Fall: Tödliche Jungfernfahrt

An einem lauen Spätnachmittag im August ist Frieda (F) auf dem Weg in die Innenstadt, um nach langer Zeit einmal wieder einen entspannten Einkaufsbummel mit ihrer Freundin zu genießen und den neuesten Klatsch und Tratsch auszutauschen. Ebenfalls auf dem Weg ins Zentrum befindet sich Diether (D) mit seiner erst kürzlich erstandenen Harley, ein Prachtstück von einem Motorrad. Die Vorfreude, seine neue Errungenschaft voller Stolz seinen Rocker Freunden präsentieren zu können, kann nur durch eines getrübt werden: Stau. Natürlich wird aufgrund eines Rohrbruchs genau an diesem Nachmittag eine der Hauptstraßen gesperrt, sodass in Kürze durch den Berufsverkehr bedingt PKW Stoßstange an Stoßstange stehen. Normalerweise kann sich D mit seiner Maschine an den PKW vorbei manövrieren. Heute ist jedoch kein Durchkommen, sodass D voller Ungeduld beschließt eine Abkürzung über den Fußweg zu wählen.

Als D mit ca. 70 cm Abstand und 25 km/h an der F vorbeischlängelt, ist diese so erschrocken und dermaßen empört über das Verhalten des D, dass sie ihre Handtasche nach dem D wirft und dabei die Harley an der linken Verkleidung trifft. D erkennt sofort, dass sein gutes Stück durch den Aufprall der Tasche nicht beschädigt worden ist, gerät aber bei dem Gedanken, was hätte passieren können, in Wut und will das Geschehene nicht ungestraft lassen. Auch wenn er unter normalen Umständen nichts von Gewalt gegen Frauen hält, ist D unter diesen Umständen entschlossen, die F zu ergreifen und ihr gegebenenfalls ein paar Ohrfeigen zu verpassen.

Die F hat ihre Handtasche unterdessen aufgehoben und setzt immer noch aufgebracht von den Ereignissen ihren Weg Richtung Innenstadt fort, als sie bemerkt, dass der D seine Harley aufgebockt hat und beginnt, hinter ihr herzulaufen. Voller Panik beginnt die F zu rennen, auch weil sie weiß, dass sie dem bulligen D bei Weitem unterlegen ist. Als sich der Abstand zwischen D und F jedoch immer weiter verringert und F sich an ihren Schwur erinnert, dass sie niemals wieder einem Mann die Macht über sich geben wollte, bleibt sie abrupt stehen und zieht einen kleinen Revolver aus ihrer Handtasche, den sie seitdem sie Opfer eines sexuellen Übergriffs geworden ist, stets bei sich trägt. F besitzt keinen Waffenschein und die Pistole enthält zwei Patronen. Zunächst gibt die F einen Warnschuss in die Luft ab. D ist zunächst irritiert, gerät dann aber erst recht in Rage und steuert weiterhin auf die F zu. Schließlich ruft F dem D zu, dass er sofort stehen bleiben solle, sie hätte doch gar nichts beschädigt. Doch auch dieser Zuruf ändert nichts an dem Vorhaben des D, der sich der F unbeirrt nähert. F blickt sich verängstigt um, entdeckt jedoch keine Fluchtmöglichkeit. Deshalb zielt F ohne Umschweife auf die Brust des D und drückt schließlich aus 2 Meter Entfernung ab. D ist sofort tot. Sie hatte den Tod des D nicht beabsichtigt, die tödliche Wirkung des Schusses jedoch in Kauf genommen.

Wie hat sich F strafbar gemacht?

Bearbeitungsvermerk:
Verstöße gegen das WaffenG sind nicht zu prüfen.


A. Strafbarkeit der F gem. § 303 I StGB durch den Wurf mit der Handtasche
A könnte sich gem. § 303 I StGB wegen Sachbeschädigung strafbar gemacht haben, indem sie mit ihrer Handtasche nach dem D warf und dabei die Verkleidung der Harley traf.

I. Tatbestand

1. Fremde Sache
Bei der Verkleidung müsste es sich um eine für F fremde Sache handeln. Eine Sache ist dann fremd, wenn sie zumindest im Miteigentum einer anderen Person steht. Eigentümer der Harley und somit auch der Verkleidung war D. Die Verkleidung ist somit für F eine fremde Sache.

2. Beschädigen oder Zerstören
F müsste die Verkleidung beschädigt oder zerstört haben. Beschädigen ist jede nicht ganz unerhebliche körperliche Einwirkung auf die Sache, durch die ihre stoffliche Zusammensetzung verändert oder ihre Unversehrtheit derart aufgehoben wird, dass die Brauchbarkeit für ihre Zwecke beeinträchtigt ist. Zerstört ist eine Sache, wenn sie so wesentlich beschädigt wurde, dass sie für ihre Zwecke völlig unbrauchbar geworden ist. Der Wurf mit der Handtasche, welcher die Verkleidung der Harley traf, hat keine sichtbaren Spuren an der Harley hinterlassen. Eine Beeinträchtigung oder gar Aufhebung der Brauchbarkeit ist somit nicht gegeben. F hat die Verkleidung nicht beschädigt oder zerstört.

3. Ergebnis
Der Tatbestand ist nicht erfüllt.

II. Ergebnis
F hat sich nicht gem. § 303 I StGB strafbar gemacht.

B. Strafbarkeit der F gem. §§ 303 I, 22, 23 I StGB durch den Wurf mit der Handtasche
Durch dieselbe Handlung könnte F sich jedoch gem. §§ 303 I, 22, 23 I StGB wegen versuchter Sachbeschädigung strafbar gemacht haben.

I. Vorprüfung

1. Nichtvollendung
Mangels Beschädigung oder Zerstörung ist die Tat gem. § 303 I StGB nicht vollendet.


2. Strafbarkeit des Versuchs
Der Versuch der Sachbeschädigung ist gem. § 303 III StGB strafbar.

II. Tatbestand

1. Tatentschluss
F müsste Tatentschluss zur Begehung einer Sachbeschädigung gehabt haben. Der Tatentschluss erfordert Vorsatz hinsichtlich aller objektiven und ggf. das Vorliegen sonstiger subjektiver Tatbestandsmerkmale. Vorsatz ist Wissen und Wollen im Hinblick auf die Verwirklichung sämtlicher objektiver Tatbestandsmerkmale. F müsste also mit dem – zumindest bedingten – Willen gehandelt haben, eine fremde Sache zu beschädigen oder zu zerstören. Zwar wusste F, dass es sich bei der Verkleidung um eine fremde Sache handelte. Jedoch hat F die Handtasche lediglich aus Wut nach dem D geworfen. Ob sie dabei auch den Vorsatz hatte, eine Beschädigung der Harley hervorzurufen, ist dem Sachverhalt nicht eindeutig zu entnehmen. Zwar liegt es bei einem Wurf mit einer Handtasche gegen einen leicht zu beschädigenden Teil einer Harley wie der Verkleidung nahe, davon auszugehen, dass F eine Beschädigung zumindest billigend ist Kauf nahm und insofern mit dolus eventualis gehandelt hat. Gegen einen solchen Vorsatz spricht jedoch die Tatsache, dass F die Tasche nach einem fahrenden Motorrad geworfen hat, was die Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts zumindest verringerte, da nicht mit Sicherheit davon ausgegangen werden konnte, dass F die Harley des D überhaupt treffen würde. Außerdem befand sich F in einem Schockzustand, in dem sie wohl keine detaillierten Überlegungen über die möglichen Folgen ihres Handelns anstellte. Somit verbleiben zumindest erhebliche Zweifel am Vorliegen eines Vorsatzes bezüglich einer Beschädigung. Dieser ist somit jedenfalls nach dem Grundsatz „in dubio pro reo“ zu verneinen. Es liegt kein Tatentschluss vor.

2. Ergebnis
Der Tatbestand ist nicht erfüllt.

III. Ergebnis
F hat sich nicht gem. §§ 303 I, 22, 23 I StGB strafbar gemacht.

C. Strafbarkeit der F gem. § 212 I StGB durch den Schuss auf D
F könnte sich gem. § 212 I StGB wegen Totschlags strafbar gemacht haben, indem sie dem D in die Brust schoss.

I. Tatbestand

1. Tötung eines anderen Menschen
D ist durch den von F abgegebenen Schuss getötet worden. F hat also den Erfolg des § 212 I StGB kausal herbeigeführt.


2. Vorsatz
F hat die nahe liegende Möglichkeit des Erfolgseintritts erkannt und diese billigend in Kauf genommen. Sie handelte daher bedingt vorsätzlich.

3. Ergebnis
Der Tatbestand ist erfüllt.

II. Rechtswidrigkeit
Die Tat könnte durch Notwehr gem. § 32 StGB gerechtfertigt sein.

1. Notwehrlage
Zunächst müsste eine Notwehrlage, d.h. ein gegenwärtiger rechtswidriger Angriff, vorliegen.

a) Angriff
Ein Angriff ist jede Bedrohung oder Verletzung rechtlich geschützter Interessen durch einen Menschen. D wollt der F ein paar Ohrfeigen verpassen, bedrohte also deren körperliche Integrität und damit ein geschütztes Interesse. Ein Angriff des D ist somit gegeben.

b) Gegenwärtigkeit des Angriffs
Der Angriff des D müsste auch gegenwärtig sein. Der Angriff ist gegenwärtig, wenn er unmittelbar bevorsteht, gerade stattfindet oder noch andauert. Er ist nicht mehr gegenwärtig, wenn er fehlgeschlagen, endgültig aufgegeben oder vollständig durchgeführt ist, sodass die Rechtsgutsverletzung durch Gegenwehr nicht mehr abgewendet werden kann. Hier näherte sich D der F mit bedrohlichem Auftreten. Als F schoss, befand sich D direkt vor ihr und war unmittelbar davor, die F zu ergreifen und zu schlagen. Damit ist der Angriff gegenwärtig.

c) Rechtswidrigkeit des Angriffs
Der Angriff müsste schließlich auch rechtswidrig sein. Ein Angriff ist rechtswidrig, wenn der Angreifer seinerseits nicht gerechtfertigt ist.

aa) Rechtfertigung des D gem. § 32 StGB
D könnte seinerseits durch Notwehr gem. § 32 StGB gerechtfertigt sein. Dann müsste eine Notwehrlage, d.h. ein gegenwärtiger, rechtswidriger Angriff der F, vorliegen. Zwar ist denkbar, in dem Wurf mit der Handtasche gegen die Harley des D (selbst bei fehlendem Sachbeschädigungsvorsatz der F) einen (zumindest fahrlässigen) Angriff auf den Eigentum des D an der Harley zu sehen. Jedoch ist dieser Angriff jedenfalls nicht mehr gegenwärtig, da der Wurf abgeschlossen ist und weitere Beschädigungshandlungen der F gegen die Harley nicht drohen, sodass der Angriff abgeschlossen ist. Eine Notwehrlage liegt somit nicht vor. D ist nicht gem. § 32 StGB gerechtfertigt.

bb) Rechtfertigung des D gem. § 127 I StPO
Die von D angedrohten Schläge könnten jedoch gem. § 127 I StPO gerechtfertigt sein. Im Rahmen von § 127 I StPO ist zwar streitig, welche Anforderungen an eine „frische Tat“ zu stellen sind. Nach einer Ansicht ist erforderlich, dass tatsächlich eine Straftat begangen wurde. F hat sich durch den Wurf mit der Handtasche gegen die Harley des D selbst nicht strafbar gemacht. Hiernach wäre demnach bereits keine Festnahmelage i.S.v. § 127 I StPO gegeben. Eine Rechtfertigung gem. § 127 I StPO wäre nach der dieser Ansicht also ausgeschlossen. Eine andere Ansicht hält für eine „frische Tat“ i.S.d. § 127 I StPO auch einen dringenden Tatverdacht für ausreichend. Der Zweck der Festnahme gem. § 127 I StPO darf nur darin bestehen, den Täter der Strafverfolgung zuzuführen bzw. zu diesem Zwecke seine Identität festzustellen. Hier war der Zweck der von D geplanten Schläge jedoch nicht, die F festzunehmen, sondern sich für den Angriff auf sein Motorrad zu rächen. Auch nach der zweiten Auffassung ist eine Rechtfertigung des D gem. § 127 I StPO somit ausgeschlossen. Beide Ansichten kommen folglich zu dem Ergebnis, dass D nicht gem. § 127 I StPO gerechtfertigt ist.

cc) Ergebnis
D ist also seinerseits nicht gerechtfertigt. Der gegenwärtige Angriff des D ist damit auch rechtswidrig.

d) Ergebnis
Eine Notwehrlage liegt vor.

2. Notwehrhandlung
Der Schuss der F müsste auch den Anforderungen an eine Notwehrhandlung i.R.v. § 32 StGB genügen.

a) Erforderlichkeit
Die Verteidigungshandlung müsste zunächst erforderlich sein. Erforderlich ist eine Verteidigungshandlung, wenn sie einerseits zur Abwehr des Angriffs geeignet ist und andererseits das relativ mildeste Mittel darstellt.

aa) Geeignetheit
Der Schuss in die Brust des D war geeignet, den Angriff des D zu beenden, da dieser im Falles seines Todes oder auch nur einer schweren Verletzung die F nicht mehr schlagen konnte.

bb) Mildestes Mittel
Der gezielte Schuss in die Brust des D müsste jedoch auch das relativ mildeste Mittel gewesen sein, d.h. bei mehreren zur Verfügung stehenden Verteidigungsmitteln, die mit gleicher Sicherheit die sofortige Beendigung des rechtswidrigen Angriffs bewirken können, ist unter diesen das mildeste Mittel zu wählen. Beim gezielten Einsatz einer Schusswaffe ist eine Abstufung vorzunehmen. Zunächst muss der Angegriffene den Schusswaffeneinsatz verbal androhen. Dann muss ein Warnschuss abgegeben werden. Daraufhin kann auf Körperregionen geschossen werden, die nicht zu lebensgefährlichen Verletzungen führen. Als letztes kann die Abgabe eines tödlichen Schusses als ultima ratio erfolgen. F drohte ihre Absicht zum Einsatz der Schusswaffe verbal an. Auch einen Warnschuss gab sie ab. Allerdings schoss F nicht zuerst auf Körperregionen, die nicht zu lebensgefährlichen Verletzungen führen, sondern gleich in die Brust des D. Die oben genannte Abstufung muss jedoch nur dann erfolgen, wenn der Angegriffene die Möglichkeit dazu hat. F hatte nur noch eine einzige Kugel. Hätte sie zunächst auf weniger empfindliche Körperregionen geschossen, wäre sie das Risiko eingegangen, diese mit ihrem letzten Schuss zu verfehlen. Dies war ihr nicht zuzumuten.
Insofern ist auch unbeachtlich, dass F keinen Waffenschein besaß und den Revolver eigentlich nicht hätte bei sich führen dürfen. In der konkreten Situation eines gegenwärtigen Angriffs darf sich der Angegriffene aller ihm zur Verfügung stehenden Mittel bedienen, um sich zu verteidigen, ungeachtet dessen, ob er zu Recht über diese Mittel verfügt. Deshalb darf er sich erforderlichenfalls auch dann mit einer Schusswaffe verteidigen, wenn er diese eigentlich nicht bei sich führen dürfte. Der Schuss in die Brust war somit das relativ mildeste Mittel.

cc) Ergebnis
Die Verteidigungshandlung war erforderlich.

b) Gebotenheit
Der Schuss müsste auch geboten gewesen sein. Das Notwehrrecht könnte aufgrund sozialethischer Erwägungen eingeschränkt sein. Auch wenn § 32 StGB keine Güterabwägung erfordert, findet die Notwehr ihre Schranken im allgemeinen Verbot des Rechtsmissbrauchs. Eine Einschränkung des Notwehrrechts kommt hier wegen einer vorwerfbaren Notwehrlage in Betracht. F handelte pflichtwidrig, als sie die Handtasche gegen die Harley des D warf, da sie damit rechnen konnte, dass D aggressiv auf ein solches Verhalten reagieren würde. Im Zeitpunkt des Angriffs war daher – anders als bei einer Absichtsprovokation – das Notwehrrecht der F nicht ausgeschlossen, aber eingeschränkt. Durch eine solche Einschränkung entstehen bestimmte Anforderungen an den Angegriffenen. Zunächst muss er versuchen, auszuweichen, darf dann zur Schutzwehr und erst zuletzt zur Trutzwehr übergehen. F hatte zunächst zu fliehen versucht. Erst als sie nicht entkommen konnte, gab sie einen Warnschuss ab und versuchte die Situation zu klären, indem sie D darauf aufmerksam machte, dass sie die Harley gar nicht beschädigt hatte. Damit hatte F zunächst die für den Angreifer ungefährlichsten Möglichkeiten des Ausweichens und der Schutzwehr ausgenutzt. Erst als sie keine andere Möglichkeit zur Verteidigung mehr sah, gab sie den gezielten Schuss auf D ab und ging somit zur Trutzwehr über. Die aus der Einschränkung des Notwehrrechts resultierenden Anforderungen hat F also eingehalten. Es liegt somit kein rechtsmissbräuchliches Verhalten der F vor. Auch Gebotenheit war somit gegeben.

c) Ergebnis
Der Schuss auf D erfüllt die Anforderungen an eine Notwehrhandlung i.S.v. § 32 StGB.

3. Verteidigungswille
F müsste auch das subjektive Rechtfertigungselement des § 32 StGB erfüllen, d.h. mit Verteidigungswillen gehandelt haben. Der Verteidigungswille setzt die Kenntnis der Notwehrlage sowie ein gezieltes Handeln zur Verteidigung voraus. F wusste von dem gegenwärtigen Angriff des D. Sie handelte auch gezielt, um diesen abzuwehren. Somit ist ein Verteidigungswille gegeben.


4. Ergebnis
Das Verhalten der F ist durch Notwehr gem. § 32 StGB gerechtfertigt.

III. Ergebnis
F hat sich nicht gem. § 212 I StGB strafbar gemacht.

D. Strafbarkeit der F gem. § 240 I StGB durch den Schuss auf D
Durch den Schuss auf D könnte F sich auch gem. § 240 I StGB wegen Nötigung strafbar gemacht haben. Durch den Schuss hat F den D vorsätzlich mit Gewalt zu einer Unterlassung (Nichtvornahme des Angriffs) genötigt. Die Nötigung ist jedoch ebenfalls durch Notwehr gem. § 32 StGB gerechtfertigt. F hat sich nicht gem. § 240 I StGB strafbar gemacht.

E. Strafbarkeit der F gem. §§ 223 I, 224 I Nr. 2, 5 StGB durch den Schuss auf D
Aus demselben Grund scheidet auch eine Strafbarkeit der F wegen gefährlicher Körperverletzung gem. §§ 223 I, 224 I Nr. 2, 5 StGB aus.

F. Strafbarkeit der F gem. § 222 StGB durch den Wurf mit der Handtasche
F könnte sich gem. § 222 StGB wegen fahrlässiger Tötung strafbar gemacht haben, indem sie mit ihrer Handtasche nach dem D warf und dabei die Verkleidung der Harley traf.

I. Tatbestand

1. Eintritt des tatbestandlichen Erfolges
D ist tot. Der tatbestandliche Erfolg des § 222 StGB – Tod eines Menschen – ist somit eingetreten.

2. Kausale Handlung
Der Wurf der F mit der Handtasche gegen das Motorrad des D stellt eine Handlung dar. Diese müsste auch kausal für den tatbestandlichen Erfolg (den Tod des D) sein. Eine Handlung ist dann kausal für einen Erfolg, wenn sie nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg in seiner konkreten Gestalt entfiele (sog. conditio-sine-qua-non-Formel). Hätte hier die F nicht die Handtasche gegen die Harley geworfen, so hätte D nicht angehalten, um die F zu schlagen und F hätte sich nicht durch den Schuss gegen die drohende Prügel wehren müssen, sodass D auch nicht gestorben wäre. Der Wurf mit der Handtasche war somit kausal für den Tod des D.

3. Objektive Sorgfaltspflichtverletzung bei objektiver Vorhersehbarkeit des konkreten Erfolgs und des wesentlichen Kausalverlaufs
Der Wurf mit der Handtasche gegen die Harley müsste eine Sorgfaltspflichtverletzung der F darstellen, und der weitere Geschehensverlauf sowie der konkrete Erfolg müssten vorhersehbar gewesen sein. Grundsätzlich stellt es eine Sorgfaltspflichtverletzung dar, Handtaschen gegen ein fremdes Motorrad zu werfen. Fraglich ist im vorliegenden Fall, ob eine strafrechtliche Haftung der F entfällt, weil der Wurf mit der Handtasche zwar äquivalent kausal für den Tod des D war (s.o.), aber insofern nur ein Vorverhalten darstellt, während die unmittelbar zum Tode führende Handlung – der Schuss – gerechtfertigt war.

a) Eine Ansicht (Lehre von der actio illicita in causa)
Nach einer Ansicht in der Literatur, der sog. Lehre von der actio illicita in causa, kann bei einem aus Notwehr gerechtfertigten Verhalten des Täters die Strafbarkeit wegen des Erfolges, der durch die Notwehrhandlung herbeigeführt wurde, noch an ein Vorverhalten des Täters geknüpft werden, sofern der Täter durch dieses die Notwehrlage vorwerfbar herbeigeführt hat. Hier hat F durch den sorgfaltspflichtwidrigen Wurf mit der Handtasche gegen die Harley des D den Angriff des D verursacht. Sie hat die Notwehrlage somit durch ein vorwerfbares Vorverhalten herbeigeführt. Nach dieser Auffassung kann eine Strafbarkeit der F wegen fahrlässiger Tötung also auch noch an ihr Vorverhalten geknüpft werden. Eine strafrechtliche Haftung der F würde nicht entfallen.

b) Weitere Ansicht (BGH)
Eine weitere Ansicht lehnt die Rechtsfigur der actio illicita in causa ab. Aus der Tatsache, dass der Täter sich bewusst oder zumindest vorhersehbar in eine mögliche Notwehrlage begebe, könne ihm noch kein Vorwurf gemacht werden. Zwar seien in dieser Konstellation die Anforderungen an die Gebotenheit der Verteidigungshandlung strenger (s.o.), sofern der Täter sich jedoch in deren Rahmen bewege, könne das Vorverhalten nicht zur Begründung einer Strafbarkeit herangezogen werden. Neuerdings knüpft der BGH jedoch für den Fall, dass das vorwerfbare Verhalten in der Begehung einer Straftat besteht, unter ausdrücklicher Ablehnung der Lehre von der actio illicita in causa trotzdem an das Vorverhalten an. Hier stellt das Vorverhalten der F – Wurf mit der Handtasche gegen die Harley – jedoch gerade keine strafbare Handlung dar (s.o.). Auch hiernach wäre es somit verwehrt, auf den Wurf mit der Handtasche zur Begründung einer Strafbarkeit bezüglich der Tötung des D abzustellen. Eine strafrechtliche Haftung der F würde hiernach entfallen.

c) Stellungnahme
Die beiden Ansichten kommen hier zu unterschiedlichen Ergebnissen. Es ist daher eine Stellungnahme erforderlich. Der Lehre von der actio illicita in causa ist zuzugestehen, dass in der beschriebenen Konstellation des Vorverhalten des Täters durchaus kausal für den durch die Notwehrhandlung eingetretenen Erfolg ist. Auch ist es gerade im Bereich der Fahrlässigkeitsdelikte grundsätzlich unproblematisch, zur Begründung der Strafbarkeit auf ein pflichtwidriges Verhalten abzustellen, auch wenn dieses nicht unmittelbar den Erfolg herbeiführt. Gegen die Lehre von der actio illicita in causa ist jedoch anzuführen, dass sie die Wertung des § 32 StGB, dass die in Notwehr vorgenommene Verteidigungshandlung gerade nicht gegen die Rechtsordnung verstößt und deshalb daran keine Strafbarkeit geknüpft werden kann, unterläuft. Sie verkennt, dass zwar das Vorverhalten für den späteren Erfolg äquivalent kausal sein mag, dass dieser jedoch unmittelbar durch die – gerechtfertigte – Verteidigungshandlung herbeigeführt wird. Das Ergebnis der Lehre von der actio illicita in causa läuft darauf hinaus, dass zwar die Verteidigungshandlung als solche gerechtfertigt ist, nicht jedoch die durch sie bewirkte Rechtsgutsverletzung und deshalb diese – sofern hierfür kausales Verhalten gegeben ist, das selbst nicht gerechtfertigt ist – noch bestraft werden kann. Dies ist jedoch mit dem Wesen der Rechtfertigungsgründe nicht vereinbar. Zu folgen ist somit der zweiten Ansicht. Eine Anknüpfung an den Wurf mit der Handtasche der F zur Begründung einer Strafbarkeit wegen der Tötung des D ist ausgeschlossen.

4. Ergebnis
Der Tatbestand ist nicht erfüllt.

II. Ergebnis
F hat sich nicht gem. § 222 StGB strafbar gemacht.