Fall: Manni
Manni (M) fährt eines Morgens im Mai 2024 mit seinem extrem tiefergelegten Manta B durch die Stadt, um sein neues Endrohr anzuhören. Bei diesem handelt es sich um ein polnisches Fabrikat, das keinerlei Zulassung für den deutschen Markt besitzt, weil es, darauf kam es M gerade an, jeden Schallschutzgrenzwert überschreitet. M hatte bei der Montage allerdings übersehen, das Endrohr fachmännisch zu befestigen, so dass es sich bereits kurz nach dem Losfahren gelöst hatte und nun funkensprühend auf der Straße schleifte. Dies bemerkte M indes nicht, da der ohrenbetäubende „Sound“ des Rohrs das Schleifgeräusch übertönte.
Im Gegensatz zu M bemerkte POHK P sowohl das Schleifen als auch, dass ein nicht zugelassenes Teil im Auto des M verbaut war. Er setzte sich mit seinem Polizeiwagen hinter M und forderte diesen mit eingeschaltetem Blaulicht unter gleichzeitigem Aufblinken eines entsprechenden Schriftzugs zum Anhalten auf. M bemerkte dies nicht, hielt jedoch kurz darauf in einer Seitenstraße an, weil er dort wohnt.
Kurz nach M stieg auch P aus seinem Fahrzeug, um den M auf die festgestellten Missstände anzusprechen. Dazu kam es jedoch nicht, weil der P bei M ein um dessen Hals hängendes, an einer Kette befindliches, silber-schwarzes Hakenkreuz von der Größe eines Tennisballs entdeckte und den M sofort aufforderte, dieses umgehend abzunehmen. M, der mittlerweile vor seiner Haustür stand, sagte: „Da hab ich ja wohl noch mal Glück gehabt, dass ich heute nur das kleine Kreuz umhatte. Normalerweise trage ich - für alle Fälle - immer mindestens Uniform, den Wehrmachtsrevolver sowieso immer, das Eiserne Kreuz sowie eine von mir selbst angefertigte, übrigens auch übers Netz vertriebene Version von Adolfs echten Tagebüchern sowie eine solche von Mein Kampf bei mir. Ich bin quasi ständig marschbereit.“ P erkannte, dass M das durchaus ernst meinte. Er forderte ihn daher nochmals auf, sofort das Kreuz abzunehmen. Im Übrigen überlegte er, den M auch aufzufordern, die Tür der Wohnung zu öffnen, um sich dort nach Propagandamitteln verbotener Organisationen umzusehen.
M erwiderte, er sei zwar nicht der Auffassung, dass man in Deutschland nun nicht mehr zeigen dürfe, dass man Deutscher sei, gleichwohl wisse er, was sich gehöre und werde daher dem Befehl des Herrn Polizeioberhauptkommissars unverzüglich Folge leisten. Allerdings wäre es für das Abnehmen des Kreuzes erforderlich, sich kurzzeitig teilweise zu entblößen und daher angebracht, wenn der Herr Polizeioberhauptkommissar sich solange umdrehte. P tat wie gebeten. Als P sich nach kurzer Zeit zurückdrehte, war M verschwunden. P nahm an, M sei in die Wohnung geflüchtet. Da er dort aufgrund der Aussagen des M zudem auch Propagandamitteln verbotener Organisationen vermutete, klopfte er lautstark an der Tür und forderte deutlich vernehmbar dazu auf, die Tür zwecks Betretens und Durchsuchens der Wohnung zu öffnen. Als auch nach mehrfacher Aufforderung nichts geschah, öffnete er die Tür gewaltsam. In der Wohnung fand er tatsächlich Propagandamitteln verbotener Organisationen und stellte diese sicher. M war in der Wohnung jedoch nicht zu finden.
Tatsächlich war M nicht in die Wohnung sondern, von dem abgewandten P unbemerkt, durch einen schmalen Zwischenraum zwischen den Häuserblöcken geflüchtet. Um dabei nicht von P bemerkt zu werden, hatte er noch hinter dem Rücken des P das Kreuz abgenommen, weil es andernfalls auf der Flucht möglicherweise verdächtige Geräusche gemacht hätte.
Im Nachhinein hat M von dem Betreten seiner Wohnung nebst Durchsuchung, von dem Aufbruch und von der Sicherstellung von Propagandamitteln erfahren. Er stört sich hieran ebenso wie an der Aufforderung, das Hakenkreuz abzunehmen, da er es auch in Zukunft unbehelligt tragen möchte. M hat, soweit erforderlich, gegen diese Maßnahmen (allerdings nicht bzgl. der Aufforderung, das Kreuz abzunehmen) Widerspruch eingelegt, jedoch ohne Erfolg.
Was kann M nun - im August 2024 - machen, um klären zu lassen, ob die Maßnahmen rechtmäßig waren.
1. Teil: Aufforderung, das Hakenkreuz abzunehmen
Die Klage des M hat Erfolg, soweit sie zulässig und begründet ist.
A. Zulässigkeit der Klage
Die Klage müsste zunächst hinsichtlich der Aufforderung, das Kreuz abzunehmen, zulässig sein.
I. Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs
Der Verwaltungsrechtsweg müsste eröffnet sein. Eine aufdrängende Sonderzuweisung ist vorliegend nicht ersichtlich. Es kommt daher als rechtswegeröffnende Norm § 40 I 1 VwGO in Betracht. Dazu müsste es sich um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit nicht verfassungsrechtlicher Art handeln und es dürfte keine abdrängende Sonderzuweisung greifen. Eine Streitigkeit ist öffentlich-rechtlich, wenn die streitentscheidenden Normen oder Handlungsformen öffentlich-rechtlicher Natur sind. Dabei sind nach der sog. Sonderechtstheorie Normen dann öffentlich-rechtlicher Natur, wenn sie ausschließlich einen Träger hoheitlicher Gewalt berechtigen oder verpflichten. Vorliegend sind die streitentscheidenden Normen solche des SächsPVDG. Diese Normen berechtigen und verpflichten ausschließlich einen Träger hoheitlicher Gewalt und sind daher öffentlich-rechtlicher Natur. Mithin liegt eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit vor. Vorliegend streiten auch keine Verfassungsorgane über formelles Verfassungsrecht. Die Streitigkeit ist daher auch nichtverfassungsrechtlicher Art. Ferner dürfte keine abdrängende Sonderzuweisung vorliegen. In Betracht kommt § 23 I EGGVG. Diese Norm greift, wenn die Ordnungsbehörden oder die Polizei repressiv, also zur Strafverfolgung tätig werden. Werden sie demgegenüber präventiv, also zur Gefahrabwehr tätig, dann greift § 23 I EGGVG nicht. Vorliegend verlangte der P von dem M zunächst nur, das Hakenkreuz abzunehmen, um einen möglichen Gesetzesverstoß schnellstmöglich zu beseitigen. Ihm ging es dabei soweit ersichtlich nicht vorrangig um die Verfolgung einer Straftat. P handelte damit zur Gefahrabwehr, mithin präventiv, so dass § 23 I EGGVG hier nicht greift. Damit hat es mit der Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs nach § 40 I VwGO sein Bewenden.
II. Statthafte Klageart
Die statthafte Klageart richtet sich gemäß § 88 VwGO nach dem Begehren des Klägers. Vorliegend wendet sich M gegen die Aufforderung, das Kreuz abnehmen. Seinem Begehren könnte die Fortsetzungsfeststellungsklage gemäß § 113 I 4 VwGO entsprechen. Dann müsste es sich bei der Aufforderung um einen erledigten VA handeln.
1. Erledigter VA
Zunächst müsste es sich bei der Aufforderung um einen Verwaltungsakt im Sinne des § 35 S. 1 VwVfG handeln. Ein Verwaltungsakt ist jede Verfügung, Entscheidung oder andere hoheitliche Maßnahme, die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalls auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft und die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist, § 35 VwVfG. Diese Merkmale sind hinsichtlich der Aufforderung durch den Polizisten P, das Hakenkreuz abzunehmen, erfüllt. Es liegt daher ein VA vor.
Dieser müsste auch erledigt sein. Erledigung tritt ein, wenn von dem VA keine Rechtswirkungen mehr ausgehen. Im Falle der behördlichen Vollstreckung und des Selbstvollzugs des VA durch den Adressaten ist dies der Fall, wenn der Vollzug zu irreparablen Folgen geführt hat und der VA nicht mehr causa für etwas (z.B. einen Kostenbescheid) ist. Im vorliegenden Fall hat M das Kreuz vom Hals genommen und damit den VA selbst vollzogen. Es ist hier nicht ersichtlich, dass die Aufforderung, noch als causa (etwa für einen Kostenbescheid) fortwirkt, so dass Erledigung eingetreten ist. Damit ist die Aufforderung, das Hakenkreuz abzunehmen erledigt.
2. Bestimmung des Zeitpunkts der Erledigung
Zu prüfen ist ferner, wann die Erledigung eingetreten ist. § 113 I 4 VwGO setzt eine Erledigung nach Klageerhebung voraus. Hier ist die Erledigung schon mit dem Abnehmen des Kreuzes, mithin vor Klageerhebung eingetreten. Für diesen Fall gilt § 113 I 4 VwGO in unmittelbarer Anwendung nicht. Fraglich ist, ob eine analoge Anwendung in Betracht kommt. Dies setzt, wie bei jeder Analogiebildung, voraus, dass eine planwidrige Regelungslücke besteht und eine vergleichbare Interessenlage vorliegt.
a) Planwidrige Regelungslücke
Das Vorliegen einer Regelungslücke setzt voraus, dass keine andere Klage für das Begehren des Klägers statthaft ist. Vorliegend ist das Begehren letztlich auf die Feststellung gerichtet, dass die Aufforderung, das Kreuz abzunehmen, rechtswidrig war. Diesem Begehren könnte möglicherweise auch eine Feststellungsklage, gerichtet auf eben diese Feststellung, Rechnung tragen. Dann müsste sie diese Feststellung ermöglichen. Die Feststellungsklage ist gerichtet auf die Feststellung des Bestehens bzw. Nichtbestehens von Rechtsverhältnissen. Das Ergebnis einer Feststellungsklage ist damit entsprechend entweder das Bestehen oder das Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses. Eine solche Feststellung sagt aber nicht zwingend etwas aus über die Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit, sondern allenfalls über die Nichtigkeit eines Verwaltungsakts. Damit entspricht eine solche Feststellung nicht dem Begehren des Klägers und ist von daher nicht die statthafte Klageart. Da eine andere dem Begehren entsprechende Klage nicht ersichtlich ist, liegt eine Regelungslücke vor.
Diese ist auch planwidrig, da der Gesetzgeber den Fall der Erledigung vor Klageerhebung, im Gegensatz zu dem nach Klageerhebung, soweit ersichtlich, übersehen hat.
b) Vergleichbare Interessenlage
Es müsste ferner eine zu dem „Normalfall“ des § 113 I 4 VwGO vergleichbare Interessenlage vorliegen. Insofern ist festzustellen, dass es aus der Sicht des Klägers letztlich egal ist, ob Erledigung kurz vor Klageerhebung oder kurz danach eintritt. Insofern liegt auch eine vergleichbare Interessenlage vor.
Damit liegen die Voraussetzungen einer Analogiebildung hier vor. Damit ist die Fortsetzungsstellungsklage in analoger Anwendung (§ 113 I 4 VwGO analog) die statthafte Klageart.
III. Fortsetzungsfeststellungsinteresse
M müsste auch das nach § 113 I 4 VwGO erforderliche Fortsetzungsfeststellungsinteresse haben. Dieses liegt grundsätzlich vor, wenn der Kläger ein Rehabilitationsinteresse hat, eine Wiederholungsgefahr besteht oder ein Präjudizinteresse gegeben ist. […] (Wiederholungsgefahr bejaht.)
IV. Klagebefugnis, § 42 II VwGO analog
M ist als Adressat eines belastenden VA möglicherweise in Art. 2 I GG verletzt → Klagebefugnis gegeben.
V. Erfolgloses Vorverfahren, §§ 68 ff. VwGO analog
Nach Erledigung kein Vorverfahren erforderlich (überwiegende Ansicht) → hier unschädlich.
VI. Klagefrist, § 74 I VwGO analog
Streit unbeachtlich; jedenfalls gewahrt.
VII. Klagegegner, § 78 I VwGO analog
–
VIII. Beteiligten- und Prozessfähigkeit, §§ 61, 62 VwGO
–
IX. Allgemeines Rechtsschutzbedürfnis
–
Zwischenergebnis: Die Klage bzgl. der Aufforderung ist zulässig.
B. Begründetheit
Die Fortsetzungsfeststellungsklage ist begründet, soweit der VA rechtswidrig war und M dadurch in Rechten verletzt wurde.
I. Ermächtigungsgrundlage
Mangels Spezialgrundlage kommt die polizeirechtliche Generalklausel des § 12 SächsPVDG in Betracht.
II. Formelle Rechtmäßigkeit
1. Zuständigkeit
Nach § 2 III SächsPVDG dürfen unaufschiebbare Maßnahmen auch von der Vollzugspolizei in allen Fällen der Gefahrabwehr getroffen werden. Hier unaufschiebbar → Polizei zuständig.
2. Verfahren
Anhörung faktisch erfolgt (sofortige Äußerungsmöglichkeit) → § 28 I VwVfG gewahrt.
3. Form
Formfrei möglich (mündlicher VA), §§ 37, 39 VwVfG.
III. Materielle Rechtmäßigkeit
1. Tatbestandsvoraussetzungen des § 12 SächsPVDG
a) Schutzgut
Öffentliche Sicherheit betroffen (geschriebenes Recht; Individualgüter). Öffentliche Verwendung eines Kennzeichens i.S.d. § 86a StGB.
b) Gefahr
Konkrete Gefahr (bereits realisierte Störung).
c) Richtiger Adressat (Störer)
M ist Verhaltensstörer, § 6 SächsPVDG.
Ermessen eröffnet; keine Ermessensfehler.
Beim Mittel: Erforderlichkeit (kein milderes gleich effektives Mittel ersichtlich) und Angemessenheit (Interessenabwägung) – verhältnismäßig (Bezug auf § 12 SächsPVDG).
Ergebnis Teil 1: Maßnahme rechtmäßig; Klage unbegründet.
C. Ergebnis
Die Klage des M ist zulässig, aber unbegründet.
2. Teil: Aufbrechen der Tür und Betreten und Durchsuchens der Wohnung
A. Zulässigkeit
(entsprechend: Verwaltungsrechtsweg, statthafte Klage: Feststellungsklage wegen Realakt; Feststellungsinteresse/Rehabilitation; Klagebefugnis; Subsidiarität; Klagegegner)
B. Begründetheit
Die Feststellungsklage ist begründet, wenn das Rechtsverhältnis nicht besteht; Maßnahme rechtmäßig, wenn Ermächtigungsgrundlage, formelle und materielle Rechtmäßigkeit vorliegen.
I. Ermächtigungsgrundlage
1. § 29 SächsPVDG (Betreten/Durchsuchen von Wohnungen)
Deckt Betreten/Durchsuchen; Aufbrechen als Vollstreckung darüber hinaus nicht ohne Weiteres umfasst.
2. § 19 SächsVwVG
Setzt wirksamen Grund-VA voraus; hier keine Bekanntgabe → (-).
3. § 8 SächsPVDG (einaktiges Vollstreckungsverfahren / unmittelbare Ausführung)
Mangels wirksamen Grund-VA einschlägig.
II. Formelle Rechtmäßigkeit
1. Zuständigkeit
§ 2 III SächsPVDG → Polizei zuständig (unaufschiebbar).
2. Verfahren
Unmittelbare Ausführung als Realakt → keine Anhörung erforderlich.
3. Form
Keine besonderen Formerfordernisse.
III. Materielle Rechtmäßigkeit (§ 8 SächsPVDG)
1. Kein wirksamer Grund-VA
– wie oben –
2. Gefahr
Bereits eingetretene Störung (Strafbarkeit nach § 86a StGB).
3. Handeln innerhalb der Befugnisse (fiktiver Grund-VA)
a) Ermächtigungsgrundlage
§ 29 SächsPVDG (Standardmaßnahme „Betreten und Durchsuchen von Wohnungen“).
b) Formelle Rechtmäßigkeit
Zuständigkeit: § 2 III SächsPVDG; weitere Verfahrens-/Formfragen: keine Besonderheiten.
c) Materielle Rechtmäßigkeit
Tatsachenannahmen für § 29 SächsPVDG plausibel (Person/Sachen in der Wohnung – zuvor geschildert).
Hinweise auf Sicherstellungstatbestand: § 31 SächsPVDG (dazu sogleich).
d) Rechtsfolge
Ermessen fehlerfrei.
4. Verhältnismäßigkeit (Mittelwahl: Tür aufbrechen)
Geeignet, erforderlich (kein gleich wirksames milderes Mittel realistisch verfügbar), angemessen.
Ergebnis Teil 2: Maßnahme rechtmäßig; Klage unbegründet.
C. Ergebnis
Die Klage des M ist zulässig, aber unbegründet.
3. Teil: Sicherstellung
A. Zulässigkeit
Feststellungsklage statthaft (Realakt); weitere Voraussetzungen gegeben.
B. Begründetheit
1. Ermächtigungsgrundlage
§ 31 SächsPVDG (Sicherstellung).
2. Formelle Rechtmäßigkeit
Wie oben zum Teil 2.
3. Materielle Rechtmäßigkeit
Voraussetzungen des § 31 SächsPVDG gegeben (u.a. zur Abwehr einer unmittelbar bevorstehenden Gefahr / Beseitigung einer Störung); Ermessen fehlerfrei.
C. Ergebnis
Die Klage des M ist zulässig, aber unbegründet.