<h2>Aufbau der Pr&uuml;fung -&nbsp;Art. 70 I PAG analog</h2>

<p>Art. 70 I PAG analog betrifft die F&auml;lle, in denen jemand als Anscheins- oder Verdachtsst&ouml;rer in Anspruch genommen wurde, sich der Verdacht bzw. der Anschein im Nachhinein jedoch nicht best&auml;tigt. Beispiel: A hat mehrere Rinder, die seltsam zucken und Schaum vor dem Maul haben. Daraufhin entsteht der Verdacht, dass die Rinder an Tollwut oder an Creutzfeldt Jakob leiden. Die Beh&ouml;rde ordnet deshalb an, dass eine gewisse Anzahl der Rinder geschlachtet werden sollen. Nach der Schlachtung stellt sich heraus, dass die Tiere nicht erkrankt sind. Aus diesem Grund m&ouml;chte A eine Entsch&auml;digung.&nbsp;</p>

<h3>I. &sect; 839 BGB; Art. 34 GG</h3>

<p>Zun&auml;chst k&ouml;nnte ein Amtshaftungsanspruch gem&auml;&szlig; &sect; 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG in Betracht kommen. Der setzt im Rahmen der Verletzung einer drittbezogenen Amtspflicht jedoch voraus, dass die Ma&szlig;nahme rechtswidrig ist. Dies war hier nicht der Fall, da ein Gefahrenverdacht zu Gefahrerforschungsma&szlig;nahmen erm&auml;chtigt.</p>

<h3>II. Enteignungsgleicher Eingriff</h3>

<p>Aus demselben Grund scheitert auch ein Anspruch aus enteignungsgleichem Eingriff, da auch dieser einen rechtswidrigen Eingriff voraussetzt.</p>

<h3>III. Enteignender Eingriff</h3>

<p>Dar&uuml;ber hinaus gilt der enteignende Eingriff zwar f&uuml;r rechtm&auml;&szlig;ige Ma&szlig;nahmen, jedoch nur f&uuml;r faktische, also nicht gezielte Eingriffe. Hier wurden die Rinder jedoch gezielt geschlachtet, sodass auch dieses Institut des enteignenden Eingriffs ausscheidet.</p>

<h3>IV. Art. 70 I PAG</h3>

<p>Es k&ouml;nnte jedoch ein Anspruch aus Art. 70 I PAG in Betracht kommen. Dann m&uuml;sste B als Notstandspflichtiger in Anspruch genommen worden sein. Hier lag jedoch ein Fall des Gefahrenverdachts vor. B ist als Eigent&uuml;mer der Rinder unter Verdachtsgesichtspunkten somit als Zustandsst&ouml;rer in Anspruch genommen worden, nicht als Notstandspflichtiger.</p>

<h3>V. Art. 70 I PAG analog</h3>

<p>Somit verbleibt lediglich ein Entsch&auml;digungsanspruch gem&auml;&szlig; Art. 70 I PAG analog.&nbsp;</p>

<h3>1. Analogievoraussetzungen</h3>

<p>F&uuml;r einen solchen Anspruch gem&auml;&szlig; Art. 70 I PAG analog m&uuml;ssten die Analogievoraussetzungen vorliegen.</p>

<h3>a) Regelungsl&uuml;cke</h3>

<p>Zun&auml;chst erfordert dies eine Regelungsl&uuml;cke. Es d&uuml;rfte somit keine Anspruchsgrundlage den Fall in direkter Anwendung erfassen. Dies hat die vorherige Pr&uuml;fung bereits ergeben.</p>

<h3>b) Planwidrigkeit</h3>

<p>Zudem m&uuml;sste diese Regelungsl&uuml;cke auch planwidrig sein. Dies ergibt sich aus dem Umstand, dass ein Fehlen einer Entsch&auml;digung gegen Art. 14 GG verstie&szlig;e. Wegen der Bindung des Gesetzgebers an die Verfassung, insbesondere an die GRe, ist im Zweifel nicht davon auszugehen, dass der Gesetzgeber planm&auml;&szlig;ig diese L&uuml;cke aufgetan hat.</p>

<h3>c) Vergleichbarkeit</h3>

<p>Zuletzt setzt ein Anspruch aus Art. 70 I PAG analog f&uuml;r die Analogie eine vergleichbare Interessenlage voraus. An dieser Stelle ist zwischen zwei Ebenen zu unterscheiden. Die Prim&auml;rebene betrifft die Ebene der Gefahrenabwehr. Hier ist der Fall des Gefahrenverdachts dem Fall der normalen Gefahr gleichgestellt, um die Effektivit&auml;t der Gefahrenabwehr zu garantieren. Die Sekund&auml;rebene ist hingegen die Ebene der Kosten. Hier geht es darum, wer billigerweise die Kosten zu tragen hat. Dies ist nach Gerechtigkeitsaspekten zu beurteilen. Im Nachhinein hat sich der Verdacht nicht best&auml;tigt. Ex post betrachtet, ist dieser Fall mit der Inanspruchnahme des Notstandspflichtigen vergleichbar. Bei der ma&szlig;geblichen ex post Betrachtung im Rahmen der Kostentragung ist eine Vergleichbarkeit mithin gegeben.&nbsp;</p>

<h3>2. Voraussetzungen des Art. 70 I PAG</h3>

<p>Ferner m&uuml;ssen bei einer Anwendung des Art. 70 I PAG analog auch die Voraussetzungen des Art. 70 I PAG gegeben sein. Dies meint nat&uuml;rlich nicht die Inanspruchnahme als Notstandspflichtiger, sondern die Inanspruchnahme als Verdachts- oder Anscheinsst&ouml;rer. Zuletzt m&uuml;ssen f&uuml;r einen Entsch&auml;digungsanspruch gem&auml;&szlig; Art. 70 I PAG analog auch die weiteren Voraussetzungen der Norm erf&uuml;llt sein. Es muss der Sache nach folglich um eine Entsch&auml;digung gehen und der Anspruch gem&auml;&szlig; Art. 70 I PAG analog darf auch nicht ausgeschlossen sein. Dies kann beispielsweise bei einem Mitverschulden vorliegen, sodass es angemessen erscheint, dass der Betroffene die Kosten selbst tr&auml;gt. Fallbeispiel: A spr&uuml;ht seinen Rindern Rasierschaum um die M&auml;uler. Daraufhin wird die Beh&ouml;rde t&auml;tig.&nbsp;</p>

<h3>VI. Rechtsweg</h3>

<p>Schlie&szlig;lich ist zu beachten, dass f&uuml;r Anspr&uuml;che gem&auml;&szlig; Art. 70 I PAG analog die ordentlichen Gerichte zust&auml;ndig sind.<br />
&nbsp;</p>

<p>&nbsp;</p>


Ein bloßer Gefahrenverdacht liegt vor, wenn zum Zeitpunkt des Einschreitens (ex ante) nicht die hinreichende Wahrscheinlichkeit, sondern nur die Möglichkeit eines Schadenseintritts bestand.

Eine Anscheinsgefahr liegt vor, wenn zum Zeitpunkt des Einschreitens (ex ante) die hinreichende Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts besteht. Im Nachhinein (ex post) stellt sich heraus, dass doch keine Gefahr vorlag.

Öffentliches Recht

Staatshaftungsrecht

Auf Geldleistung gerichtete Ansprüche

Bei rechtmäßigen Eingriffen

Art. 70 I PAG analog

<h2>Aufbau der Pr&uuml;fung - Art. 70 I PAG</h2>

<p>Der Entsch&auml;digungsanspruch des Nichtst&ouml;rers ist in Art. 70 I PAG geregelt. Beispiel: Es ist Winter und bitterkalt. A und seine Familie sind obdachlos. In der ganzen Stadt gibt es keine freie Obdachlosenunterkunft. A und seine Familie werden deshalb f&uuml;r drei Monate in eine zu Spekulationszwecken leer stehende Wohnung des B eingewiesen. B war vorliegend weder Verhaltens- noch Zustandsst&ouml;rer, denn die Gefahr geht nicht von der Wohnung des B aus und B ist auch nicht daf&uuml;r verantwortlich, dass A kein Obdach hat. B wurde somit als Notstandspflichtiger in Anspruch genommen.&nbsp;</p>

<h3>I. Inanspruchnahme als Notstandspflichtiger, Art. 10 PAG</h3>

<p>Zun&auml;chst setzt Art. 70 I PAG die Inanspruchnahme als Notstandspflichtiger voraus. An dieser Stelle sind somit die Voraussetzungen des Art. 10 PAG zu pr&uuml;fen, insbesondere die Rechtm&auml;&szlig;igkeit der Ma&szlig;nahme und die besonderen Voraussetzungen der Norm.</p>

<h3>II. Rechtsfolge: Schadensausgleich, Art. 70 I PAG</h3>

<p>Rechtsfolge des Art. 70 I PAG ist eine angemessene Entsch&auml;digung. B m&ouml;chte hier gem&auml;&szlig; Art. 70 I PAG im Zweifelsfall eine angemessene Entsch&auml;digung daf&uuml;r, dass A und seine Familie die Wohnung des B genutzt haben. Dies ist im Zweifel der &uuml;bliche Mietzins. Den genauen Umfang des Entsch&auml;digungsanspruchs regelt Art. 70 PAG. Nach Absatz 7 dieser Norm ist beispielsweise ein etwaiges Mitverschulden zu ber&uuml;cksichtigen.</p>

<h3>III. Kein Ausschluss</h3>

<p>Zuletzt darf der Entsch&auml;digungsanspruch gem&auml;&szlig; &sect; 70 I PAG nicht ausgeschlossen sein. Art. 70 IV regelt hier besondere Ausschlussgr&uuml;nde. Der Entsch&auml;digungsanspruch nach Art. 70 I PAG ist dann ausgeschlossen, wenn es darum ging, den Notstandspflichtigen oder dessen Verm&ouml;gen selbst zu sch&uuml;tzen. In diesen F&auml;llen erscheint es auch billig, dass die in Anspruch genommene Person die Sch&auml;den selbst zu tragen hat.&nbsp;</p>

<h3>IV. Rechtsweg</h3>

<p>Zuletzt ist zu erw&auml;hnen, dass f&uuml;r Anspr&uuml;che aus Art. 70 I PAG die ordentlichen Gerichte gem&auml;&szlig; Art. 73 PAG zust&auml;ndig sind.<br />
&nbsp;</p>

<p>&nbsp;</p>


Art. 70 I PAG

<h2>&Uuml;berblick -&nbsp;Staatshaftungsrechtliche Anspruchsgrundlagen</h2>

<p>Dieser Exkurs gibt einen &Uuml;berblick &uuml;ber staatshaftungsrechtliche Anspruchsgrundlagen. Staatshaftungsrechtliche Anspruchsgrundlagen betreffen Anspr&uuml;che des B&uuml;rgers gegen den Staat. Bei den staatshaftungsrechtlichen Anspruchsgrundlagen kann zun&auml;chst nach der begehrten Rechtsfolge differenziert werden. Staatshaftungsrechtliche Anspruchsgrundlagen k&ouml;nnen danach auf Geld oder nicht auf Geld gerichtet sein.&nbsp;</p>

<h3>I. Nicht auf Geld gerichtet</h3>

<p>Staatshaftungsrechtliche Anspruchsgrundlagen, die nicht auf Geld gerichtet sind, umfassen den Folgenbeseitigungsanspruch unter Einschluss des Vollzugsfolgenbeseitigungsanspruchs und den &ouml;ffentlich-rechtlichen Unterlassungsanspruch.&nbsp;</p>

<h3>II. Auf Geld gerichtet</h3>

<p>Auf Geld gerichtete staatshaftungsrechtliche Anspruchsgrundlagen k&ouml;nnen dahingehend unterschieden werden, ob der Eingriff rechtswidrig oder rechtm&auml;&szlig;ig ist.</p>

<h3>1. Rechtswidriger Eingriff</h3>

<p>Bei rechtswidrigem Eingriff beziehen sich die staatshaftungsrechtlichen Anspruchsgrundlagen zun&auml;chst auf den Amtshaftungsanspruch aus &sect; 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG. Weiterhin regeln staatshaftungsrechtliche Anspruchsgrundlagen f&uuml;r den Fall des rechtswidrigen Eingriffs das ungeschriebene Institut des enteignungsgleichen Eingriffs. Weiterhin erfassen staatshaftungsrechtliche Anspruchsgrundlagen f&uuml;r den rechtswidrigen Eingriff auch Schadensersatzanspr&uuml;che aus &ouml;ffentlich-rechtlichen Schuldverh&auml;ltnissen nach den &sect;&sect; 280 ff. BGB analog. Beispiel: &Ouml;ffentlich-rechtliche Verwahrung. Bei Nichtigkeit richtet sich der Anspruch nach dem Institut des &ouml;ffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs. Dies ist eine Art &sect; 812 BGB im &ouml;ffentlichen Recht. Erlangt der Staat etwas ohne Rechtsgrund, darf er es nicht behalten.&nbsp;</p>

<h3>2. Rechtm&auml;&szlig;iger Eingriff</h3>

<p>Liegt hingegen ein rechtm&auml;&szlig;iger Eingriff vor, beziehen sich staatshaftungsrechtliche Anspruchsgrundlagen auf das Institut des enteignenden Eingriffs, die Inanspruchnahme des Notstandspflichtigen gem&auml;&szlig; &sect; 70 I PAG und auf &sect; 70 I PAG analog in den F&auml;llen, in denen jemand als Anscheins- oder Verdachtsst&ouml;rer in Anspruch genommen wurde. Im Nachhinein stellt sich heraus, dass der Anschein bzw. der Verdacht nicht zutreffend war. Dies wird so behandelt, als wenn der Betroffene Notstandspflichtiger gewesen w&auml;re.&nbsp;</p>

<p><br />
Zwischen diesen Anspruchsgrundlagen besteht Anspruchskonkurrenz. Sie k&ouml;nnen folglich nebeneinander bestehen, sofern sie sich nicht denklogisch ausschlie&szlig;en. Beispiel: Nicht denkbar ist, dass aus ein und demselben staatlichen Verhalten ein Anspruch aus dem Institut des enteignungsgleichen Eingriff besteht und aus dem Institut des enteignenden Eingriffs, denn eine Ma&szlig;nahme kann nicht zugleich rechtm&auml;&szlig;ig und rechtswidrig sein. Denkbar ist jedoch, dass der Betroffene einen Anspruch aus Amtshaftung und aus dem Institut des enteignungsgleichen Eingriffs hat.<br />
&nbsp;</p>


Staatshaftungsrechtliche Anspruchsgrundlagen

<h2 id="überblick---vollstreckungsverfahren">Überblick - Vollstreckungsverfahren</h2>
<p>Das Vollstreckungsverfahren betrifft die Durchführung des Verwaltungsaktes, also die Durchführung der Maßnahme selbst. Beispiel: A wird Adressat einer Abrissverfügung. A reißt sein Haus nicht ab. Zur Durchführung der Abrissverfügung kann die Behörde das Haus für den A abreißen lassen.<br>
Beim Vollstreckungsverfahren kann zwischen dem einaktigen Vollstreckungsverfahren und dem mehraktigen Vollstreckungsverfahren differenziert werden. Das einaktige Vollstreckungsverfahren ist in Art. 70 II PAG geregelt, das mehraktige Vollstreckungsverfahren ist in Art. 70 I PAG normiert. Der Unterschied zwischen diesen Vollstreckungsverfahren besteht in dem Vorliegen eines wirksamen Grundverwaltungsaktes. Beim einaktigen Vollstreckungsverfahren fehlt es an einem wirksamen Grundverwaltungsakt. Innerhalb des einaktigen Vollstreckungsverfahrens ist von der unmittelbaren Ausführung abzugrenzen, Art. 9 PAG. Der Unterschied liegt darin, dass in Art. 9 PAG kein entgegenstehender Wille vorliegt.<br>
Beispiel 1: Die Polizei vermutet Schlimmes hinter der Tür des A. Daher klopft sie an diese Tür und ruft: „Machen Sie die Tür auf oder wir treten sie ein!“ A hört dies, unternimmt jedoch nichts. Sodann wird die Tür eingetreten. Dies ist ein mehraktiges Vollstreckungsverfahren, denn die Aufforderung, die Tür zu öffnen, begründet eine Pflicht des Türöffnens und stellt daher einen Verwaltungsakt dar. Dieser ist zudem wirksam, da er bekannt gegeben wurde.<br>
Beispiel 2: Wie oben, nur dass die Tür sofort eingetreten wird. Dies wäre eine Handlung im einaktigen Vollstreckungsverfahren, da kein wirksamer Grundverwaltungsakt erlassen, sondern gleich die Vollstreckung vorgenommen wurde.<br>
Beispiel 3: Wie oben. Insbesondere erfolgt die Ankündigung: „Machen Sie die Tür auf oder wir treten sie ein!“ A liegt allerdings bewusstlos vor seinem Fernseher. Sodann wird die Tür eingetreten. Wiederum liegt ein einaktiges Vollstreckungsverfahren vor. Zwar ist ein Grundverwaltungsakt gegeben, dieser ist jedoch mangels Bekanntgabe nicht wirksam.</p>


Vollstreckungsverfahren

<h2 id="aufbau-der-prüfung---mehraktiges-vollstreckungsverfahren-art.-70-i-pag">Aufbau der Prüfung - Mehraktiges Vollstreckungsverfahren, Art. 70 I PAG</h2>
<p>Ein mehraktiges Vollstreckungsverfahren ist in Art. 70 I PAG geregelt. Beispiel: A wird Adressat einer Abrissverfügung. A reißt sein Haus nicht ab. Zur Durchführung der Abrissverfügung kann die Behörde das Haus für den A abreißen lassen. Dies wäre ein mehraktiges Vollstreckungsverfahren. Ein mehraktiges Vollstreckungsverfahren wird in der Rechtmäßigkeit dreistufig geprüft: Ermächtigungsgrundlage, formelle und materielle Rechtmäßigkeit.</p>
<h3 id="i.-ermächtigungsgrundlage-art.-70-i-pag-art.-29-i-bayvwzvg">I. Ermächtigungsgrundlage: Art. 70 I PAG/ Art. 29 I BayVwZVG</h3>
<p>Die Ermächtigungsgrundlage für eine Vollstreckungsmaßnahme im mehraktigen Vollstreckungsverfahren ist Art. 70 I PAG. Bevor auf ein mehraktiges Vollstreckungsverfahren zurückgegriffen wird, muss vorerst geprüft werden, ob nicht etwa Standardmaßnahmen greifen, vgl. Art. 12 ff. PAG. An dieser Stelle kann sich das Problem der Abschleppfälle stellen. Wird ein Fahrzeug aus dem Halteverbot abgeschleppt, stellt sich insbesondere die Frage, ob es sich hierbei um eine Sicherstellung handelt oder ein mehraktiges Vollstreckungsverfahren vorliegt.</p>
<h3 id="ii.-formelle-rechtmäßigkeit">II. Formelle Rechtmäßigkeit</h3>
<p>Ein mehraktiges Vollstreckungsverfahren setzt im Rahmen der formellen Rechtmäßigkeit die Einhaltung von Zuständigkeit, Verfahren und Form voraus.</p>
<h3 id="zuständigkeit">1. Zuständigkeit</h3>
<p>Im Rahmen der Zuständigkeit folgt ein mehraktiges Vollstreckungsverfahren dem Grundsatz der Selbstvollstreckung. Dies bedeutet, dass die Behörde, die den Grundverwaltungsakt erlassen hat, auch für dessen Vollstreckung zuständig ist.</p>
<h3 id="verfahren">2. Verfahren</h3>
<p>Im Bereich des Verfahrens wird üblicherweise die Anhörung geprüft. Liegt jedoch ein mehraktiges Vollstreckungsverfahren vor, bedarf es niemals einer Anhörung. Denn sollte die Vollstreckungsmaßnahme überhaupt einen Verwaltungsakt darstellen, griffe zumindest die Ausnahmevorschrift des § 28 II Nr. 5 VwVfG, wonach bei Maßnahmen in der Vollstreckung das Erfordernis der Anhörung entfällt.</p>
<h3 id="form">3. Form</h3>
<p>Auch ein mehraktiges Vollstreckungsverfahren folgt dem Grundsatz der Formfreiheit, weil entweder ein mehraktiges Vollstreckungsverfahren als Vollstreckungsmaßnahme lediglich einen Realakt darstellt oder der Grundsatz der Formfreiheit nach § 37 II VwVfG auch für Verwaltungsakte gilt.</p>
<h3 id="iii.-materielle-rechtmäßigkeit">III. Materielle Rechtmäßigkeit</h3>
<h3 id="vorliegen-der-vollstreckungsvoraussetzungen">1. Vorliegen der Vollstreckungsvoraussetzungen</h3>
<p>Im Rahmen der materiellen Rechtmäßigkeit ist das Vorliegen der Vollstreckungsvoraussetzungen zu prüfen.</p>
<h3 id="a-grundverwaltungsakt-hdu">a) Grundverwaltungsakt (HDU)</h3>
<p>Ein mehraktiges Vollstreckungsverfahren setzt danach zunächst einen Grundverwaltungsakt voraus, mithin eine Verfügung, die auf ein Handeln, Dulden oder Unterlassen, gerichtet ist. Auch ein Verkehrszeichen ist ein Grundverwaltungsakt in Gestalt einer Allgemeinverfügung. In den Abschleppfällen liegt somit typischerweise ein mehraktiges Vollstreckungsverfahren vor.</p>
<h3 id="b-wirksamkeit">b) Wirksamkeit</h3>
<p>Weiterhin verlangt ein mehraktiges Vollstreckungsverfahren, dass der Grundverwaltungsakt auch wirksam ist. Dieser wird nach den allgemeinen Regeln mit Bekanntgabe wirksam. Bei Verkehrszeichen gilt der straßenverkehrsrechtliche Bekanntgabebegriff. Ein Verkehrszeichen wird mit Aufstellen gegenüber jedermann wirksam, wenn das Verkehrszeichen zur Kenntnis genommen werden kann. Beispiel: A fährt in den Urlaub und stellt vorher sein Fahrzeug verkehrsgerecht vor seinem Haus ab. Kurz nach der Abreise wird ein mobiles Halteverbotsschild aufgestellt: „In drei Tagen Halteverbot. Bauarbeiten.“ Nach drei Tagen wird das Fahrzeug des A abgeschleppt. Er wird daraufhin Adressat eines Kostenbescheides. Das Verkehrszeichen wurde mit dessen Aufstellen wirksam.</p>
<h3 id="c-vollstreckbarkeit">c) Vollstreckbarkeit</h3>
<p>Ferner fordert ein mehraktiges Vollstreckungsverfahren die Vollstreckbarkeit des Grundverwaltungsaktes. Dies ist beispielsweise bei Unanfechtbarkeit gegeben. Fall: A wird Adressat einer Abrissverfügung. Er unternimmt einen Monat lang nichts. Danach ist die Widerspruchsfrist verstrichen und der Verwaltungsakt ist unanfechtbar. Die Behörde kann daher das Haus abreißen lassen. Weiterhin liegt Vollstreckbarkeit auch dann vor, wenn ein Rechtsbehelf keine aufschiebende Wirkung besteht. Beispiel: Wie oben. Allerdings ordnet die Behörde die sofortige Vollziehung an. Diese nimmt dem Widerspruch des A die aufschiebende Wirkung. Mithin kann sofort vollzogen werden. Beispielsfall: Vor dem Haus des A wird ein mobiles Halteverbotsschild aufgestellt. Fraglich ist, ab wann aus diesem Verkehrszeichen vollstreckt werden darf. Nach § 80 II Nr. 2 VwGO analog gilt, dass in diesen Fällen sofort vollstreckt werden darf. Dies folgt aus der Funktionsgleichheit zwischen den Anordnungen eines Polizeivollzugsbeamten und dem Regelgehalt eines Verkehrszeichens („Blechpolizist“).</p>
<h3 id="d-rechtmäßigkeit-des-grundverwaltungsaktes">d) Rechtmäßigkeit des Grundverwaltungsaktes</h3>
<p>Fraglich ist, ob ein mehraktiges Vollstreckungsverfahren auch die Rechtmäßigkeit des Grundverwaltungsaktes voraussetzt. Dies wird in einem gesonderten Exkurs erläutert. Beispielsfall: A wird Adressat einer rechtswidrigen Abrissverfügung. Fraglich ist, ob in rechtmäßiger Weise abgerissen werden kann, wenn die zugrunde liegende Abrissverfügung ihrerseits rechtswidrig ist.</p>
<h3 id="vollstreckungspflichtigkeit">2. Vollstreckungspflichtigkeit</h3>
<p>Ferner verlangt ein mehraktiges Vollstreckungsverfahren die Vollstreckungspflichtigkeit. Danach ist derjenige vollstreckungspflichtig, der Adressat des Grundverwaltungsaktes geworden ist.</p>
<h3 id="ordnungsgemäße-durchführung">3. Ordnungsgemäße Durchführung</h3>
<p>Zuletzt ist die ordnungsgemäße Durchführung der Vollstreckungsmaßnahme zu prüfen.</p>
<h3 id="a-zulässiges-zwangsmittel-art.-71-pag">a) Zulässiges Zwangsmittel, Art. 71 PAG</h3>
<p>Dies erfordert zunächst ein zulässiges Zwangsmittel i.S.d. Art. 71 PAG bzw. Art. 29 II BayVwZVG. Hier sind die Ersatzvornahme, das Zwangsgeld und der unmittelbare Zwang geregelt.</p>
<h3 id="b-androhung-art.-76-pag">b) Androhung, Art. 76 PAG</h3>
<p>Weiterhin verlangt ein mehraktiges Vollstreckungsverfahren grundsätzlich auch die Androhung des Zwangsmittels vor Durchführung der Vollstreckungsmaßnahme, vgl. Art. 76 PAG. Die Androhung kann einerseits dazu führen, dass der Betroffene die angedrohte Maßnahme selbst vornimmt oder andererseits einer Vollstreckung durch die Behörde gefasst entgegen blicken kann. Von dem Androhungserfordernis kann jedoch in bestimmten Fällen abgewichen werden, vgl. Art. 76 I 3 PAG.  Beispiel: Die Polizei vermutet Schlimmes hinter der Tür des A. Daher klopft sie an dessen Tür und ruft: „Machen Sie die Tür auf!“ A öffnet die Tür nicht, sondern will durch ein Fenster fliehen. Die Polizisten treten die Tür, nachdem sie Fluchtgeräusche vernommen haben, ein. Zwar liegt ein Grundverwaltungsakt vor. Danach überschlugen sich jedoch die Ereignisse, sodass von der Androhung nach Art. 76 I 3 PAG abgesehen werden konnte. Auch im Rahmen der Abschleppfälle fehlt es typischerweise an einer Androhung. Der Behörde ist es regelmäßig jedoch nicht zumutbar, lange nach dem Fahrzeugführer zu suchen. Nur wenn es zuverlässige Anhaltspunkte über den Verbleib und die baldige Rückkehr des Fahrzeugführers gibt, ist eine Androhung erforderlich.</p>
<h3 id="c-festsetzung-art.-73-pag">c) Festsetzung, Art. 73 PAG</h3>
<p>Auch ist gegebenenfalls die Festsetzung für das Zwangsmittel in Art. 73 PAG bzw. Art. 31 BayVwVZG zu berücksichtigen.</p>
<h3 id="d-verhältnismäßigkeit">d) Verhältnismäßigkeit</h3>
<p>Zuletzt muss die Vollstreckungsmaßnahme dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit folgen.</p>



Art. 70 I PAG

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