Zurückbehaltungsrecht

Zurückbehaltungsrecht gemäß § 273 BGB

Ist ein Anspruch entstanden und nicht wieder erloschen, stellt sich auf einer dritten und letzten Ebene der Anspruchsprüfung die Frage, ob der Anspruch auch durchsetzbar ist. Der Durchsetzbarkeit können rechtshemmende Einwendungen (Einreden) entgegenstehen.

Zu unterscheiden sind peremptorische und dilatorische Einreden. Bei einer peremptorischen Einrede ist der Anspruch dauerhaft nicht durchsetzbar, bei einer dilatorischen Einrede nur vorübergehend.

Einreden befinden sich im BGB AT,1 im besonderen Schuldrecht2 und im allgemeinen Schuldrecht. Neben den Einreden des § 275 II, III BGB, die im Kontext der Unmöglichkeit dargestellt werden, sind dies insbesondere die Leistungsverweigerungsrechte gemäß § 273 BGB und § 320 BGB. § 273 I BGB enthält eine dilatorische Einrede. Der Schuldner kann, wenn sich aus dem Schuldverhältnis nicht ein anderes ergibt, die geschuldete Leistung durch Erhebung der Einrede3 verweigern, bis die ihm gebührende Leistung bewirkt wird, sofern er aus demselben rechtlichen Verhältnis, auf dem seine Verpflichtung beruht, einen fälligen Anspruch gegen den Gläubiger hat.

Das in § 273 BGB geregelte Zurückbehaltungsrecht (ZbR) beruht auf dem Gedanken, dass derjenige treuwidrig handelt, der aus einem rechtlichen Verhältnis die ihm gebührende Leistung fordert, ohne die ihm obliegende Leistung zu erbringen.4

Schuldverhältnis

§ 273 BGB ist auf Schuldverhältnisse jeder Art anwendbar.5 Das folgt schon aus dem Wortlaut der Norm, die lediglich ein „rechtliches Verhältnis“ und nicht etwa einen (gegenseitigen) Vertrag voraussetzt.6

Das ZbR des § 273 BGB kann deshalb nicht nur im Rahmen vertraglicher Schuldverhältnisse, sondern z. B. auch gegenüber dem Herausgabeanspruch des Eigentümers gemäß § 985 BGB,7 gegenüber einem Grundberichtigungsanspruch gemäß § 894 BGB oder gegenüber einem Anspruch auf Einwilligung in die Löschung einer Vormerkung gemäß § 888 BGB erhoben werden.

Gegenseitigkeit der Ansprüche

Der Schuldner muss zugleich Gläubiger des Gegenanspruchs und der Gläubiger muss zugleich Schuldner der Gegenleistung sein (Identität von Gläubiger und Schuldner).8

Nach Abtretung des Anspruchs kann der Schuldner das ZbR gemäß § 404 BGB allerdings dem Zessionar entgegenhalten.9

Fälliger und durchsetzbarer Gegenanspruch

Damit der Schuldner das ZbR wirksam ausüben kann, muss er tatsächlich berechtigt sein, die Leistung zu fordern. Deswegen muss sein Gegenanspruch wirksam, klagbar, fällig und durchsetzbar sein.10

Es reicht aber aus, wenn der Gegenanspruch des Schuldners erst mit Erbringung der von ihm geschuldeten Leistung fällig wird.11

Konnexität der Ansprüche

Die gegenseitigen Ansprüche müssen auf „demselben rechtlichen Verhältnis“ beruhen. Dafür genügt es, dass den Ansprüchen ein einheitliches Lebensverhältnis zugrunde liegt.12 Konnexität liegt vor, wenn zwischen den beiden Ansprüchen ein innerer natürlicher und wirtschaftlicher Zusammenhang in der Weise besteht, dass es gegen Treu und Glauben verstoßen würde, wenn der eine Anspruch ohne Rücksicht auf den anderen geltend gemacht und durchgesetzt werden könnte.13

Konnexität ist stets im Fall des § 273 II BGB anzunehmen.14 Die Ansprüche müssen aber nicht auf demselben Schuldverhältnis oder Vertrag beruhen; Konnexität besteht vielmehr für Ansprüche aus verschiedenen Verträgen regelmäßig bei ständigen Geschäftsverbindungen, sofern der zeitliche oder sachliche Zusammenhang eine natürliche Einheit erkennen lässt.15

Kein Ausschluss des ZbR

Das ZbR nach § 273 I BGB besteht nur, „sofern nicht aus dem Schuldverhältnis sich ein anderes ergibt“. Es darf kein Ausschluss des ZbR durch vertragliche16 oder gesetzliche17 Regelungen, die Natur des Schuldverhältnisses18 oder Treu und Glauben (§ 242 BGB)19 vorliegen.20

Haben die Parteien ein Aufrechnungsverbot vereinbart, gilt dieses auch als Ausschluss des ZbR, wenn dessen Ausübung einer Aufrechnung gleichkäme.21 Gesetzliche Aufrechnungsverbote (§§ 393, 394, 395 BGB) führen dagegen grundsätzlich nicht zu einem Ausschluss des ZbR, sofern sich nicht ausnahmsweise aus Sinn und Zweck der Norm etwas anderes ergibt.

Abwendungsbefugnis, § 273 III BGB

Der Gläubiger kann die Geltendmachung des ZbR durch den Schuldner abwenden, indem er Sicherheit leistet (§ 273 III 1 BGB). Die Sicherheit muss nicht nur angeboten, sondern auch tatsächlich erbracht werden.22 Die Sicherheit durch Bürgen ist ausgeschlossen (§ 273 III 2 BGB). Es gelten die §§ 232 ff. BGB.

Rechtsfolgen

Erhebt der Schuldner im Prozess die Einrede des § 273 BGB, wird er (nur) zur Leistung Zug um Zug an den Gläubiger verurteilt (§ 274 I BGB). Die Ausübung des ZbR schließt zudem mit Wirkung ex nunc und den Anspruch auf Prozesszinsen (§ 291 BGB) aus.24 Ob das ZbR aus § 273 I BGB ein Recht zum Besitz (RzB) i.S.v. § 986 BGB vermittelt, ist umstritten.25


  1. Beispiel: Einrede der Verjährung, § 214 BGB.
  2. Beispiele: Einrede der Bereicherung, § 821 BGB; Arglisteinrede, § 853 BGB.
  3. Das Erheben der Einrede erfordert, dass der Schuldner dem Gläubiger ausdrücklich oder konkludent zu verstehen gibt, dass er (der Schuldner) die Leistung aufgrund seines ZbR verweigert (R. Schmidt, Schuldrecht AT, 13. Aufl. 2019, Rn. 350).
  4. R. Schmidt, Schuldrecht AT, 13. Aufl. 2019, Rn. 334; Hk-BGB/Schulze, 10. Aufl. 2019, § 273 Rn. 1.
  5. Hk-BGB/Schulze, 10. Aufl. 2019, § 273 Rn. 3.
  6. Hier und zum Folgenden: R. Schmidt, Schuldrecht AT, 13. Aufl. 2019, Rn. 335.
  7. BGH, Urt. v. 14.07.1995 – V ZR 45/94, NJW 1995, 2627, 2628; a. A. Grüneberg/Herrler, BGB, 83. Aufl. 2024, § 986 Rn. 5.
  8. R. Schmidt, Schuldrecht AT, 13. Aufl. 2019, Rn. 336; Hk-BGB/Schulze, 10. Aufl. 2019, § 273 Rn. 6.
  9. R. Schmidt, Schuldrecht AT, 13. Aufl. 2019, Rn. 337; Hk-BGB/Schulze, 10. Aufl. 2019, § 273 Rn. 6.
  10. R. Schmidt, Schuldrecht AT, 13. Aufl. 2019, Rn. 339.
  11. BGH, Urt. v. 06.12.1991 – V ZR 229/90, NJW 1992, 556, Ls. 1.
  12. Hk-BGB/Schulze, 10. Aufl. 2019, § 273 Rn. 7.
  13. BGH, Urt. v. 03.07.1997 – IX ZR 244/96, NJW 1997, 2944, 2945; R. Schmidt, Schuldrecht AT, 13. Aufl. 2019, Rn. 343.
  14. Hier und zum Folgenden: R. Schmidt, Schuldrecht AT, 13. Aufl. 2019, Rn. 343.
  15. Hk-BGB/Schulze, 10. Aufl. 2019, § 273 Rn. 7.
  16. Ein konkludenter vertraglicher Ausschluss liegt in der Vereinbarung der Vorleistungspflicht des Schuldners (Hk-BGB/ Schulze, 10. Aufl. 2019, § 273 Rn. 9).
  17. Gesetzlich ausgeschlossen oder eingeschränkt ist das ZbR z.B. in den §§ 175, 570, 578 I, 581 II, 596 II BGB, 19 II 3 GmbHG (R. Schmidt, Schuldrecht AT, 13. Aufl. 2019, Rn. 346; Hk-BGB/Schulze, 10. Aufl. 2019, § 273 Rn. 9).
  18. Dies gilt z. B. dann, wenn der Anspruch des Schuldners dessen Existenzgrundlage sichern soll (z. B. Unterhaltsansprüche; R. Schmidt, Schuldrecht AT, 13. Aufl. 2019, Rn. 348; Hk-BGB/Schulze, 10. Aufl. 2019, § 273 Rn. 12).
  19. Dies gilt z. B. dann, wenn der Schuldner wegen einer unverhältnismäßig geringen Forderung seine gesamte Gegenleistung zurückhalten will (arg. § 320 II BGB) oder wenn der Schuldner für seinen Gegenanspruch eine Sicherheit besitzt (arg. § 273 III BGB); R. Schmidt, Schuldrecht AT, 13. Aufl. 2019, Rn. 347; Hk-BGB/Schulze, 10. Aufl. 2019, § 273 Rn. 13.
  20. Hk-BGB/Schulze, 10. Aufl. 2019, § 273 Rn. 11.
  21. Hier und zum Folgenden: R. Schmidt, Schuldrecht AT, 13. Aufl. 2019, Rn. 345 f.
  22. R. Schmidt, Schuldrecht AT, 13. Aufl. 2019, Rn. 349; Hk-BGB/Schulze, 10. Aufl. 2019, § 273 Rn. 19.
  23. R. Schmidt, Schuldrecht AT, 13. Aufl. 2019, Rn. 351.
  24. Hk-BGB/Schulze, 10. Aufl. 2019, § 273 Rn. 18.
  25. Bejahend: BGH. Urt. v. 17.03.1975 – VIII ZR 245/73, BGHZ 64, 122, 124; Hk-BGB/Schulze, 10. Aufl. 2019, § 273 Rn. 18; verneinend: R. Schmidt, Schuldrecht AT, 13. Aufl. 2019, Rn. 351.