Fall: Gorleben, der Dauerbrenner

Nachdem sich herausgestellt hatte, dass das ehemalige Salzbergwerk Asse, in dem zwischen 1965 und 1978 großtechnisch die Endlagerung radioaktiver Abfälle erprobt und praktiziert wurde, nicht für eine längerfristige Lagerung geeignet ist, sah sich der Umweltpolitiker U in seinen erheblichen Zweifel an der Eignung des Salzbergwerks Gorleben als Endlager bestätigt. Dies insbesondere, weil sich in der Schachtanlage Asse gezeigt hatte, dass eindringendes Wasser in Verbindung mit dem Salz zu einer ätzenden Lauge führt, die die Stahlfässer in denen die radioaktiven Abfälle gelagert sind, zersetzt und so unweigerlich zu einem allmählichen Austritt der Radioaktivität aus dem Bergwerk und zu einem Diffundieren der dann radioaktiven Lauge ins Grundwassersystem führt.
Demgegenüber geht das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktor-sicherheit (BMU) bezüglich Gorleben davon aus, dass insoweit keine solche Gefahr an diesem Standort bestehe. Das BMU berief sich bezüglich dieser Feststellungen auf ein jüngst von der Reaktor-Sicherheitskommission (RSK) erstelltes Gutachten, das zu dem Ergebnis gekommen war, dass gegen eine Endlagerung in Gorleben keine Bedenken bestünden. Der Bund beabsichtigt nunmehr, angesichts der wieder erstarkten Proteste gegen ein Endlager in Gorleben, dort kurzfristig „Nägel mit Köpfen“ zu machen. Ihm gelang zunächst, die Landesregierung des Landes N zu einer letztlich erfolgreichen Durchführung eines Planfeststellungsverfahrens nach § 9b Atomgesetz (AtG) zu veranlassen. In der Folge kann es dann, auf Antrag des Anlagenbetreibers, bereits zu 5 von insgesamt 7 rechtskräftig erteilten Teilbaugenehmigungen für das Endlager Gorleben.
Durch einen Regierungsskandal bisher ungekannten Ausmaßes wechselte vor der Genehmigung des 6. Teilabschnitts aber die Regierung im Land N, wodurch U Umweltminister in N wurde. U lehnte als erste Amtshandlung die Teilbaugenehmigung 6/7, die das Sicherheitskonzept der Anlage betrifft, ab. Als Begründung dafür trug er vor, vor der Genehmigung des Abschnitts 6/7 sei aufgrund der desaströsen Erfahrungen mit dem Salzbergwerk Asse zunächst das Sicherheitskonzept erneut zu überprüfen und bewerten zu lassen; es sei daher insoweit erst ein umfängliches Fachgutachten einzuholen.
Der zuständige Bundesumweltminister brachte daraufhin dem U gegenüber zum Ausdruck, dass er mit diesem Vorgehen nicht einverstanden sei. Er stützte sich das von der RSK erstellte Gutachten, das zu dem Ergebnis gekommen war, dass zwischen den Salzstöcken Asse und Gorleben keine vergleichbare Gefährdungslage gegeben sei und dass gegen eine Endlagerung in Gorleben zum derzeitigen Stand von Wissenschaft und Technik keinerlei Bedenken bestünden.
Da ein diesbezüglicher umfangreicher Schriftwechsel zwischen dem BMU und dem U die Sache nicht voran brachte, bat der der Bundesminister den U schließlich mit Schreiben vom Juli 2014 davon auszugehen, dass das insoweit erforderliche vorläufige positive Gesamturteil vorliege. In einem darauf folgenden Ministergespräch erklärte der U, unter nochmaliger Darlegung seiner Bedenken, dass er beabsichtige, bei seiner Entscheidung zu bleiben. Der Bundesminister wies daraufhin auf die Möglichkeit einer Weisung nach Art. 85 III GG hin. Ein insoweit nochmals erfolgter Meinungsaustausch brachte in der Sache keinen Fortschritt und der U beharrte schließlich auf seiner Auffassung, dass die Entscheidung über den Erlass der weiteren Teilbaugenehmigung einer objektiven Prüfung durch die Genehmigungsbehörde unterliege. Daraufhin erteilte ihm der Bundesminister Ende August 2014 schriftlich die folgende Weisung:

Weisung:
Gemäß Artikel 85 Abs. 3 des Grundgesetzes weise ich Sie an, 1. vom Vorliegen eines vorläufigen positiven Gesamturteils bzgl. der Teilbaugenehmigung 6/7 auszugehen,
2. vom Vorliegen eines berechtigten Interesses § 18 AtVfV bzgl. der Erteilung der Teilbaugenehmigung 6/7 auszugehen,
3. Bindungswirkung und Bestandsschutz der bereits erteilten Teilgenehmigungen:
Aufgrund der Vorkommnisse in dem Salzbergwerk Asse ist eine Änderung der Bewertungsmaßstäbe für das Endlager Gorleben nicht angezeigt. Es besteht kein Anlass, die sicherheitstechnischen Grundpositionen des atomrechtlichen Genehmigungsverfahrens in Frage zu stellen. Die RSK hat die Vorkommnisse im Salzbergwerk Asse im Hinblick auf seine Bedeutung für das Endlager Gorleben bewertet und als Ergebnis festgestellt: „Der Salzstock in Gorleben ist hinsichtlich des Gefährdungspotentials nicht mit demjenigen des Salzbergwerks Asse vergleichbar. Es lässt sich klar feststellen, dass zum gegenwärtigen Stand von Wissenschaft und Technik keine Gefahren für Mensch und Umwelt von einer Endlagerung in Gorleben ausgehen.“ Dieser Bewertung schließe ich mich vollumfänglich an. Von der Einholung des Ihrerseits beabsichtigten Sachverständigengutachtens für Untersuchungen anlässlich der Vorkommnisse im Salzbergwerk Asse ist demgemäß Abstand zu nehmen.
4. Meine Auffassungen zum vorläufigen positiven Gesamturteil und zum berechtigten Interesse nach § 18 AtVfV sowie zur Bindungswirkung und zum Bestandsschutz sind dem atomrechtlichen Genehmigungsverfahren für das Endlager Gorleben zugrunde zu legen. Die Umsetzung dieser Auffassungen bitte ich unverzüglich vorzunehmen.
Die Landesregierung des Landes N war mit dieser Weisung nicht einverstanden und machte daraufhin ein Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht anhängig. Sie beantragte, festzustellen, dass der Bund durch die Weisung des Bundesministers für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit vom August 2014 an den Umweltminister des Landes N gegen Art. 2 II, 20 I, III, 30, 85 GG sowie Grundsatz des bundesfreundlichen Verhaltens verstoßen und dadurch die Rechte des Landes verletzt hat.

Das Land N trägt zum Verfahren vor, dass die Weisung rechtswidrig sei. Sie lasse sich nicht mit dem Hinweis auf die Bindungswirkung der bereits enthalten Teilgenehmigung und dem hierdurch garantierten Bestandschutz rechtfertigen. Dieser entfalle nämlich, wenn infolge einer Änderung der Sach- und Rechtslage an die noch nicht genehmigten Anlagenteile neue Anforderungen zu stellen sind, was hier aufgrund der durch die Vorkommnisse im Salzbergwerk Asse erhellten Zusammenhänge der Fall sei bzw. jedenfalls noch näher zu untersuchen sei. Daher verstoße die Anweisung gegen § 7 II AtG.
Ferner habe der Bundesminister mit seiner Weisung nicht nur gegen seine aus Art. 2 II GG folgende Schutzpflicht verstoßen. Vielmehr zwinge er auch das Land N zu einer Verletzung der diesem insoweit ebenfalls obliegenden Schutzpflicht. Wegen der dargelegten Fehlerhaftigkeit verletze die Weisung das Land auch in seiner Kompetenz aus Art. 85 GG. Es sei Sache der Länder, die Bundesgesetze in staatlicher Eigenverantwortlichkeit auszuführen. Dies habe der Bund, wolle er von seiner Weisungsbefugnis nach Art. 85 III GG Gebrauch machen, zu beachten. Demgemäß dürfe er seine Weisungsbefugnis nur ausüben, um ein gesetzmäßiges und zweckmäßiges Verwaltungshandeln des Landes im Bereich der Auftragsverwaltung sicherzustellen. Daher verletzten rechtswidrige Weisungen das Land in seiner Verwaltungskompetenz. Überdies lasse es sich mit dem Grundsatz der Bundestreue nicht vereinbaren, dass sich der Bundesminister über im einzelnen substantiierte Bedenken des Landesministers ohne sachliche Stellungnahme und nachvollziehbare Begründung hinweggesetzt habe.

Wird der fristgerecht gestellte Antrag der Landesregierung vor dem Bundesverfassungsgericht Erfolg haben?

Anmerkung: Auf § 18 AtVfV und Vorschriften aus dem AtG kommt es für die Lösung nicht an.


Der Antrag des Landes N wird Erfolg haben, wenn er zulässig und begründet ist.

A. Zulässigkeit
Der Antrag müsste zunächst zulässig sein.

I. Zuständigkeit des Bundesverfassungsgerichts
Zuständigkeit des Bundesverfassungsgerichts für das Bund-Länder-Streitverfahren folgt aus Art. 93 I Nr. 3 GG i.V.m. §§ 13 Nr. 7, 68 ff. BVerfGG.

II. Parteifähigkeit
Die Parteien des Rechtsstreits müssten parteifähig sein. Nach Art. 93 I Nr. 3 GG i.V.m. § 68 BVerfGG können Antragsteller und Antragsgegner für den Bund die Bundesregierung und für ein Land die Landesregierung sein. Antragsteller ist hier die Landesregierung des Landes N für dasselbe. Antragsgegner ist die Bundesregierung für den Bund. Die Voraussetzungen des § 68 BVerfGG sind damit erfüllt, die Parteifähigkeit mithin gegeben.

III. Streitgegenstand
Der Antrag der Landesregierung müsste auch einen zulässigen Streitgegenstand betreffen. Nach Art. 93 I Nr. 3 GG ist Streitgegenstand eine konkrete Meinungsverschiedenheit über Rechte und Pflichten des Bundes und der Länder, insbesondere bei der Ausführung von Bundesrecht durch die Länder und bei der Ausübung der Bundesaufsicht. Die insoweit geltend gemachten Rechte und Pflichten müssen zwischen den Parteien bestehen und in der Verfassung begründet sein (keine Rüge der Verletzung einfachgesetzlicher Vorschriften). Auch kommt ein Berufen auf die Grundrechte nicht in Betracht. Vorliegend beruft sich die Landesregierung insbesondere auf eine Verletzung ihrer Kompetenz aus Art. 85 GG, auf einen Verstoß gegen den Grundsatz der Bundestreue sowie auf eine Grundrechtsverletzung im Hinblick auf eine aus Art. 2 II GG folgende Schutzpflicht des Landes. Alle geltend gemachten Verstöße betreffen in der Verfassung begründete Rechte und Pflichten hinsichtlich derer zwischen den Parteien des Rechtsstreits Meinungsverschiedenheiten bestehen. Sie sind, mit Ausnahme der geltend gemachten Grundrechtsverletzung des Art. 2 II GG, taugliche Streitgegenstände.

IV. Antragsbefugnis
Der Antragsteller, hier die Landesregierung für das Land N, müsste ferner antragsbefugt sein. Die Antragsbefugnis richtet sich nach § 69, 64 I BVerfGG. Danach ist der Antrag nur zulässig, wenn der Antragsteller geltend macht, dass er oder das Organ, dem er angehört, durch eine Maßnahme oder Unterlassung des Antragsgegners in seinen ihm durch das Grundgesetz übertragenen Rechten und Pflichten verletzt oder unmittelbar gefährdet ist. Hier macht der Antragsteller geltend, durch die Weisung des Bundesministers in ihrer Kompetenz aus Art. 85 GG verletzt zu sein. Damit ist er auch antragsbefugt.

V. Form, Frist, Vorverfahren
Der Antrag der Landesregierung des Landes N müsste formgerecht gestellt worden sein. Voraussetzung ergeben sich aus § 23 BVerfGG. Nach § 64 II BVerfGG ist im Antrag die Bestimmung des Grundgesetzes zu bezeichnen, gegen die durch die beanstandete Maßnahme oder Unterlassung des Antragsgegners verstoßen wird. Mangels gegenteiliger Angaben im Sachverhalt bestehen insoweit keine Bedenken.
Der Antrag müsste darüber hinaus auch fristgerecht gestellt worden sein. Nach § 64 III BVerfGG muss der Antrag binnen sechs Monaten, nachdem die beanstandete Maßnahme oder Unterlassung dem Antragsteller bekannt geworden ist, gestellt werden. Dies ist hier, sachverhaltlich vorgegeben, der Fall.
Eines Vorverfahrens bedarf es nur in dem hier nicht vorliegenden Sonderfall des Art. 84 IV GG.

VI. Allgemeines Rechtsschutzbedürfnis
Der Antragsteller müsste auch ein allgemeines Rechtsschutzbedürfnis haben. Dafür dürfte keine einfachere Möglichkeit Rechtsschutz zu erlangen gegeben sein. In Betracht käme hier, dass die Landesregierung Anfechtungsklage gegen die Weisung vor dem Bundesverwaltungsgericht erhebt, um auf diesem Wege Rechtsschutz zu erlangen. Insoweit ist aber zu beachten, dass Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ein Streit verfassungsrechtlicher und nicht bloß verwaltungsrechtlicher Natur ist. Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist insbesondere die Rechtmäßigkeit einer Weisung nach Art. 85 III GG. Umfang und Grenzen der Verbindlichkeit einer Weisung nach Art. 85 III GG folgen unmittelbar aus den kompetentiellen Rechten, die das Grundgesetz Bund und Ländern zuweist. Die Verletzung dieser Rechte kann nur im Bund-Länder-Streit vor dem Bundesverfassungsgericht geltend gemacht werden, so dass ein Vorgehen über eine Anfechtungsklage vor dem Bundesverwaltungsgericht im vorliegenden Fall nicht in gleicher Weise Rechtsschutz gewährt. Daher ist auch das allgemeine Rechtsschutzbedürfnis gegeben.

Der Antrag ist zulässig.

B. Begründetheit
Der Antrag im Bund-Länder-Streitverfahren ist begründet, wenn das gerügte Verhalten des Antragsgegners den Antragsteller in seinen in seinen ihm durch das Grundgesetz übertragenen Rechten und Pflichten verletzt oder unmittelbar gefährdet, Art. 93 I Nr. 3 GG i.V.m. §§ 64 I, 67 BVerfGG. Hier wendet sich die Landesregierung des Landes N gegen die Weisung des Bundesministers nach Art. 85 III GG. Dazu müsste dem Bundesminister eine Weisungskompetenz zukommen (I.) und die Weisung dürfte den Antragsteller nicht in seinen ihm durch das Grundgesetz übertragenen Rechten und Pflichten verletzen (II.).

I. Weisungskompetenz aus Bundesauftragsverwaltung
Die Zulässigkeit einer Weisung nach Art. 85 III GG setzt voraus, dass Landesbehörden Bundesgesetze im Auftrag des Bundes ausführen (sog. Auftragsverwaltung). Gemäß Art. 83 GG ist die Ausführung der Bundesgesetze Sache der Länder, soweit nicht das Grundgesetz etwas anderes bestimmt oder zulässt. Die Länder führen hierbei die Bundesgesetze als eigene Angelegenheit aus, vgl. Art. 83, 84 GG. Dabei kommt dem Bund als Kontrollbefugnis nur eine Rechtsaufsicht zu und Weisungsrechte können nur für besondere Fälle durch eigene bundesgesetzliche Regelung begründet werden, vgl. Art. 84 V GG.
Daneben sieht das Grundgesetz für bestimmte Bereiche eine Ausführung "im Auftrage des Bundes" vor, vgl. Art. 85 I GG. Insoweit ist die Eigenständigkeit des Landes bei der Auftragsverwaltung aber deutlich begrenzt, denn im Gegensatz zur landeseigenen Ausführung der Bundesgesetze, erstreckt sich die Aufsicht des Bundes auf Gesetzmäßigkeit und Zweckmäßigkeit der Gesetzesausführung. Dabei kann die Bundesregierung zu diesem Zwecke jederzeit Bericht und Vorlage der Akten verlangen sowie Beauftragte zu allen Behörden entsenden, vgl. Art. 85 IV GG. Insbesondere aber unterstehen die Landesbehörden von vornherein den Weisungen der zuständigen obersten Bundesbehörden, vgl. Art. 85 III GG.
Hier bezieht sich die Weisung auf ein atomrechtliches Genehmigungsverfahren nach § 7 AtG i.V.m. der Atomrechtlichen Verfahrensverordnung (AtVfV) und betrifft damit gemäß Art. 87c GG i.V.m. § 24 I AtG Bundesrecht, das von den Ländern im Auftrag des Bundes ausgeführt wird. Es liegt damit ein Fall der Bundesauftragsverwaltung vor, so dass hier grundsätzlich eine Weisung nach Art. 85 III GG durch den Bundesminister in Betracht kommt.

Anm.: Im Falle der Bundesauftragsverwaltung ist die Verwaltungskompetenz des Landes schon nach der ursprünglichen Zuweisung eingeschränkt. Zwar steht dem Land die sog. Wahrnehmungskompetenz (das Handeln und die Verantwortlichkeit nach außen) unentziehbar zu.
Anders liegt dies aber für die sog. Sachkompetenz. Auch sie liegt zwar zunächst beim Land, der Bund kann sie aber, indem er das ihm zuerkannte Weisungsrecht in Anspruch nimmt, nach eigener Entscheidung an sich ziehen. Diese Inanspruchnahme ist nicht auf Ausnahmefälle begrenzt und auch nicht weiter rechtfertigungsbedürftig. Damit steht die Sachkompetenz dem Lande von vornherein nur unter dem Vorbehalt ihrer Inanspruchnahme durch den Bund zu (vgl. BVerfGE 81, 310).

II. Rechtsverletzung
Die Weisung könnte den Antragsteller in seinen Rechten verletzen.
Da die Sachkompetenz dem Lande von vornherein nur unter dem Vorbehalt ihrer Inanspruchnahme durch den Bund zusteht, können die Länder durch eine Weisung des Bundes nur dann in ihrem Recht auf Wahrnehmung der eigenen Kompetenz verletzt sein, wenn gerade die Inanspruchnahme der Weisungsbefugnis - sei es als solche (3.a.) oder in ihren Modalitäten (3.b. und c.) - gegen die Verfassung verstößt.

1. Keine Rechtsverletzung durch rechtswidrige Weisung
Die Landesregierung des Landes N beruft sich auf die Rechtswidrigkeit der Weisung. Fraglich ist, ob darin eine Rechtsverletzung ihr gegenüber bestehen kann. Insoweit ist festzustellen, dass im Falle der Bundesauftragsverwaltung bei einer Weisung nicht in eine eigene Sachkompetenz der Länder eingegriffen wird. Vielmehr fehlt es an einer solchen (verbliebenen) Sachkompetenz gerade, wenn der Bund seine Weisungsbefugnis berechtigterweise in Anspruch genommen hat. Die dem Land in einem solchen Falle verbleibende Wahrnehmungskompetenz begründet keine entgegenstehende Rechtsposition, denn sie wird von einer rechtswidrigen Weisung nicht betroffen. Dass das Land eine Weisung, deren Inhalt es für rechtswidrig hält, ausführen muss und für den nach außen wirkenden Weisungsvollzug insoweit einzustehen hat, als es selbst als Beklagter gerichtlich in Anspruch zu nehmen ist, ist nur die Folge des Auseinanderfallens von Wahrnehmungs- und Sachkompetenz, begründet darüber hinaus aber keine eigene Verantwortung des Landes für die nach Weisung getroffene Sachentscheidung: Die parlamentarische Verantwortlichkeit hierfür liegt beim zuständigen Bundesminister; die Pflicht, die finanziellen Lasten hieraus letztendlich zu tragen, trifft den Bund, vgl. Art. 104a II, V 1 GG (vgl. BVerfGE 81, 310). Damit kann die inhaltliche Rechtswidrigkeit einer Weisung nicht zur einer Rechtsverletzung des Antragstellers führen.
Eine Grenze alleiniger Gemeinwohlverantwortlichkeit des Bundes ergibt sich allerdings in dem äußersten Fall, dass eine zuständige oberste Bundesbehörde unter grober Missachtung der ihr obliegenden Obhutspflicht zu einem Tun oder Unterlassen anweist, welches im Hinblick auf die damit einhergehende allgemeine Gefährdung oder Verletzung bedeutender Rechtsgüter schlechterdings nicht verantwortet werden kann (vgl. BVerfGE 81, 310). Dies ist hier aber nicht der Fall, da der Bund in seiner Einschätzung sich im Rahmen der fachkundigen Einschätzung der Reaktor-sicherheitskommission bzgl. des Gefahrpotentials hält, die eine Gefährdung für Mensch und Umwelt für nicht gegeben ansieht, so dass eine grobe Missachtung der Obhutspflicht durch den Bund nicht gegeben ist.
Daher kann die Landesregierung des Landes N hier nicht geltend machen, der Bund übe seine im Einklang mit der Verfassung in Anspruch genommene Weisungsbefugnis inhaltlich rechtswidrig aus. Insbesondere kann sie sich damit - anders als sie meint - nicht darauf berufen, dass die angegriffene Weisung mit § 7 II AtG oder den Vorschriften der AtVfV unvereinbar sei, sie die Grenzen der Bindungswirkung erteilter Teilgenehmigungen falsch bestimme oder ihr eine fehlerhafte Vorstellung vom Inhalt des vorläufigen positiven Gesamturteils zugrunde liege.

2. Keine Rechtsverletzung durch Grundrechtsverletzung
Die Landesregierung des Landes N beruft sich ferner auf eine Grundrechtsverletzung, die daraus resultieren soll, dass der Bundesminister mit seiner Weisung nicht nur gegen seine aus Art. 2 II GG folgende Schutzpflicht verstoßen habe, sondern darüber auch das Land N zu einer Verletzung der diesem insoweit ebenfalls obliegenden Schutzpflicht zwinge. Insoweit ist festzustellen, dass ein Land kraft seiner Kompetenz vom Bund nur die Achtung solcher Verfassungsnormen verlangen kann, die auch eine rechtliche Beziehung zwischen Bundesgewalt und Landesgewalten herstellen. Die Länder sind aber nicht Träger von Grundrechten. Sie haben damit dem Bund gegenüber kein einforderbares Recht, dass dieser einen Verstoß gegen Grundrechtsbestimmungen unterlässt (vgl. BVerfGE 81, 310). Damit kann sich die Landesregierung des Landes N auch nicht mit Erfolg auf eine ihrerseitige Rechtsverletzung wegen einer Grundrechtsverletzung berufen. Daher kann sie hier auch nicht geltend machen, die Weisung behindere sie in der Wahrnehmung ihrer grundrechtlichen Schutzpflicht aus Art. 2 II GG, denn die Wahrnehmung dieser Pflicht und die Verantwortung für ihre Erfüllung obliegen, wie bereits dargelegt, allein dem Bund, sofern und soweit er - wie hier - durch eine Weisung seine Sachkompetenz in Anspruch genommen hat.

Anm.: Dieser Prüfungspunkt wurde hier aus didaktischen Gesichtspunkten aufgenommen, um das diesbezügliche Vorbringen der Landesregierung des Landes N inhaltlich zu würdigen. Dass eine Grundrechtsverletzung im Rahmen eines Bund-Länder-Streits kein tauglicher Streitgegenstand ist, wurde bereits unter A. III. festgestellt, so dass es damit bezüglich dieses Punktes auch sein Bewenden hätte haben können.

3. Rechtmäßige Inanspruchnahme der Weisungskompetenz
Die Inanspruchnahme der Weisungskompetenz müsste auch rechtmäßig gewesen sein. Ob dies der Fall ist, ist nach Art. 85 Abs. 3 GG in Verbindung mit dem Grundsatz des bundesfreundlichen Verhaltens zu beurteilen.

a) Gegenstand der Weisung
Die Weisung müsste zunächst einen zulässigen Gegenstand haben. Nach Art. 85 III GG kann sich die Weisung auf jede Gesetzesmaterie beziehen, die vom Land in Auftragsverwaltung auszuführen ist. Gegenstand der Weisung kann dabei sowohl eine nach außen hin zutreffende verfahrensabschließende Entscheidung wie auch das ihrer Vorbereitung dienende Verwaltungshandeln sein. Solche Weisungen können auch auf Art und Umfang der Sachverhaltsermittlung und -beurteilung gerichtet sein. Hiergegen lässt sich vom Antragsteller nicht einwenden, eine die Sachverhaltsermittlung betreffende Weisung verhindere insoweit ein eigenes verantwortbares Urteil der Landesbehörde, denn die Verantwortung für die erteilte Weisung liegt auch in diesem Falle beim Bund und schließt damit ein Recht des Landes, welches der Beurteilungskompetenz des Bundes entgegengesetzt werden könnte, aus. Inhalt einer Weisung kann ferner die Festlegung auf eine bestimmte Gesetzesauslegung sein (vgl. BVerfGE 81, 310).
Hier bezieht sich die Weisung auf die Handhabung des Atomrechts, namentlich das Atomgesetz und die AtVfV, dessenbezüglich das Land N in Bundesauftragsverwaltung handelt (s.o.), so dass insoweit keine Bedenken gegen die Zulässigkeit der Weisung bestehen.
Die Weisung hat auch inhaltlich den solchermaßen erforderlichen verfahrensleitenden Inhalt, denn sie gibt für die Durchführung des Genehmigungsverfahrens dem Landesminister bestimmte Rechtsauffassungen zum Bestandsschutz bereits erteilter Teilgenehmigungen und zur Bindungswirkung des vorläufigen positiven Gesamturteils zur Beachtung auf. Sie untersagt demgemäß auch, die bisherigen Bewertungsmaßstäbe und das bisherige Sicherheitskonzept für das Endlager Gorleben unter dem Blickwinkel der Vorkommnisse im Salzbergewerk Asse durch die Einholung eines Sachverständigengutachtens in Frage zu stellen und damit von der Stellungnahme der RSK - und damit auch der Rechtsauffassung des Bundesministers - abzuweichen. Der Gegenstand der vorliegenden Weisung begegnet damit im Hinblick auf Art. 85 III GG keinen Bedenken.

b) Weisungsklarheit
Die rechtmäßige Inanspruchnahme der Weisungskompetenz nach Art. 85 III GG stellt an die rechtmäßige Inanspruchnahme der Weisungskompetenz weitere Anforderungen, die sich aus der Funktion der Weisung als Instrument der Verwaltungssteuerung ergeben. Hierzu gehört insbesondere das Gebot der Klarheit der Weisung (sog. Weisungsklarheit). Die angewiesene Behörde muss danach erkennen können, dass ihr gegenüber eine Weisung erteilt worden ist und welche Vorgaben für welches Verwaltungshandeln diese Weisung enthält. Danach hat die Weisung die jeweiligen Verantwortungsbereiche klar voneinander abzugrenzen. Zur Ermittlung des objektiven Sinns der Weisung können auch die vorausgegangenen Kontakte mit der weisunggebenden obersten Bundesbehörde von Bedeutung sein. Das Gebot der Weisungsklarheit steht der Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe und richtunggebender Aussagen aber nicht entgegen (vgl. BVerfGE 81, 310).
Hier verwendet das die Weisung enthaltende Schreiben des Bundesministers ausdrücklich den Ausdruck "Weisung" und bezieht sich dort auch auf Art. 85 III GG. Es war daher für die angewiesene Behörde ohne weiteres erkennbar, dass es sich um eine Weisung handelt. Der Weisung ist auch zu entnehmen, dass sie sich um das atomrechtliche Genehmigungsverfahren bzgl. des Endlagers Gorleben handelt und dass sie diesbezüglich für bestimmte, für die Genehmigung relevante Rechtsbegriffe eine bestimmte Auslegung vorgibt, wie dies etwa bzgl. des berechtigten Interesses im Sinne das § 18 I AtVfV für die beantragte Teilgenehmigung 6/7 der Fall ist. Im übrigen steuert die Weisung die Verwaltung durch offene, nur richtunggebende Aussagen (etwa hinsichtlich der Voraussetzungen des vorläufigen positiven Gesamturteils), was, wie dargelegt, aber dem Gebot der Weisungsklarheit nicht entgegensteht. Damit bestehen bezüglich der vorliegenden Weisung des Bundesministers auch keine Bedenken hinsichtlich des Gebots der Weisungsklarheit.

c) Pflicht zu bundesfreundlichem Verhalten
Der Bund unterliegt bei Ausübung seiner Weisungskompetenz ferner der Pflicht zu bundesfreundlichem Verhalten. Dieser ungeschriebene Verfassungsgrundsatz verlangt, dass sowohl der Bund als auch die Länder bei der Wahrnehmung ihrer Kompetenzen die gebotene und ihnen zumutbare Rücksicht auf das Gesamtinteresse des Bundesstaates und auf die Belange der Länder. Insoweit verstößt der Bund aber gegen die Pflicht zu bundesfreundlichem Verhalten nicht schon dadurch, dass er von einer ihm durch das Grundgesetz eingeräumten Kompetenz Gebrauch macht. Ein Verstoß kommt insoweit vielmehr nur dann in Betracht, wenn die Inanspruchnahme der Kompetenz missbräuchlich ist oder gegen prozedurale Anforderungen verstößt, die aus diesem Grundsatz herzuleiten sind. Welche Anforderungen aus dem Grundsatz bundesfreundlichen Verhaltens konkret abzuleiten sind, kann nur im Einzelfall beurteilt werden. Für den vorliegenden Streitfall geht das Bundesverfassungsgericht davon aus, dass die Pflicht zu gegenseitiger Rücksichtnahme gebietet, dass der Bund grundsätzlich - d.h. außer bei Eilbedürftigkeit - vor Weisungserlass dem Land Gelegenheit zur Stellungnahme gibt und dessen Standpunkt erwägt. Nicht erforderlich ist hingegen, dass der Bund sich um ein Einvernehmen mit dem Land bemühen muss, bevor er eine Weisung erteilt, denn der Grundsatz bundesfreundlichen Verhaltens ändere nichts an der im Grundgesetz festgelegten Kompetenzverteilung (vgl. BVerfGE 81, 310).
Ferner gebiete es das Gebot der Rücksichtnahme, dass der Bund dem Land gegenüber im Streitfall grundsätzlich zu erkennen gibt, dass er den Erlass einer Weisung erwägt. Hingegen gibt es keine Pflicht des Bundes zur Rücksichtnahme auf das Landesinteresse, die Sachentscheidung selbst zu treffen (vgl. BVerfGE 81, 310).
Im vorliegenden Fall hat der Bundesminister frühzeitig seine Rechtsauffassung zum Ausdruck gebracht, aufgrund dessen es zu einem intensiven schriftlichen Austausch zwischen den Ministerien bzw. Ministern und einem entsprechenden Gespräch kam. Hierbei wies der Bundesminister auch nochmals auf seinen Standpunkt und ausdrücklich auch auf die Möglichkeit einer Weisung nach Art. 85 III GG hin. Im Nachgang kam es dann sogar zu einem nochmaligen, erfolglosen Austausch. Nach allem hat der Bundesminister dem U damit hier hinreichend Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben und ihn auch unzweideutig auf die Inbetrachtziehung einer Weisung hingewiesen. Auch ist nicht erkennbar, dass der Bund den vorgetragenen Standpunkt des Landes nicht erwogen hätte. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass der Bund dieser Pflicht vor Erlass einer Weisung nachgekommen ist (vgl. BVerfGE 81, 310). Eine Pflichtverletzung ist daher nur dann in Betracht zu ziehen, wenn hierfür konkrete Anhaltspunkte vorliegen, was hier nicht der Fall ist.
Damit liegt hier auch kein Verstoß des Bundes gegen die Pflicht zu bundesfreundlichem Verhalten vor.

4. Beachtung sonstiger verfassungsrechtlicher Grundsätze
Fraglich ist schließlich, ob die Weisung auch sonstige verfassungsrechtliche Grundsätze beachtet hat bzw., ob sie sie überhaupt zu beachten hatte. In Betracht kommt diesbezüglich etwa der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.
Insoweit ist hier aber zu beachten, dass aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleitete Schranken für Einwirkungen des Staates in den Rechtskreis des Einzelnen im kompetenzrechtlichen Bund-Länder-Verhältnis nicht anwendbar sind. Dies gilt insbesondere auch für den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Ihm kommt eine die individuelle Rechts- und Freiheitssphäre verteidigende Funktion zu. Das damit verbundene Denken in den Kategorien von Freiraum und Eingriff kann weder speziell auf die von einem Konkurrenzverhältnis zwischen Bund und Land bestimmte Sachkompetenz des Landes noch allgemein auf Kompetenzabgrenzungen übertragen werden. Neben der Pflicht zu bundesfreundlichem Verhalten gibt es damit keine Verfassungsgrundsätze, aus denen Schranken für die Kompetenzausübung in dem von Staatlichkeit und Gemeinwohlorientierung bestimmten Bund-Länder-Verhältnis gewonnen werden könnten (vgl. BVerfGE 81, 310).
Somit kommt hier kein Verstoß gegen sonstige Verfassungsgrundsätze in Betracht.

Damit ist hier keine Rechtsverletzung des Antragstellers gegeben, so dass sein Antrag von daher unbegründet ist.

C. Endergebnis
Der Antrag der Landesregierung des Landes N ist zulässig, aber unbegründet. Er hat daher keine Aussicht auf Erfolg.