Zustandekommen zweiseitiger Verträge
Zustandekommen zweiseitiger Verträge
Die wichtigste Form von Rechtsgeschäften sind die zweiseitigen Verträge. Ein Vertrag kommt durch zwei korrespondierende Willenserklärungen zustande. Die zeitlich frühere wird als Angebot1, die zeitlich spätere als Annahme bezeichnet.
Angebot
Ein Angebot ist eine empfangsbedürftige Willenserklärung, mit der dem Empfänger ein Vertragsschluss so angetragen wird, dass dieser lediglich „Ja“ zu sagen braucht, um den Vertrag zustande zu bringen.2 Wirksamkeitsvoraussetzung eines Angebots sind die inhaltliche Bestimmtheit und der Rechtsbindungswille.
Die inhaltliche Bestimmtheit setzt grundsätzlich voraus, dass zumindest die wesentlichen Vertragsbestandteile (essentialia negotii) enthalten sind; hierzu zählen der Vertragsgegenstand, die Vertragsparteien und bei entgeltlichen Verträgen die Gegenleistung.
Beispiel: Das Angebot auf Abschluss eines Kaufvertrages (§ 433 BGB) muss den Kaufgegenstand, den Käufer und den Verkäufer sowie den Kaufpreispreis umfassen.
Der Rechtsbindungswille ist der Wille einer Person, sich rechtsgeschäftlich zu binden, also eine Verpflichtung einzugehen. Ob dieser Rechtsbindungswille bei Abgabe der Willenserklärung vorhanden war und dementsprechend ein Angebot vorliegt, ist durch Auslegung nach dem objektiven Empfängerhorizont (§§ 133, 157 BGB) zu bestimmen. Der Rechtsbindungswille fehlt bei Gefälligkeitsverhältnissen und bei der Einladung zur Abgabe eines Angebots (invitatio ad offerendum).
Zielt die Äußerung nicht auf einen Vertragsschluss, sondern lediglich auf ein reines Gefälligkeitsverhältnis, fehlt der für einen Vertragsschluss erforderliche Rechtsbindungswille. Beispiel: Bewässerung des Gartens durch einen Nachbarn.3
Bei der sog. invitatio ad offerendum handelt es sich mangels Rechtsbindungswillen ebenfalls nicht um eine verbindliche Willenserklärung, sondern um eine Aufforderung an andere Personen, ihrerseits ein Angebot abzugeben. Der Rechtsbindungswille wird in diesen Fällen verneint, um der Gefahr der Mehrfachverpflichtung vorzubeugen und dem Erklärenden nicht die Freiheit der Vertragspartnerwahl zu nehmen.
Beispiele: Warenangebote in Katalogen und Werbeprospekten, Ausstellung von Waren im Schaufenster unter Angabe des Preises, Präsentation von Waren im Internet.4
Bei der offerta ad incertas personas ist das Angebot an einen unbestimmten Personenkreis gerichtet. Das Angebot wird als hinreichend bestimmt angesehen, weil die Vertragsparteien zumindest bestimmbar sind.
Beispiel 1: Aufstellung eines Warenautomaten.5 Das Angebot des Aufstellers auf Abschluss des schuldrechtlichen Verpflichtungsvertrages (Kaufvertrag i.S.v. § 433 BGB) und des dinglichen Erfüllungsvertrags (Übereignung gem. § 929 S. 1 BGB) ist nach h. M. dreifach bedingt, nämlich (i) durch das Vorhandensein eines ausreichenden Warenbestandes, (ii) durch den Einwurf korrekter Münzen und (iii) durch das Funktionieren des Automaten. Ein derartiges Angebot wird auch als Realofferte bezeichnet.
Beispiel 2: Aufstellen einer Zapfsäule an einer Tankstelle. Der Vertrag kommt hier bereits mit dem Einfüllen des Benzins und nicht erst an der Kasse zustande.6
Das Angebot wird als empfangsbedürftige Willenserklärung mit Abgabe und Zugang wirksam.
Annahme
Die Annahme ist eine grundsätzlich empfangsbedürftige Willenserklärung. Durch sie wird das vorbehaltlose Einverständnis mit dem Angebot erklärt.7 Eine Annahme unter Erweiterungen, Einschränkungen oder sonstigen Änderungen gilt als Ablehnung verbunden mit einem neuen Antrag (§ 150 II BGB).
Regelmäßig wird die Annahme ausdrücklich erklärt, sei es schriftlich oder mündlich. Ein bloßes Schweigen desjenigen, dem das Angebot unterbreitet wurde, lässt grundsätzlich nicht auf einen bestimmten Rechtsbindungswillen und deshalb auch nicht auf eine Annahmeerklärung (= Willenserklärung) schließen.8 Ein Schweigen ohne Erklärungswert liegt nicht vor, wenn eine angebotene Leistung in Anspruch genommen wird. Die tatsächliche Inanspruchnahme einer angebotenen Leistung kann konkludent den auf Annahme des Angebots gerichteten Willen zum Ausdruck bringen. Beispiel: Konkludente Annahme eines auf Abschluss eines Energieversorgungsvertrages gerichteten Angebots durch tatsächliche Energieentnahme.9 Ein solches Verhalten ist kein Schweigen im rechtlichen Sinne, sondern eine konkludente Willenserklärung. Ausnahmsweise kann Schweigen als Annahme zu verstehen sein. Dies gilt zum einen dann, wenn die Parteien dies vereinbart haben. In Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) ist eine Vereinbarung über die Bedeutung des Schweigens allerdings nur unter den Voraussetzungen des § 308 Nr. 5 BGB möglich. Zum anderen kann sich aus dem Gesetz ergeben, dass das Schweigen auf ein Angebot als Annahme zu verstehen ist (z. B. § 516 II 2 BGB, § 362 I 1 Hs. 2 HGB). Eine weitere Ausnahme ist das Schweigen auf ein kaufmännisches Bestätigungsschreiben.
Die Annahme eines Angebots ist grundsätzlich auch dann noch möglich, wenn der Antragende nach Abgabe und vor Zugang der Angebotserklärung verstirbt oder geschäftsunfähig wird. Etwas anderes gilt nur dann, wenn ein anderer Wille des Antragenden anzunehmen ist (§ 153 BGB). Die Vorschrift ist im Zusammenhang mit § 130 II BGB zu sehen, die anordnet, dass es auf die Wirksamkeit der Willenserklärung ohne Einfluss ist, wenn der Erklärende nach der Abgabe verstirbt oder geschäftsunfähig wird. § 130 II BGB betrifft mithin die Frage der (fortwährenden) Wirksamkeit der einmal abgegebenen Willenserklärung, § 153 BGB hingegen die Frage, ob das Angebot (= Willenserklärung) noch annahmefähig ist.10
Nach h. M. ist das Angebot nicht mehr annahmefähig, wenn der Angebotsempfänger erkennen kann, dass der Antragende für den Fall seines Todes den Vertragsschluss nicht wünscht; den Tod selbst müsse der Angebotsempfänger hingegen nicht kennen. Dagegen wird eingewandt, der Tod des Antragenden dürfe kein vom Empfänger zu tragendes Risiko sein; ein „anderer Wille“ des Absenders i.S.v. § 153 BGB sei nach dem maßgeblichen objektiven Empfängerhorizont erst dann anzunehmen, wenn der Empfänger nicht nur die Personenbezogenheit der angebotenen Leistung, sondern auch den Tod des Antragenden erkennt.11
Als empfangsbedürftige Willenserklärung wird die Annahme grundsätzlich erst dann wirksam, wenn sie dem Antragenden zugeht (§ 130 I 1 BGB). Von diesem Grundsatz macht § 151 BGB eine Ausnahme. Danach ist der Zugang der Annahmeerklärung – nicht die Annahmeerklärung selbst (!) – entbehrlich,12 wenn der Zugang nach der Verkehrssitte nicht zu erwarten ist oder der Antragende auf den Zugang verzichtet hat. In diesen Fällen reicht ein als Willenserklärung zu wertendes, nach außen hervortretendes Verhalten des Angebotsempfängers, aus dem sich dessen Annahmewillen eindeutig ergibt.13
Eine Verkehrssitte, nach welcher der Zugang der Annahmeerklärung entbehrlich ist (§ 151 Alt. 1 BGB), besteht insbesondere bei unentgeltlichen Zuwendungen und bei sonstigen für den Angebotsempfänger lediglich rechtlich vorteilhaften Geschäften.14
Zu einem Vertragsschluss führt die Annahme nur, wenn sie rechtzeitig erfolgt ist (vgl. § 146 BGB). Wird die Annahme nicht innerhalb der in den §§ 147 – 149 BGB vorgesehenen Fristen erklärt, erlischt das Angebot (§ 146 BGB). Die verspätete Annahme gilt dann als neues Angebot (§ 150 I BGB).
- In § 145 wird das Angebot als „Antrag“ bezeichnet.
- Schack, BGB AT, 17. Aufl. 2023, Rn. 180.
- BGH, Urt. v. 26.04.2017 – VI ZR 467/15, Rn. 8.
- Schack, BGB AT, 17. Aufl. 2023, Rn. 181.
- Siehe hierzu den Fall: „Der Warenautomat“.
- BGH, Urt. v. 05.05.2011 – VIII ZR 171/10, Ls. 1 und Rn. 13. Sie hierzu den Fall: „Die SB-Tankstelle“.
- Schack, BGB AT, 17. Aufl. 2023, Rn. 182.
- Hier und zum Folgenden: Schack, BGB AT, 17. Aufl. 2023, Rn. 369 – 372.
- BGH, Urt. v. 22.07.2014 – VIII ZR 313/13, Rn. 24.
- Bitter/Röder, BGB AT, 5. Aufl. 2020, § 5 Rn. 31.
- Bitter/Röder, BGB AT, 5. Aufl. 2020, § 5 Rn. 34, bei Annahme eines Anfechtungsrechts der Erben analog § 119 I BGB.
- BGH, Urt. v. 19.11.2020 – I ZR 110/19, Rn. 47.
- BGH, Urt. v. 24.02.2016 – XII ZR 5/15, Rn. 38.
- BGH, Urt. v. 14.02.2019 – IX ZR 203/18, Rn. 20.