Vollstreckbarkeit

15) Tenor zur vorläufigen Vollstreckbarkeit – Systematik der §§ 704 ff. ZPO

Nach § 704 ZPO ist die Vollstreckung nicht nur aus formell rechtskräftigen, sondern auch aus für vorläufig vollstreckbar erklärten Urteilen zulässig. Dieser Ausspruch muss deshalb in allen Urteilen auftauchen, die einen vollstreckungsfähigen Inhalt haben (Hauptsache, Kosten).

Mit der Zulässigkeit der Vollstreckung aus einem Urteil, bei dem noch gar nicht feststeht, ob es überhaupt Bestand haben wird, soll für den Vollstreckungsgläubiger das Risiko der Insolvenz des Vollstreckungsschuldners verringert werden, das mit der Dauer des Verfahrens steigt. Wird die Entscheidung formell rechtskräftig, darf der Gläubiger die vollstreckte Sache behalten, andernfalls ist er dem Schuldner zum Schadensersatz verpflichtet (§ 717 Abs. 2 ZPO), also insbesondere zur Herausgabe des Vollstreckungsgegenstandes bzw. des Surrogats. Das wiederum birgt für den Schuldner das Risiko der Insolvenz es Gläubigers.

Der Gesetzgeber hat wie folgt für einen angemessenen Interessenausgleich gesorgt:

  • Grundsätzlich soll der Gläubiger erst vollstrecken dürfen, wenn er eine Sicherheit für den Beklagten geleistet hat (§ 709 ZPO; vgl. auch § 751 Abs. 2 ZPO).

In Betracht kommen vor allem die Hinterlegung des Betrages und eine Bankbürgschaft (§ 108 Abs. 1 ZPO). Eine Ausnahme gilt für die sog. Sicherungsvollstreckung (§ 720a ZPO). Erwächst das Urteil in Rechtskraft, ordnet das Gericht auf Antrag des Gläubigers die Rückgabe der hinterlegten Sicherheit bzw. das Erlöschen der Bürgschaft an (§ 715 Abs. 1 ZPO). Andernfalls kann sich der Schuldner aus der Sicherheit befriedigen.

  • Die in § 708 ZPO aufgeführten Urteile sind jedoch ohne Sicherheitsleistung des Gläubigers vorläufig vollstreckbar. Hier trägt der Schuldner also grundsätzlich das Insolvenzrisiko. Ist er dazu nicht bereit, hat er in den Fällen des § 708 Nr. 4 - 11 ZPO die Möglichkeit, die Vollstreckung durch eine eigene Sicherheitsleistung abzuwenden (§ 711 ZPO).

Das wiederum birgt für den Gläubiger einer herauszugebenden Sache das Risiko, dass diese nach Rechtskrafteintritt nicht mehr beim Schuldner vorhanden ist. Will der Gläubiger das verhindern, muss er vor der Vollstreckung doch eine eigene Sicherheit leisten.

§ 711 ZPO findet aber dann keine Anwendung, wenn ein Rechtsmittel gegen das vorläufig vollstreckbare Urteil unzweifelhaft nicht gegeben ist (§ 713 ZPO). Das setzt aber voraus, dass keine der Parteien ein Rechtsmittel einlegen kann.

Weitere Ausnahmen regeln vor allem §§ 710, 712 ZPO.

  • In den Fällen des § 708 Nr. 1 - 3 ZPO, auf die § 711 ZPO keine Anwendung findet, kann der Schuldner unter den Voraussetzungen der §§ 719, 707 ZPO die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung ohne oder gegen Sicherheitsleistung beantragen. Klausurrelevanz hat das vor allem beim Einspruch gegen ein Versäumnisurteil (s. dort).

Prüfungsreihenfolge

  1. Wer kann aus dem Urteil vollstrecken?

  2. Wonach vollstreckt die jeweilige Partei?

  3. Gibt es eine Abwendungsbefugnis?

  4. Wie ist zu tenorieren?

Die vorläufige Vollstreckbarkeit ist für jede Partei, die aus dem Urteil vollstrecken kann, gesondert anzuordnen. Deshalb muss zunächst geprüft werden, wer das ist.

Bsp. 1: Bekl. wird verurteilt, an Kl. 10.000,00 Euro zu zahlen, Bekl. trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Hier kann nur Kl. vollstrecken, und zwar 10.000,00 Euro + Kosten. Somit ist auch nur für Kl. die vorläufige Vollstreckbarkeit anzuordnen, die sich nach § 709 ZPO richtet, weil der Wert der Verurteilung in der Hauptsache 1.250,00 Euro übersteigt (§ 708 Nr. 11 Alt. 1 ZPO). Für die Höhe der Sicherheitsleistung gilt § 709 Satz 2 ZPO.

  1. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Bsp. 2: Bekl. wird verurteilt, an Kl. 8.000,00 Euro zu zahlen, im Übrigen wird die Klage abgewiesen. Von den Kosten des Rechtsstreits trägt Kl. 1/5, Bekl. 4/5.

Hier kann wiederum Kl. vollstrecken, diesmal aber auch Bekl., nämlich 1/5 der eigenen außergerichtlichen Kosten. Die vorläufige Vollstreckbarkeit ist deshalb für beide Parteien anzuordnen.

Für Kl. gilt das zuvor Gesagte.

Für Bekl. gilt § 708 Nr. 11 Alt. 2 ZPO. Bekl. kann in der Hauptsache nichts vollstrecken, vollstreckt also nur Kosten und davon auch nur 1/5. Das ermöglicht keine Vollstreckung im Wert von mehr als 1.500,00 Euro ( Übersicht „Ermittlung der Kosten“).

Da § 708 Nr. 11 ZPO angewendet wird, gilt auch § 711 ZPO, so dass eine Abwendungsbefugnis für Kl. anzuordnen ist. § 713 ZPO greift hier schon deshalb nicht, weil Kl. gegen die Teilabweisung Berufung einlegen kann. Für die Höhe der jeweiligen Sicherheiten gelten §§ 711 Satz 2, 709 Satz 2 ZPO.

Die Tenorierung kann getrennt erfolgen:

  1. Das Urteil ist für Kl. gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar. Das Urteil ist für Bekl. (ohne Sicherheitsleistung) vorläufig vollstreckbar. Kl. kann die Vollstreckung durch Bekl. durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht Bekl. vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Üblicherweise wird aber einheitlich tenoriert:

  1. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, für Kl. jedoch nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages. Kl. kann die Vollstreckung durch Bekl. durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht Bekl. vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.