Mehraktiges Vollstreckungsverfahren, §§ 228, 229 LVwG
Aufbau der Prüfung - Mehraktiges Vollstreckungsverfahren, §§ 228, 229 LVwG
Ein mehraktiges Vollstreckungsverfahren ist in den §§ 228, 229 LVwG geregelt. Beispiel: A wird Adressat einer Abrissverfügung. A reißt sein Haus nicht ab. Zur Durchführung der Abrissverfügung kann die Behörde das Haus für den A abreißen lassen. Dies wäre ein mehraktiges Vollstreckungsverfahren. Ein mehraktiges Vollstreckungsverfahren wird in der Rechtmäßigkeit dreistufig geprüft: Ermächtigungsgrundlage, formelle und materielle Rechtmäßigkeit.
I. Ermächtigungsgrundlage: §§ 228, 229 LVwG
Die Ermächtigungsgrundlage für eine Vollstreckungsmaßnahme im mehraktigen Vollstreckungsverfahren sind die §§ 228, 229 LVwG. Bevor auf ein mehraktiges Vollstreckungsverfahren zurückgegriffen wird, muss vorerst geprüft werden, ob nicht etwa Standardmaßnahmen greifen, vgl. §§ 199 ff. LVwG. An dieser Stelle kann sich das Problem der Abschleppfälle stellen. Wird ein Fahrzeug aus dem Halteverbot abgeschleppt, stellt sich insbesondere die Frage, ob es sich hierbei um eine Sicherstellung handelt oder ein mehraktiges Vollstreckungsverfahren vorliegt.
II. Formelle Rechtmäßigkeit
Ein mehraktiges Vollstreckungsverfahren setzt im Rahmen der formellen Rechtmäßigkeit die Einhaltung von Zuständigkeit, Verfahren und Form voraus.
1. Zuständigkeit
Im Rahmen der Zuständigkeit folgt ein mehraktiges Vollstreckungsverfahren dem Grundsatz der Selbstvollstreckung nach § 231 LVwG. Dies bedeutet, dass die Behörde, die den Grundverwaltungsakt erlassen hat, auch für dessen Vollstreckung zuständig ist.
2. Verfahren
Im Bereich des Verfahrens wird üblicherweise die Anordnung geprüft. Liegt jedoch ein mehraktiges Vollstreckungsverfahren vor, bedarf es niemals einer Anhörung. Denn sollte die Vollstreckungsmaßnahme überhaupt einen Verwaltungsakt darstellen, griffe zumindest die Ausnahmevorschrift des § 87 II Nr. 5 LVwG, wonach bei Maßnahmen in der Vollstreckung das Erfordernis der Anhörung entfällt.
3. Form
Auch ein mehraktiges Vollstreckungsverfahren folgt dem Grundsatz der Formfreiheit, weil entweder ein mehraktiges Vollstreckungsverfahren als Vollstreckungsmaßnahme lediglich einen Realakt darstellt oder der Grundsatz der Formfreiheit nach § 108 II LVwG auch für Verwaltungsakte gilt.
III. Materielle Rechtmäßigkeit
1. Vorliegen der Vollstreckungsvoraussetzungen
Im Rahmen der materiellen Rechtmäßigkeit ist das Vorliegen der Vollstreckungsvoraussetzungen zu prüfen.
a) Grundverwaltungsakt (HDU)
Ein mehraktiges Vollstreckungsverfahren setzt danach zunächst einen Grundverwaltungsakt voraus, mithin eine Verfügung, die auf ein Handeln, Dulden oder Unterlassen, gerichtet ist. Auch ein Verkehrszeichen ist ein Grundverwaltungsakt in Gestalt einer Allgemeinverfügung. In den Abschleppfällen liegt somit typischerweise ein mehraktiges Vollstreckungsverfahren vor.
b) Wirksamkeit
Weiterhin verlangt ein mehraktiges Vollstreckungsverfahren, dass der Grundverwaltungsakt auch wirksam ist. Dieser wird nach den allgemeinen Regeln mit Bekanntgabe wirksam. Bei Verkehrszeichen gilt der straßenverkehrsrechtliche Bekanntgabebegriff. Ein Verkehrszeichen wird mit Aufstellen gegenüber jedermann wirksam, wenn das Verkehrszeichen zur Kenntnis genommen werden kann. Beispiel: A fährt in den Urlaub und stellt vorher sein Fahrzeug verkehrsgerecht vor seinem Haus ab. Kurz nach der Abreise wird ein mobiles Halteverbotsschild aufgestellt: „In drei Tagen Halteverbot. Bauarbeiten.“ Nach drei Tagen wird das Fahrzeug des A abgeschleppt. Er wird daraufhin Adressat eines Kostenbescheides. Das Verkehrszeichen wurde mit dessen Aufstellen wirksam. Ferner fordert ein mehraktiges Vollstreckungsverfahren die Vollstreckbarkeit des Grundverwaltungsaktes. Dies folgt aus § 229 I LVwG. Dies ist beispielsweise bei Unanfechtbarkeit gegeben. Fall: A wird Adressat einer Abrissverfügung. Er unternimmt einen Monat lang nichts. Danach ist die Widerspruchsfrist verstrichen und der Verwaltungsakt ist unanfechtbar. Die Behörde kann daher das Haus abreißen lassen.
c) Vollstreckbarkeit, § 229 I LVwG
Weiterhin liegt Vollstreckbarkeit auch dann vor, wenn ein Rechtsbehelf keine aufschiebende Wirkung besteht. Beispiel: Wie oben. Allerdings ordnet die Behörde die sofortige Vollziehung an. Diese nimmt dem Widerspruch des A die aufschiebende Wirkung. Mithin kann sofort vollzogen werden. Beispielsfall: Vor dem Haus des A wird ein mobiles Halteverbotsschild aufgestellt. Fraglich ist, ab wann aus diesem Verkehrszeichen vollstreckt werden darf. Nach § 80 II Nr. 2 VwGO analog gilt, dass in diesen Fällen sofort vollstreckt werden darf. Dies folgt aus der Funktionsgleichheit zwischen den Anordnungen eines Polizeivollzugsbeamten und dem Regelgehalt eines Verkehrszeichens („Blechpolizist“).
d) Rechtmäßigkeit des Grundverwaltungsaktes
Fraglich ist, ob ein mehraktiges Vollstreckungsverfahren auch die Rechtmäßigkeit des Grundverwaltungsaktes voraussetzt. Dies wird in einem gesonderten Exkurs erläutert. Beispielsfall: A wird Adressat einer rechtswidrigen Abrissverfügung. Fraglich ist, ob in rechtmäßiger Weise abgerissen werden kann, wenn die zugrunde liegende Abrissverfügung ihrerseits rechtswidrig ist.
2. Vollstreckungspflichtigkeit, § 232 LVwG
Ferner verlangt ein mehraktiges Vollstreckungsverfahren die Vollstreckungspflichtigkeit nach § 232 LVwG. Danach ist derjenige vollstreckungspflichtig, der Adressat des Grundverwaltungsaktes geworden ist.
3. Ordnungsgemäße Durchführung
Zuletzt ist die ordnungsgemäße Durchführung der Vollstreckungsmaßnahme zu prüfen.
a) Zulässiges Zwangsmittel, § 235 LVwG
Dies erfordert zunächst ein zulässiges Zwangsmittel i.S.d. § 235 LVwG. Hier sind die Ersatzvornahme, das Zwangsgeld und der unmittelbare Zwang geregelt.
b) Androhung, § 236 LVwG
Weiterhin verlangt ein mehraktiges Vollstreckungsverfahren grundsätzlich auch die Androhung des Zwangsmittels vor Durchführung der Vollstreckungsmaßnahme, vgl. § 236 LVwG. Die Androhung kann einerseits dazu führen, dass der Betroffene die angedrohte Maßnahme selbst vornimmt oder andererseits einer Vollstreckung durch die Behörde gefasst entgegen blicken kann. Von dem Androhungserfordernis kann jedoch in bestimmten Fällen abgewichen werden. § 236 LVwG verweist auf § 229 I Nr. 2, II LVwG. Beispiel: Die Polizei vermutet Schlimmes hinter der Tür des A. Daher klopft sie an dessen Tür und ruft: „Machen Sie die Tür auf!“ A öffnet die Tür nicht, sondern will durch ein Fenster fliehen. Die Polizisten treten die Tür, nachdem sie Fluchtgeräusche vernommen haben, ein. Zwar liegt ein Grundverwaltungsakt vor. Danach überschlugen sich jedoch die Ereignisse, sodass von der Androhung nach § 236 I i.V.m. § 229 I Nr. 2, II LVwG abgesehen werden konnte. Auch im Rahmen der Abschleppfälle fehlt es typischerweise an einer Androhung. Der Behörde ist es regelmäßig jedoch nicht zumutbar, lange nach dem Fahrzeugführer zu suchen. Nur wenn es zuverlässige Anhaltspunkte über den Verbleib und die baldige Rückkehr des Fahrzeugführers gibt, ist eine Androhung erforderlich.
c) Verhältnismäßigkeit
Zuletzt muss die Vollstreckungsmaßnahme dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit folgen.