Wahlfeststellung

Aufbau der Prüfung - Wahlfeststellung

Im Rahmen der Wahlfeststellung sind zwei Arten zu unterscheiden: die unechte und die echte Wahlfeststellung.

I. Die unechte Wahlfeststellung

Die Situation der unechten Wahlfeststellung ist die folgende.

1. Sachverhaltsungewissheit

Es kann nicht mit Sicherheit festgestellt werden, durch welche von zwei oder mehreren alternativ fragestehenden Handlungen ein auf jeden Fall verwirklichter Tatbestand erfüllt wurde. Dies wird Sachverhaltsungewissheit genannt. Beispiel: A hat einen Meineid begangen, vgl. § 154 StGB. Es bleibt jedoch unklar, an welchem Tag der A falsch geschworen hat. Er könnte den Meineid am 4.5. oder 15.5. begangen haben. In diesem Fall wird A wegen Meineides verurteilt. Es kommt nicht darauf an, an welchem genauen Tag er diesen begangen hat.

2. Normungewissheit

Zweiter Fall ist die Normungewissheit. Hierbei sind mindestens zwei Konstellationen zu unterscheiden.

a) Stufenverhältnis

Zum einen können die Straftatbestände in einem Stufenverhältnis stehen. Beispielsweise kann nicht geklärt werden, ob das  Delikt über das Versuchsstadium hinausgelangt ist. Hieraus ergibt sich eine Bestrafung aus der niedrigeren Stufe, hier dem Versuchsdelikt. Gleiches gilt, wenn nicht geklärt werden kann, ob eine Verabredung stattgefunden hat oder bereits in das Versuchsstadium eingetreten wurde. Denn dann wird der Betroffene wegen der Verabredung verurteilt, sofern diese strafbar ist. Weiteres Beispiel ist eine Unsicherheit bezüglich der Tatbeteiligung. Es ist in diesem Fall nicht klar, ob der Beschuldigte Täter oder Teilnehmer ist. Stellt sich also die unbeantwortete Frage, ob der Beschuldigte Beihilfe geleistet hat oder doch bereits Mittäter war, wird er nur aufgrund der Beihilfe verurteilt.

b) Auffangtatbestand

Eine weitere Konstellation betrifft den Auffangtatbestand, der nicht unbedingt technisch gemeint sein muss. Beispiel 1: Es steht fest, dass A den Tod des B verursacht hat. Allerdings bleibt unklar, ob A mit Vorsatz gehandelt hat. A wird folglich nicht wegen Totschlags gemäß § 212 StGB, sondern wegen des Auffangtatbestands des § 222 StGB verurteilt. Beispiel 2: Es ist gesichert, dass A vor einer Behörde einen anderen falsch verdächtig hat. Es bleibt jedoch offen, ob A die für § 164 StGB erforderliche Absicht hatte. Deshalb wird er wegen Vortäuschen einer Straftat nach § 145d StGB verurteilt.

c) Postpendenzfeststellung

Eine weitere Fallgestaltung betrifft die Postpendenzfeststellung. Hierbei steht von zwei rechtlich relevanten Sachverhalten der spätere fest. Der frühere Sachverhalt ist nur möglicherweise gegeben. Beispiel: A kauft in Kenntnis der Herkunft eine gestohlene Sache an und hat sich damit der Hehlerei strafbar gemacht. Allerdings kann nicht geklärt werden, ob A auch als Mittäter an dem Diebstahl der Sache beteiligt war, vgl. §§ 242 I, 25 II StGB. War A an dem Diebstahl beteiligt, kann er nicht Hehler sein. Steht jedoch das Nachtatverhalten in Form des Ankaufens fest, wohingegen das Vortatverhalten offen bleibt, wird nur wegen des Nachtatverhaltens, hier der Hehlerei, verurteilt.

d) Präpendenzfeststellung

Als Gegenstück ist die ebenfalls umstrittene Präpendenzfeststellung zu beachten. Diese betrifft den umgekehrten Fall. Das bedeutet, dass von zwei rechtlich relevanten Sachverhalten nur der frühere feststeht. Der spätere Sachverhalt ist dagegen nur möglicherweise gegeben. Beispiel: Es steht fest, dass A Mittäter bei einem Diebstahl war, vgl. §§ 242 I, 25 II StGB. Unklar bleibt jedoch, ob er in der Kenntnis der Herkunft die Sache von seinem Mittäter angekauft hat, vgl. § 259 StGB. In diesem Fall wird A nur wegen des gesicherten Vortatverhaltens verurteilt. Die Klausurrelevanz der bisher vorgestellten Institute ist äußerst gering.

II. Echte Wahlfeststellung

Höher liegt aufgrund der neuen Rechtsprechung die Möglichkeit der echten Wahlfeststellung. Die echte Wahlfeststellung hat drei Voraussetzungen.

1. Voraussetzungen

a) Eindeutige Tatsachenfeststellung nicht möglich

Zunächst ist eine eindeutige Tatsachenfeststellung nicht möglich.

b) Sicher, dass Beschuldigter sich durch jede der beiden (oder mehreren) Alternativen strafbar gemacht hätte

Weiterhin steht fest, dass sich der Beschuldigte durch jede der beiden oder mehreren Alternativen strafbar gemacht hätte.

c) Rechtsethische und psychologische Vergleichbarkeit

Zuletzt müssen die beiden Delikte rechtsethisch und psychologisch vergleichbar sein. Rechtsethische Vergleichbarkeit meint vergleichbares Rechtsgut und vergleichbarer Strafrahmen. Unter der psychologischen Vergleichbarkeit versteht man die gleiche Schuldform (Vorsatz und Fahrlässigkeit). Danach können Vorsatzdelikte nur mit Vorsatzdelikten und Fahrlässigkeitsdelikte nur mit Fahrlässigkeitsdelikten verglichen werden. Hinzu kommt zudem die vergleichbare Vergehensweise. Diese vier Voraussetzungen müssen kumulativ vorliegen. Beispiel 1: Es ist ungeklärt, ob die Gegenstände, die im Keller des A gefunden wurden, von ihm selbst entwendet wurden oder ob A diese Gegenstände in Kenntnis ihrer Herkunft aus einem Diebstahl angekauft hat. In diesem Fall wird A wegen Diebstahl oder Hehlerei verurteilt, vgl. §§ 242, 259 StGB. Beispiel 2: Es ist geklärt, dass A an Sachen unter Einsatz von Nötigungsmitteln gelangt ist. Hierbei bleibt jedoch unklar, ob er diese Gegenstände weggenommen hat oder sich diese hat geben lassen. In diesem Fall wird A wegen Raub oder räuberischer Erpressung verurteilt, vgl. §§ 249, 255 StGB. Beispiel 3: A ist im Zustand der Fahruntüchtigkeit Auto gefahren. Unklar ist, ob A soviel getrunken hat, dass er schuldunfähig war. Bei Schuldfähigkeit wäre A wegen Trunkenheit im Verkehr zu verurteilen. Läge diese nicht vor, wäre § 323a StGB einschlägig. Diese Delikte sind schon bereits wegen ihrer unterschiedlichen Schutzgüter nicht vergleichbar. Außerdem handelt es sich bei Trinken und Fahren um unterschiedliche Begehungsweisen.

2. Rechtsfolge

Umstritten ist aufgrund einer Meinungsverschiedenheit zweier Senate des BGH, ob die Wahlfeststellung noch verfassungsgemäß ist. Dieses Problem der Verfassungswidrigkeit der echten Wahlfeststellung wird in einem gesonderten Exkurs behandelt.

 

 

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