Vorsatz-Fahrlässigkeits-Kombinationen
Vorsatz-Fahrlässigkeits-Kombinationen
Das Gesetz kennt nicht nur reine Vorsatz- oder Fahrlässigkeitstaten.1 Es gibt auch Mischtatbestände, bei denen Vorsatz bezüglich der Tathandlung und wenigstens Fahrlässigkeit (oder Leichtfertigkeit) hinsichtlich einer besonders schweren Folge gefordert ist. Diese Mischtatbestände lassen sich wie folgt einteilen:
Solche Tatbestände werden als echte Vorsatz-Fahrlässigkeits-Kombinationen bezeichnet. Beispiele: §§ 308 V, 315 V, 315a III Nr. 1, 315b IV, 315c III Nr. 1 StGB.
Solche Tatbestände werden als erfolgsqualifizierte Delikte (oder auch als unechte Vorsatz-Fahrlässigkeits-Kombinationen) bezeichnet. Beispiel: Der Grundtatbestand der vorsätzlichen Körperverletzung (§ 223 StGB) wird zur Körperverletzung mit Todesfolge (§ 227 StGB), wenn dem Täter hinsichtlich der schweren Tatfolge (Tod des Opfers) „wenigstens Fahrlässigkeit zur Last fällt“ (§ 18 StGB). Als weitere Beispiele sind die §§ 221 III, 238 III, 239 IV StGB zu nennen.
Echte Vorsatz-Fahrlässigkeits-Kombinationen
Diese Kombinationsdelikte setzen sich aus einem Handlungs- und einem Gefährdungsteil zusammen.2 Bei ihnen löst eine bestimmte Handlung die Strafbarkeit aus, wenn der Täter dadurch einen bestimmten Erfolg verursacht. Der Erfolgseintritt in Form eines konkreten Gefahrerfolges begründet hier die Strafbarkeit.
Soweit der Täter den Handlungsteil vorsätzlich erfüllt und fahrlässig die konkrete Gefahr herbeiführt, tritt das Delikt als Vorsatz-Fahrlässigkeits-Kombination in Erscheinung (Beispiele: §§ 315b I, IV; 315c I, III Nr. 1 StGB). Gemäß § 11 II StGB gelten solche Kombinationen als Vorsatztat; dies hat zur Folge, dass eine Teilnahme (§§ 26, 27 StGB) in Betracht kommt. Möglich ist aber auch eine Vorsatz-Vorsatz-Kombination (Beispiele: § 315b I oder 315c I StGB, jeweils i.V.m. § 15 StGB) oder eine Fahrlässigkeits-Fahrlässigkeits-Kombination (Beispiele: §§ 315b I, V; 315c I, III Nr. 2 StGB).
Erfolgsqualifizierte Delikte
Bei erfolgsqualifizierten Delikten ist die Strafe erheblich geschärft, wenn der Täter im Zusammenhang mit der Begehung eines bestimmten Vorsatzdelikts (des Grunddelikts) fahrlässig einen qualifizierenden Erfolg (z. B. den Tod des Opfers) herbeiführt.
Beispiel: Die Körperverletzung (§ 223 StGB) hat einen Strafrahmen von bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe. Die fahrlässige Tötung (§ 222 StGB) wird ebenfalls mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren bestraft. Die Verknüpfung beider Tatbestände zur Körperverletzung mit Todesfolge (§ 227 StGB) hat eine Verschiebung des Strafrahmens auf eine Mindestfreiheitsstrafe von drei Jahren und eine Höchststrafe von 15 Jahren Freiheitsstrafe (vgl. § 38 II StGB) zur Folge. Oder anders gewendet: Die Kombination zweier Vergehen (vgl. § 12 II StGB) führt hier zur Einordnung als Verbrechen (vgl. § 12 I StGB).3 Dies hat zur Folge, dass bei erfolgsqualifizierten Delikten eine restriktive Auslegung geboten ist.4
Eine wichtige Abwandlung klassischer Vorsatz-Fahrlässigkeits-Kombinationen findet man bei denjenigen qualifizierten Delikten, bei denen das Gesetz bezüglich der Herbeiführung der schweren Tatfolge mit der Leichtfertigkeit eine qualifizierte Form der Fahrlässigkeitsform verlangt.5 Beispiel: Raub mit Todesfolge (§ 251 StGB); ebenso: §§ 178, 239a III, 239b II, 306c, 316a III StGB.
Prüfungsschema: Das erfolgsqualifizierte Delikt6
I. Verwirklichung des Grunddelikts
Erforderlich ist eine tatbestandsmäßige, rechtswidrige und schuldhafte Begehung des vorsätzlichen Grunddelikts.
II. Eintritt der besonderen Tatfolge i.S.v. § 18 StGB
Z. B. Tod des Opfers (§§ 176b, 178, 221 III, 227, 238 III, 239a III, 251, 306c, 307 III, 316a III StGB), schwere Körperverletzung (§ 226 StGB), schwere Gesundheitsschädigung (§§ 221 II Nr. 2, 239 III Nr. 2, 306b I, 308 II, 309 III, 312 III, 315 III Nr. 2, 315b III), Gesundheitsschädigung einer großen Zahl von Menschen (§§ 30bb I, 308 II, 309 III, 312 III, 315 III Nr. 2, 315b III StGB). Nicht von § 18 StGB erfasst sind der Eintritt einer konkreten Gefahr und Regelbeispiele.
III. Kausalität und objektive Zurechnung
Die Tathandlung muss äquivalent kausal für die schwere Folge sein. Die schwere Folge muss dem Täter zudem objektiv zurechenbar sein; insoweit gilt das zum Fahrlässigkeitstat Gesagte entsprechend.
IV. Tatbestandsspezifischer Gefahrzusammenhang
Zwischen dem Grunddelikt und der schweren Folge muss ein tatbestandsspezifischer Gefahrzusammenhang bestehen. In der schweren Folge muss sich gerade die dem Grundtatbestand anhaftende spezifische Gefahr niedergeschlagen haben („qualifikationsspezifischer Zusammenhang“).7 Es muss sich ein Risiko realisiert haben, das typischerweise mit dem Grundtatbestand einhergeht.8
V. Wenigstens Fahrlässigkeit bzw. Leichtfertigkeit bzgl. der Verursachung der schweren Folge
Hinsichtlich der schweren Folge muss dem Täter nach § 18 StGB „wenigstens Fahrlässigkeit“ zur Last fallen. Damit ist klargestellt, dass auch (erst recht) eine vorsätzliche Verursachung der schweren Folge tatbestandsmäßig ist.9 Aus dem jeweiligen Delikt kann sich ergeben, dass mit der Leichtfertigkeit eine gesteigerte Form der Fahrlässigkeit hinsichtlich der schweren Folge vorliegen muss (Beispiel: § 251 StGB: „wenigstens leichtfertig“).
Versuch des erfolgsqualifizierten Delikts
Bei erfolgsqualifizierten Delikten kann es zu Versuchskonstellationen kommen. Dabei ist wie folgt zu unterscheiden:10
Tritt die schwere Folge schon beim strafbaren11 Versuch des Grunddelikts ein, kommt es für die Strafbarkeit aus dem erfolgsqualifizierten Delikt darauf an, ob die Bestrafung aus der schweren Folge bereits an die Tathandlung anknüpft oder von dem Eintritt des Taterfolgs des Grunddelikts abhängt. Dies ist durch Auslegung zu ermitteln. Beispiel: T will dem O mit einer Pistole gegen die Stirn schlagen, um ihn (nur) zu verletzen; dabei löst sich für T vollkommen unerwartet ein Schuss, der den O unmittelbar tötet. Lässt man einen Gefahrzusammenhang zwischen der Körperverletzungshandlung und der Todesfolge genügen,12 ist T aus § 227 StGB zu bestrafen. Ein strafbefreiender Rücktritt (§ 24 StGB) ist auch dann noch möglich, wenn die schwere Folge bereits eingetreten ist.13
Kann der besondere Erfolg auch vorsätzlich herbeigeführt werden, ist wegen Versuchs strafbar, wer diesen besonderen Erfolg anstrebt, aber nicht verwirklicht.14
- Zum Folgenden: R. Schmidt, Strafrecht AT, 20. Aufl. 2018, Rn. 887.
- Hier und zum Folgenden: Rengier, Strafrecht AT, 11. Aufl. 2019, § 55 Rn. 6 – 8.
- Zur Abgrenzung von Vergehen und Verbrechen.
- R. Schmidt, Strafrecht AT, 20. Aufl. 2018, Rn. 892.
- Hier und zum Folgenden: Rengier, Strafrecht AT, 11. Aufl. 2019, § 55 Rn. 2.
- R. Schmidt, Strafrecht AT, 20. Aufl. 2018, Rn. 891.
- BGH, Beschl. v. 20.06.2017 – 2 StR 130/17, Rn. 11; BGH, Urt. v. 14.01.2016 – 4 StR 72/15, Ls. 3 und Rn. 26 f.
- BGH, Urt. v. 14.01.2016 – 4 StR 72/15, Rn. 24 (zu § 239a III bzw. § 251 StGB).
- Handelt der Täter hinsichtlich der schweren Folge vorsätzlich, hat er aber oftmals ein anderes Delikt verwirklicht, welches dem erfolgsqualifizierten Delikt vorgeht (Beispiel: § 212 StGB statt § 227 StGB).
- Hier und zum Folgenden: R. Schmidt, Strafrecht AT, 20. Aufl. 2018, Rn. 895 – 906.
- Ein erfolgsqualifizierter Versuch setzt die Strafbarkeit des Versuchs des Grunddelikts voraus (Putzke, JuS 2009, 1083, 1086; R. Schmidt, Strafrecht AT, 20. Aufl. 2018, Rn. 900; a. A. Rath, JuS 1999, 140, 142; Sowoda, Jura 1995, 664, 653.
- BGH, Urt. v. 14.01.2016 – 4 StR 72/15, Rn. 27. Nach der Gegenauffassung (sog. Letalitätslehre) muss sich der Todeserfolg gerade aus dem vorsätzlich zugefügten Körperverletzungserfolg ergeben; sie gelangt deshalb zur Strafbarkeit des T (nur) aus §§ 223 I, II, 224 I Nr. 2, 5, 22, 23 I, 12 II StGB (Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl. 2019, § 227 Rn. 8).
- BGH, Urt. v. 14.05.1996 – 1 StR 51/96, BGHSt 42, 158, 160 f.; Kudlich, 2009, 246, 250; a. A. Jäger, JuS 1998, 161, 163 f.
- BGH, Beschl. v. 10.05.2001 – 3 StR 99/01, NStZ 2001, 534 (versuchte Erfolgsqualifizierung bei Raub mit Todesfolge).