Urkundsprozess

Exkurs ZPO I 15: Urkundenprozess, Mahnverfahren

Neben dem ordentlichen Verfahren gibt es weitere besondere Verfahrensarten, von denen der Urkundenprozess und das Mahnverfahren in ihren Grundzügen examensrelevant sind.

Urkundenprozess

Eine besondere Form der Leistungsklage stellt die Klage im Urkundenprozess dar. Mit ihr kann der Kläger die Zahlung eines bestimmten Geldbetrages oder die Herausgabe einer bestimmten Menge anderer vertretbarer Sachen oder Wertpapiere verlangen (§ 592 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Seine Klage muss dann die Erklärung enthalten, dass im Urkundenprozess geklagt werde (§ 593 Abs. 1 ZPO).

  • Die Besonderheit des Urkundenprozesses besteht darin, dass die Beweismittel, mit denen die Parteien streitige Tatsachenbehauptungen beweisen können, auf Urkunden (und Parteivernehmung) beschränkt sind (§ 595 Abs. 2 ZPO). Inaugenscheinnahme, Zeugen und Sachverständigenbeweis sind unzulässig. Ebenso ist eine Widerklage des Beklagten unstatthaft (§ 595 Abs. 1 ZPO).

Das bringt dem Kläger den Vorteil, dass er deutlich schneller zu einem Titel kommen kann, als das ohne diese Beschränkungen im ordentlichen Verfahren der Fall wäre. Ein weiterer Vorteil besteht darin, dass Urteil ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar ist (§ 708 Nr. 4 ZPO), ohne dass es wie sonst auf die Höhe der Verurteilung ankommt (§§ 708 Nr. 10 Alt. 1, 709 ZPO).

  • Nach § 592 Abs. 1 Satz 1 ZPO muss der Kläger alle anspruchsbegründenden Tatsachen mit Urkunden beweisen können. Da eine Beweisaufnahme nur dann erfolgt, wenn diese Tatsachen bestritten werden, versteht der BGH diese Vorschrift so, dass der Kläger auch erst im Bestreitensfall und nicht schon mit der Klageschrift die entsprechenden Urkunden vorlegen muss.1 Allerdings soll auch kein Urkundenprozess ohne eine Urkundenvorlage möglich sein, so dass der Kläger jedenfalls eine für den Anspruch maßgebliche Urkunde schon mit der Klage einreichen muss. Die Gegenauffassung legt die Vorschrift dahin aus, dass sämtliche anspruchsbegründende Tatsachen schon mit Urkunden belegt werden müssen, da es nur dann gerechtfertigt sei, dem Kläger die Vorteile des Urkundenprozesses zu gewähren.

  • Seine Einwendungen und Einreden kann der Beklagte nur mit Urkunden oder Parteivernehmung beweisen (§ 595 Abs. 2 ZPO).

  • Aufgrund dieser Beschränkung der Beweismittel bekommt der Kläger einen Titel also auch dann, wenn der Beklagte zwar Einwendungen erhebt, diese aber nur mit Zeugen oder einem Sachverständigengutachten beweisen kann.

Dass es bei diesem Ergebnis nicht bleiben kann, liegt auf der Hand. Deshalb wird dem Beklagten die Ausführung seiner Rechte im Nachverfahren vorbehalten (§ 599 Abs. 1 ZPO). Das Urteil wird deshalb Vorbehaltsurteil genannt.

§ 600 ZPO sieht insoweit vor, dass der Prozess unmittelbar in einem Nachverfahren fortgesetzt wird. Dort erhebt das Gericht sämtliche Beweise. Außerdem kann der Beklagte nunmehr auch eine Widerklage erheben.

Hält das Gericht am Ende des Nachverfahrens die Klage weiterhin für begründet, wird das Vorbehaltsurteil für vorbehaltlos erklärt. Andernfalls wird es aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Mahnverfahren

Der Gläubiger einer Geldforderung kann seinen Anspruch statt auf dem Klageweg auch im Mahnverfahren nach §§ 688 ff. ZPO verfolgen.

- Antrag

Hierzu muss er einen Mahnantrag stellen (§ 690 ZPO), wobei er dies online oder durch Einreichung eines ausgefüllten Vordrucks tun kann. Anders als in einer Klageschrift muss er dabei keine Ausführungen zum Lebenssachverhalt machen, sondern kann sich auf die Angabe der verlangten Leistung (Kaufvertrag, Werkvertrag etc.) beschränken (§ 690 Abs. 1 Nr. 3 ZPO). Die einzige Beschränkung, die er berücksichtigen muss, ist die, dass der geltend gemachte Anspruch nicht von einer Gegenleistung abhängig sein darf (§ 688 Abs. 2 Nr. 2 ZPO).

Im Mahnverfahren muss sich der Antragsteller auch dann nicht durch einen Rechtsanwalt vertreten lassen, wenn eine Klage vor dem Landgericht zu erheben wäre, denn ausschließlich zuständig ist das Amtsgericht seines Wohnsitzes (§§ 689 Abs. 2 Satz 1, 13 ZPO).

Im Gegensatz zum Klageverfahren, in dem er vor Zustellung der Klage drei Gebühren eingezahlt haben muss, beträgt dieser Vorschuss im Mahnverfahren nur eine 0,5-Gebühr (Anlage 1 GKG, Nr. 1100).

- Ablauf des Mahnverfahrens

Der größte Vorteil des Mahnverfahrens gegenüber dem Klageverfahren liegt aber darin, dass der Antragsteller im Erfolgsfall sehr viel schneller zu einem Titel gelangt, wie aus dem folgenden Ablauf deutlich wird:

  • Ist der Mahnantrag zulässig, erlässt das Mahngericht durch einen Rechtspfleger (§ 20 Abs. 1 Nr. 1 RPflG) einen Mahnbescheid (§ 692 ZPO). Hierbei handelt es sich jedoch noch nicht um einen Titel.

  • Der Mahnbescheid wird an den Gegner zugestellt (§ 693 Abs. 1 ZPO). Dies führt zur Hemmung der Verjährung des geltend gemachten Anspruchs (§ 204 Abs. 1 Nr. 3 BGB)

  • Legt der Gegner innerhalb von zwei Wochen keinen Widerspruch ein (§ 694 Abs. 1 ZPO; die Frist ergibt sich aus § 692 Abs. 1 Nr. 2 ZPO), erlässt das Mahngericht auf Antrag des Antragstellers einen Vollstreckungsbescheid (§ 699 Abs. 1 ZPO) und lässt diesen dem Gegner zustellen (Abs. 4 Satz 1).

  • Der Vollstreckungsbescheid ist ein unmittelbarer Vollstreckungstitel (§ 794 Abs. 1 Nr. 3 ZPO), dessen Vollstreckung nicht von einer Sicherheitsleistung des Gläubigers abhängig ist und vom Gegner auch nicht durch Sicherheitsleistung abgewendet werden kann.

- Verfahren nach Eingang eines Widerspruchs gegen den Mahnbescheid

Hat der Gegner rechtzeitig Widerspruch gegen den Mahnbescheid eingelegt, wozu es ausreicht, hinter dem entsprechenden Feld ein Kreuz zu machen, ergeht kein Vollstreckungsbescheid. Stattdessen gibt das Mahngericht die Sache auf Antrag einer Partei grundsätzlich an das Gericht ab, das der Antragsteller in seinem Antrag als zuständiges Prozessgericht bezeichnet hat (§ 696 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

Vom Prozessgericht wird der ehemalige Antragsteller, der nun doch Kläger ist, aufgefordert, seinen Anspruch zu begründen (§ 697 Abs. 1 ZPO). Diese Anspruchsschrift muss den Anforderungen an eine Klageschrift entsprechen.

Nach Eingang der Anspruchsbegründung verfährt das Gericht wie nach Eingang einer Klage (§ 697 Abs. 2 ZPO).

Geht dagegen keine Anspruchsbegründung ein, wird die Sache bei Gericht nicht weiter gefördert (§ 697 Abs. 3 ZPO). Hierdurch entsteht für den Beklagten kein Nachteil, da noch kein Titel gegen ihn in der Welt ist. Möchte er die Sache trotzdem entschieden haben, muss er die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung beantragen.

- Verfahren nach Eingang eines Einspruchs gegen den Vollstreckungsbescheid

Nach Zustellung des Vollstreckungsbescheids ist kein Widerspruch mehr statthaft, sondern nur noch der Einspruch. Dies folgt aus dem Verweis des § 700 Abs. 1 ZPO in die Vorschriften des Versäumnisverfahren, also auch den § 338 ZPO. Ein verspäteter Widerspruch wird als Einspruch behandelt (§ 694 Abs. 2 ZPO).

Auch nach Eingang eines Einspruchs gibt das Mahngericht die Sache an das im Mahnantrag bezeichnete Prozessgericht ab, nunmehr aber von Amts wegen (§ 700 Abs. 3 ZPO).

Das Gericht prüft zunächst, ob der Einspruch zulässig ist, und verwirft ihn im Falle der Unzulässigkeit durch Urteil ohne mündliche Verhandlung (§§ 700 Abs. 1, 341a ZPO).

Ist der Einspruch begründet, wird der Kläger aufgefordert, seinen Anspruch zu begründen (§§ 700 Abs. 3, 697 Abs. 1 ZPO).

Geht keine Anspruchsbegründung ein, muss das Gericht nun aber die Sache von Amts wegen terminieren (§ 700 Abs. 5 ZPO). Der Grund hierfür liegt daran, dass der Kläger mit dem Vollstreckungsbescheid bereits über einen Titel verfügt.

Nach Durchführung des Einspruchstermins entscheidet das Gericht unter Anwendung von § 343 ZPO darüber, ob es den Vollstreckungsbescheid aufrechterhält oder ob es ihn aufhebt und die Klage abweist.

Ist der Beklagte im Einspruchstermin säumig, darf das Gericht ein zweites Versäumnisurteil nur dann erlassen, wenn es sich von der Schlüssigkeit des geltend gemachten Anspruchs überzeugt hat (§ 700 Abs. 6 ZPO). Dies findet seine Rechtfertigung darin, dass vor Erlass des Vollstreckungsbescheid noch kein Richter geprüft hat, ob der Anspruch überhaupt bestehen kann, denn zum einen musste der Kläger im Mahnantrag seinen Anspruch nicht begründen, zum anderen wird das Mahnverfahren beim Mahngericht nicht von Richtern, sondern Rechtspflegern geführt (§ 20 Abs. 1 Nr. 1 RPflG).


  1. BGH NJW 2015, 475 Rn. 14

  2. OLG Schleswig NJW 2014, 945

  3. Etwas anderes gilt dann, wenn der Gegner im Einspruchsverfahren die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung nach § 719 ZPO beantragt hat.