Vollstreckung in schuldnerfremde Sachen

Exkurs ZPO II 7: Vollstreckung in eine schuldnerfremde Sache

Von großer Examensrelevanz ist die Konstellation, dass beim Schuldner eine Sache gepfändet wird, die einem Dritten gehört. Der Gerichtsvollzieher prüft vor der Pfändung nämlich nicht, ob die Sache im Eigentum des Schuldners steht. Wie der Wortlaut des § 808 Abs. 1 ZPO zeigt, kommt es allein auf den Gewahrsam des Schuldners an.

Der Dritte kann mit der Drittwiderspruchsklage die Zwangsvollstreckung für unzulässig erklären lassen (§ 771 ZPO) oder auf vorzugsweise Befriedigung aus dem Versteigerungserlös klagen (§ 805 ZPO).

Pfändungspfandrecht an schuldnerfremder Sache

Umstritten ist, ob an einer gepfändeten schuldnerfremden Sache ein Pfändungspfandrecht entsteht, auch wenn die unterschiedlichen Auffassungen sich im Ergebnis grundsätzlich nicht unterscheiden.

  • Nach der sog. öffentlich-rechtlichen Theorie entsteht ein Pfändungspfandrecht, da dies bereits unmittelbare Folge der hoheitlichen Verstrickung der Sache sei und es deshalb nicht auf die bürgerlich-rechtliche Wirksamkeit der Pfändung ankomme. Danach würde der Gläubiger auch dann ein Pfändungspfandrecht erwerben, wenn die gepfändete Sache nicht seinem Schuldner gehört. Allerdings soll ihn dieses Recht nicht zur Verwertung der Sache berechtigen.

  • Die h.M. (gemischte Theorie) wendet dagegen die Vorschriften zum Pfandrecht in §§ 1204 ff. BGB analog an und macht deshalb die wirksame Entstehung des Pfändungspfandrechts über die Verstrickung hinaus von weiteren Voraussetzungen abhängig:

  • Bestehen der Forderung

Die zu vollstreckende Forderung muss bestehen. Dies wird mit der Akzessorietät zwischen Pfandrecht und Forderung begründet, die § 1204 Abs. 1 BGB voraussetzt. Erlischt die Forderung, erlischt auch das Pfändungspfandrecht.

Der Bestand der Forderung wird durch den Titel nachgewiesen. Beruft sich der Schuldner auf Einwendungen gegen den Titel, muss er grundsätzlich eine Vollstreckungsabwehrklage nach § 767 ZPO erheben. Dabei kommen aber nur solche Einwendungen gegen eine in einem Urteil titulierte Forderung in Betracht, die erst nach Schluss der mündlichen Verhandlung im Erkenntnisverfahren entstanden sind (Abs. 2).

  • Eigentum des Schuldners

Der Schuldner muss Eigentümer der gepfändeten Sache sein. Ein gutgläubiger Erwerb vom Nichtberechtigten ist nicht möglich, da das Pfandrecht nicht rechtsgeschäftlich, sondern durch Hoheitsakt entsteht.

Zudem wird ein Umkehrschluss aus § 898 ZPO gezogen. Die Vorschrift bezieht sich auf die nach § 897 ZPO erfolgende Übereignung von Grundstücken bzw. die Verschaffung von Grundpfandrechten infolge der Fiktion der Abgabe einer Willenserklärung in § 894 ZPO. In dieser Konstellation ist ein gutgläubiger Erwerb vom Nichtberechtigten möglich. Eine solche ausdrückliche Regelung wäre überflüssig, wenn der Gläubiger auch ansonsten im Vollstreckungsverfahren Eigentum bzw. Pfandrechte an schuldnerfremden Sachen erwerben könnte.

  • Einhaltung der wesentlichen Vollstreckungsvoraussetzungen

  • Vorliegen der Vollstreckungsklausel (§§ 724 ZPO), Zustellung des Titels (§ 750 ZPO)

  • keine Vollstreckungshindernisse nach § 775 ZPO

  • kein Pfändungsverbot (§ 811 ZPO)

Eigentumserwerb eines Dritten an der gepfändeten schuldnerfremden Sache

Ob ein Dritter Eigentum an einer gepfändeten Sache erwerben kann, die nicht dem Schuldner gehört, hängt vom Erwerbsvorgang ab:

  • Hat der Dritte die Sache direkt vom Schuldner erworben, hängt der Eigentumserwerb von einer doppelten Gutgläubigkeit ab. Der Dritte muss den Schuldner für den Eigentümer halten (§ 932 BGB) und darf keine Kenntnis vom Verfügungsverbot aufgrund der Pfändung haben (§ 135 Abs. 2 BGB).

  • Im Rahmen der öffentlichen Versteigerung erfolgt der Eigentumserwerb durch Ablieferung. Da die Versteigerung als rein hoheitlicher Akt nicht von privatrechtlichen Voraussetzungen abhängt, gilt dies selbst dann, wenn die Sache nicht dem Schuldner gehörte und der Meistbietende dies wusste. Dies stellt nur scheinbar einen Widerspruch zur gemischten Theorie dar, nach der ein Pfändungspfandrecht an einer solchen Sache nicht entstehen konnte, denn Grundlage der Versteigerung ist allein die Verstrickung als hoheitlicher Akt, nicht jedoch ein wirksames Pfändungspfandrecht.

Ansprüche des vormaligen Eigentümers wegen des Eigentumsverlustes bei der Versteigerung

Fraglich ist, ob der vormalige Eigentümer infolge des Eigentumsverlustes Ansprüche geltend machen kann.

  • Ansprüche gegen den Erwerber auf Herausgabe der Sache

  • § 667 BGB (GoA)

Ein Herausgabeanspruch wegen Geschäftsführung ohne Auftrag kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil der Erwerb in der Versteigerung für den Erwerber kein fremdes Geschäft ist.

  • § 985 BGB

Ein Anspruch aus § 985 BGB scheitert daran, dass der vormalige Eigentümer sein Eigentum durch Zuschlag und Ablieferung an den Dritten verloren hat. Dies würde selbst dann gelten, wenn der Erwerber wusste, dass die gepfändete Sache nicht dem Schuldner gehörte. Die Übereignung durch Ablieferung erfolgt auf der Grundlage eines öffentlich-rechtlichen Vertrages, der mit dem Zuschlag zwischen dem Staat, vertreten durch den Gerichtsvollzieher, und dem Meistbietenden geschlossen wurde. Hierauf sind materiell-rechtliche Regelungen nicht anwendbar.

  • § 1007 BGB

Nach § 1007 Abs. 1, 2 BGB kann der frühere Besitzer einer beweglichen Sache deren Herausgabe vom aktuellen Besitzer verlangen.

Abs. 2 lässt den Anspruch zwar auch gegenüber einem gutgläubigen Besitzer zu, scheitert aber bereits daran, dass dieser nicht Eigentümer der Sache sein darf.

Abs. 1 knüpft an die Bösgläubigkeit des aktuellen Besitzers bei Besitzerwerb. Auch dieser darf jedoch nicht Eigentümer sein, da er als solcher ein Recht zum Besitz hat (Abs. 3, 986 BGB).

  • §§ 861 Abs. 1, 869 BGB

Ein Anspruch aus §§ 861, 869 BGB wegen der Entziehung des mittelbaren Besitzes würde voraussetzen, dass der Besitzverlust auf einer verbotenen Eigenmacht - nicht notwendig des aktuellen Besitzers - beruht. Verbotene Eigenmacht liegt vor, wenn dem Besitzer ohne dessen Willen der Besitz entzogen wird (§ 858 Abs. 1 BGB). Dies gilt nicht, wenn das Gesetz die Entziehung gestattet. Der Gerichtsvollzieher durfte jedoch die schuldnerfremde Sache in Gewahrsam nehmen.

  • § 816 Abs. 2 BGB

Ein Anspruch auf Herausgabe des Erlangten scheitert daran, dass der Erwerb nicht durch rechtsgeschäftliche Verfügung, sondern durch einen Hoheitsakt des Gerichtsvollziehers erfolgte.

  • § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 BGB

Auch sonstige Bereicherungsansprüche kommen nicht in Betracht, da der Dritte das Eigentum nicht ohne Rechtsgrund erlangt hat. Wie gezeigt, ist mit dem Zuschlag ein Vertrag zwischen dem Erwerber und dem Staat zustande gekommen.

  • §§ 823, 826, 249 Abs. 1 BGB

Die Herausgabe ist auch nicht als Naturalrestitution möglich nach § 249 Abs. 1 BGB, weil es an dem hierfür erforderlichen Schadensersatzanspruch fehlt. Ein Anspruch aus § 823 Abs. 1 BGB scheitert an der fehlenden Rechtswidrigkeit des Erwerbs in der Ersteigerung. Ein Anspruch aus § 826 BGB würde voraussetzen, dass der Erwerber die Möglichkeit, die Sache des Dritten zu ersteigern, bewusst ausgenutzt hat.

- Ansprüche gegen den Gläubiger auf Herausgabe des Versteigerungserlöses

Da der Gläubiger den Versteigerungserlös vereinnahmt hat, stellt sich die Frage, ob er diesen an den ehemaligen Eigentümer der Sache herausgeben muss.

  • §§ 280 Abs. 1, 249 Abs. 1 BGB

Ein Schadensersatzanspruch wegen einer Pflichtverletzung, in dessen Rahmen die Herausgabe verlangt werden könnte, setzt voraus, dass der Gläubiger eine Pflicht aus einem Schuldverhältnis mit dem Dritten verletzt hat. Ein solches liegt in dem Vollstreckungsrechtsverhältnis als gesetzliches Schuldverhältnis, das nicht nur zwischen dem Gläubiger und dem Schuldner, sondern auch zwischen dem Gläubiger und dem Eigentümer der gepfändeten, schuldnerfremden Sache besteht. Hieraus ist der Gläubiger insbesondere verpflichtet, erhobene Drittrechte an der Sache sorgfältig zu prüfen und die Sache ggf. freizugeben.
Verletzt er diese Pflicht schuldhaft, ist er zur Herausgabe des Erlöses im Wege der Naturalrestitution nach § 249 Abs. 1 BGB verpflichtet.

  • §§ 687 II, 681, 667, 678 BGB

Ansprüche wegen angemaßter Eigengeschäftsführung setzen zunächst ein für den Gläubiger fremdes Geschäft voraus. Grundsätzlich lässt der Gläubiger die gepfändete Sache aufgrund seines Pfändungspfandrechts verwerten. An einer schuldnerfremden Sache erwirbt er ein solches Recht nach der herrschenden gemischten Theorie jedoch nicht, und auch nach der öffentlich-rechtlichen Theorie ist er jedenfalls zur Verwertung nicht berechtigt.

Der erforderliche Fremdgeschäftswille wird bei einem objektiv fremden Geschäft widerleglich vermutet. Der Gläubiger kann die Vermutung widerlegen, wenn er das Eigentum des Dritten an der Sache nicht kannte (§ 687 Abs. 1 BGB). Gelingt es ihm nicht, ist er u.a. zur Herausgabe des durch die Geschäftsführung Erlangten verpflichtet (§§ 687 Abs. 2, 681 Satz 2, 667 BGB).

  • Dingliche Ansprüche, §§ 985 ff. BGB

Dingliche Ansprüche sind ebenfalls denkbar. Wie erläutert, setzt sich das Eigentum an der versteigerten Sache an dem Erlös im Wege der dinglichen Surrogation fort (§ 1247 Satz 2 BGB analog). Folglich könnte der Dritte einen Herausgabeanspruch unmittelbar aus § 985 BGB ableiten. Allerdings hat er sein Eigentum am Erlös durch die Auskehr an den Gläubiger verloren, selbst wenn dieser bösgläubig war, denn der Erwerb erfolgt rein hoheitlich, nicht rechtsgeschäftlich.

Schadensersatzansprüche aus dem Eigentümer-Besitzer-Verhältnis kommen ebenfalls nicht in Betracht. Der Eigentümer hat durch die Pfändung sein Verwertungsrecht an den Gerichtsvollzieher verloren. Damit beschränkt sich sein Schutz auf die Drittwiderspruchsklage nach § 771 ZPO.

  • §§ 823 Abs. 1, 249 Abs. 1 BGB

Eine rechtswidrige Eigentumsverletzung durch den Gläubiger liegt vor, denn ohne seinen Antrag wäre es nicht zur Verwertung gekommen. Die Rechtswidrigkeit ist auch nicht dadurch ausgeschlossen, dass der Gerichtsvollzieher auch in schuldnerfremde Sachen vollstrecken darf, da es nur auf die Verstrickung ankommt. Dies stellt gegenüber dem Gläubiger, der eine schuldnerfremde Sache versteigern lässt, nämlich keinen Rechtfertigungsgrund dar. Die Haftung hängt also davon ab, ob dem Gläubiger ein Verschulden – Kenntnis des Eigentums des Dritten – vorgeworfen werden kann.

  • § 816 Abs. 1 BGB

Ein Anspruch aus § 816 Abs. 1 BGB kommt nicht in Betracht, da der Gläubiger den Erlös nicht rechtsgeschäftlich, sondern durch einen Hoheitsakt erlangt hat.

  • § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 BGB (verlängerte Drittwiderspruchsklage)

Der Gläubiger muss etwas durch Eingriff in ein Recht des Dritten erlangt haben, ohne hierzu berechtigt gewesen zu sein.

  • Er hat Eigentum und Besitz am Erlös erlangt.

  • Der Erlös stand infolge der dinglichen Surrogation dem Dritten zu.

  • Der Anspruch wäre aber ausgeschlossen, wenn der Gläubiger den Erlös durch eine Leistung des Gerichtsvollziehers erlangt hätte, also durch eine bewusste und zweckgerichtete Mehrung seines Vermögens. Dies ist nicht der Fall, da der Erwerb aufgrund eines Hoheitsaktes erfolgte.

  • Fraglich ist, ob sich der Gläubiger auf einen Rechtsgrund berufen kann.

  • Ein eigenes Verwertungsrecht an der schuldnerfremden Sache stand ihm mangels Entstehung eines Pfändungspfandrechts nicht zu. Selbst wenn man dies mit der öffentlich-rechtlichen Theorie anders sehen wollte, bestünde kein Rechtsgrund, denn auch nach dieser Auffassung ist der Gläubiger jedenfalls nicht zur Verwertung der Sache berechtigt.

  • Der Zuschlag im Rahmen der Versteigerung gewährt nur dem Meistbietenden einen Rechtsgrund für den Eigentumserwerb, nicht jedoch dem Gläubiger für die Erlösauskehr.

  • Der Gläubiger könnte entreichert sein, wenn er die Forderung gegen seinen Schuldner verloren hat (§ 818 Abs. 3 BGB). Nach der Ablieferung der Sache an den Ersteigerer setzt sich das Pfändungspfandrecht im Wege der dinglichen Surrogation am Versteigerungserlös fort (§ 1247 Satz 2 BGB analog). Nach § 815 ZPO ist gepfändetes Geld an den Gläubiger abzuliefern. Damit tritt grundsätzlich Erfüllung ein. Bei der Versteigerung schuldnerfremder Sachen hat der Gläubiger nach der zutreffenden gemischten Theorie aber kein Pfändungspfandrecht erworben. Die dingliche Surrogation wirkt deshalb nur zugunsten des (vormaligen) Eigentümers der Sache. Die Ablieferung des Geldes an den Gläubiger kann folglich nicht einer Leistungsbewirkung des Schuldners gleichgesetzt werden. Die Vollstreckungsforderung besteht also fort.

  • Der Anspruch ist auf die Herausgabe des Nettoerlöses gerichtet.


  1. BGH (VIII ZR 117/80).

  2. Instruktiv BGH (IX ZR 274/91), allerdings zu einer privaten Versteigerung im Auftrag des Finanzamts.

  3. Hierzu Exkurs ZPO II 5.

  4. Hierzu Exkurs ZPO II 1.

  5. Hierzu Exkurs ZPO II 3.

  6. BGH (VI ZR 158/70).

  7. BGH (VI ZR 158/70).

  8. BGH (VIII ZR 47/86); zur Drittwiderspruchsklage Exkurs ZPO II 6…

  9. BGH VII ZR 32/75 (str.)