Fall: Hähnchenkeller
Der H betreibt seit einigen Jahren in der Stadt S den Hähnchenkeller. Er verfügt über die hierfür erforderliche Gaststättenerlaubnis. Sein Betrieb unterscheidet sich von anderen Hähnchenbuden dadurch, dass es dort Hähnchen zu jeder Tages- und Nachtzeit gibt. Ebenso verhält es sich mit alkoholischen Getränken. Die Kombination aus “späten” Hähnchen und Allzeitschnaps zieht zur Nachtzeit ein illustres Publikum an. Nicht selten sitzen Vertreter der Lokalprominenz mit Vertretern unterschiedlichster Millieus Seite an Seite an H’s Tresen und trinken miteinander ein paar “Absacker”. Nachdem H den Betrieb jahrelang beanstandungsfrei geführt hatte, ergab es sich, dass H, trotz florierenden Geschäfts, auf die Dauer selbst sein bester Gast wurde.
Nicht selten kam es vor, dass er schon am Nachmittag Schwierigkeiten hatte, Salz und pulverförmige Reinigungsmittel beim Würzen der Hähnchen auseinanderzuhalten. Gleichwohl kam es seitens der Gäste nie zu Beanstandungen.
Seit der Weihnachtszeit 2015 fiel es H zunehmend schwerer, seinen Betrieb nach getaner Arbeit nicht laut johlend zu verlassen. Oft gelang ihm dies auch nicht, so dass sich in Folge dessen Nachbarn beim der zuständigen Behörde zu beschweren begannen. Spätestens am 02. Januar 2016 war dem zuständigen Mitarbeiter M der Behörde nicht mehr allein aufgrund privater Kenntnisnahme bekannt, dass H auch während der Öffnungszeiten sehr oft volltrunken ist und Schwierigkeiten hat, seinen Alkoholkonsum zu kontrollieren.
M, der den Hähnchenkeller regelmäßig privat frequentiert, befürchtete, dass ein Einschreiten in dieser Sache zu einer dauerhaften Schließung des Lokals führen könnte, ohne dass ein adäquater Ersatz ersichtlich wäre. Er entschloss sich daher nach einem kurzen Gespräch mit H dazu, diesem in seiner Funktion als Mitarbeiter der zuständigen Behörde ein Schreiben zuzusenden, in dem ausgeführt wird, dass der Behörde seit Januar 2016 bekannt sei, dass H alkoholbedingt erhebliche Schwierigkeiten habe, seinen Betrieb zu führen. Gleichwohl werde man aber der - tatsächlich erfolgten - Versicherung des H Glauben schenken, dass H sich einer sofortigen Therapie unterzieht sowie zukünftig nicht mehr alkoholisiert in seinem Laden bedient und daher von einer Rücknahme der Gaststättenerlaubnis absehen. Dies auch deshalb, weil es bislang, außer gelegentlichen Ruhestörungen, die aber durchaus von anderen Gästen verursacht worden sein könnten, zu keinerlei Beanstandungen hinsichtlich des Betriebs gekommen sei. Im Übrigen sei der Hähnchenkeller als Institution im Gastronomiebereich auch besonders schützenswert. Das Schreiben, dass mit einer ordnungsgemäßen Rechtsbehelfsbelehrung versehen war, ging dem H am 10.01.2016 zu. Einen Tag später ging M in Rente und vergaß beim Aufräumen seines Schreibtisches nicht, die Kopie des an H gesandten Schreibens und alle anderen diesbezüglichen Unterlagen zu vernichten. Diese Umstände wurden im Rahmen eines kurz danach stattfindenden Wechsels der Zuständigkeit der Behörde nicht bemerkt.
Bereits drei Tage später ging es bei H wieder hoch her und H vergaß die guten Vorsätze gänzlich. Etwa gegen zwölf Uhr Mittag am Folgetag verließen die letzten Gäste zusammen mit H laut johlend und sich wechselseitig stützend das Lokal. V, der Beamte der nunmehr zuständigen Behörde, ging, wie täglich um diese Zeit, mit seinem Hund in der Gegend des Lokals spazieren und bemerkte den Vorfall. Von dem Schreiben des M an H und bisherigen Vorfällen wusste er nichts und konnte auch keine entsprechende Akte finden, sah sich aber trotz der gewissermaßen “privaten” Kenntnisnahme veranlasst, der Sache nachzugehen. Durch eine Form von Arbeitsüberlastung und auch weil V die Sache nach seiner erstmaligen Kenntnisnahme als nicht vordringlich ansah und insoweit auch ein seinerseitiges “Versehen” für möglich hielt, kam es jedoch, dass V erst am 10.10.2016 dazu kam, den H ordnungsgemäß anzuhören. Nachdem dieser dabei freimütig einräumte, dass es mit dem Alkoholkonsum seit dem Schreiben des M “zwar deutlich besser sei, es aber schon mal sein könne, dass die Pferde mit ihm durchgingen” widerrief der V, der nun auch von dem Schreiben des M erfahren hatte, die Gaststättenerlaubnis mit ordnungsgemäß begründetem Bescheid vom 10.02.2017.
H wendet sich nach erfolglosen Widerspruch nun klageweise gegen den Widerruf. Er beruft sich u.a. auch auf sein Vertrauen in den Bestand der Erlaubnis, auf dessen Grundlage er jüngst noch erhebliche Investitionen in einen eigenen Nichtraucherbereich getätigt habe. Wie wird das VG entscheiden?
Bearbeitervermerk:
1. Es ist davon auszugehen, dass in dem betreffenden Bundesland von der Ermächtigung des § 78 I Nr. 2 VwGO nicht Gebrauch gemacht wurde.
2. Weiter ist davon auszugehen, dass das betreffende Bundesland keine Ausführungsbestimmung zu § 68 I 2 VwGO am Anfang erlassen hat.
3. Es ist das VwVfG des Bundes anzuwenden. 4. Es ist das GastG des Bundes anzuwenden.
Seit der Weihnachtszeit 2015 fiel es H zunehmend schwerer, seinen Betrieb nach getaner Arbeit nicht laut johlend zu verlassen. Oft gelang ihm dies auch nicht, so dass sich in Folge dessen Nachbarn beim der zuständigen Behörde zu beschweren begannen. Spätestens am 02. Januar 2016 war dem zuständigen Mitarbeiter M der Behörde nicht mehr allein aufgrund privater Kenntnisnahme bekannt, dass H auch während der Öffnungszeiten sehr oft volltrunken ist und Schwierigkeiten hat, seinen Alkoholkonsum zu kontrollieren.
M, der den Hähnchenkeller regelmäßig privat frequentiert, befürchtete, dass ein Einschreiten in dieser Sache zu einer dauerhaften Schließung des Lokals führen könnte, ohne dass ein adäquater Ersatz ersichtlich wäre. Er entschloss sich daher nach einem kurzen Gespräch mit H dazu, diesem in seiner Funktion als Mitarbeiter der zuständigen Behörde ein Schreiben zuzusenden, in dem ausgeführt wird, dass der Behörde seit Januar 2016 bekannt sei, dass H alkoholbedingt erhebliche Schwierigkeiten habe, seinen Betrieb zu führen. Gleichwohl werde man aber der - tatsächlich erfolgten - Versicherung des H Glauben schenken, dass H sich einer sofortigen Therapie unterzieht sowie zukünftig nicht mehr alkoholisiert in seinem Laden bedient und daher von einer Rücknahme der Gaststättenerlaubnis absehen. Dies auch deshalb, weil es bislang, außer gelegentlichen Ruhestörungen, die aber durchaus von anderen Gästen verursacht worden sein könnten, zu keinerlei Beanstandungen hinsichtlich des Betriebs gekommen sei. Im Übrigen sei der Hähnchenkeller als Institution im Gastronomiebereich auch besonders schützenswert. Das Schreiben, dass mit einer ordnungsgemäßen Rechtsbehelfsbelehrung versehen war, ging dem H am 10.01.2016 zu. Einen Tag später ging M in Rente und vergaß beim Aufräumen seines Schreibtisches nicht, die Kopie des an H gesandten Schreibens und alle anderen diesbezüglichen Unterlagen zu vernichten. Diese Umstände wurden im Rahmen eines kurz danach stattfindenden Wechsels der Zuständigkeit der Behörde nicht bemerkt.
Bereits drei Tage später ging es bei H wieder hoch her und H vergaß die guten Vorsätze gänzlich. Etwa gegen zwölf Uhr Mittag am Folgetag verließen die letzten Gäste zusammen mit H laut johlend und sich wechselseitig stützend das Lokal. V, der Beamte der nunmehr zuständigen Behörde, ging, wie täglich um diese Zeit, mit seinem Hund in der Gegend des Lokals spazieren und bemerkte den Vorfall. Von dem Schreiben des M an H und bisherigen Vorfällen wusste er nichts und konnte auch keine entsprechende Akte finden, sah sich aber trotz der gewissermaßen “privaten” Kenntnisnahme veranlasst, der Sache nachzugehen. Durch eine Form von Arbeitsüberlastung und auch weil V die Sache nach seiner erstmaligen Kenntnisnahme als nicht vordringlich ansah und insoweit auch ein seinerseitiges “Versehen” für möglich hielt, kam es jedoch, dass V erst am 10.10.2016 dazu kam, den H ordnungsgemäß anzuhören. Nachdem dieser dabei freimütig einräumte, dass es mit dem Alkoholkonsum seit dem Schreiben des M “zwar deutlich besser sei, es aber schon mal sein könne, dass die Pferde mit ihm durchgingen” widerrief der V, der nun auch von dem Schreiben des M erfahren hatte, die Gaststättenerlaubnis mit ordnungsgemäß begründetem Bescheid vom 10.02.2017.
H wendet sich nach erfolglosen Widerspruch nun klageweise gegen den Widerruf. Er beruft sich u.a. auch auf sein Vertrauen in den Bestand der Erlaubnis, auf dessen Grundlage er jüngst noch erhebliche Investitionen in einen eigenen Nichtraucherbereich getätigt habe. Wie wird das VG entscheiden?
Bearbeitervermerk:
1. Es ist davon auszugehen, dass in dem betreffenden Bundesland von der Ermächtigung des § 78 I Nr. 2 VwGO nicht Gebrauch gemacht wurde.
2. Weiter ist davon auszugehen, dass das betreffende Bundesland keine Ausführungsbestimmung zu § 68 I 2 VwGO am Anfang erlassen hat.
3. Es ist das VwVfG des Bundes anzuwenden. 4. Es ist das GastG des Bundes anzuwenden.
Die Klage hat Erfolg, wenn sie zulässig und begründet ist.
A. Zulässigkeit der Klage
Die Klage des H müsste zunächst zulässig sein.
I. Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs
Eine aufdrängende Sonderzuweisung ist nicht ersichtlich. Der Verwaltungsrechtsweg könnte daher gem. § 40 I VwGO eröffnet sein. Eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit liegt vor, wenn die streitentscheidende Norm öffentlich-rechtlicher Art ist. Streitentscheidende Normen sind vorliegend solche des GastG. Diese sind öffentlich-rechtlicher Art, so dass auch eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit vorliegt. Die Streitigkeit ist auch nichtverfassungsrechtlicher Art, da keine Verfassungsorgane um formelles Verfassungsrecht streiten. Abdrängende Sonderzuweisungen sind hier nicht ersichtlich, so dass der Verwaltungsrechtsweg nach § 40 I VwGO eröffnet ist.
II. Statthafte Klageart
Die statthafte Klageart richtet sich gem. § 88 VwGO nach dem Begehren des Klägers. K begehrt hier die Aufhebung des Widerrufs der Gaststättenerlaubnis. Der Widerruf der Gaststättenerlaubnis ist ein VA im Sinne des § 35 S. 1 VwVfG. Dieser VA ist auch nicht erledigt, so dass die Anfechtungsklage gemäß § 42 I 1. Fall die statthafte Klageart ist.
III. Klagebefugnis, § 42 II VwGO
H müsste klagebefugt sein. Die Klagebefugnis ist gegeben, wenn nach dem Sachvortrag des Klägers die Möglichkeit besteht, dass er durch den VA in seinen subjektiv-öffentlichen Rechten verletzt ist. Im vorliegenden Fall besteht die Möglichkeit, dass H durch den Widerruf der Gaststättenerlaubnis in seinen Rechten aus Art. 12 I GG verletzt ist. H ist somit klagebefugt.
IV. Widerspruchsverfahren, §§ 68 ff. VwGO
H hat das nach nach §§ 68 ff. VwGO erforderliche Vorverfahren erfolglos durchgeführt.
V. Klagefrist, § 74 I VwGO
H hat ferner die Klagefrist des § 74 I VwGO gewahrt.
VI. Klagegegner, § 78 I VwGO
H müsste seine Klage auch gegen den richtigen Beklagten im Sinne des § 78 I VwGO richten. Klagegegner ist gem. § 78 I Nr. 1 VwGO die Stadt S als Rechtsträgerin.
Die Klage ist damit zulässig.
B. Begründetheit
Die Anfechtungsklage ist gem. § 113 I 1 VwGO begründet, soweit der Verwaltungsakte rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist. Es ist daher vorliegend zu prüfen, ob der Widerruf der Gaststättenerlaubnis auf einer wirksamen Ermächtigungsgrundlage basiert und formell und materiell rechtmäßig ist.
I. Ermächtigungsgrundlage
Als belastender VA müsste der Widerruf der Gaststättenerlaubnis auf eine wirksame Ermächtigungsgrundlage gestützt sein. Als solche kommt hier § 15 II GastG in Betracht, der nach dem Spezialitätsgrundsatz den allgemeinen Vorschriften, wie § 49 VwVfG, vorgeht.
II. Formelle Rechtmäßigkeit
Der Widerruf müsste formell rechtmäßig erfolgt sein.
1. Zuständigkeit
Der Widerruf müsste durch die zuständige Behörde erfolgt sein. Vorliegend hat die zuständige Behörde den Widerruf erlassen, so dass die Zuständigkeit gewahrt ist.
2. Verfahren
Vor dem Widerruf der Gaststättenerlaubnis als belastender Verwaltungsakt müsste H gemäß § 28 I VwVfG auch ordnungsgemäß angehört worden sein. Hier hat der V den H zu dem geplanten Widerruf angehört, so dass die Anforderungen des § 28 I VwVfG vorliegen.
3. Form
Der Widerrufsbescheid müsste auch die Anforderungen hinsichtlich der Form, insbesondere die des § 39 I VwVfG einhalten. Danach ist ein schriftlicher Verwaltungsakt zu begründen. Hier ist der Widerrufsbescheid als schriftlicher Verwaltungsakt ergangen und wurde auch ordnungsgemäß begründet, so dass die Form eingehalten wurde.
Der Widerruf ist damit formell rechtmäßig.
III. Materielle Rechtmäßigkeit
Der Widerruf müsste auch materiell rechtmäßig sein. Dies setzt voraus, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen der Ermächtigungsgrundlage vorliegen und eine zulässige Rechtsfolge gewählt wurde.
1. Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen des § 15 II GastG
Es müssten die Tatbestandsvoraussetzungen des § 15 II GastG vorliegen. Nach § 15 II GastG ist die Erlaubnis ist zu widerrufen, wenn nachträglich Tatsachen eintreten, die die Versagung der Erlaubnis nach § 4 I Nr. 1 GastG rechtfertigen würden.
Nach § 4 I Nr. 1 GastG ist die Erlaubnis zu versagen, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Antragsteller die für den Gewerbebetrieb erforderliche Zuverlässigkeit nicht besitzt, insbesondere dem Trunke ergeben ist oder befürchten lässt, dass er Unerfahrene, Leichtsinnige oder Willensschwache ausbeuten wird oder dem Alkoholmissbrauch, verbotenem Glücksspiel, der Hehlerei oder der Unsittlichkeit Vorschub leisten wird oder die Vorschriften des Gesundheits- oder Lebensmittelrechts, des Arbeits- oder Jugendschutzes nicht einhalten wird.
Vorliegend könnte dem H die erforderliche Zuverlässigkeit daher fehlen, dass er möglicherweise dem Trunke ergeben ist. Insoweit verhält es sich so, dass mit H nach eigener Aussage regelmäßig mal “die Pferde durchgehen” und er dann volltrunken und laut johlend, teilweise auch erst am nächsten Tage, sein Lokal verlässt. Dies spricht für eine Alkoholsucht des H. Selbst wenn man darin noch nicht eine Suchtproblematik erblicken mag, so liegt darin jedenfalls eine ganz erhebliche Einschränkung der Zuverlässigkeit im Hinblick auf die vielfältigen Erfordernisse, die ein Gaststättenbetrieb mit sich bringt. Hierzu zählt insbesondere auch die Sicherheit der Gäste, die auch dann ganz erheblich gefährdet ist, wenn der Gastwirt nur gelegentlich so stark alkoholisiert ist, dass er Würz- und Reinigungsmittel nicht sicher auseinanderhalten kann. Demnach fehlt es dem H an der erforderlichen Zuverlässigkeit. Diese Umstände lagen bei Konzessionserteilung noch nicht vor, sondern sind erst im Verlaufe der Jahre und damit nachträglich entstanden. Die Voraussetzungen für einen Widerruf nach § 15 II GastG liegen damit vor.
2. Frist des § 48 IV VwVfG
Zu prüfen ist weiter, ob ein Widerruf noch erfolgen darf, da zwischen dem Zeitpunkt der Kenntnisnahme der dem Widerruf zugrunde liegenden Tatsachen (02.01.2016 bzw. 15.01.2016) und dem tatsächlich erfolgten Widerruf (10.02.2017.) mehr als ein Jahr liegt. Ein Widerruf könnte dann nach der Frist des § 49 II 2 VwVfG i.V.m. § 48 IV VwVfG ausgeschlossen sein.
a) Anwendbarkeit des § 48 IV VwVfG neben § 15 II GastG
Dazu müsste die Frist des § 48 IV VwVfG neben § 15 II GastG überhaupt anwendbar sein. Nach einer Ansicht findet die Frist des § 48 IV VwVfG auch auf einen Widerruf nach § 15 II GastG Anwendung und wäre demzufolge auch hier zu berücksichtigen. Demgegenüber wird von einer anderen Ansicht vertreten, dass die Frist des § 48 IV VwVfG auf die Rücknahme nach § 15 I GastG und den Widerruf nach § 15 II GastG keine Anwendung finden könne, da die Fristenregelung des § 48 IV VwVfG für die Ermessenstatbestände der §§ 48, 49 VwVfG konzipiert sei, wohingegen bei § 15 I, II GastG als Rechtsfolge jeweils eine gebundene Entscheidungen vorläge, wozu die Bestimmung des § 48 IV VwVfG konzeptionell nicht passten, da die Behörde aus § 15 I, II GastG “in jedem Fall” verpflichtet sei, die Aufhebung vorzunehmen. Danach wäre die Frist des § 48 IV VwVfG hier nicht zu berücksichtigen.
Ein Streitentscheid könnte dahinstehen, wenn die Frist des § 48 IV VwVfG vorliegend gewahrt wäre. Nach § 48 IV VwVfG gilt: Erhält die Behörde von Tatsachen Kenntnis, welche die Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes rechtfertigen, so ist die Rücknahme nur innerhalb eines Jahres seit dem Zeitpunkt der Kenntnisnahme zulässig. Problematisch ist insofern, was unter “Tatsachen” im Sinne des § 48 IV VwVfG zu verstehen ist. Dies korrespondiert mit der Frage, ab wann die Frist zu laufen beginnt.
aa) Eine Ansicht: Fristbeginn mit Kenntnis der Tatsachen
Nach einer Ansicht beginnt die Frist des § 48 IV VwVfG ab dem Zeitpunkt zu laufen, ab dem die Behörde Kenntnis von den zutreffenden Tatsachen erlangt hat. Im vorliegenden Fall hat die Behörde durch ihren Mitarbeiter M spätestens am 02.01.2016 die zutreffenden Tatsachen erfahren. Damit hätte nach dieser Ansicht die Frist des § 48 IV VwVfG ab dem 02.01.2016 grundsätzlich zu laufen begonnen. Problematisch ist insofern aber, dass die Zuständigkeit der Behörde kurz nach diesem Termin wechselte und nun die Behörde in der V seinen Dienst leistet, für den Widerruf zuständig ist. Es ist insoweit fraglich, ob die neue Behörde sich die Kenntnis der alten Behörde zurechnen lassen muss. Nach einer Ansicht soll dies unter Verweis auf den Grundsatz von Treu und Glauben der Fall sein. Damit bliebe es auch nach Zuständigkeitswechsel beim 02.01.2016 als Fristbeginn. Nach anderer Ansicht kommt dagegen eine Zurechnung nicht in Betracht, da das Ziel des § 48 IV VwVfG, der zuständigen Behörde genügend Zeit für ihre Entscheidung zu gewähren, sonst verfehlt würde. Danach erlangte neue Behörde Kenntnis von den zutreffenden Tatsachen erst mit dem Spaziergang des V, mithin am 15.01.2016. Da der Widerruf am 10.02.2017 erfolgte, ist die Frist des § 48 IV VwVfG nach beiden Ansichten nicht gewahrt, so dass es eines Streitentscheids hier nicht bedarf.
bb) Andere Ansicht: Fristbeginn ab Kenntnis der Rechtswidrigkeit
Nach einer anderen Ansicht beginnt die Frist ab Kenntnis der Behörde von der Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts zu laufen. Der Behörde wird insoweit eine Bearbeitungsfrist zugestanden. Vorliegend erfuhr die alte Behörde am 02.01.2016 von den zutreffenden Tatsachen, während die neue Behörde erst am 15.01.2016 Kenntnis erlangte (s.o.). Auch insoweit stellt sich für den Beginn der Bearbeitungsfrist die Frage, wessen Kenntnisnahme zugrunde zu legen ist (s.o.). Insoweit ist denkbar, dass der M bereits zum 02.01.2016, nicht zuletzt aufgrund seiner persönlichen Informationen über den Sachverhalt und die Beschwerden Dritter, eine Kenntnis auch von der Rechtswidrigkeit hatte. Damit würde nach der ersten Ansicht die Frist ab dem 02.01.2016 laufen und der Widerruf wäre verfristet (s.o.).
Demgegenüber bestand in der neuen Behörde, respektive bei V, nach dem 15.01.2016 gerade keine sichere Erkenntnis über die Rechtswidrigkeit. Dies zum einen, weil in der neuen Behörde keinerlei Akten über den bisherigen Verlauf vorhanden waren, zum anderen, weil V sich nach seiner ersten Beobachtung selbst über die Sachlage nicht sicher war und daher erst weitere Ermittlungen anstellen musste, was er schließlich auch zum 10.10.2016 tat. Erst ab diesem Zeitpunkt wusste V dann auch um die Rechtswidrigkeit, so dass nach der zweiten Ansicht die Frist erst ab Kenntnis der Rechtwidrigkeit, mithin frühestens am 10.10.2016 begann. Danach wäre der Widerruf noch möglich gewesen.
Da beide Auffassungen hier zu unterschiedlichen Ergebnissen gelangen, bedarf es eines Streitentscheids. Für die zweite Ansicht spricht, dass es nach Sinn und Zweck des § 48 IV VwVfG gerade darum geht, der zuständigen Behörde hinreichend Zeit zu geben, den Sachverhalt zu erforschen und darüber hinaus auch genügend Zeit zu haben, um dann auf dieser Basis über den Widerruf zu entscheiden. Dass § 48 IV VwVfG dabei keine starre Ausschlussfrist enthält, die allein zugunsten des Adressaten des VA wirken soll, sondern sich vielmehr auch an die Behörde richtet, ergibt sich insbesondere auch aus dem Umstand, dass an die Kenntnis der Behörde angeknüpft wird und nicht an den Erlasszeitpunkt des VA. Vor dem Hintergrund dieser Zielrichtung des § 48 IV VwVfG erscheint es sachgerecht, der letztlich zuständigen Behörde ein angemessene und damit vollständige Frist zur Bearbeitung einzuräumen.
Da damit eine Zurechnung der Kenntnis der vorherigen Behörde nicht erfolgt, ist mit der zweiten Ansicht zur Fristberechnung die Frist des § 48 IV VwVfG gewahrt.
cc) Andere Ansicht: Fristbeginn ab Kenntnis aller Tatsachen
Nach einer weiteren Ansicht (BVerwG) ist die Frist des § 48 IV VwVfG eine Entscheidungsfrist. Sie beginnt danach erst zu laufen, wenn die Behörde alle für Rücknahme- bzw. Widerrufsentscheidung relevanten Tatsachen bekannt sind. Bei Ermessensentscheidungen, wie §§ 48, 49 VwVfG beginnt die Frist danach erst dann zu laufen, wenn die Behörde so umfassend informiert ist, dass sie ihr Ermessen fehlerfrei ausüben kann.
Im Anschluss an die unter bb. getroffenen Feststellungen zur Nichtzurechnung, läuft nach dieser Ansicht die Frist frühestens ab dem 10.10.2016. Eine Verfristung läge nach dieser Ansicht daher nicht vor.
dd) Stellungnahme zur Fristberechnung
Da die erste der drei Ansichten zum Fristbeginn zu einem gegenüber den anderen beiden Ansichten abweichenden Beginn der Frist kommt, bedarf es einer Stellungnahme. Da die verschiedenen Ansichten aus unterschiedlichen Interpretationen des § 48 IV VwVfG resultieren, ist diese Norm auszulegen.
Der Wortlaut des § 48 IV VwVfG spricht ausdrücklich von “Tatsachen” und nicht etwa von “Rechtswidrigkeit”, was zunächst für die erste Ansicht zu sprechen scheint. Insoweit ist aber zu berücksichtigen, dass es in dem selben Satz, bezogen auf den Begriff “Tatsachen” weiter heisst: “welche die Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes rechtfertigen.” Aus dieser Relativierung, insbesondere dem Wort “rechtfertigen” ist zu schließen, dass die Kenntnis der Tatsachen allein nicht ausreicht, sondern vielmehr auf ihrer Basis mindestens noch eine Bewertung der Rechtswidrigkeit erfolgen muss. Dies spricht gegen die erste Ansicht. Ferner gegen die erste Ansicht sprechen auch, wie bereits dargelegt, Sinn und Zweck der Regelung des § 48 IV VwVfG (s.o.). Die erste Ansicht ist daher abzulehnen. Eines Entscheids zwischen den beiden anderen Ansichten bedarf es hier nicht, da sie im vorliegenden Fall zum gleichen Ergebnis führen.
b) Zwischenergebnis
Da die Frist des § 48 IV VwVfG vorliegend jedenfalls gewahrt ist, bedarf es keiner Entscheidung bzgl. der Frage, ob diese Frist im Rahmen des § 15 II GastG überhaupt anwendbar ist.
c) Rechtsfolge
Die Behörde müsste ferner die richtige Rechtsfolge gewählt haben. Rechtsfolge des § 15 II GastG ist, wie sich aus dem Wortlaut (“ist”) ergibt, eine gebundene Entscheidung in der Form des Widerrufs der Erlaubnis. Eine solcher ist hier ergangen, so dass die Rechtsfolge von daher fehlerfrei gewählt ist.
Auch eine gebundene Entscheidung muss den aus dem Rechtsstaatsprinzip folgenden Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachten. Danach darf ein Widerruf nach § 15 II GastG nicht erfolgen, wenn ein rechtmäßiger Zustand durch mildere Maßnahme gesichert oder hergestellt werden kann. Vorliegend ist H aufgrund seiner Alkoholprobleme nicht in der Lage, den Betrieb zuverlässig und ohne Gefährdung der Gäste zu führen. Ein milderes Mittel als der Widerruf der Erlaubnis ist daher, insbesondere vor dem Hintergrund der erheblichen Gesundheitsgefahren für Gäste, nicht ersichtlich. Dies vor allem auch, weil der “Warnschuss” des M an H auch ohne nennenswerten Erfolg blieb. Der Widerruf ist daher auch verhältnismäßig.
Zu prüfen ist darüber hinaus, wie es sich auswirkt, dass H im Vertrauen auf den Bestand der Erlaubnis, die er bereits seit Jahren beanstandungsfrei innehatte, jüngst Investitionen in einen Nichtraucherbereich getätigt hat. Diesbezüglich ist zunächst festzustellen, dass der Grundsatz des Vertrauensschutzes als Bestandteil des Rechtsstaatsprinzips Verfassungsrang genießt. Ein Verstoß gegen ihn würde daher den Widerruf rechtswidrig machen. Allerdings gilt der Grundsatz des Vertrauensschutzes nicht uneingeschränkt, wie etwa die Regelungen der §§ 48, 49 VwVfG zeigen. Diese Regelungen zielen nämlich auch darauf ab, dem ebenfalls verfassungsrechtlichen Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung zur Durchsetzung zu verhelfen. Damit stehen sich bei der Aufhebung von Verwaltungsakten zwei verfassungsrechtliche Grundsätze gegenüber, die es zum Ausgleich zu bringen gilt. Insoweit ist auch zu berücksichtigen, zu welchem Zweck eine Aufhebung erfolgt. Bezogen auf den vorliegenden Fall ist festzustellen: Anders als bei §§ 48, 49 VwVfG ist bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 15 I bzw. II GastG in jedem Fall eine so erhebliche Gefahr für die Sicherheit bspw. der Gäste (etwa durch die ggf. lebensgefährliche Verwechslung von Salz und scharfen Reinigungsmitteln beim Würzen von Gerichten) gegeben, dass eine Berufung auf Vertrauensschutz gegenüber der Gefahrabwehr nachrangig und damit im Rahmen von § 15 I, II GastG ausgeschlossen ist.
d) Zusicherung, § 38 VwVfG
Der Widerruf der Gaststättenerlaubnis könnte ferner rechtswidrig sein, wenn das Schreiben des M eine Zusicherung i.S.d. § 38 VwVfG dahingehend darstellte, von einem Widerruf abzusehen und diese Zusicherung auch noch wirksam wäre.
aa) Vorliegend einer Zusicherung, § 38 I 1 VwVfG
Dazu müsste es sich bei dem Schreiben des M zunächst um eine Zusicherung im Sinne des § 38 I VwVfG handeln. Nach § 38 I 1 VwVfG ist eine Zusicherung die von der zuständigen Behörde erteilte Zusage, einen bestimmten Verwaltungsakt später zu erlassen oder zu unterlassen. Im vorliegenden Fall hat der M für die seinerzeit zuständige Behörde dem H mitgeteilt, dass von dem Widerruf der Gaststättenerlaubnis (s.o.) abgesehen, dieser mithin unterlassen werde. Bei dem Schreiben des H handelt es sich mithin um eine Zusicherung i.S.d. § 38 I 1 VwVfG.
bb) Wirksamkeit der Zusicherung, § 38 I 1 VwVfG
Die Zusicherung müsste ferner wirksam ein. Dazu musste sie zunächst gemäß § 38 I 1 VwVfG schriftlich erteilt worden sein. M hat dem H für die Behörde ein Schreiben, sogar samt Rechtsbehelfsbelehrung, übermittelt, dass die Zusicherung enthielt. Sie ist daher schriftlich erteilt worden.
Die Zusicherung darf ferner nicht nichtig nach § 44 I, II VwVfG nichtig sein. Ein Nichtigkeitsgrund gem. § 44 II VwVfG ist hier nicht ersichtlich. Eine Nichtigkeit nach § 44 I VwVfG läge vor, wenn die Zusicherung an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommender Umstände offenkundig wäre. Vorliegend erfolgte die Zusicherung durch M, trotz der schon damals bestehenden Unzuverlässigkeit des H. Zum Zeitpunkt der Zusicherung lagen die Voraussetzungen des § 15 II GastG i.V.m. § 4 I Nr. 1 GastG daher bereits vor, so dass die Zusicherung rechtswidrig war. Darin liegt indes kein “besonders schwerer Fehler” im Sinne des § 44 I VwVfG, der darüber hinaus auch nicht offenkundig ist. Die Zusicherung ist damit zwar rechtswidrig, aber wirksam.
cc) Entfallen der Wirksamkeit durch Rücknahme, §§ 38 II, 48 I, III VwVfG
Die Wirksamkeit der Zusicherung könnte hier durch eine Rücknahme gemäß §§ 38 II, 48 I, Ill VwVfG entfallen sein. Ausdrücklich hat die Behörde die Rücknahme der Zusicherung nicht erklärt. Allerdings kann die Rücknahme auch konkludent durch Versagung des zugesicherten Verwaltungsakts bzw. die Vornahme eines Verwaltungsakts, dessen Unterlassung zugesichert war, erfolgen. Hier hat die später zuständige Behörde sich nicht an die zugesicherte Unterlassung des Widerrufs gehalten, indem sie ihn entgegen der Zusicherung vornahm. Darin liegt die konkludente Rücknahme der Zusicherung.
Damit die damit erklärte Rücknahme wirksam ist, müsste sie auch die Anforderungen des § 48 I, III VwVfG einhalten. Die Zusicherung war ein rechtswidriger (s.o.), begünstigender, nicht auf Geld gerichteter VA. Damit gelten für die Rücknahme der Zusicherung die Anforderungen des Abs. 3 des § 48 VwVfG. Insoweit ist festzustellen, dass der Vertrauensschutz in Abs. 3, im Gegensatz zu Abs. 2, nur schwach ausgeprägt ist. Es wird insoweit auch vertreten, dass er allein im Rahmen des Ermessens zu berücksichtigen sei. Dies kann hier dahinstehen, da das Vertrauen in den Bestand der Zusicherung beim Widerruf nach § 15 II GastG nicht geschützt ist bzw. aufgrund der vorrangigen Sicherheitsinteressen nicht geschützt werden kann (s.o.). Da auch die Frist des § 48 IV VwVfG eingehalten ist (s.o.) und Ermessensfehler nicht ersichtlich sind, war die Rücknahme der Zusicherung rechtmäßig und die Zusicherung damit unwirksam.
Damit ist der Widerruf der Gaststättenerlaubnis insgesamt rechtmäßig.
C. Endergebnis
Die Klage ist zulässig aber unbegründet. Sie hat daher keinen Erfolg.