Vertretungsmacht
Vertretungsmacht
Die Vertretungsmacht liefert den Grund für die Zurechnung der Erklärung an den Vertretenen. Die Zurechnung setzt nicht nur voraus, dass überhaupt eine Vertretungsmacht besteht, sondern auch, dass sich der Vertreter im Rahmen dieser Vertretungsmacht bewegt.1
Man unterscheidet verschiedene Arten der Vertretungsmacht. Einzelvertretung liegt vor, wenn eine Person allein zur Vertretung berechtigt ist. Sind mehrere Personen hingegen nur zusammen zur Vertretung berechtigt, spricht man von Gesamtvertretung.2
Gesetzliche Vertretungsmacht
Die Vertretungsmacht kann auf dem Gesetz beruhen.
Beispiele: Die Eltern vertreten ihre Kinder (§§ 1626 I 1, 1629 I 1 BGB), und zwar grundsätzlich gemeinschaftlich (§ 1629 I 2 Hs. 1 BGB). Der Vormund vertritt den Mündel (§ 1793 I 1 BGB), der Betreuer den Betreuten (§ 1902 BGB). Einen Sonderfall stellt § 1357 I BGB dar.3 Jeder Ehegatte ist berechtigt, Geschäfte zur angemessenen4 Deckung des Lebensbedarfs der Familie5 mit Wirkung auch für den anderen Ehegatten zu besorgen (§ 1357 I 1 BGB). Durch solche Geschäfte werden, sofern sich aus den Umständen nicht etwas anderes ergibt, beide Ehegatten berechtigt und verpflichtet (§ 1357 I 2 BGB). Die Gemeinsamkeit mit der Vertretungsmacht besteht also darin, dass durch die Willenserklärung eines Ehegatten auch der andere Ehegatte berechtigt und verpflichtet wird. Jedoch bedarf es hierzu keiner Offenlegung und es wird auch nicht allein der Vertretene, sondern neben diesem auch der Vertreter gebunden. Die Ehegatten sind Gesamtgläubiger (§ 428 BGB) 6 und Gesamtschuldner (§ 421 BGB).
Rechtsgeschäftliche Vertretungsmacht (Vollmacht)
Die durch Rechtsgeschäft erteilte Vertretungsmacht nennt das Gesetz Vollmacht (§ 166 II 1 BGB). In diesen Fällen wird der Vertretene durch die Erklärung des Vertreters gebunden, weil er es will.7
Die Erteilung der Vollmacht erfolgt durch einseitige8 empfangsbedürftige Willenserklärung gegenüber dem Vollmachtnehmer (Innenvollmacht, § 167 I Alt. 1 BGB) oder gegenüber dem Dritten, dem gegenüber die Vertretung stattfinden soll (Außenvollmacht, § 167 I Alt. 2 BGB). Die beiden Formen der Bevollmächtigung unterscheiden sich in ihrer Wirkung nicht.9 Einer Annahme der Vollmacht bedarf es nicht; dem Vertreter steht aber ein Zurückweisungsrecht zu (§ 333 BGB analog).10
Nach § 167 II BGB bedarf die Vollmachtserklärung nicht der Form, die für das Rechtsgeschäft bestimmt ist, auf das sich die Vollmacht bezieht. Die Vollmachtserklärung ist grundsätzlich formfrei.11 Etwas anderes gilt, wenn das Gesetz dies anordnet (z. B. §§ 492 IV 1, 1945 III 1 BGB, § 47 III GmbHG) oder Sinn und Zweck der Formvorschrift es gebieten (teleologische Reduktion des § 167 II BGB). Dies ist etwa bei unwiderruflichen Vollmachten zum Abschluss eines Grundstückskaufvertrages (§ 311b I 1 BGB) und zur Erteilung von Bürgschaftserklärungen (§ 766 S. 1 BGB) der Fall, im letzteren Fall allerdings nur, wenn der Bürge nicht Kaufmann ist (§ 350 HGB). Der BGH sieht auch die Ermächtigung, ein Bürgschaftsblankett zu vervollständigen, als formpflichtig an.12 Händigt der Bürge einem Dritten ein Bürgschaftsformular aus und ermächtigt ihn zu dessen Vervollständigung, muss selbst eine widerrufliche (und erst recht eine unwiderrufliche) Ausfüllermächtigung der Form des § 766 S. 1 BGB genügen.
Den Umfang der Vollmacht kann der Vertretene grundsätzlich frei festlegen.13 Soll der Vertreter nur ein einziges, ganz bestimmtes Geschäfts vornehmen, spricht man von einer Spezialvollmacht. Bei ihr bedarf es einer sauberen Abgrenzung zur Botenschaft. Ermächtigt der Vollmachtgeber den Vertreter zur Vornahme einer bestimmten Art von Rechtsgeschäften, liegt eine Gattungsvollmacht vor. Darf der Vertreter – mit Ausnahme völlig außergewöhnlicher Geschäfte – Rechtsgeschäfte jeglicher Art vornehmen, wurde ihm eine Generalvollmacht erteilt. Im Handelsrecht gibt es bestimmte Fälle von Vollmachten, bei denen der Umfang der Vertretungsmacht gesetzlich vorgegeben ist (§§ 48 ff. HGB; > KK HR 7); soweit das HGB nichts Abweichendes bestimmt, gelten die §§ 164 ff. BGB auch für diese handelsrechtlichen Vollmachten.
§ 168 BGB befasst sich mit dem Erlöschen der Vollmacht. Nach § 168 S. 1 BGB bestimmt sich das Erlöschen der Vollmacht nach dem ihrer Erteilung zugrunde liegenden Rechtsverhältnis. Zwischen dem Vollmachtgeber und dem Vertreter kann neben der Vollmacht ein weiteres Rechtsverhältnis bestehen, das der Vollmachtserteilung zugrunde liegt (Grund- oder Innenverhältnis).14 Besteht kein spezielles Grundverhältnis (z. B. ein Arbeitsverhältnis), wird zwischen Vollmachtgeber und Bevollmächtigtem i.d.R. (zumindest stillschweigend) ein Auftrag (§§ 662 ff. BGB; > KK SchuldR BT 43) oder Geschäftsbesorgungsvertrag (§§ 675 ff. BGB; > KK SchuldR BT 44) begründet. Die Vollmacht ist abstrakt;15 ihr muss nicht zwingend ein rechtlich bindendes Innenverhältnis zu Grund liegen (isolierte Vollmacht). Mängel des Grundverhältnisses berühren nicht die Wirksamkeit des Vertretergeschäfts. Für das Erlöschen der Vollmacht durchbricht § 168 S. 1 BGB dieses Abstraktionsprinzip. Die Auslegung des Grundverhältnisses wird regelmäßig ergeben, dass die Beendigung des Grundverhältnisses auch zum Erlöschen der Vollmacht führen soll.16 Trotz des Wortlauts des § 168 S. 1 BGB ist für das Erlöschen der Vollmacht aber primär deren Inhalt maßgeblich ist.17 Eine befristete Vollmacht erlischt durch Zeitablauf, eine auflösend bedingte durch Bedingungseintritt. Eine Spezialvollmacht erledigt sich, wenn das beabsichtigte Geschäft geschlossen oder endgültig gescheitert ist. Wurde die Vollmacht auf der Grundlage eines Auftrags oder Geschäftsbesorgungsvertrags erteilt, erlischt sie gemäß § 168 S. 1 i.V.m. §§ 673 S. 1, 675 I BGB im Zweifel durch den Tod des Bevollmächtigten. Umgekehrt führt der Tod des Vollmachtgebers im Zweifel nicht zum Erlöschen der Vollmacht (§ 168 S. 1 i.V.m. §§ 672 S. 1, 675 I BGB); sie wirkt als transmortale Vollmacht für und gegen die Erben fort.18 Der Eintritt der Geschäftsunfähigkeit des Vollmachtgebers nach Vollmachtserteilung führt grundsätzlich nicht zur Beendigung von Grundverhältnis und Vollmacht (§ 168 S. 1 i.V.m. §§ 672 S. 1, 765 I BGB). Vollmachten, die gerade im Hinblick auf die Möglichkeit einer späteren Geschäftsunfähigkeit erteilt werden, nennt man Altersvorsorgevollmachten; bei ihnen ist der Eintritt der Geschäftsunfähigkeit regelmäßig aufschiebende Bedingung für die Wirksamkeit der Vollmacht.19 Verliert dagegen nachträglich der Beauftragte die (volle) Geschäftsfähigkeit, bleibt die Vollmacht wirksam; um wirksam von dieser Vollmacht Gebrauch machen zu können, muss er aber mindestens beschränkt geschäftsfähig sein (§ 165 BGB). Der Vollmachtgeber kann seine Vollmacht jederzeit ohne Angaben von Gründen widerrufen (§ 168 S. 2 BGB). Voraussetzung hierfür ist allerdings, dass die Vollmacht nicht durch Vertrag oder einseitigen Widerrufsverzicht als unwiderruflich ausgestaltet ist.20 Der grundsätzlich zulässige (vgl. § 176 III BGB) Widerrufsausschluss ist nur wirksam, wenn mindestens gleichwertige Interessen des Vertreter an dem auszuführenden Geschäft den Ausschluss rechtfertigen.21 Der Widerruf ist eine einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung,22 die nach § 168 S. 3 i.V.m. § 167 I BGB gegenüber dem zu Bevollmächtigenden oder dem Dritten abgegeben werden kann.
Organschaftliche Vertretungsmacht
Eine „Zwitterstellung“ zwischen der gesetzlichen und der rechtsgeschäftlichen Vertretungsmacht nimmt die organschaftliche Vertretungsmacht der Organe juristischer Personen ein.23
Bei der GmbH ist das der Geschäftsführer (§ 35 I 1 GmbHG), bei der AG der Vorstand (§ 78 I 1 AktG). Bei der organschaftlichen Vertretungsmacht bestimmt das Gesetz die Person des vertretungsberechtigten Organs und den Umfang ihrer Vertretungsmacht; es bedarf aber zwingend einer rechtsgeschäftlichen Bestellung, um die Organstellung zu begründen.24
- Bitter/Röder, BGB AT, 5. Aufl. 2020, § 10 Rn. 65.
- Hk-BGB/Dörner, 11. Aufl. 2022, § 164 Rn. 11.
- Zum Folgenden: Bitter/Röder, BGB AT, 5. Aufl. 2020, § 10 Rn. 68 f.; siehe hierzu auch den Fall: „Mittelbare Stellvertretung“.
- Geschäfte größeren Umfangs, die ohne Schwierigkeit zurückgestellt werden könnten, fallen nicht unter § 1357 BGB (BT-Drucks. 7/650, S. 99; BGH, Urt. v. 28.02.2018 – XII ZR 94/17, Rn. 21).
- Wie weit der Lebensbedarf der Familie reicht, bestimmt sich familienindividuell nach den Verhältnissen der Ehegatten (vgl. § 1360a I BGB; BGH, Urt. v. 28.02.2018 – XII ZR 94/17, Rn. 20).
- Erman/Kroll-Ludwigs, BGB, 16. Aufl. 2020, § 1357 Rn. 20; a. A. (Gläubiger nach § 432 BGB) Hk-BGB/Kemper, BGB, 11. Aufl. 2022, § 1359 Rn. 14.
- Bitter/Röder, BGB AT, 5. Aufl. 2020, § 10 Rn. 71.
- Die Bevollmächtigung ist ein einseitiges Rechtsgeschäft (Schack, BGB AT, 17. Aufl. 2023, Rn. 464).
- Schack, BGB AT, 17. Aufl. 2023, Rn. 462.
- Bitter/Röder, BGB AT, 5. Aufl. 2020, § 10 Rn. 72.
- Hier und zum Folgenden: Bitter/Röder, BGB AT, 5. Aufl. 2020, § 10 Rn. 84 – 91a.
- BGH, Urt. v. 29.02.1996 – IX ZR 153/95, NJW 1996, 1467, 1468 ff.
- Hier und zum Folgenden: Bitter/Röder, BGB AT, 5. Aufl. 2020, § 10 Rn. 73 – 83.
- Zum Folgenden: Bitter/Röder, BGB AT, 5. Aufl. 2020, § 10 Rn. 92 – 97.
- Schack, BGB AT, 17. Aufl. 2023, Rn. 466.
- Bitter/Röder, BGB AT, 5. Aufl. 2020, § 10 Rn. 111.
- Hier und zum Folgenden: Hk-BGB/Dörner, 11. Aufl. 2022, § 168 Rn. 2.
- Schack, BGB AT, 17. Aufl. 2023, Rn. 507.
- Hier und zum Folgenden: Bitter/Röder, BGB AT, 5. Aufl. 2020, § 10 Rn. 116 f.
- Hier und zum Folgenden: Hk-BGB/Dörner, 11. Aufl. 2022, § 168 Rn. 5 f.
- BGH, Urt. v. 13.12.1990 – III ZR 333/89, NJW-RR 1991, 439, 441.
- BGH, Beschl. v. 19.07.2017 – XII ZB 141/16, Rn. 10.
- Bitter/Röder, BGB AT, 5. Aufl. 2020, § 10 Rn. 70.
- Zu den Vertretungsverhältnissen bei der Personengesellschaft siehe den Fall: „Haftungsverfassung der oHG“.