Fall: Der Sozialpädagoge

Der A ist Sozialpädagoge und seit einem Jahr bei einem privaten Kinderheim angestellt, in dem es noch 12 weitere angestellte Sozialpädagogen gibt. Als gegen den A wegen des Verdachts eines Sexualdelikts ein Ermittlungsverfahren eingeleitet wird, möchte sich die Heimleitung möglichst schnell und „geräuschlos“ von A trennen. Deshalb wendet sich der Heimleiter H an den A, um mit diesem die Möglichkeit eines Aufhebungsvertrages zu besprechen. Der A ist mit dieser Lösung zunächst nicht einverstanden. Als der H dem A allerdings mit einer außerordentlichen Kündigung droht, für den Fall, dass er, der A, den Aufhebungsvertrag nicht sofort unterschreibe, überlegt es sich der A noch einmal und unterschreibt den vorgelegten Aufhebungsvertrag. Später kommen ihm Zweifel: Es habe sich doch nur um einen Verdacht gehandelt und man dürfe einen Mitarbeiter doch nicht so einschüchtern, dass er „freiwillig“ gehe. Gegenüber H äußert er, dass der Aufhebungsvertrag deshalb keinen Bestand haben könne. Der H verweist – inhaltlich zutreffend – darauf, dass der A ja einschlägig vorbestraft sei und er aufgrund des Verdachts nicht mehr mit der Aufsicht von Kindern betreut werden könne.

Frage 1: Ist der A ist der Auffassung, dass das Arbeitsverhältnis weiter bestehe. Zu Recht?

In der Folge wird das Ermittlungsverfahren gegen A nach § 170 II StPO eingestellt, weil sich der Verdacht nicht bestätigt hat. Der A ist der Auffassung, dass er jetzt zumindest wieder eingestellt werden müsse. Der H weigert sich, den A wieder einzustellen, insbesondere weil die Stelle mittlerweile anderweitig vergeben worden sei.

Frage 2: Hat der A einen Anspruch auf Wiedereinstellung?

A möchte sich nunmehr umorientieren und bewirbt sich auf verschiedene Stellenanzeigen. Unter anderem führt er ein Bewerbungsgespräch mit einem privaten Kindergarten. Die Kindergartenleiterin K lehnt den A im Ergebnis ab, weil man lieber eine Frau für die Stelle haben wolle.

Frage 3: Hat der A gegen den Kindergarten einen Anspruch auf Einstellung als Sozialpädagoge bzw. steht der A zumindest ein Anspruch auf Schadensersatz wegen dieser „Diskriminierung“ zu?



Frage 1: Bestehen eines Arbeitsverhältnisses

Fraglich ist, ob das Arbeitsverhältnis des A noch besteht. Grund für eine Beendigung des Verhältnisses könnte der Aufhebungsvertrag nach §§ 311 I, 241 I BGB zwischen ihm und dem Heimleiter H sein. Voraussetzung für diese Rechtsfolge ist eine wirksame Einigung zwischen A und H.

I. Einigung
A und das Heim müssten sich zunächst über einen Aufhebungsvertrag geeinigt haben, §§ 145 ff. BGB. Einigung meint zwei übereinstimmende Willenserklärungen. Dabei ist davon auszugehen, dass der Heimleiter H das Heim vertreten durfte. Obwohl A zuerst nicht mit einem Aufhebungsvertrag einverstanden war, unterzeichnete er dann doch den vorgelegten Aufhebungsvertrag und erklärte sich damit einverstanden. Somit liegt eine Einigung vor.

II. Wirksamkeit
Die Einigung müsste auch wirksam sein. In Betracht kommt vorliegend eine Nichtigkeit ex-tunc durch Anfechtung, §§ 142, 119 ff. BGB, da sich A zur Unterzeichnung des Aufhebungsvertrages von H genötigt und eingeschüchtert gefühlt hat. Fraglich ist, ob die Voraussetzungen einer Anfechtung vorliegen.

1. Anfechtungsgrund
Zunächst bedarf es für eine Anfechtung nach §§ 119 BGB eines Anfechtungsgrundes. In Betracht kommt hier der Grund der widerrechtlichen Drohung nach § 123 I 2. Fall BGB.

a) Drohung
Es müsste eine Drohung vorliegen. Dies ist jedes Inaussichtstellen eines künftigen Übels, auf dessen Eintritt der Drohende Einfluss zu haben vorgibt. Der Ausspruch des H, dass A mit einer außerordentlichen Kündigung rechnen müsse, sofern er den Aufhebungsvertrag nicht unterzeichne, könnte eine Drohung sein. Die Kündigung stellt ein empfindliches Übel dar, da sie zur Beendigung eines Arbeitsverhältnisses und damit häufig zur Auflösung der Existenzgrundlage führt. Durch die Arbeit schaffen Arbeitnehmer eine Grundlage für ihre Existenz. Auch hat H Einfluss auf de Eintritt dieses Übels, da H für Kündigungen verantwortlich ist und diese ausstellen kann. Damit liegt eine ausdrückliche Drohung durch den H vor.

b) Widerrechtlich
Zudem müsste die Drohung widerrechtlich sein. Dies bedeutet, dass dem Drohenden selbst kein Recht zur Drohung zustehen darf. Die angedrohte außerordentliche Kündigung könnte im vorliegenden Fall rechtmäßig gewesen sein. Die Rechtmäßigkeit einer außerordentlichen Kündigung ist in § 626 BGB geregelt.

aa) Ordnungsgemäße Kündigungserklärung
Zunächst müsste eine ordnungsgemäße Kündigungserklärung vorliegen. Insbesondere müsste die Kündigung innerhalb der Frist des § 626 II BGB innerhalb von zwei Wochen ab Kenntnis des Kündigungsgrundes erklärt worden sein. Im Sachverhalt befinden sich keine konkreten Zeitangaben. Jedoch wirkt es so, als wenn das Geschehen zeitnah passiert wäre. Damit besteht noch die Möglichkeit, die Kündigung gegenüber A fristgemäß auszusprechen. Damit wäre eine ordnungsgemäße Frist noch erklärbar.

bb) Anhörung des Betriebsrates
Weiterhin müsste der Betriebsrat angehört werden. Der Möglichkeit einer Anhörung des Betriebsrates steht nichts entgegen.

cc) Kein besonderer Kündigungsschutz
Ferner dürfte kein besonderer Kündigungsschutz greifen. Anhaltspunkte hierfür wie bei Betriebsratstätigkeit bestehen nicht. Damit ist besonderer Kündigungsschutz nicht anzuwenden.

dd) Wichtiger Grund
Dann müsste ein wichtiger Grund i.S.d. § 626 I BGB vorliegen. Danach bedarf es Umstände, die an sich geeignet sind, ein Arbeitsverhältnis zu beenden, sowie einer Interessenabwägung im Einzelfall.

(1) Umstände, die an sich geeignet sind
Es müssten Umstände vorliegen, die geeignet sind, dass eine außerordentliche Kündigung gerechtfertigt wäre. Hier besteht bei A der Verdacht eines Sexualdelikts. Ein Ermittlungsverfahren gegen A wurde eingeleitet. Zu beachten ist, dass bei einer Verdachtskündigung zusätzlich das Vertrauensverhältnis zerstört werden muss. Bei einem Sexualdelikt ist die Toleranzgrenze relativ niedrig, insbesondere da es hier es um den Betrieb eines Kinderheimes geht. Dadurch kann auch der Verdacht im Einzelfall den außerordentlichen Kündigungsgrund ausmachen. Damit liegen Umstände i.S.d. § 626 I BGB vor.

(2) Interessenabwägung im Einzelfall
Ferner muss eine Interessenabwägung im Einzelfall stattfinden, die eine außerordentliche Kündigung rechtfertigt. Die Umstände des Einzelfalls müssen gegeneinander abgewogen werden. Auf der einen Seite ist die Art des Delikts anzuführen. Sexualdelikte sind sehr verfängliche Delikte. Andererseits wird nicht deutlich, ob der Verdacht sich auf die Begehung gegenüber Kindern bezieht und ob der Verdacht innerhalb des Betriebes aufgekommen ist. Von Letzterem ist nicht auszugehen, da H dies im Zweifel auch mitbekommen hätte. Aber es ist auch die Art der Beschäftigung zu berücksichtigen. A ist als Sozialpädagoge in einem Kinderheim beschäftigt und hat damit ständig Kontakt zu Menschen, insbesondere zu Kindern, die er auf privaten, persönlichen und sogar intimen Situationen begleiten muss. Damit besteht auch ein besonderer Bezug zu dieser Tätigkeit, ungeachtet der Frage, ob das Sexualdelikt ein Kind oder eine andere Person innerhalb des Heimes betrifft. Die Art der Beschäftigung des A ist insgesamt sensibel. Jedoch liegt hier erst nur ein bloßer Verdacht vor, der zunächst als Anfangsverdacht einem Beginn von Ermittlungen genügt. Doch es gilt die Unschuldsvermutung. Nichtsdestotrotz ist nicht außer Acht zu lassen, dass A bereits mehrere Vorstrafen hat. Zwar sind diese alle versühnt und sie haben das Heim auch nicht davon abgehalten, den A nicht einzustellen. Es ist aber nicht klar, ob das Heim Kenntnis von den Vorstrafen des A hatte. Die Vorstrafen sind ein belastender Umstand, durch die der bloße Verdacht verstärkt wird, vor allem, wenn bereits eine Verurteilung vorliegt. Aufgrund der Sensibilität der Beschäftigung, der Art des Delikts und der einschlägigen Vorstrafen des A fällt im Ergebnis die Interessenabwägung zugunsten des Heimes aus.

Damit durfte H den A außerordentlich kündigen, sodass die Drohung nicht widerrechtlich war.

2. Ergebnis
Mangels Anfechtungsgrundes nach § 123 I 2. Fall BGB liegt keine wirksame Anfechtung des A nach §§ 142, 119 ff. BGB vor. Damit bleibt der Aufhebungsvertrag zwischen A und dem Heim wirksam.

III. Ergebnis
Das Arbeitsverhältnis des A mit dem Heim ist durch den Aufhebungsvertrag wirksam beendet worden. Damit besteht das Arbeitsverhältnis nicht mehr.

Frage 2: Anspruch des A gegen H auf Wiedereinstellung

Fraglich ist, ob der A einen Anspruch auf Wiedereinstellung gegen den H hat.

I. Herleitung
Zunächst ist fraglich, wie ein solcher Anspruch hergeleitet werden könnte. Ein Anspruch auf Wiedereinstellung nach einer Verdachtskündigung, wenn sich der Verdacht nicht bestätigt hat, ist allgemein anerkannt und kann im Zweifel aus dem Grundsatz nach Treu und Glauben gem. § 242 BGB hergeleitet werden. Eine anderweitige Herleitung aus dem Kündigungsschutzgesetz oder aus den Grundrechten kann dabei dahinstehen.

II. Voraussetzungen
Die Voraussetzungen für den Anspruch auf Wiedereinstellung müssten erfüllt sein. Voraussetzung ist, dass eine fehlerhafte Prognose stattgefunden und der Verdacht sich nicht bestätigt hat. Gegen A wurde ein Ermittlungsverfahren wegen Verdachts bzgl. eines Sexualdelikts eingeleitet. Das Verfahren wurde dann aber gem. § 170 II StPO eingestellt, da kein hinreichender Tatverdacht bestand. Weiterhin könnte auch das Kündigungsschutzgesetz greifen. Fraglich ist, ob die Anwendbarkeit des KSchG Voraussetzung für einen Anspruch auf Wiedereinstellung ist. Hier aber ist A Arbeitnehmer, der mehr als sechs Monate angestellt war, nämlich bereits ein Jahr im Heim gearbeitet hat und das Heim stellt mehr als zehn Arbeitnehmer an, sodass die Voraussetzungen für die Anwendbarkeit des KSchG nach den §§ 1, 23 KSchG hier auch erfüllt wären. Damit kann die Frage nach der Anwendbarkeit des KSchG als Voraussetzung für den Anspruch auf Wiedereinstellung offenbleiben, da selbst die strengere Auffassung dazu kommt, dass die Voraussetzungen vorliegen. Damit sind die Voraussetzungen für den Anspruch erfüllt.

III. Kein Ausschluss
Ferner dürfte der Anspruch des A nicht ausgeschlossen sein.
Zunächst könnte der Anspruch ausgeschlossen sein, indem A „freiwillig“ die Stelle aufgegeben hat, da er mit H einen Aufhebungsvertrag vereinbart hatte. Damit hat er an der Beerdigung mitgewirkt. Jedoch kann es keinen Unterschied machen, ob der Arbeitnehmer eine Kündigung erfährt oder aufgrund einer angedrohten außerordentlichen Kündigung, deren Grund sich im Ergebnis nicht bestätigt hat, das Verhältnis beendet wurde. Kündigung, außerordentliche Kündigung und Aufhebungsvertrag sind drei vergleichbare Möglichkeiten, die alle die Beendigung eines Arbeitsverhältnisses vorsehen. Damit sperrt der Aufhebungsvertrag allein nicht den Anspruch des A auf Wiedereinstellung.
Aber der Anspruch könnte wegen Unmöglichkeit nach § 275 I BGB ausgeschlossen sein. Hier weigert sich H auf das Verlangen des A hin, ihn wiedereinzustellen, da die Stelle mittlerweile anderweitig vergeben worden ist. Nach § 275 I BGB ist die Leistungspflicht ausgeschlossen, soweit diese für den Schuldner oder für jedermann unmöglich ist. H kann den A nicht mehr in die Position einstellen, in der er vor der Kündigung gearbeitet hat, da die Stelle bereits anderweitig verbindlich besetzt wurde. Eine vergebene Stelle kann häufig nicht zwei Mal besetzt werden. Auch existiert kein Anspruch darauf, dass eine neue Stelle geschaffen wird, wenn der Betrieb dies unternehmerisch nicht hergibt. ferner ist nicht ersichtlich, dass die vergebene Stelle bald wieder frei wird, oder es Möglichkeiten gibt, die neue Arbeitnehmerin zu kündigen. Damit ist Unmöglichkeit eingetreten und die Leistungspflicht des H nach § 275 I BGB ausgeschlossen.

IV. Ergebnis
A hat keinen Anspruch auf Wiedereinstellung gegen H.

Frage 3: Anspruch des A auf Einstellung bzw. Schadensersatz gegen den Kindergarten

Fraglich ist, ob A gegen den Kindergarten einen Anspruch auf Einstellung und/oder Schadensersatz hat, nachdem er aufgrund seines Geschlechts bei der Bewerbung auf eine neue Stelle nicht eingestellt wurde.

A. Einstellung
A könnte zunächst gegen den Kindergarten einen Anspruch auf Einstellung haben. Fraglich ist, woraus sich ein Anspruch des A auf Einstellung ergeben könnte. In Betracht könnte das AGG als Anspruchsgrundlage kommen. Jedoch stellt § 15 VI AGG klar, dass ein Verstoß des Arbeitgebers gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 I AGG keinen Anspruch auf Begründung eines Beschäftigungsverhältnisses begründet. Ein anderweitiger Rechtsgrund ist für den vorliegende Fall nicht ersichtlich. Damit steht dem A aufgrund der Diskriminierung kein Anspruch auf Einstellung zu.

B. Schadensersatz
Dem A könnte aber ein Schadensersatzanspruch zustehen. Gem. § 15 I AGG ist der Arbeitgeber bei eine Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot verpflichtet, den hierdurch entstandenen Schaden zu ersetzen.

I. Verstoß gegen Benachteiligungsverbot, §§ 7, 1 AGG
Es bedarf eines Verstoßes gegen das Benachteiligungsverbot aus §§ 7, 1 AGG. Gem. §§ 7 I, 1 AGG dürfen Beschäftigte nicht aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität benachteiligt werden. Hier wurde A vom Kindergarten abgelehnt, da dieser lieber eine Frau einstellen will. Damit wurde A aufgrund seines Geschlechts unmittelbar benachteiligt. Ein Verstoß gegen das Verbot aus §§ 7, 1 AGG liegt vor.

II. Verschulden
Ferner muss den Kindergarten gem. § 15 I 2 AGG ein Verschulden bzgl. des Verstoßes treffen. Dies wird nach § 15 I 2 AGG vermutet. Der Kindergarten konnte sich nicht exkulpieren. Damit liegt Verschulden vor.

III. Rechtsfolge: Schadensersatz
Als Rechtsfolge des § 15 I AGG ist Schadensersatz geregelt. Wird kein anderweitiger Schaden begründet, sondern geht es nur darum, dass A nicht eingestellt wurde, regelt § 15 II 2 AGG, dass die Entschädigung nicht drei Monatsgehälter übersteigen darf.

IV. Ergebnis
A hat gegen den Kindergarten einen Anspruch auf Schadensersatz i.H.v. drei Monatsgehältern aus § 15 I AGG.