Voraussetzungen der Stellvertretung (§ 164 BGB)

Voraussetzungen der Stellvertretung (§ 164 BGB)

Stellvertretung ist das rechtsgeschäftliche Handeln des Vertreters im Namen und mit unmittelbarer Wirkung für und gegen den Vertretenen.1 Damit die Rechtsfolgen in der Person des Vertretenen eintreten, müssen fünf Voraussetzungen vorliegen, von denen die ersten beiden nur bei Bedarf und die letzten drei immer anzusprechen sind:

1. Anwendbarkeit der §§ 164 ff. BGB
2. Zulässigkeit der Stellvertretung
3. Eigene Willenserklärung des Stellvertreters
4. Im Namen des Vertretenen
5. Mit Vertretungsmacht

Anwendbarkeit der §§ 164 ff. BGB

Nach den Stellvertretungsregeln können nur Willenserklärungen zugerechnet werden.2

Für rechtsgeschäftsähnliche Handlungen gelten die §§ 164 ff. BGB analog. Keine Anwendung findet das Stellvertretungsrecht hingegen bei Realakten. Eine „Vertretung im Besitz“ gibt es nicht; das Sachenrecht sieht vielmehr die Rechtsfiguren des Besitzdieners (§ 855 BGB) und des mittelbaren Besitzers (§ 868 BGB) vor. Mit einer Haftung für fremdes Verhalten befasst sich § 278 BGB.

Zulässigkeit der Stellvertretung

Die Stellvertretung kann ausnahmsweise ausgeschlossen sein. Man spricht dann von höchstpersönlichen Rechtsgeschäften.

Vertretungsverbote können ausdrücklich normiert sein (z. B. §§ 1311 S. 1, 2064 BGB), aus der Natur des Rechtsgeschäfts folgen (z. B. Verlobung, §§ 1297 ff. BGB) oder rechtsgeschäftlich vereinbart werden („gewillkürte Höchstpersönlichkeit“).

Eigene Willenserklärung des Stellvertreters

Der Stellvertreter muss eine eigene Willenserklärung abgeben („Ich erkläre …“) und nicht nur eine fremde Erklärung übermitteln („Ich soll ausrichten, dass …“). Dies unterscheidet ihn vom Boten.3

Die Abgrenzung des Stellvertreters vom Boten hat vom objektiven Empfängerhorizont aus zu erfolgen (§§ 133, 157 BGB).4 Entscheidend ist nicht, wie die Hilfsperson handeln wollte, sondern wie ihr Verhalten verstanden werden durfte. Die Abgrenzung ist aus den folgenden Gründen relevant:5

  • Die einem Empfangsvertreter (§ 164 III BGB) gegenüber abgegebene Willenserklärung ist vom Empfängerhorizont des Vertreters auszulegen und wird wirksam, wenn sie diesem zugeht. Die einem Empfangsboten gegenüber abgegebene Willenserklärung ist vom Empfängerhorizont des Geschäftsherrn auszulegen und wird wirksam, wenn sie dem Geschäftsherrn zugeht.

  • Der Stellvertreter muss mindestens beschränkt geschäftsfähig sein (§ 165 BGB). Bote kann auch ein Geschäftsunfähiger sein („Und ist das Kindlein noch so klein, so kann es dennoch Bote sein.“).6

  • Die Wirksamkeit der Vertretererklärung wird nur durch Willensmängel des Vertreters beeinflusst; auch im Hinblick auf die Kenntnis bzw. das Kennenmüssen bestimmter Umstände kommt es auf die Person des Vertreters an (§ 166 I BGB). Für die Wirksamkeit der durch einen Boten übermittelten Erklärung kommt es – neben den Fällen des § 120 BGB – auf Willensmängel des Geschäftsherrn an; im Hinblick auf die Kenntnis bzw. das Kennenmüssen bestimmter Umstände kommt es auf die Person des Geschäftsherrn an.

  • Die Erklärung des Vertreters muss Formerfordernisse wahren. Bei der Botenschaft muss die Erklärung des Geschäftsherrn die Form einhalten.

Im Namen des Vertretenen

Der Vertreter muss im Namen des Vertretenen handeln. Dies kann ausdrücklich geschehen (§ 164 I 2 Alt. 1 BGB) oder sich aus den Umständen ergeben (§ 164 I 2 Alt. 2 BGB). Ob im fremden Namen gehandelt wird, ist durch Auslegung zu ermitteln.7

Ergibt die Auslegung ein Handeln im eigenen Namen, wird der Vertretene nicht gebunden, auch wenn der Vertreter Vertretungswillen hatte. Es liegt dann ein Eigengeschäft vor, das ausschließlich für und gegen den Vertreter wirkt.8 Eine darauf gestützte Anfechtung des Vertreters wegen Inhaltsirrtums (§ 119 I Alt. 1 BGB) ist nach § 164 II BGB ausgeschlossen.

Der Grundsatz, dass ein Vertrag nur dann mit dem Vertretenen zustande kommt, wenn der Vertreter ausdrücklich oder konkludent in dessen Namen handelt (Offenkundigkeitsprinzip), erfährt Ausnahmen:

Beim verdeckten Geschäft für den, den es angeht, handelt eine Mittelsperson bei ihren Verhandlungen mit einem Dritten im eigenen Namen, obgleich sie – als mittelbarer Stellvertreter – einen Hintermann berechtigen und verpflichten möchte. In einem solchen Fall treffen die Rechtswirkungen des Geschäfts trotz fehlender Offenkundigkeit unmittelbar den Hintermann, wenn (i) es dem Dritten gleichgültig ist, wer sein Vertragspartner wird, und (ii) der Vertreter den Willen hatte, für den Hintermann zu handeln (Vertreterwille).9 Schulbeispiel sind die Bargeschäfte des täglichen Lebens (z.B. der tägliche Brötchen- oder Zeitungskauf).

Eine weitere Ausnahme vom Grundsatz der Offenkundigkeit ist das unternehmensbezogene Rechtsgeschäft.10 Bei ihnen bezieht sich das Rechtsgeschäft erkennbar auf ein Unternehmen, sodass Vertragspartner immer nur der Unternehmensträger, also diejenige natürliche oder juristische Person ist, die „„hinter dem Unternehmen“ steht. Bei unternehmensbezogenen Rechtsgeschäften geht der Wille der Beteiligten im Zweifel dahin, dass der Inhaber des Unternehmens, in dessen Tätigkeitsbereich das rechtsgeschäftliche Handeln fällt, und nicht der für das Unternehmen Handelnde der Vertragspartner werden soll.11 Beispiel: Für den Kunden ist an der Kasse einer großen Supermarktkette offenkundig, dass er nicht mit angestellten Kassierer, sondern mit dem Träger des Unternehmens kontrahiert.

Beim Handeln unter fremdem Namen benutzt der Vertreter den Namen einer anderen Person als seinen eigenen.12 Der Vertreter tritt in diesen Fällen nicht für einen anderen, sondern als ein anderer auf. Für den Geschäftspartner wird dann regelmäßig nicht deutlich, dass Erklärender und Namensträger nicht identisch sind. Hat er aber auch kein schützenswertes Interesse daran, das Geschäft mit dem wahren Namensträger abzuschließen, wird der Erklärende selbst berechtigt und verpflichtet; es liegt dann eine schlichte „Namenstäuschung“ vor. Anders verhält es sich hingegen, wenn es dem Geschäftspartner entscheidend darauf ankommt, mit dem wahren Namensträger zu kontrahieren. Dann liegt eine „Identitätstäuschung“ vor. Ob dann der wahre Namensträger berechtigt und verpflichtet wird, ist durch analoge Anwendung der §§ 164 ff. BGB zu klären.13

Mit Vertretungsmacht

Eine Willenserklärung wirkt nur dann unmittelbar für und gegen den Vertretenen, wenn der Vertreter sie „innerhalb der ihm zustehenden Vertretungsmacht“ im Namen des Vertretenen abgegeben hat (§ 164 I 1 BGB).


  1. Bitter/Röder, BGB AT, 5. Aufl. 2020, § 10 Rn. 1.
  2. Hier und zum Folgenden: Bitter/Röder, BGB AT, 5. Aufl. 2020, § 10 Rn. 10 – 16.
  3. Schack, BGB AT, 17. Aufl. 2023, Rn. 463.
  4. BGH, Urt. v. 17.02.1954 – II ZR 63/53, BGHZ 12, 327, 334; Schack, BGB AT, 17. Aufl. 2023, Rn. 463.
  5. Zum Folgenden: Bitter/Röder, BGB AT, 5. Aufl. 2020, § 10 Rn. 21 – 28.
  6. Schack, BGB AT, 17. Aufl. 2023, Rn. 463.
  7. Bitter/Röder, BGB AT, 5. Aufl. 2020, § 10 Rn. 31.
  8. Bitter/Röder, BGB AT, 5. Aufl. 2020, § 10 Rn. 32.
  9. Bitter/Röder, BGB AT, 5. Aufl. 2020, § 10 Rn. 39; siehe hierzu auch den Fall: „Mittelbare Stellvertretung“.
  10. Hier und zum Folgenden: Bitter/Röder, BGB AT, 5. Aufl. 2020, § 10 Rn. 51 – 57; siehe auch hierzu auch den Fall: „Mittelbare Stellvertretung“.
  11. BGH, Urt. v. 31.07.2012 – X ZR 154/11, Rn. 10; OLG Schleswig, Beschl. v. 09.03.2015 – 5 U 203/04, ZIP 2015, 1542, 1543.
  12. Hier und zum Folgenden: Bitter/Röder, BGB AT, 5. Aufl. 2020, § 10 Rn. 58 – 64.
  13. BGH, Urt. v. 11.05.2011 – VIII ZR 289/09, Rn. 12.