Versuch der Beteiligung
Versuch der Beteiligung (§§ 30, 31 StGB)
§ 30 StGB pönalisiert bestimmte Vorbereitungshandlungen, die das Stadium des Versuchs (§ 22 StGB) nicht erreicht haben.1 Deshalb trägt die Vorschrift die Überschrift „Versuch der Beteiligung“.
In der Fallbearbeitung ist § 30 StGB immer in Verbindung mit einem Verbrechenstatbestand (z. B. „Strafbarkeit gemäß §§ 212, 30 I StGB“) und nur dann zu erörtern, wenn es zu einem Versuch der Tat nicht kam; sonst ist § 30 StGB gegenüber der versuchten Tat subsidiär. Auch bei einem Rücktritt vom Versuch (§ 24 StGB) scheidet eine Bestrafung nach § 30 StGB aus.2
Überblick über die §§ 30, 31 StGB
Vorbereitungen einer Straftat sind – im Gegensatz zum Versuch – nur ausnahmsweise strafbar.3
Eine selbständige Strafbarkeit der Vorbereitungshandlung kann als (1) unselbständige Ausweitung eines Tatbestandes,4 (2) selbständig vertypte Vorbereitungshandlung5 oder (3) vorweggenommene Teilnahme6 pönalisiert werden kann.7 § 30 StGB ist in die dritte Kategorie einzuordnen; es handelt sich um selbständig strafbare Vorbereitungshandlungen.8
In den Fällen des § 30 StGB geht es um die Vorbereitung eines Verbrechens (§ 12 I StGB).
§ 30 I StGB regelt den Fall der versuchten Anstiftung.9 Die versuchte Beihilfe ist hingegen straflos.10 § 30 II StGB bestraft denjenigen, der sich zur Begehung eines Verbrechens bereit erklärt oder zur Begehung eines solchen verabredet. § 31 StGB sieht eine besondere Rücktrittsvorschrift vor.11 An der Vorbereitung müssen mehrere beteiligt sein, weil nur dann gegenseitige Bindungen entstehen, die eine Begehung der geplanten Tat wahrscheinlicher machen, als wenn die Tat nur von einem Einzelnen geplant worden wäre.12 Konkurrenzrechtlich geht die stärkere Beteiligungsform stets der schwächeren vor; deshalb hat die Verbrechensverabredung (§ 30 II Var. 3 StGB) Vorrang vor der versuchten Anstiftung (§ 30 I StGB).13
Verbrechensverabredung, § 30 II Var. 3 StGB
Die Verabredung zu einem Verbrechen ist eine Vorstufe der Mittäterschaft.14
Mindestens zwei Personen müssen fest vereinbaren und tatsächlich entschlossen sein, mittäterschaftlich15 ein Verbrechen zu begehen oder gemeinsam zu ihm anzustiften. Jeder Beteiligte muss den Vorsatz haben, ein vollendetes Delikt auszuführen; dabei genügt es, dass die Tat in ihren wesentlichen Grundzügen konkretisiert ist.16 § 31 I Nr. 3 StGB ermöglicht einen Rücktritt; hierfür muss der Täter parallel zu § 24 II 1 StGB dafür sorgen, dass es nicht zur Haupttat kommt.
Strafgrund der Verbrechensverabredung ist die durch eine Willensbindung mehrerer Personen gesteigerte Gefahr für das bedrohte Rechtsgut; die Gefährlichkeit konspirativen Zusammenwirkens Mehrerer liegt darin, dass es Gruppendynamik entfalten, die Beteiligten psychisch binden und so die spätere Ausführung der Tat wahrscheinlicher machen kann.17
Sich-Bereiterklären, § 30 II Var. 1 StGB
Nach § 30 II Var. 1 StGB macht sich strafbar, wer sich bereit erklärt, ein Verbrechen zu begehen oder zu ihm anzustiften.18
Die Gefährlichkeit der Fälle des § 30 II Var. 1 StGB liegt in der angestrebten Willensbindung des präsumtiven Täters gegenüber einem Adressaten, der ihn zur Tat aufgefordert hat oder ihr zustimmen soll („motivationale Selbstbindung“).19 Durch die Willensbindung der Beteiligten entsteht bereits vor Eintritt in das Versuchsstadium eine Gefahr für das durch die vorgestellte Tat bedrohte Rechtsgut.20 Wer sich verabredet, ein Verbrechen zu begehen, kann sich davon schwerer wieder lösen, weil er sonst gegenüber einer anderen Person „wortbrüchig“ wird; ein Einzeltäter hingegen ist nur sich selbst gegenüber „verantwortlich“.21
Die Norm geht auf die Regelung des § 49a RStGB aus dem Jahre 1876 zurück.22 Anlass war ein Vorfall im Rahmen des sog. Kulturkampfes: Der belgische Kesselschmied Duchesne bot dem Erzbischof von Paris, d`Affre, im Jahre 1873 schriftlich an, den Reichskanzler von Bismarck zu töten. Der Erzbischof lehnte dies ab. Als der Briefwechsel in die Öffentlichkeit gelangte, konnte das Verhalten sehr zum Missfallen von Bismarcks weder nach deutschem noch nach belgischem Recht bestraft werden. Dies war die Geburtsstunde des § 49a RStGB.
Die Tat muss sich für die erbietende Person als Verbrechen darstellen.23
Bei § 30 I StGB ist hingegen umstritten, auf welche Person abzustellen ist.
Ein Sich-Bereiterklären liegt vor, wenn der Täter seine Bereitschaft zur Tat einem anderen anbietet („Sich-Erbieten“) oder er die Aufforderung zur Tat durch einen anderen annimmt.24
Das reaktive Sich-Bereiterklären ist die bejahende Reaktion auf einen Versuch der Anstiftung i.S.v. § 30 I StGB. Das initiative „Sich-Erbieten“ kann als Sonderfall der versuchten Kettenanstiftung25 angesehen werden.26
In subjektiver Hinsicht ist der Vorsatz, die Tat zu begehen, erforderlich; dies meint einen ernstlichen Willen zur Tatbegehung (mindestens) in Form von dolus eventualis.27
§ 31 I Nr. 2 StGB ermöglicht einen Rücktritt. Ausreichend ist es, das Vorhaben aufzugeben, was äußerlich nicht erkennbar sein muss.28
Die Rücktrittsvorschrift des § 31 I Nr. 2 StGB ist dem § 24 I 1 Alt. 1 StGB beim unbeendeten Versuch nachgebildet. Unterschiede zwischen dem initiativen und dem reaktivem Sich-Bereiterklären gibt es nicht.29
Annahme des Erbietens, § 30 II Var. 2 StGB
§ 30 II Var. 2 StGB enthält die spiegelbildliche Regelung zum Sich-Bereiterklären (§ 30 II Var. 1 StGB) in der Form des Sich-Erbietens.30 Es handelt sich um einen Spezialfall der versuchten Anstiftung.31
Beispiel: Der Erzbischof von Paris hätte die Vorschrift erfüllt, wenn er das Angebot angenommen und den tatgeneigten Duchesne zu einem zur Tötung entschlossenen Täter gemacht hätte.
Für den Rücktritt gilt – ebenso wie für § 30 II Var. 3 StGB – die Regelung des § 31 I Nr. 3 StGB (s.o.).
- Hier und zum Folgenden: Rengier, Strafrecht AT, 11. Aufl. 2019, § 47 Rn. 1 – 5.
- BGH, Urt. v. 22.06.1960 – 2 StR 114/60, BGHSt 14, 378 ff.; Joecks/Jäger, StGB, 12. Aufl. 2018, § 30 Rn. 3.
- Kühl, JA 2014, 668, 673.
- Beispiele: §§ 83, 87, 98, 234a III, 310 StGB.
- Beispiele: §§ 80, 89a, 96, 149 StGB.
- Beispiele: §§ 30, 130a, 219a, 219b StGB.
- Hier und zum Folgenden: Bülte/Wick, JA 2019, 508, 508 f.
- BGH, Urt. v. 22.06.1960 – 2 StR 114/60, BGHSt 14, 378, 379 (zu § 49a RStGB).
- Der Fall der versuchten Kettenanstiftung wird klarstellend mit angesprochen (§ 30 I 1 Alt. 2 StGB: „oder zu ihm anzustiften“).
- Joecks/Jäger, StGB, 12. Aufl. 2018, § 30 Rn. 2; Kühl, JA 2014, 668, 674.
- Diese besondere Rücktrittsregelung des § 31 StGB ist deshalb notwendig, weil § 24 StGB ausschließlich den Rücktritt von einem in das Versuchsstadium des § 22 StGB gelangten Delikt betrifft.
- Kühl, JA 2014, 668, 673.
- Rengier, Strafrecht AT, 11. Aufl. 2019, § 47 Rn. 46.
- BGH, Beschl. v. 23.03.2017 – 3 StR 260/16, Rn. 9; Rengier, Strafrecht AT, 11. Aufl. 2019, § 47 Rn. 24 f., 44.
- Es muss eine zukünftige Tatbegehung als Mittäter verabredet sein; die Verabredung einer Tatbegehung zwischen einem Täter und seinem Gehilfen reicht nicht (Joecks/Jäger, StGB, 12. Aufl. 2018, § 30 Rn. 12; Kühl, JA 2014, 668, 674).
- BGH, Beschl. v. 21.11.2018 – 1 StR 506/18, Rn. 5.
- BGH, Beschl. v. 23.03.2017 – 3 StR 260/16, Rn. 9.
- Bülte/Wick, JA 2019, 508, 508.
- Rengier, Strafrecht AT, 11. Aufl. 2019, § 47 Rn. 31.
- BGH, Beschl. v. 16.03.2011 – 5 StR 581/10, Rn. 17.
- BGH, Urt. v. 05.05.1998 - 1 StR 635/96, BGHSt 44, 91, 95; Bülte/Wick, JA 2019, 508, 508 f.
- Hier und zum Folgenden: Bülte/Wick, JA 2019, 508, 508.
- Hier und zum Folgenden: Bülte/Wick, JA 2019, 508, 509.
- Joecks/Jäger, StGB, 12. Aufl. 2018, § 30 Rn. 15.
- Zur Kettenanstiftung siehe Krell, Jura 2011, 499 ff.
- Bülte/Wick, JA 2019, 508, 510.
- BGH, Beschl. v. 16.03.2011 – 5 StR 581/10, Rn. 16; Bülte/Wick, JA 2019, 508, 512; Rengier, Strafrecht AT, 11. Aufl. 2019, § 47 Rn. 31.
- BGH, Beschl. v. 16.03.2011 – 5 StR 581/10, Rn. 24; Rengier, Strafrecht AT, 11. Aufl. 2019, § 47 Rn. 43.
- Bülte/Wick, JA 2019, 508, 513.
- Hier und zum Folgenden: Rengier, Strafrecht AT, 11. Aufl. 2019, § 47 Rn. 37.
- BGH, Beschl. v. 23.03.2017 – 3 StR 260/16, Rn. 23.