Urkundenprozess - Überblick und Vorverfahren
1) Überblick und Vorverfahren
Der Urkundenprozess gibt dem Kläger die Möglichkeit, schneller als im ordentlichen Verfahren zu einem Titel zu gelangen, der zudem unabhängig vom Wert der Verurteilung in der Hauptsache ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar ist (§ 708 Nr. 4 ZPO).
Die Beschleunigung des Verfahrens ist darauf zurückzuführen, dass nicht sämtliche Strengbeweismittel statthaft sind. Vielmehr können die anspruchsbegründenden Tatsachen nur mit Urkunden bewiesen werden (§ 592 Satz 1 ZPO), alle anderen Tatsachen – also vor allem die Einwendungen und Einreden des Beklagten - darüber hinaus auch mit der Parteivernehmung (§ 595 Abs. 2 ZPO). Die Urkunden müssen sich zudem im Besitz der beweisbelasteten Partei befinden. Zeugen-, Sachverständigen- und Augenscheinsbeweis sind dagegen ebenso unstatthaft wie eine Widerklage des Beklagten (§ 595 Abs. 1 ZPO) und werden ggf. in den Entscheidungsgründen des Urteils als unstatthaft zurückgewiesen (§ 598 ZPO). Insoweit muss dem Beklagten aber die Ausführung seiner Rechte in einem Nachverfahren vorbehalten werden (§ 599 Abs. 1 ZPO). Der Urkundenprozess selbst wird deshalb als Vorverfahren bezeichnet.
Vorverfahren und Nachverfahren können Gegenstand von Urteils- und Anwaltsklausuren sein.
- In der Urteilsklausur kann es um das Vorverfahren selbst gehen. Hier musst du aber genau prüfen, ob der Kläger tatsächlich im Urkundenprozess klagt – das muss sich aus der Klageschrift ergeben (§ 593 Abs. 1 ZPO) – und ob er nicht bereits vom Urkundenprozess Abstand genommen hat, was er jederzeit tun kann (§ 596 ZPO). Nach einer Abstandnahme bleibt der Rechtsstreit im ordentlichen Prozess anhängig. Du hättest es dann mit einem „normalen“ Verfahren zu tun.
Genauso gut kannst du es aber auch mit dem Nachverfahren zu tun haben. Das stellst du daran fest, dass sich in der Klausur-Akte bereits ein Vorbehaltsurteil befindet.
- In der Anwaltsklausur spielt die Urkundenklage vor allem dann eine Rolle, wenn du den Anspruchsinhaber vertrittst (Klägerklausur). Hier prüfst du im Rahmen der Zweckmäßigkeitserwägungen, ob es zulässig und sinnvoll ist, im Urkundenprozess zu klagen.
Denkbar ist es aber auch, dass du den Beklagten im Nachverfahren vertrittst.
Im Vorverfahren kommt es zum einen auf die Zulässigkeit der Urkundenklage und zum anderen auf die verschiedenen Entscheidungsmöglichkeiten an.
- Zulässigkeit der Urkundenklage
Die Klage muss die Erklärung enthalten, dass der Kläger im Urkundenprozess klagt (§ 593 Abs. 1 ZPO). In der Klägerklausur solltest du die Klageschrift deshalb mit „Klage im Urkundenprozess“ überschreiben.
Die Klage muss gemäß § 592 Satz 1 ZPO gerichtet sein auf
-
Zahlung
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Leistung einer bestimmten Menge vertretbarer Sachen
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Leistung einer bestimmten Menge von Wertpapieren.
Der Kläger muss sämtliche anspruchsbegründenden Tatsachen mit Urkunden beweisen können. Diese Urkunden müssen schriftsätzlich mindestens in Kopie eingereicht werden (§ 593 Abs. 2 ZPO), Indizurkunden genügen.
Beachte: Nach der ständigen Rechtsprechung des BGH ist es nicht erforderlich, dass der Kläger diese Urkunden schon mit der Klage einreicht; er kann also abwarten, ob der Beklagte den Anspruch überhaupt bestreitet (BGH VIII ZR 41/14 Rn. 14). Diese Auffassung lässt sich auf den Wortlaut von § 592 Satz 1 ZPO und § 597 Abs. 2 ZPO stützen. Das OLG Schleswig verlangt dagegen, dass der Kläger schon in der Klage alle anspruchsbegründenden Tatsachenbehauptungen mit Urkunden belegt, weil ihm nur so die Vorteile des Urkundenverfahrens zugutekommen dürften (OLG Schleswig 1 U 11/13). Auch nach dem BGH muss der Kläger aber mindestens eine wesentliche Urkunde vorlegen (zB Vertragsurkunde); einen Urkundenprozess ohne Urkunde gibt es also nicht.
Tenorierung
Die Tenorierung hängt vom Ausgang des Vorverfahrens ab.
- Klage allgemein unzulässig Prozessurteil („Urteil im Urkundenprozess“)
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Kosten - § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO
3. Vorläufige Vollstreckbarkeit - §§ 708 Nr. 4, 711 ZPO
- Klage im Urkundenprozess unstatthaft und keine Abstandnahme - § 597 Abs. 2 ZPO
(„Urteil im Urkundenprozess“)
1. Die Klage wird als in der gewählten Prozessart unstatthaft abgewiesen.
2. Kosten - § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO
3. Vorläufige Vollstreckbarkeit - §§ 708 Nr. 4, 711 ZPO
Auch das ist ein Prozessurteil, der Kläger kann also die Klage im ordentlichen Verfahren erneut erheben.
- Klage unbegründet - Klageabweisung, § 597 Abs. 1 ZPO („Urteil im Urkundenprozess“)
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Kosten - § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO
3. Vorläufige Vollstreckbarkeit - §§ 708 Nr. 4, 711 ZPO
- Klage begründet, kein Widerspruch des Beklagten Verurteilung
(„Urteil im Urkundenprozess“)
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin … zu zahlen.
2. Kosten - § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO
3. Vorläufige Vollstreckbarkeit - §§ 708 Nr. 4, 711 ZPO
- Klage begründet, Widerspruch - Vorbehaltsurteil (§ 599 Abs. 1 ZPO) (- im Rubrum: „Vorbehaltsurteil im Urkundenprozess)
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin … zu zahlen. Der Beklagten bleibt die Ausführung ihrer Rechte im Nachverfahren vorbehalten.
Beachte: Das setzt nur voraus, dass der Beklagte der Klage widersprochen hat. Dies muss nicht begründet werden, der Beklagte muss also insbesondere noch keine Einwendungen oder Einreden vorbringen.
2. Kosten - § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO
3. Vorläufige Vollstreckbarkeit - §§ 708 Nr. 4, 711 ZPO