Zeugenbeweis in der Klausur
1) Zeugenbeweis in der Klausur
Der Zeugenbeweis ist das in der Praxis und deshalb auch in den Klausuren häufigste Beweismittel. Da es – neben der Parteivernehmung - aber gleichzeitig auch das unzuverlässigste ist, sind hier besonders hohe Anforderungen an die Überzeugungsbildung zu stellen.
I. Beweisantritt in der Anwaltsklausur
Der Beweisantritt erfolgt durch Bezeichnung der Tatsache und Nennung des Zeugen (§ 373 ZPO). Das ist vor allem in der Anwaltsklausur wichtig.
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Der Beweisantritt muss nicht substanziiert sein. Du musst deshalb nicht erläutern, warum der Zeuge etwas zu der Tatsachenbehauptung sagen können soll. Das ist Gegenstand der späteren Vernehmung.
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Der Beibringungsgrundsatz verpflichtet die beweisbelastete Partei dazu, die ladungsfähige Anschrift des Zeugen zu nennen. Ergibt sich diese nicht aus der Klausur-Akte, gibst du nur den Namen des Zeugen an und schreibst, dass die ladungsfähige Anschrift nachgereicht wird.
In manchen Fällen musst du prüfen, ob es sich wirklich um einen Zeugenbeweis handelt, oder nicht vielmehr um eine Parteivernehmung oder einen Sachverständigenbeweis.
- Die Partei des Rechtsstreits kann nicht gleichzeitig Zeuge sein. Das musst du vor allem dann beachten, wenn es sich um Gesellschaften handelt, die im Prozess vertreten werden müssen. Der gesetzliche Vertreter der Gesellschaft ist dann selbst Partei des Rechtsstreits.
Das gilt allerdings nur in dem jeweiligen Prozessrechtsverhältnis. Deshalb kann ein Streitgenosse als Zeuge benannt werden, soweit das Beweisthema nur das Prozessrechtsverhältnis zu dem anderen Streitgenossen betrifft.
Ein Nebenintervenient wird nicht Partei des Rechtsstreits und kann deshalb Zeuge sein.
- Gegenstand einer Beweiserhebung durch Zeugen sind deren Wahrnehmungen über vergangene Tatsachen und Zustände. Demgegenüber ist es Aufgabe des Sachverständigen, Fachwissen zur Beurteilung von Tatsachen zu vermitteln. Eine Zwischenstellung hat der sog. sachverständige Zeuge, über den du mehr im Exkurs zum Sachverständigenbeweis erfährst.
II. Zeugenaussagen in der Urteilsklausur
1. Quellen
Kommt es in der Urteilsklausur auf eine Zeugenaussage an, findest du diese regelmäßig im Terminsprotokoll, denn nach § 160 Abs. 3 Satz 4 ZPO sind die Aussagen der Zeugen im Protokoll festzustellen.
Gemäß § 377 Abs. 3 Satz 1 ZPO kann das Gericht einen Zeugen aber auch schriftlich vernehmen. In diesem Fall findest du die schriftliche Aussage in der Klausur-Akte.
2. Prüfungsaufbau
Wie bei jeder Beweiswürdigung prüfst du zunächst, ob die Zeugenaussage überhaupt ergiebig ist. Kannst du das bejahen, musst du prüfen, ob dich die Aussage überzeugt. Wurde ein Gegenzeuge vernommen, kommt es schließlich darauf an, ob dieser den Beweis erschüttern konnte.
Die allgemeinen Grundlagen der Beweiswürdigung werden ausführlich im Kurs zur Urteilsklausur dargestellt, und zwar im Exkurs zur Verwertung einer Beweisaufnahme.
a) Ergiebigkeit
Die Aussage des Zeugen muss ergiebig sein, d.h., sie muss die streitige Tatsachenbehauptung bestätigen.
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Führe dir noch einmal die konkrete Beweisbehauptung der beweispflichtigen Partei vor Augen.
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Schau dir an, was der Zeuge ausgesagt hat.
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Überlege, ob dir das genügt.
b) Beweiswürdigung
Hältst du die Aussage für ergiebig, kommt es darauf an, ob dich das Gesagte überzeugt.
aa) Beweismaß
Hierzu musst du zunächst wissen, wann du von einer Zeugenaussage überzeugt sein darfst.
Der BGH formuliert das so:
„Eine von allen Zweifeln freie Überzeugung setzt das Gesetz dabei nicht voraus. Auf diese eigene Überzeugung des entscheidenden Richters kommt es an, auch wenn andere zweifeln oder eine andere Auffassung erlangt haben würden. Der Richter darf und muß sich aber in tatsächlich zweifelhaften Fällen mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewißheit begnügen, der den Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen.“
(BGH III ZR 201/80).
Der Richter muss also für die Richtigkeit der Zeugenaussage nicht „die Hand ins Feuer legen“, er muss sie aber mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit für zutreffend halten.
bb) Ausgangspunkt
Ausgangspunkt der Betrachtung ist die sog. Nullhypothese.
Es gilt der Erfahrungssatz, dass Zeugenaussagen unzuverlässig sind. Deshalb musst du ausführlich begründen, warum du vorliegend dem Zeugen trotzdem glaubst. In den Entscheidungsgründen reicht deshalb nicht der Satz: „Das Gericht hat keinen Grund, an der Glaubhaftigkeit der Angaben des Zeugen zu zweifeln.“!
cc) Irrtum oder Lüge
Ein Zeuge kann bewusst die Unwahrheit sagen, also lügen, oder unbewusst, sich also irren. Ein Irrtum ist allein aus der Zeugenaussage selbst kaum zu erkennen, sondern nur im Abgleich mit anderen Erkenntnissen, denn der Irrende ist davon überzeugt, das Geschilderte erlebt zu haben. Ob der Zeuge lügt, lässt sich dagegen anhand bestimmter Kriterien (und mit Erfahrung) eher erkennen, da der Lügner weiß, dass er eine erfundene Geschichte präsentiert.
Liegt eines der folgenden Kriterien vor, bedeutet das nicht zwangsläufig, dass der Zeuge die Wahrheit sagt oder lügt, es ist lediglich ein Indiz von vielen. In der Klausur müssen einige der Kriterien als „key-words“ fallen.
Glaubwürdigkeit des Zeugen
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Interesse am Ausgang des Verfahrens?
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Besonderheiten in der Vorgeschichte (formale Zeugenstellung, Zedent)?
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Vorstrafen wegen Aussage- oder Täuschungsdelikten?
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Persönlicher Eindruck
Glaubhaftigkeit der Angaben des Zeugen
Was spricht dafür, dass der Zeuge das geschilderte Geschehen tatsächlich erlebt hat (sog. Realkennzeichen)?
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detailreiche, bunte, konkrete, authentische Schilderung des Kerngeschehens, aber auch des Randgeschehens
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Schilderung eigener Gefühle („gefühlsmäßiger Nachklang“)
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Zeuge stellt Querverbindungen her
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Gleichgewichtigkeit von günstigen und ungünstigen Umständen für die Parteien
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Widerspruchsfreiheit und logische Konsistenz der Aussage
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Zugeben von Erinnerungslücken und eigener Unsicherheit
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Spontane Verbesserungen während des Diktats der Aussage
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Bestätigung der Aussage durch andere gesicherte Umstände
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Plausibilität der Aussage
Gibt es Anhaltspunkte dafür, dass sich der Zeuge die Schilderung ausgedacht hat (sog. Lügenkennzeichen)?
- Kargheit der Aussage
Die Angaben zum Kern des Beweisthemas bleiben dürftig und farblos. Das Geschehen läuft glatt und zielgerichtet ab.
- Abstraktheit der Aussage
Die Aussage hätte auch von einer anderen Person stammen können. Bei den Angaben zum Kern des Beweisthemas fällt ein Stilbruch auf; die Aussage passt nicht mehr zur Aussageperson. Allenfalls naheliegende Assoziationen oder Gefühle werden erwähnt.
- Logische Brüche
Nur die im Zusammenhang geschilderten Handlungselemente passen zueinander; im Übrigen ergeben sich Widersprüche.
- Verweigerung/Verarmung bei Zusatzfragen
Auf Nachfragen bringt die Aussageperson allenfalls nichts sagende Zusätze.
- Widersprüche oder Stereotypie bei wiederholter Befragung
Aus der Sicht der Aussageperson entscheidende Handlungsteile werden erheblich variiert. Oder es gibt überhaupt keine Variationen; die Aussage wird gleichlautend wiederholt.
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Übertriebene Bestimmtheit
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Unterwürfigkeit
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Gegenangriffe; Entrüstung ohne adäquaten Anlass
dd) Formulierungsbeispiele
- Du bist von der Richtigkeit der Aussage überzeugt:
„Das Gericht ist überzeugt, dass die Beklagte die Klägerin am … vor dem Club … mit einer Flasche niedergeschlagen hat. Diese Gewissheit hat das Gericht auf der Grundlage der Aussage der Zeugin X erlangt.
Die Aussage der Zeugin war ergiebig. Sie hat ausgesagt, sie habe vor dem Club geraucht, als plötzlich die hiesigen Parteien aneinandergeraten seien. Erst hätten sie sich nur beschimpft. (…) Plötzlich habe aber die Beklagte mit ihrer Bierflasche ausgeholt und damit die Klägerin am Kopf getroffen. Die Klägerin sei sofort zu Boden gegangen. Die Beklagte sei weggerannt, während sie, die Zeugin, die Polizei gerufen habe.
Das Gericht ist überzeugt, dass diese Darstellung des Geschehens den Tatsachen entspricht. Die Zeugin hat den Verlauf der Auseinandersetzung detailreich, authentisch und plausibel geschildert. Dabei war sie jederzeit in der Lage, Nachfragen des Gerichts auch dann widerspruchsfrei zu beantworten, wenn sie aus dem chronologischen Zusammenhang gerissen wurden. Der Zeugin war bei ihrer Aussage ein gefühlsmäßiger Nachklang anzumerken, denn es wurde deutlich, wie sehr sie das Geschehen immer noch belastet. Insbesondere beschäftigt sie der Umstand, dass sie zwar die Polizei gerufen, sich jedoch nicht weiter um die Klägerin gekümmert hat, weil sie Angst gehabt habe, die Beklagte komme zurück. Für die Glaubwürdigkeit der Zeugin spricht, dass sie an der Auseinandersetzung nicht beteiligt war und weder die Klägerin noch die Beklagte kannte. (…)“.
- Du bist nicht überzeugt:
„Das Gericht ist nicht überzeugt, dass die Beklagte die Klägerin am … vor dem Club … mit einer Flasche niedergeschlagen hat. Nach der insoweit zwar ergiebigen Aussage der Zeugin X verbleiben erhebliche Zweifel daran, dass deren Schilderungen den tatsächlichen Geschehensablauf zutreffend wiedergegeben haben.
Hierfür spricht zunächst die auffällige Kargheit der Aussage. Die Zeugin hat ohne jede emotionale Beteiligung lediglich geschildert, wie die Beklagte die Klägerin mit der Flasche niedergeschlagen habe. Den genauen Ablauf der Auseinandersetzung konnte sie ebenso wenig darstellen wie das Geschehen im Anschluss. Dies weckt vor allem deshalb Zweifel, weil die Zeugin zuvor sehr farbig und detailreich den Verlauf des Abends, der offensichtlich von hohem Alkoholkonsum in verschiedenen Clubs geprägt war, geschildert hat. Während sie dabei auch bereit und in der Lage war, Nachfragen des Gerichts zu beantworten, reagierte sie auf solche Nachfragen zum eigentlichen Tatgeschehen eher aggressiv. Hinzu kommt, dass die Zeugin ihre Aussage auf Vorhalt der Aussagen der Zeuginnen Y und Z revidieren musste. Vor diesem Hintergrund kommt auch dem Umstand Bedeutung zu, dass die Zeugin eine Cousine der Klägerin ist.“
c) Erschütterung des Beweises
Bist du davon überzeugt, dass der Zeuge der beweispflichtigen Partei die Wahrheit gesagt hat, musst du abschließend prüfen, ob ein Gegenzeuge vernommen wurde und ob dieser den Beweis erschüttern konnte.
Hierfür genügt es, dass der Gegenzeuge Zweifel an der Aussage des Zeugen weckt. Es ist also nicht erforderlich, dass das Gegenteil der Beweisbehauptung feststeht. Du kannst es deshalb immer noch für wahrscheinlich halten, dass der Zeuge die Wahrheit sagst, hältst es aber auch für möglich, dass der Gegenzeuge recht hat. Ein solches „non liquet“ geht zu Lasten der beweispflichtigen Partei.