Fall: Der Akkordeonspieler

K ist leidenschaftlicher Akkordeonspieler und verdient sich durch gelegentliche Auftritte u.a. bei Hochzeiten etwas dazu. Deshalb ist er entsetzt, als sein treues Akkordeon nicht mehr funktioniert. Er nimmt es als Wink des Schicksals – die Zeit sei reif für ein neues Akkordeon. Daher sucht K am 17.02.2022 das Musikfachgeschäft des V auf, der auch Akkordeons im Sortiment hat, und entscheidet sich für ein passendes Stück. Mit dem neuen Akkordeon begibt sich K am 20.02.2022 zu einer Hochzeit im Alten Land, um dort die Brautgesellschaft mit seinem Akkordeonspiel zu unterhalten. Für diese Tätigkeit sollte K 350 Euro erhalten. Weder im Laden noch bei der Tonprobe vor Ort zeigten sich irgendwelche Defekte. Umso überraschter ist A, dass das Akkordeon, gerade als er zu einer Polka ansetzen wollte, nur noch ein monotones Geräusch von sich gibt. Die Ursache für die Störung ist ein defektes Teil im Gebläse, das aber ohne weiteres ausgetauscht werden könnte. Der Abend ist für K und die Hochzeitsgesellschaft gelaufen. K fragt sich, ob er von V Zahlung von 350 Euro verlangen kann, weil er keine Gage für den Abend erhalten hat.re

Abwandlung:

K war bereits am 02.02.2022 im Geschäft des V und ließ sich das Akkordeon am 17.02.2022 liefern. Bei der Auslieferung wurde dem K eine gesonderte Garantiekarte des V ausgehändigt:

„Das Musikgeschäft V garantiert, dass das gekaufte Musikinstrument für die Dauer von 3 Jahren frei von technischen und qualitativen Mängeln ist. Diese Garantie erstreckt sich nicht auf unwesentliche bzw. solche Mängel, die auf einem unsachgemäßen Gebrauch zurückzuführen sind.“

Im März 2022 stellt K beim Probespielen fest, dass das Akkordeon nur ein monotones Geräusch erzeugt. Er rügt diesen Defekt gegenüber V, der auch prompt einen Techniker vorbeikommen lässt. Der Techniker ist allerdings aufgrund seiner Ungeschicklichkeit nicht in der Lage, den Defekt festzustellen bzw. zu beheben. K setzt dem V daraufhin eine letzte Frist, den Defekt innerhalb einer Woche zu beheben. Am 30.03.2022 lässt V den K wissen, dass mit einer Reparatur durch ihn, V, nicht mehr zu rechnen sei. In der Folge gerät der Vorgang in Vergessenheit.

Der Hochzeitsauftritt des K am 20.02.2023 platzt, weil er kein funktionierendes Akkordeon hat. Wiederum verlangt K von V Schadensersatz i.H.v. 350 Euro. Außerdem verlangt K, dass V das defekte Instrument zurücknimmt. V verlangt von K den noch nicht gezahlten Kaufpreis.

Welche Ansprüche haben K und V gegeneinander?

Hinweis: Da der Vertragsschluss zwischen V und K am 17.02.2022 und damit nach dem 31.12.2021 erfolgte, findet das Kaufrecht in seiner ab dem 01.01.2022 gültigen Fassung Anwendung (Art. 229 § 58 EGBGB).

Ausgangsfall: K gegen V auf Schadensersatz

A. K gegen V auf Schadensersatz aus §§ 437 Nr. 3, 280 I, III, 281 BGB

K könnte einen Anspruch auf Schadensersatz gegen V aus §§ 437 Nr. 3, 280 I, III, 281 BGB haben.

I. Anspruch entstanden

Der Anspruch müsste entstanden sein.

1. Wirksamer Kaufvertrag

Zunächst müssten K und V einen wirksamen Kaufvertrag geschlossen haben, § 433 BGB. K hat am 17.02.2022 das Musikfachgeschäft des V aufgesucht und sich dort für ein passendes Akkordeon entschieden, dass er sogleich mitgenommen hat. Damit ist davon auszugehen, dass V und K sich wirksam über den Kauf des Akkordeons geeinigt haben, §§ 145 ff. BGB. Ein wirksamer Kaufvertrag nach § 433 BGB liegt vor.

2. Mangel

Ferner müsste ein Mangel vorliegen. In Betracht kommt ein Sachmangel i.S.v. § 434 BGB.

Nach § 434 I BGB ist die Sache frei von Sachmängeln, wenn sie bei Gefahrübergang den subjektiven Anforderungen, den objektiven Anforderungen und den Montageanforderungen dieser Vorschrift entspricht.

Nach § 434 II 1 BGB entspricht die Kaufsache den subjektiven Anforderungen (i.S.v. § 434 I BGB), wenn sie die vereinbarte Beschaffenheit hat (Nr. 1), sich für die nach dem Vertrag vorausgesetzte Verwendung eignet (Nr. 2) und mit dem vereinbarten Zubehör und den vereinbarten Anleitungen, einschließlich Montage- und Installationsanleitungen, übergeben wird (Nr. 3). An die Annahme einer Beschaffenheitsvereinbarung i.S.v. § 434 II 1 Nr. 1 BGB sind, schon um den Anwendungsbereich des § 434 II 1 Nr. 2 BGB und des § 434 III BGB nicht auszuhöhlen, hohe Anforderungen zu stellen. Sie muss eindeutig feststellbar sein. Dies spricht gegen die Annahme einer (besonderen) Beschaffenheitsvereinbarung zwischen K und V in Bezug auf Akkordeon. Es könnte jedoch eine nach dem Vertrag vorausgesetzte Verwendung i.S.v. § 434 II 1 Nr. 2 BGB gegeben haben. Dabei reicht – im Gegensatz zur Beschaffenheitsvereinbarung i.S.v. § 434 II 1 Nr. 1 BGB – bereits eine konkludente Übereinstimmung der Parteien aus, um einen bestimmten Verwendungszweck in den Vertrag einzubeziehen. Allerdings muss es sich um einen besonderen Verwendungszweck handeln, der von dem gewöhnlichen Verwendungszweck abweicht. Dies folgt im Wege systematischer Gesetzesauslegung aus einem Vergleich zu § 434 III Nr. 1 BGB, der auf die gewöhnliche Verwendung rekurriert. Dass zwischen K und V ein über die gewöhnliche Verwendung hinausgehender Verwendungszweck vereinbart worden wäre, ist nicht ersichtlich. Deshalb sind keine subjektiven Anforderungen der Kaufsache ersichtlich, denen das Akkordeon nicht genügt.

Das Akkordeon entspricht allerdings nicht den objektiven Anforderungen des § 434 III BGB. Die Kaufsache entspricht nämlich nur dann den objektiven Anforderungen, wenn sie sich für die gewöhnliche Verwendung eignet (§ 434 III Nr. 1 BGB) und eine Beschaffenheit aufweist, die bei Sachen derselben Art üblich ist und die der Käufer unter Berücksichtigung der Art der Sache erwarten kann (§ 434 III Nr. 2 lit. a) BGB). Ein Akkordeon, das infolge eines defekten Teils im Gebläse nur noch ein monotones Geräusch von sich gibt, ist weder üblich noch zu erwarten. Deshalb leidet das Akkordeon gemäß § 434 I, III Nrn. 1 und 2 lit. a) BGB an einem Sachmangel.

3. Maßgeblicher Zeitpunkt

Der Mangel müsste auch zum maßgeblichen Zeitpunkt vorliegen. Dies ist nach § 446 S. 1 BGB grundsätzlich der Zeitpunkt der Übergabe. Das defekte Teil war im Akkordeon bereits vor dem Kauf durch K und damit vor Übergabe des Instruments an K vorhanden. Damit lag der Mangel zum maßgeblichen Zeitpunkt vor.

4. Voraussetzungen der §§ 280 I, III, 281 BGB

Die Voraussetzungen der §§ 280 I, III, 281 BGB müssten erfüllt sein.

a) Schuldverhältnis

Ein Schuldverhältnis in Form eines Kaufvertrages liegt vor (s. o.).

b) Pflichtverletzung

Eine Pflichtverletzung i.S.d. § 281 I 1 BGB müsste ebenfalls vorliegen.

aa) Nicht-/Schlechtleistung

§ 281 I 1 BGB setzt zunächst eine Nicht- oder Schlechtleistung voraus. Das Akkordeon gab durch das defekte Teil nur noch ein monotones Geräusch von sich. Damit liegt eine Schlechtleistung vor.

bb) Leistungsaufforderung mit angemessener Fristsetzung

Zudem müsste K den V mit angemessener Fristsetzung zur Leistung aufgefordert haben, § 281 I 1 BGB. K hat den V zu keiner Leistung aufgefordert oder dem V eine Frist gesetzt. Es könnte aber ein Fall des § 281 II 2. Fall BGB vorliegen mit der Folge, dass die Fristsetzung ausnahmsweise entbehrlich ist. Nach § 281 II BGB ist die Fristsetzung entbehrlich, wenn der Schuldner die Leistung ernsthaft und endgültig verweigert oder wenn besondere Umstände vorliegen, die unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die sofortige Geltendmachung des Schadensersatzanspruchs rechtfertigen. Hier kommen besondere Umstände i.S.v. § 281 II 2. Fall in Betracht. Durch das defekte Akkordeon konnte K nicht für die musikalische Unterhaltung der Hochzeitsfeier sorgen und ihm ist ein Schaden eingetreten. Dieser Schaden würde auch durch eine nachträgliche Nacherfüllung nicht mehr beseitigt werden. Somit ist ein Fall des § 281 II 2. Fall BGB gegeben. Einer Fristsetzung bedurfte es also nicht.

c) Vertretenmüssen

V müsste die Pflichtverletzung zu vertreten haben. Gem. § 280 I 2 BGB wird dies vermutet, d.h. der V müsste sich exkulpieren. Nach § 276 I 1 BGB hat V Vorsatz und Fahrlässigkeit zu vertreten. Hier ist fraglich, was der Bezugspunkt des Vertretenmüssens ist. Es könnte auf die mangelhafte Leistung (= 1. Pflichtverletzung) und/oder die unterbliebene Nacherfüllung (= 2. Pflichtverletzung) abgestellt werden. Aufgrund der Entbehrlichkeit der Frist im vorliegenden Fall kann der Bezugspunkt des Vertretenmüssens nur die mangelhafte Leistung sein, und nicht etwa die unterbliebene Nacherfüllung trotz Fristsetzung. Es ist grundsätzlich davon auszugehen, dass der Verkäufer einer Sache die Mangelhaftigkeit zu vertreten hat, § 280 I 2 BGB. V trägt nichts vor, dass ihn entlasten könnte. Eine Exkulpation scheidet damit aus. Damit liegt ein Vertretenmüssen vor.

d) Rechtsfolge: Schadensersatz

Gemäß § 280 BGB ist der Anspruchsgegner zu Schadensersatz verpflichtet.

aa) Schaden, §§ 249 ff. BGB

Zunächst müsste ein Schaden vorliegen. Schaden meint jede unfreiwillige Vermögenseinbuße. Berechnet wird der Schaden nach der Differenzhypothese. Aufgrund des gescheiterten Auftritts auf der Hochzeit ohne funktionierendes Akkordeon ist dem K eine Gage in Höhe von 350 Euro entgangen. Der entgangene Gewinn stellt nach § 252 S. 1 BGB einen ersatzfähigen Schaden dar.

bb) Statt der Leistung

Gemäß §§ 280 I, III, 281 BGB müsste ein Schaden statt der Leistung vorliegen, also ein Schaden, der das Äquivalenzinteresse betrifft. Bei entgangenen Gewinnen ist umstritten, ob dieser dem Schadensersatzanspruch statt der Leistung zugeordnet wird.

(1) Erste Ansicht

Nach einer Ansicht ist der entgangene Gewinn, der auf einem Sachmangel beruht, als Schadensersatz statt der Leistung gemäß §§ 280 I, III, 281 BGB zu ersetzen. Damit läge ein Schaden statt der Leistung vor und der Anspruch wäre gegeben.

(2) Zweite Ansicht

Eine weitere Ansicht vertritt einen dynamischen Schadensbegriff und nimmt eine Zuordnung des entgangenen Gewinns je nach betroffenem Zeitraum an. In der ersten Phase, welche die Zeit nach Gefahrübergang bis zur Geltendmachung der Nacherfüllung erfasst, erfolgt eine Zuordnung des entgangenen Gewinns zum Schadensersatz neben der Leistung gemäß § 280 I BGB. In der zweiten Phase, welche nach der Geltendmachung der Nacherfüllung beginnt, wird eine Zuordnung des entgangenen Gewinns zum Verzögerungsschaden vorgenommen, vgl. §§ 280 I, II, 286 BGB. In der letzten Phase, die nach einer Fristsetzung und dem Ablauf der Frist einsetzt, erfolgt eine Zuordnung des entgangenen Gewinns zum Ersatzanspruch statt der Leistung gemäß den §§ 280 I, III, 281 BGB. Hier ist der Schaden nach Gefahrübergang, aber noch vor Geltendmachung etwaiger Ansprüche entstanden. Damit läge nach dieser Ansicht ein Fall des § 280 I BGB vor.

(3) Dritte Ansicht

Eine weitere Ansicht nimmt eine ausschließliche Zuordnung des Gewinns zum Verzögerungsschaden nach §§ 280 I, II, 286 BGB vor. Damit läge kein Schaden statt der Leistung vor und der Anspruch aus §§ 280 I, III, 281 BGB wäre nicht erfüllt.

(4) Vierte Ansicht

Bei der letzten Ansicht erfolgt eine Zuordnung des entgangenen Gewinns über die § § 437 Nr. 3, 280 I BGB und damit immer zum Schadensersatz neben der Leistung. Auch nach dieser Ansicht läge kein Schaden statt der Leistung vor und der Anspruch aus §§ 280 I, III, 281 BGB wäre nicht erfüllt.

(5) Stellungnahme

Da die Ansichten zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen, bedarf es einer Stellungnahme. Die erste Ansicht wird mit dem Recht der zweiten Andienung begründet. Die Voraussetzungen des Schadensersatzes statt der Leistung enthielten das Erfordernis der Leistungsaufforderung mit angemessener Fristsetzung, welches den Vorrang der Nacherfüllung sichere. Dieser ginge verloren, wenn man eine Zuordnung des entgangenen Gewinns zum Schadensersatz neben der Leistung vornähme. Im Rahmen der zweiten Auffassung wird mit der Systematik argumentiert, welche ein abgestuftes System mit unterschiedlichen Voraussetzungen vorsehe, die sich entsprechend ergänzten. Nach der dritten Auffassung sei jede Schlechtleistung im Grunde eine verspätete ordnungsgemäße Leistung, welche typischerweise eine Mahnung erforderlich mache. Nach der letzten Auffassung ist zu beachten, dass wie bereits geprüft eine Fristsetzung bezüglich des entgangenen Gewinns sinnlos ist. Der Schaden könne durch die Nacherfüllung nicht ungeschehen gemacht werden. Außerdem sei der entgangene Gewinn nicht Teil der Leistungsvereinbarung, sondern betreffe das Vermögen, also ein Rechtsgut im Übrigen. Insofern steht das Integritätsinteresse im Mittelpunkt, welches vom Schadensersatz neben der Leistung abgedeckt werde. Damit ist der letztgenannten Auffassung zu folgen. Der entgangene Gewinn ist ein Schaden neben der Leistung. Über §§ 280 I, III, 281 BGB ist er nach dieser Auffassung nicht zu ersetzen.

II. Ergebnis

Die Voraussetzungen für einen Schadensersatzanspruch des K gegen V aus §§ 437 Nr. 3, 280 I, III, 281 BGB liegen nicht vor. Damit hat K einen solchen Anspruch nicht.

B. K gegen V auf Schadensersatz aus §§ 437 Nr. 3, 280 I BGB

K hat aber einen Anspruch gegen V auf Schadensersatz in Höhe von 350 Euro aus §§ 437 Nr. 3, 280 I BGB (s. o.). Die Voraussetzungen sind erfüllt. Der Anspruch ist nicht erloschen und durchsetzbar.

Abwandlung

Teil 1: Ansprüche des K gegen V

A. Anspruch des K gegen V auf Schadensersatz aus selbständigem Garantievertrag, §§ 311 I, 241 I BGB

K könnte gegen V einen Anspruch auf Schadensersatz aus einem selbständigen Garantievertrag haben, §§ 311 I, 241 I BGB. Fraglich ist zunächst, ob K und V einen selbständigen Garantievertrag vereinbart haben. Dies ist anhand einer Auslegung nach §§ 133, 157 BGB zu ermitteln. Insbesondere ist zu klären, ob V einen verschuldensunabhängigen Haftungswillen für den Eintritt oder das Ausbleiben eines bestimmten Erfolges hat. Daran sind hohe Anforderungen zu stellen, da die Garantie eine sehr weitreichende und verschuldensunabhängige Haftung darstellt. Indiz für einen solchen Garantievertrag ist z.B., wenn der Vertrag umfangreich und individuell ausgehandelt wurde. Hier aber hat V dem K nur eine Garantiekarte ausgehändigt. In diesem Akt ist nicht der Wille zu einer gesteigerten Haftung des V zu sehen. Damit haben V und K keinen Garantievertrag vereinbart, aus dem sich für K Schadensersatzansprüche ergeben.

B. Anspruch des K gegen V auf Schadensersatz aus §§ 437 Nr. 3, 280 I, III, 281 BGB

K könnte gegen V einen Schadensersatzanspruch aus §§ 437 Nr. 3, 280 I, III, 281 BGB haben.

I. Anspruch entstanden

Der Anspruch müsste entstanden sein.

1. Wirksamer Kaufvertrag

Ein wirksamer Kaufvertrag zwischen K und V liegt vor (s.o.).

2. Mangel

Ein Mangel liegt ebenfalls in Form des Defekts vor, § 434 I, III Nrn. 1 und 2 lit. a) BGB (s.o.)…

3. Gefahrübergang

Der Mangel müsste gemäß § 434 I BGB bei Gefahrübergang vorgelegen haben, also grundsätzlich im Zeitpunkt der Übergabe der Kaufsache (§ 446 S. 1 BGB). Es lässt sich aber nicht eindeutig feststellen, ob der Defekt des Akkordeons bereits bei Übergabe vorhanden war. Dies wirft die Frage auf, wer für diesen Umstand die Darlegungs- und Beweislast trägt.

Grundsätzlich muss der Käufer beweisen, dass der Mangel bereits bei Übergabe vorhanden war (vgl. § 363 BGB). Beim Verbrauchsgüterkauf findet allerdings eine Beweislastumkehr statt. Dann muss nach § 477 I BGB der Verkäufer beweisen, dass der Mangel erst später eingetreten ist. Fraglich ist somit, ob die Voraussetzungen des § 477 I BGB vorliegen.

a) Verbrauchsgüterkauf

Zwischen K und V liegt ein Verbrauchsgüterkauf vor, § 474 I 1 BGB. V ist Unternehmer i.S.v. § 14 BGB, er ist Inhaber eines Geschäfts. K spielt nur gelegentlich Akkordeon, um sich etwas als leidenschaftlicher Akkordeonspieler dazu zu verdienen. Damit ist K Verbraucher i.S.v. § 13 BGB. Bei dem Akkordeon handelt es sich schließlich um eine Ware i.S.v. § 241a I BGB.

b) Frist

Gemäß § 477 I BGB müsste der Mangel innerhalb eines Jahres nach Übergabe in Erscheinung getreten sein. K hat das Akkordeon Anfang Februar 2022 gekauft und im März 2022 den Mangel entdeckt. Damit ist die Frist noch nicht verstrichen.

c) Kein Ausschluss

Ausschlussgründe sind nicht ersichtlich.

d) Rechtsfolge: Beweislastumkehr

Gemäß § 477 I BGB wird die Beweislast des Käufers auf den Verkäufer umgekehrt. Fraglich ist allerdings, in welchem Umfang die Beweislastumkehr greift.

aa) Eine Ansicht

Eine Ansicht versteht den Umfang der Beweislastumkehr in der Art, dass die Beweislastumkehr des § 477 I BGB nur in zeitlicher Hinsicht gelte. K müsste damit immer noch beweisen, dass die Ursache für den Defekt in der Sache angelegt war. Kann K dies beweisen, wird jedoch vermutet, dass der Mangel der Sache von Anfang an anhaftete.

bb) Andere Ansicht

Die Gegenauffassung versteht den Umfang der Beweislastumkehr des § 477 I BGB hingegen derart, dass die Beweislastumkehr auch in sachlicher Hinsicht gelte. Es wird folglich auch vermutet, dass der Defekt aus einer Mangelhaftigkeit der Sache rührt, der Mangel also in der Sache angelegt war. Dies ist immer dann relevant, wenn der Verkäufer behauptet, es liege ein Bedienungsfehler des Käufers nach Gefahrübergang vor. Denn nach dem Umfang der Beweislastumkehr gemäß dieser Ansicht muss der Verkäufer beweisen, dass ein Bedienungsfehler des K vorgelegen hat.

cc) Stellungnahme

Da beide Auffassungen zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen, bedarf es einer Stellungnahme. Die erste Ansicht argumentiert mit dem Wortlaut des § 477 I BGB, durch den zum Ausdruck komme, dass die Beweislastumkehr nur die zeitliche Komponente erfasse, nicht jedoch das Vorliegen eines Grundmangels selbst. Die Gegenauffassung argumentiert hinsichtlich des Umfangs der Beweislastumkehr mit dem Sinn und Zweck der Regelungen über den Verbrauchsgüterkauf. Dieser bezwecke den Schutz des Verbrauchers, der jedoch nur unzureichend geschützt wäre, wenn der Verbraucher nachweisen müsste, dass kein Bedienungsfehler gegeben ist, sondern dass der Mangel in der Sache angelegt war. Diese Ansicht wird der systematischen Stellung der Vorschrift im Abschnitt des vorwiegend dem Verbraucherschutz dienenden Verbrauchsgüterkaufrecht gerecht und ist deshalb vorzugswürdig. § 477 I BGB greift demnach auch in sachlicher Hinsicht. Damit ist davon auszugehen, dass der Mangel bereits bei Übergang vorlag.

Hinweis: Die Beweislastumkehr nach § 477 I BGB erstreckt sich auch darauf, dass ein nachweislich nach Lieferung aufgetretener Defekt auf einer bereits bei Lieferung vorhandenen Vertragswidrigkeit der Kaufsache (sog. „Grundmangel“) beruht (EuGH, Urt. v. 04.06.2015 – C-497/13, Rn. 70 (Faber); BGH, Urt. v. 12.10.2016 – VIII ZR 103/15, Rn. 53).

4. Voraussetzungen der §§ 280 I, III, 281 BGB

Weiterhin müssten die Voraussetzungen der §§ 280 I, III, 281 BGB vorliegen.

a) Schuldverhältnis

Ein Schuldverhältnis in Form des Kaufvertrages liegt vor (s.o.).

b) Pflichtverletzung

V müsste eine Pflicht verletzt haben.

aa) Nicht-/Schlechtleistung

Der Mangel stellt eine Schlechtleistung dar.

bb) Leistungsaufforderung mit Fristsetzung

K müsste V mit angemessener Fristsetzung zur Leistung aufgefordert haben. K hat dem V eine letzte Frist gesetzt, den Defekt innerhalb einer Woche zu beheben. Unabhängig davon, ob eine Woche angemessen ist, hat V den K am 30.03.2022 wissen lassen, dass mit einer Reparatur durch ihn, V, nicht mehr zu rechnen sei. Damit liegt eine ernsthafte und endgültige Erfüllungsverweigerung i.S.v. § 281 II 1. Fall BGB vor. Einer angemessenen Fristsetzung und Leistungsaufforderung bedarf es somit nicht mehr.

c) Vertretenmüssen

V hat die Pflichtverletzung gem. § 276 II BGB zu vertreten. Dies wird vermutet, § 280 I 2 BGB. Eine Exkulpation des V ist nicht ersichtlich.

d) Rechtsfolge: Schadensersatz statt der Leistung

Auch hier stellt sich die Frage, ob der entgangene Gewinn einen Schaden statt der Leistung darstellt. Dies ist im Hinblick auf den bereits geführten Streit zu verneinen. Damit sind die Voraussetzungen nicht erfüllt.

5. Ergebnis

K hat gegen V keinen Anspruch auf Schadensersatz aus §§ 437 Nr. 3, 280 I, III, 281 BGB.

C. Anspruch des K gegen V auf Schadensersatz aus §§ 437 Nr. 3, 280 I, II, 286 BGB

K könnte gegen V einen Anspruch auf Schadensersatz aus §§ 437 Nr. 3, 280 I, II, 286 BGB haben.

I. Anspruch entstanden

Der Anspruch müsste entstanden sein. Die Voraussetzungen für einen Schadensersatzanspruch aus § 437 Nr. 3 BGB – wie der wirksame Kaufvertrag nach § 433 BGB und der Mangel zum maßgeblichen Zeitpunkt – liegen vor. Zudem müssten insbesondere die Voraussetzungen des Schadensersatzanspruches aufgrund Schuldnerverzuges bezüglich der Nacherfüllung aus §§ 280 I, II, 286 BGB erfüllt sein.

1. Fälliger, durchsetzbarer Anspruch

Zunächst bedarf es eines fälligen durchsetzbaren Anspruchs. Es geht um den Anspruch auf Nacherfüllung aus §§ 437 Nr. 1, 439 BGB. Die Fälligkeit ist in § 271 BGB geregelt. Nach § 271 I BGB ist im Zweifel die Leistung sofort fällig. Der Nacherfüllungsanspruch ist auch durchsetzbar, insbesondere nicht verjährt. Nach § 438 I Nr. 3 BGB verjährt der Nacherfüllungsanspruch in zwei Jahren, gerechnet ab Ablieferung der Sache (§ 438 II BGB). Seit der Entdeckung des Defekts im März 2022 sind noch keine zwei Jahre vergangen. Damit ist Verjährung nicht eingetreten und der Anspruch des K auf Nacherfüllung noch durchsetzbar.

2. Mahnung

Ferner müsste eine Mahnung vorliegen. Dies ist die unmissverständliche und dringliche Aufforderung an den Schuldner, die geschuldete Leistung zu erbringen. Hier hat K den V seit März 2022 die Nacherfüllung gefordert (die V im Ergebnis abgelehnt hat). Damit liegt auch eine Mahnung vor.

3. Vertretenmüssen

V müsste den Verzug auch zu vertreten haben. Dies wird nach § 286 IV BGB zudem vermutet. Da V zumindest die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht gelassen, § 276 II BGB, kann er sich nicht exkulpieren. Damit liegt ein Vertretenmüssen vor.

4. Rechtsfolge: Schadensersatz neben der Leistung

Als Rechtsfolge sehen die §§ 280 I, II, 286 BGB Schadensersatz neben der Leistung vor. K hat einen Schaden in Gestalt des entgangenen Gewinns nach § 252 BGB erlitten. Dabei ist auch sein Integritätsinteresse berührt, das von §§ 280 I, II, 286 BGB geschützt wird.

5. Kein Ausschluss

Schließlich dürfte der Anspruch des K nicht ausgeschlossen sein. Als Anhaltspunkt für einen Ausschluss kommt ein Mitverschulden des K nach § 254 BGB in Betracht. Im vorliegenden Fall ist der Vorgang in Vergessenheit geraten, sodass der K in dieser Zeit die Möglichkeit hatte, sich einen Ersatz zu beschaffen oder den Defekt reparieren zu lassen. K hat vielmehr nichts unternommen, bis zu dem Tag, an dem die Hochzeit stattgefunden hat und erst dann nahm er wieder Kontakt zu V auf. Damit trifft den K auch eigenes Verschulden. Aufgrund des langen Zeitraums erscheint damit ein Mitverschulden des A von 80 % angezeigt. Der Anspruch des K ist um 80 % ausgeschlossen.

Der Anspruch des K auf Schadensersatz i.H.v. 20 % ist entstanden.

Hinweis: Selbstverständlich wäre an dieser Stelle auch andere Prozentsätze nicht „falsch“. Wichtig ist nur, dass das Problem erkannt und – mit welcher konkreten Mitverschuldensquote auch immer – über § 254 BGB gelöst wird.

II. Anspruch nicht erloschen

Der Anspruch ist nicht erloschen.

III. Anspruch durchsetzbar

Der Anspruch ist schließlich auch durchsetzbar.

IV. Ergebnis

K hat gegen V einen Schadensersatzanspruch aus §§ 437 Nr. 3, 280 I, II, 286 BGB i.H.v. 70 Euro (= 20 % des entgangenen Gewinns).

D. Anspruch des K gegen V auf Rücknahme des Akkordeons aus §§ 437 Nr. 2, 1. Fall, 323 I, 346 I BGB

K könnte gegen V ferner einen Anspruch auf Rücknahme des Akkordeons aus §§ 437 Nr. 2, 1. Fall, 323 I, 346 I BGB haben.

I. Anspruch entstanden

Der Anspruch müsste entstanden sein.

1. Wirksamer Kaufvertrag

K und V haben einen wirksamen Kaufvertrag geschlossen (s.o.).

2. Mangel

Ein Mangel liegt ebenfalls vor, § 434 I, III Nrn. 1 und 2 lit. a) BGB (s.o.)…

3. Maßgeblicher Zeitpunkt

Der Mangel lag auch zum maßgeblichen Zeitpunkt des § 446 S. 1 BGB vor (s.o.).

4. Leistungsaufforderung mit angemessener Fristsetzung

Die Leistungsaufforderung mit angemessener Fristsetzung war entbehrlich, § 281 II 1. Fall BGB (s.o.).

5. Kein Ausschluss

Ein Ausschlussgrund ist nicht ersichtlich.

6. Rücktrittserklärung

K hat den Rücktritt erklärt, § 349 BGB.

7. Keine Einrede der Unwirksamkeit

Die Einrede der Unwirksamkeit greift nicht, § 218 BGB.

Damit ist der Anspruch entstanden.

II. Anspruch nicht erloschen

Der Anspruch ist nicht erloschen.

III. Anspruch durchsetzbar

Der Anspruch ist auch durchsetzbar.

IV. Ergebnis

K hat gegen V einen Anspruch auf Rücknahme des Akkordeons aus §§ 437 Nr. 2, 1. Fall, 323 I, 346 I BGB.

2. Teil: Anspruch des V gegen K auf Zahlung des Kaufpreises, § 433 II BGB

V könnte einen Anspruch auf Zahlung des Kaufpreises gegen K aus § 433 II BGB haben. Aufgrund des Rücktritts durch K ist ein Rückgewährschuldverhältnis entstanden, durch das K dem V den Kaufpreis nicht mehr zahlen müsste. Deshalb kann V von K keine Zahlung aus § 433 II BGB verlangen. V hat keinen Anspruch auf Zahlung des Kaufpreises aus § 433 II BGB.