Fall: Die enttäuschte Bauerwartung

V verkaufte und übereignete formgerecht an K ein Grundstück, das im Außenbereich einer Gemeinde gelegen ist. V und K erwarteten, dass das Grundstück, da es in einen schon im Entwurf vorhandenen Bebauungsplan einbezogen war, in naher Zukunft bebaut werden dürfe. Sie richteten daran die Preisvereinbarung aus. K zahlte zunächst nur 4/5 des Kaufpreises. Die Erwartung erfüllte sich in den folgenden fünf Jahren nicht; die Gemeinde nahm schließlich den Entwurf des Bebauungsplans wegen politischer Widerstände zurück.

Nunmehr verlangt V die Zahlung des ausstehenden Kaufpreisrestes und betreibt die Zwangsvollstreckung aus der Kaufvertragsurkunde, in der sich K der sofortigen Zwangsvollstreckung unterworfen hat. K erhebt Vollstreckungsgegenklage und macht geltend, er sei berechtigt vom Vertrag zurückgetreten.

Mit der Klage beantragt K zusätzlich die Rückzahlung der schon geleisteten Kaufpreissumme.

Haben die Klagen Erfolg?


1. Teil: Erfolgsaussichten der Vollstreckungsabwehrklage des K

A. Zulässigkeit
Die Vollstreckungsabwehrklage müsste zunächst zulässig sein.

I. Statthaftigkeit
Dann müsste die Vollstreckungsabwehrklage gem. § 767 ZPO zunächst statthaft sein. Die Vollstreckungsabwehrklage ist statthaft, wenn materielle Einwendungen gegen die Vollstreckung eingebracht werden. Hier macht K geltend, zum Rücktritt vom Vertrag berechtigt zu sein. Die Geltendmachung eines Rücktritts stellt eine materielle Einwendung dar, da sie sich auf den Anspruch des V auf Kaufpreiszahlung auswirkt. Damit ist die Vollstreckungsabwehrklage nach § 767 ZPO statthaft.

II. Zuständigkeit
Ferner müsste die Zuständigkeit gewahrt werden. Grundsätzlich ist das Prozessgericht des ersten Rechtszugs gem. § 767 I ZPO für die Vollstreckungsabwehrklage zuständig. Hier jedoch ist zu beachten, dass bisher kein Prozess stattgefunden hat. V und K haben vor dem Notar einen Kaufvertrag geschlossen. Dies ist eine vollstreckbare Urkunde nach § 794 I Nr. 5 ZPO. Für vollstreckbare Urkunden regelt § 797 ZPO das Verfahren. In § 797 V ZPO ist geregelt, dass das Gericht zuständig ist, bei dem der Schuldner im Inland seinen allgemeinen Gerichtsstand hat. Damit ist der Wohnsitz des Beklagten maßgeblich, §§ 12, 13 ZPO. Jedoch könnte im vorliegenden Fall die Zuständigkeitsregelung des § 800 III ZPO greifen. Danach ist für Klagen nach § 797 V ZPO das Gericht zuständig, in dessen Bezirk das Grundstück belegen ist. § 800 ZPO richtet sich nach Klagen gegen den Grundstückseigentümer. Hier aber geht es nicht um Ansprüche gegen das Grundstück, sondern um den Kaufpreisanspruch des V gegen K. Damit bleibt es bei der Zuständigkeit nach §§ 797 V, 12, 13 ZPO.

III. Rechtsschutzbedürfnis
Schließlich müsste auch das Rechtsschutzbedürfnis vorliegen. Es dürfte kein einfacheren und zumutbaren Weg zur Erlangung des Rechtsschutzes geben. In der Zwangsvollstreckung ist das Rechtsschutzbedürfnis gegeben, soweit die Zwangsvollstreckung begonnen und noch nicht beendet worden ist. Das Ende tritt regelmäßig mit der Auskehr des Erlöses ein. Hier hat die Zwangsvollstreckung durch den V bereits begonnen, ein Erlös wurde noch nicht ausgekehrt. Damit ist das Rechtsschutzbedürfnis gegeben.

Die Vollstreckungsabwehrklage des K ist zulässig.

B. Begründetheit
Die Vollstreckungsabwehrklage des K ist begründet, wenn ihm materielle Einwendungen gegen die Klage zustehen, die nicht präkludiert sind.

I. Materielle Einwendungen
Hier beruft sich K auf den Rücktritt vom Kaufvertrag. Ein solcher Rücktritt liegt vor, wenn dem K ein Rücktrittsrecht zusteht, er den Rücktritt erklärt hat und der Rücktritt im Übrigen nicht ausgeschlossen ist.

1. Rücktrittsrecht
Dem K müsste zunächst ein Rücktrittsrecht zustehen.

a) Rücktrittsrecht des K gegen V aus §§ 437 Nr. 2, 1. Fall, 323, 326 V BGB
Ein Rücktrittsrecht könnte für K aus dem Gewährleistungsrecht zum Kaufrecht nach §§ 437 Nr. 2, 1. Fall, 323, 326 V BGB bestehen.

aa) Wirksamer Kaufvertrag
Zunächst müssten K und V einen wirksamen Kaufvertrag nach § 433 BGB geschlossen haben. Dies setzt eine wirksame Einigung mit dem Inhalt des Abschlusses eines Kaufvertrages voraus, §§ 145 ff. BGB. V hat dem K das Grundstück verkauft und dies wurde auch vor dem Notar vereinbart. Ferner wurde die Formvorschrift des § 311b I 1 BGB eingehalten. Damit liegt ein wirksamer Kaufvertrag nach § 433 BGB zwischen K und V vor.

bb) Mangel, §§ 434, 435 BGB
Zudem müsste ein Mangel vorliegen. Dies ist jede negative Abweichung der Ist-Beschaffenheit von der Soll-Beschaffenheit. K kaufte das Grundstück von V, um es zu bebauen. Dann aber nahm die Gemeinde den Entwurf des Bebauungsplans zurück, sodass K sein erworbenes Grundstück nicht mehr bebauen kann.

(1) Rechtsmangel, § 435 BGB
Die Rücknahme des Bebauungsplans könnte zunächst einen Rechtsmangel nach § 435 BGB darstellen. Hindert der Bebauungsplan die Bebauung, ist dies die aktuelle Rechtslage, die im Ergebnis einen Rechtsmangel in Form einer öffentlich-rechtlichen Beschränkung begründen könnte. Hier liegt eine Kombination aus Rechtslage und tatsächlichen Umständen vor. Die Lage des Grundstücks, auf der K bauen möchte, ist ein realer Umstand. Insofern geht es primär nicht um die öffentlich-rechtliche Beschränkung, sondern darum, dass K faktisch dort nicht bauen kann. Damit liegt kein rechtlicher Umstand und somit auch kein Rechtsmangel vor.

(2) Sachmangel, § 434 BGB
Die fehlende Bebaubarkeit könnte dann einen Sachmangel nach § 434 BGB darstellen.

(a) § 434 I 1 BGB
Zunächst kommt in Betracht, dass die fehlende Bebaubarkeit eine fehlende Beschaffenheitsvereibarung i.S.d. § 434 I 1 BGB darstellt. Hier haben V und K vereinbart, dass das Grundstück Bauland werden soll.

(aa) Beschaffenheitsvereinbarung
Fraglich könnte aber sein, ob die Vereinbarung zwischen K und V eine Beschaffenheitsvereinbarung ist. Insbesondere ist zu prüfen, was unter dem Begriff der Beschaffenheit zu verstehen ist. Dies ist umstritten.

(aaa) Erste Ansicht
Eine Ansicht versteht den Begriff der Beschaffenheit eng. Danach sollen nur solche Merkmale erfasst werden, die der Sache unmittelbar physisch anhaften. Die Frage, ob ein Grundstück bebaut werden kann, ist kein Umstand, der dem Grundstück selbst anhaftet, sondern stellt vielmehr eine Rahmenbedingung dar. Nach dieser Auffassung ist die Frage nach der Bauerwartung damit kein Sachmangel.

(bbb) Andere Ansicht
Eine andere Ansicht versteht den Begriff der Beschaffenheit eher weit. Darunter werden alle der Sache anhaftenden tatsächlichen, rechtlichen oder wirtschaftlichen Umstände gefasst. Damit fällt auch die fehlende Bebaubarkeit als Rahmenbedingung unter diese Ansicht, sodass ein Sachmangel gegeben wäre.

(ccc) Stellungnahme
Da beide Auffassungen zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen, bedarf es einer Stellungnahme. Für die erste Ansicht spricht, dass der Käufer das Verwendungsrisiko trage. Es sei das Risiko des Käufers, dass er das Grundstück nicht bebauen kann. Für die zweite Ansicht spricht zunächst der Parteiwille. Auch wenn als Ausgangspunkt der Käufer das Risiko trage, dass er sein Grundstück nicht bebauen kann und seine Erwartungen enttäuscht werden, können bestimmte Erwartungen dennoch Inhalt eines Vertrages werden, mit dem Ziel, dass diese Erwartungen auch erfüllt werden. Außerdem kann der Wortlaut des § 434 BGB für die weite Auslegung des Begriffs der Beschaffenheit herangezogen werden. Im Wortlaut seien keine Anhaltspunkte für eine Beschränkung auf unmittelbar physisch anhaftende Umstände zu erkennen. Damit ist die zweite Ansicht vorzugswürdig, sodass ein Sachmangel prinzipiell vorliegt.

(bb) Zukünftige Umstände als Beschaffenheit
Des Weiteren könnte problematisch sein, dass ein zukünftiger Umstand als Beschaffenheit vereinbart wurde. Zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses lag noch kein Bauland vor. Die Parteien hatten nur die Erwartung, dass das Grundstück als Bauland ausgewiesen werde. Fraglich ist, ob eine solche Erwartung bereits eine Beschaffenheit darstellt, die dann bei Fehlen einen Sachmangel ausmacht. Dies ist umstritten.

(aaa) Erste Ansicht
Nach einer Ansicht sind zukünftige Umstände keine Beschaffenheitsvereinbarung. Damit läge kein Sachmangel vor.

(bbb) Zweite Ansicht
Nach einer anderen Auffassung kann ein zukünftiger Umstand eine Beschaffenheitsvereinbarung darstellen. Vorausgesetzt wird, dass ein Potenzial nicht vorhanden ist. Dies ist dann der Fall, wenn noch nicht mal geplant, dass das Grundstück als Bauland ausgewiesen werden soll. Im vorliegenden Fall war das Potenzial aber vorhanden. In der Planung wurde festgelegt, dass das Grundstück als Bauland ausgewiesen werden soll. Hier hat sich lediglich das negative Risiko realisiert, wenn nur ein Potenzial eingekauft wird. Damit liegt auch nach dieser Auffassung kein Sachmangel vor.

Damit liegt nach beiden Ansichten kein Sachmangel i.S.d. § 434 I 1 BGB vor.

(b) § 434 I 2 Nr. 1 BGB
Die fehlende Bebaubarkeit könnte aber einen Sachmangel i.S.d. § 434 I 2 Nr. 1 BGB (vorausgesetzte Verwendung) sein. Jedoch sieht die ausdrückliche Vereinbarung nach § 434 I 1 BGB schon keinen Sachmangel im vorliegenden Fall, dann kann erst recht kein Sachmangel nach der vorausgesetzten Verwendung vorliegen. Damit liegt ein Sachmangel nach § 434 I 2 Nr. 1 BGB auch nicht vor.

cc) Ergebnis
Ohne Man Mangel nach §§ 434, 435 BGB liegen die Voraussetzungen für einen Rücktritt aus §§ 437 Nr. 2, 1. Fall, 323, 326 V BGB nicht vor.

b) Rücktrittsrecht des K gegen V aus §§ 326 V, 275 I BGB
Dem K könnte ein Rücktrittsrecht aus §§ 326 V, 275 I BGB zustehen. Danach steht ihm ein Rücktrittsrecht zu, wenn ein Fall der Unmöglichkeit nach § 275 I BGB gegeben ist. Im vorliegenden Fall kann aufgrund der rechtlichen Rahmenbedingungen, die sich nicht zugunsten des K realisiert haben, nicht gebaut werden. Dies ist dem K unmöglich. Damit liegt ein Rücktrittsrecht nach §§ 326 V, 275 I BGB vor.

c) Rücktrittsrecht des K gegen V aus § 313 III BGB
Zudem könnte dem K ein Rücktrittsrecht aus § 313 III BGB zustehen.

aa) Geschäftsgrundlage
Ein Umstand, der Geschäftsgrundlage geworden ist, müsste vorliegen. Dies sind solche Umstände, die von den Parteien erkennbar vorausgesetzt wurden und auf deren Vorhandensein der Geschäftswille beruht, also im Vorfeld der Willensbildung eine Rolle gespielt hat. Die Vorstellung von der Bebaubarkeit war für K und V prägend für den Vertragsschluss, auch wenn sie keine Beschaffenheitsvereinbarung darstellt. Damit liegt eine Geschäftsgrundlage vor.

bb) Reales Element
Ferner bedarf es eines realen Elements. Dies bedeutet, dass sich die Umstände nachträglich tatsächlich geändert haben müssen. Hier wurde der Bebauungsplan zurückgenommen, sodass nicht mehr gebaut werden konnte. Damit liegt ein reales Element vor.

cc) Hypothetisches Element
Zudem ist ein hypothetisches Element erforderlich. Dies bedeutet, dass die Parteien den Vertrag nicht oder nicht so geschlossen hätten, hätten sie die Umstände gekannt. Hätten K und V gewusst, dass das Grundstück nicht bebaut werden darf, hätten sie zumindest einen anderen Kaufpreis gewählt. Hier haben K und V bei der Preiskalkulation mit berücksichtigt, dass das Grundstück später Bauland wird. Insofern liegt ein hypothetisches Element vor.

dd) Normatives Element
Schließlich muss auch ein normative Element vorliegen. Das heißt, dass die Umstände nicht aus der Sphäre derjenigen herrühren, die sich auf die Störung der Geschäftsgrundlage beruft. Hier geht es um die Zumutbarkeit. Im vorliegenden Fall ist K, der nur ein Potenzial gekauft hat, das Risiko einer fehlenden Bebaubarkeit eingegangen. Damit rührt der Umstand aus der Sphäre des K her, es ist nur recht und billig, dass K das Risiko trägt. Damit ist das normative Element nicht gegeben.
Die Voraussetzungen des § 313 III, I BGB sind nicht erfüllt.

ee) Ergebnis
Ein Rücktrittsrecht aus § 313 III BGB steht dem K nicht zu.

2. Rücktrittserklärung, § 349 BGB
K müsste den Rücktritt auch nach § 349 BGB erklärt haben. Dies ist hier geschehen.

3. Kein Ausschluss
Ferner dürfte sein Rücktrittsrecht nicht ausgeschlossen sein. Ausschlussgründe sind vorliegend nicht ersichtlich.

4. Ergebnis
Eine materielle Einwendung des K gegen den Kaufpreisanspruch des V steht ihm aus §§ 326 V, 275 I BGB zu.

II. Keine Präklusion, § 767 II, III ZPO
Weiterhin dürfte die materielle Einwendung des K nicht präkludiert sein, § 767 II, III ZPO. Es hätte insbesondere bei Gestaltungsrechten wie dem Rücktritt gegebenenfalls die Möglichkeit für K bestanden, seine Einwendung bereits früher geltend zu machen, damit es erst nicht zu einem Prozess kommen kann. Hier ist zu beachten, dass die Präklusion nach § 767 II, III ZPO gem. § 797 IV ZPO nicht anwendbar ist, da eine Urkunde vorliegt. Damit liegt eine Präklusion nicht vor.

Damit ist die Klage des K begründet.

C. Ergebnis
Die Vollstreckungsabwehrklage nach § 767 ZPO ist zulässig und begründet und hat damit Aussicht auf Erfolg.

2. Teil: Erfolgsaussichten der Leistungsklage

Ferner könnte die Klage des K, gerichtet auf die Rückzahlung der bereits geleisteten Kaufpreissumme, Aussicht auf Erfolg haben.
Voraussetzung ist, dass die Klage zulässig und begründet ist.

A. Zulässigkeit der Klage
Die Leistungsklage des K gegen V gerichtet auf Rückzahlung des bereits gezahlten Kaufpreises ist zulässig. Insbesondere ist aufgrund des hohen Streitwerts das Landgericht nach §§ 23 Nr. 1, 71 I GVG sachlich zuständig. Die örtliche Zuständigkeit richtet sich nach dem allgemeinen Wohnsitz des Beklagten V, §§ 12, 13 ZPO.

B. Begründetheit
Ferner müsste die Klage des K begründet sein. Dies bedeutet, dass K einen Anspruch auf Rückzahlung des geleisteten Kaufpreises gegen V hat. Ein solcher Anspruch könnte dem K aus §§ 326 V, 346 I BGB zustehen. Gem. § 346 I BGB sind bereits erbrachte Leistungen zurückzugewähren, wenn ein Rücktritt erfolgreich erklärt wurde. Wie bereits geprüft, steht dem K aus §§ 326 V, 275 I BGB wegen der fehlenden Bebaubarkeit des gekauften Grundstücks ein Rücktrittsrecht zu. Dieses hat er auch gem. § 349 BGB ausgeübt. Ein Ausschlussgrund ist ebenfalls nicht ersichtlich. Damit sind die Voraussetzungen der §§ 326 V, 346 I BGB erfüllt. K hat gegen V einen Rückzahlungsanspruch. Die Klage ist damit ebenfalls begründet.

C. Ergebnis
Die Leistungsklage des K ist zulässig und begründet und hat damit Aussicht auf Erfolg.