dünger darin in Betracht. Hier wurde gegenüber A durch die Fortsetzung der Verwahrung in seine Rechte aus § 903 BGB, als Eigentümer mit dem Koffer und dem Dünger nach Belieben zu verfahren und andere von der Einwirkung auszuschließen, eingriffen. Damit liegt ein Eingriff in ein subjektiv-öffentliches Recht vor.
cc) Andauern des Eingriffs
Der Eingriff müsste auch noch andauern. Hier befindet sich der Koffer noch in Verwahrung, so dass der Eingriff in das Eigentum des A auch noch andauert.
dd) Rechtswidrigkeit des Eingriffs
Der Eingriff müsste ferner rechtswidrig sein. Dies ist beim Vollzugsfolgenbeseitigungsanspruch grundsätzlich der Fall, wenn der VA dessen Vollzug zu beseitigen ist, entweder nichtig, erledigt oder im Wege der Anfechtungsklage aufgehoben ist. Hier in der Situation des § 80 V 3 VwGO genügt dafür schon die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage, die im erfolgreichen Hauptantrag angeordnet wird (s.o.), da der VA, hier die Sicherstellung, dann (vorerst) nicht vollzogen werden darf, so dass eine gleichwohl vorliegende Vollziehung rechtswidrig ist.
Damit liegen die Anspruchsvoraussetzungen insgesamt vor.
c) Rechtsfolge: Herstellung des status quo ante
Rechtsfolge des Vollzugsfolgenbeseitigungsanspruchs ist die Herstellung des status qou ante, also des ursprünglichen Zustands. Ursprünglicher Zustand war, dass A im Besitz seines Koffers war. Dieser Zustand ist durch Herausgabe wiederherzustellen.
d) Kein Ausschluss
Ferner dürfte der Anspruch nicht ausgeschlossen sein.
aa) Unmöglichkeit
Der Vollzugsfolgenbeseitigungsanspruch wäre ausgeschlossen bzw. schlüge um in einen Entschädigungsanspruch, wenn die Herstellung des status quo ante rechtlich oder tatsächlich nicht möglich wäre. Hier bestehen weder rechtliche noch tatsächliche Schwierigkeiten hinsichtlich der Herstellung des ursprünglichen Zustands, so dass der Anspruch von daher nicht ausgeschlossen ist.
bb) Unzumutbarkeit für die Behörde
Der Vollzugsfolgenbeseitigungsanspruch wäre ferner ausgeschlossen bzw. schlüge um in einen Entschädigungsanspruch, wenn der zur Herstellung des status quo ante erforderliche Aufwand in krassem Missverhältnis zur Bedeutung des ursprünglichen Zustands steht. Hier ist der Aufwand für die Polizei, der durch die Herausgabe entsteht, marginal. Auch der Umstand, dass eine Herausgabe zur Nachtzeit oder am Wochenende erfolgen müsste, ist angesichts dessen, dass die Polizei gewissermaßen ständig im Dienst ist, kein Hinderungsgrund.
cc) Mitverschulden, § 254 BGB analog
Fraglich ist ferner, wie sich ein Mitverschulden des Anspruchstellers auswirkte. Nach einer Ansicht hängt das Bestehen des Anspruchs davon ab, ob das staatliche Verschulden überwiegt oder nicht. Überwiegt es, dann besteht der Anspruch auf die Folgenbeseitigung vollumfänglich, andernfalls besteht kein Anspruch. Nach anderer Ansicht ist im Falle des Mitverschuldens zu quoteln: Bei überwiegendem staatlichen Verschulden besteht ein Anspruch auf Folgenbeseitigung, aber der Anspruchsteller hat in Höhe seines Verschuldensanteils eine Zuzahlung vorzunehmen. Überwiegt dagegen der Verschuldensanteil des Anspruchstellers, dann findet keine Folgenbeseitigung statt; der Anspruchsteller erhält dann eine Entschädigung in Höhe des staatlichen Verschuldens. Hier trifft den A kein Mitverschulden, so dass der Streit dahinstehen kann.
Damit liegt kein Ausschlussgrund vor. Dem A steht ein Anspruch auf Vollzugsfolgenbeseitigung zu, so dass auch der Annexantrag begründet ist.
Der Antrag des A ist insgesamt zulässig und begründet. Er wird daher Erfolg haben.
2. Teil: Abwandlung
A. Amtshaftung, § 839 BGB; Art. 34 GG
A könnte einen Anspruch aus Amtshaftung gemäß § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG haben.
I. Voraussetzungen
Dazu müssten die Voraussetzungen des Amtshaftungsanspruchs vorliegen.
1. Handeln in Ausübung eines öffentlichen Amtes
Zunächst müsste ein Handeln in Ausübung eines öffentlichen Amtes vorliegen. Dazu müsste ein Beamter im staatsrechtlichen Sinne gehandelt haben und es müsste sich um eine dienstliche Aufgabenwahrnehmung handeln, das Handeln dürfte also nicht nur „bei Gelegenheit“ erfolgt sein. Die Verwahrung während der Sicherstellung erfolgte durch die Polizei, mithin durch entsprechende Polizeibeamte. In diesem Rahmen kam es durch die Polizeibeamten zu einer unsachgemäßen Handhabung während der Sicherstellung. Die unsachgemäße Handhabung erfolgte dabei im Rahmen der dienstlichen Aufgabenwahrnehmung, hier der Verwahrung sichergestellter Gegenstände. Dafür, dass die unsachgemäße Handhabung auf außerdienstliches Fehlverhalten bzw. ein Handeln bei Gelegenheit gehandelt hat, ist nichts ersichtlich.
2. Verletzung einer drittbezogenen Amtspflicht
Ferner müsste eine Verletzung einer drittbezogenen Amtspflicht vorliegen. Amtspflichten sind alle Pflichten, die aus dem Dienstverhältnis ggü. dem Dienstherrn folgen. Im Rahmen des Amtshaftungsanspruchs können dabei nur solche Verletzungen anspruchsbegründend sein, die die Verletzung einer drittbezogenen Amtspflicht zum Gegenstand haben. Eine solche drittbezogene Amtspflicht ist insbesondere die Pflicht des Beamten, rechtmäßig zu handeln. Dazu gehört bezogen auf sichergestellte und amtlich verwahrte Gegenstände, diese pfleglich zu behandeln, so dass sie nach Beendigung der Sicherstellung unversehrt an ihrer Eigentümer oder Besitzer herausgegeben werden können. Hier haben die Beamten den Koffer unsachgemäß behandelt, so dass es zu einer Beschädigung des Inhalts kam. Dieses Verhalten verstößt gegen die Pflicht, die verwahrten Sachen pfleglich zu behandeln und ist daher rechtswidrig. Damit liegt eine drittbezogene Amtspflichtverletzung vor.
3. Verschulden, § 276 BGB
Die Amtspflichtverletzung müsste auch schuldhaft im Sinne des § 276 BGB, d.h. entweder vorsätzlich oder fahrlässig erfolgt sein. Hier beruhte die unsachgemäße Behandlung auf Fahrlässigkeit, so dass ein Verschulden im Sinne des § 276 BGB vorliegt.
Damit liegen die Anspruchsvoraussetzungen vor.
II. Rechtsfolge: Schadensersatz, §§ 249 ff. BGB
Rechtsfolge des Amtshaftungsanspruch ist Schadensersatz, §§ 249 ff. BGB. Dies umfasst nach § 252 S. 1 BGB auch den entgangenen Gewinn. Als entgangen gilt nach § 252 S. 2 BGB der Gewinn, welcher nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge oder nach den besonderen Umständen, insbesondere nach den getroffenen Anstalten und Vorkehrungen, mit Wahrscheinlichkeit erwartet werden konnte. Hier hing der Geschäftsabschluss insbesondere noch von der Präsentation ab, wobei offen ist, ob es bei Durchführung der Präsentation zu einem Abschluss gekommen wäre. Dies genügt nicht mit Wahrscheinlichkeit gesagt werden kann, dass es nach dem Lauf der Dinge mit Wahrscheinlichkeit zu dem Geschäftsabschluss gekommen wäre, so dass die Voraussetzungen von § 252 S. 2 BGB nicht gegeben sind. Hinsichtlich des Werts des Düngers fehlt es nicht an der haftungsausfüllenden Kausalität, da der Schaden am Dünger kausal auf der Rechtsgutsverletzung, hier der unsachgemäßen Lagerung, beruht.
III. Kein Ausschluss
Der Anspruch des A dürfte auch nicht ausgeschlossen sein. Ein Ausschlussgrund kann sich zum einen aus Spezialgesetzen ergeben, aus dem sog. Verweisungsprivileg des § 839 I 2 BGB oder dem Richterprivileg aus § 839 II BGB folgen. Für ein Eingreifen dieser Ausschlussgründe ist vorliegend nichts ersichtlich. Darüber hinaus tritt die Ersatzpflicht nach § 839 II BGB nicht ein, wenn der Verletzte vorsätzlich oder fahrlässig unterlassen hat, den Schaden durch Gebrauch eines Rechtsmittels abzuwenden. Hier ist A mit der Anfechtungsklage gegen die Sicherstellung vorgegangen. Von der unsachgemäßen Handhabung des Koffers und seines Inhalts wusste A nichts und konnte daher insoweit auch nicht vorgehen. Damit liegt auch der Ausschlussgrund des § 839 III BGB nicht vor.
Damit hat A einen Anspruch aus Amtshaftung, der sich allerdings auf den Wert des Düngers beschränkt. Dieser Anspruch ist gemäß Art. 34 S. 3 GG und § 40 II VwGO vor den ordentlichen Gerichten geltend zu machen.
B. Enteignungsgleicher Eingriff
A könnte auch einen Anspruch aus dem Institut des enteignungsgleichen Eingriffs haben.
I. Herleitung
Der enteignungsgleiche Eingriff leitet sich nach einer Ansicht aus den §§ 74, 75 Einleitung zum Preußischen Allgemeinen Landrecht 1794 (EALR) ab, nach anderer Ansicht handelt es sich um einen gewohnheitsrechtlich anerkannten Grundsatz, nachdem rechtswidrige Eingriffe in das Eigentum angemessen zu entschädigen sind.
II. Voraussetzungen
Ein solcher Anspruch setzt voraus, dass das Eigentum des Anspruchstellers betroffen ist, ein unmittelbar hoheitlicher Eingriff vorliegt, dieser Eingriff allgemeinwohlbezogen ist und ein Sonderopfer auf Seiten des Anspruchstellers vorliegt, d.h. der Eingriff eine enteignungsgleiche Wirkung hat.
1. Eigentum
Zunächst müsste das Eigentum des A im Sinne des Art. 14 I GG betroffen sein. Eigentum ist die Summe aller vermögenswerten Positionen, die dem Einzelnen durch die Rechtsordnung zugewiesen sind und die diesem eine private Nutzungs- und Verfügungsbefugnis einräumen. Vorliegend ist A Eigentümer des Koffers sowie des darin befindlichen Düngers im Sinne des § 903 S. 1 BGB, da er mit diesen Gegenständen nach Belieben verfahren und andere von jeder Einwirkung ausschließen kann.
2. Unmittelbar, hoheitlicher Eingriff
Der Eingriff in die Eigentumsposition des Anspruchstellers müsste unmittelbar und hoheitlicher Art sein. Hoheitlich bedeutet, dass das Verwaltungshandeln, dass die Haftung begründen soll, Folge des zwischen Staat und Bürger bestehenden Über-Unter-Ordnungsverhältnisses ist, also der Staat nicht auf der Ebene der Gleichordnung agiert. Hier hat die Polizei die Verwahrung und damit auch die unsachgemäße Behandlung während der Verwahrung auf der Grundlage der von ihr verfügten Sicherstellung, also eines von ihr erlassenen Verwaltungsakts (s.o.), der als solcher immer ein Über-Unter-Ordnungsverhältnis voraussetzt, vorgenommen. Das Handeln auf der Grundlage eines Verwaltungsakts setzt die hoheitliche Maßnahme des Verwaltungsakts auf der gleichen Über-Unter-Ordnungsebene fort und ist damit ebenfalls hoheitlich. Das Merkmal der Unmittelbarkeit ist gegeben, wenn das hoheitliche Verwaltungshandeln adäquat-kausal für den Eingriff war. Der hoheitliche Verwaltungshandeln liegt hier in dem Verwahren des Koffers (s.o.). Der Eingriff in das Eigentum liegt darin, dass der Dünger des A nach der unsachgemäßen Behandlung während der Verwahrung unbrauchbar geworden ist. Damit liegt hier ein unmittelbar, hoheitlicher Eingriff in die Eigentumsposition des Anspruchstellers, hier des A, vor.
3. Gemeinwohlbezogenheit
Der Eingriff müsste allgemeinwohlbezogen, d.h. durch das Allgemeinwohl motiviert gewesen sein. Hier diente der Eingriff in Form der Sicherstellung und Verwahrung des Koffers dazu, Gefahren für die Allgemeinheit durch einen anscheinend Pockenviren enthaltenden Koffer zu beseitigen. Damit diente der Eingriff dem Allgemeinwohl.
4. Enteignungsgleiche Wirkung (Sonderopfer)
Der Eingriff müsste für den Anspruchsteller ein Sonderopfer, d.h. einen enteignungsgleichen Eingriff darstellen. Dies ist der Fall, wenn der Eingriff bzw. das Verwaltungshandeln, das zu dem Eingriff geführt hat, rechtswidrig war. Das insoweit in Betracht kommende Verwaltungshandeln ist hier das Verwahren nach Sicherstellung. Dessen Rechtswidrigkeit folgt hier aus dem Umstand, dass die Verwahrung immer so zu erfolgen hat, dass der verwahrte Gegenstand pfleglich behandelt wird. Dies ist hier aufgrund der unsachgemäßen Behandlung nicht der Fall (s.o.). Die Art und Weise der Verwahrung mit der Folge der Beschädigung war damit rechtswidrig, so dass eine enteignungsgleiche Wirkung gegeben ist.
III. Rechtsfolge: Entschädigung
Rechtsfolge des enteignungsgleichen Eingriffs ist Entschädigung im Sinne eines Wertersatzes. Dies umfasst nicht den Ersatz entgangenen Gewinns. A hat daher nur den Anspruch auf Ersatz des Wertes der Düngerprobe.
IV. Kein Ausschluss
Es dürfte ferner kein Ausschlussgrund vorliegen. Ein Ausschlussgrund läge vor, wenn A nicht gegen die Fortsetzung der Sicherstellung vorgegangen wäre („Kein Dulde und Liquidiere“). Hier ist A mit der Anfechtungsklage gegen die Sicherstellung vorgegangen. Von der unsachgemäßen Handhabung des Koffers und seines Inhalts wusste A nichts und konnte daher insoweit auch nicht vorgehen. Damit liegt kein Ausschlussgrund vor.
A hat daher Anspruch auf Ersatz des Wertes des Düngers aus dem Institut des enteignungsgleichen Eingriffs.
C. § 280 I BGB analog
Ferner könnte A einen Schadensersatzanspruch aus der Verletzung einer Pflicht aus einem öffentlich-rechtlichen Schuldverhältnis haben. Dazu müssten die Anspruchsvoraussetzungen vorliegen. Es müsste zunächst ein Schuldverhältnis vorliegen. Hier verwahrt die Polizei nach der Sicherstellung den Koffer nebst Dünger, wobei diese Verwahrung ein öffentlich-rechtliches Verwahrungsverhältnis, mithin ein öffentlich-rechtliches Schuldverhältnis im Sinne des § 280 I BGB analog begründet. Die unsachgemäße Behandlung während der Verwahrung stellt dabei eine Pflichtverletzung im Sinne des § 280 I BGB analog dar. Das Vertretenmüssen wird gemäß § 280 I 2 BGB analog vermutet. Ein Widerlegen dürfte der Behörde auch nicht gelingen, da sie tatsächlich fahrlässig gehandelt hat. Damit liegen die Voraussetzungen des Anspruchs vor. Rechtsfolge ist Schadensersatz im Sinne der §§ 249 ff. BGB analog, wobei es auch hier aufgrund der Ungewissheit, ob es überhaupt zu einem Vertragsabschluss gekommen wäre, an der haftungsausfüllende Kausalität hinsichtlich des entgangenen Gewinn fehlt, § 252 S. 2 BGB analog (s.o.). Hinsichtlich des Wertes des Düngers ist die Pflichtverletzung, die unsachgemäße Behandlung des Düngers, dagegen kausal für den Schaden am Dünger selbst (s.o.), so dass der Wert des Düngers hier als Schadensersatz über § 280 I BGB analog verlangt werden kann.
D. Sonstige Anspruchsgrundlagen
Ansprüche aus anderen Anspruchsgrundlagen sind nicht ersichtlich.