Urkundenbeweis in der Klausur
3) Urkundenbeweis in der Klausur
Im Zivilprozess wird unter eine Urkunde die Verkörperung einer Gedankenerklärung durch Schriftzeichen verstanden. Der Begriff ist als deutlich enger gefasst als im Strafrecht.
I. Abgrenzung
Geht es lediglich um die Existenz des Schriftstücks, wird der Beweis durch die Inaugenscheinnahme geführt. Kommt es dagegen auf den Inhalt an, handelt es sich um den Urkundenbeweis.
II. Öffentliche und private Urkunde
Die ZPO unterscheidet öffentliche und private Urkunden.
1. Privaturkunden
Privaturkunden sind solche, die von Privatparteien erstellt wurden, bspw. Vertragsurkunden oder Quittungen. Auch private elektronische Dokumente mit qualifizierter elektronischer Signatur werden als Urkunden behandelt (§ 371a Abs. 1 Satz 1 ZPO).
2. Öffentliche Urkunden
Eine öffentliche Urkunde liegt vor, wenn sie von einer Behörde oder einem Amtsträger ausgestellt wurde (§ 415 Abs. 1 ZPO).
Die für die Klausur wichtigsten öffentlichen Urkunden sind:
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Urteile
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Vernehmungsprotokolle
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Registerauszüge (Handelsregister, Grundbuch)
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Notarielle Urkunden
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Zustellungsurkunden und Empfangsbekenntnisse.
Unter die Beweisregeln über öffentliche Urkunden fallen auch öffentliche elektronische Dokumente (§ 371a Abs. 3 ZPO) und gescannte öffentliche Urkunden (§ 371b ZPO).
III. Beweisantritt in der Anwaltsklausur
Der Beweisantritt hängt davon ab, in wessen Besitz sich die Urkunde befindet.
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Verfügt die beweispflichtige Partei über die Urkunde, erfolgt der Beweisantritt durch Vorlage der Urkunde im Original, also im Termin (§ 420 ZPO). Bei einer öffentlichen Urkunde kann eine beglaubigte Abschrift genügen (§ 434 ZPO).
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Ist der Gegner im Besitz der Urkunde, muss die beweispflichtige Parteien beantragen, diesem die Vorlage aufzugeben (§ 421 ZPO). Das setzt einen Anspruch auf Herausgabe oder Vorlegung voraus, bspw. aus §§ 259, 371, 402, 666, 667, 716, 810 BGB.
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Befindet sich die Urkunde bei einem Dritten, lautet der Antrag auf Herbeischaffung der Urkunde durch diesen (§ 428 ZPO). Auch das setzt einen Anspruch auf Herausgabe oder Vorlegung.
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Schließlich kann beantragt werden, eine Behörde bzw. einen Notar um Mitteilung der (öffentlichen) Urkunde zu ersuchen (§ 432 ZPO).
IV. Urkundenbeweis in der Urteilsklausur
1. Quelle
In der Urteilsklausur wird die Urkunde – zumindest in Auszügen – in der Klausur-Akte abgedruckt.
2. Beweiswürdigung
Bei Beweiswirkung einer Urkunde muss grundsätzlich zwischen der formellen und der materiellen Beweiskraft unterschieden werden.
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Formelle Beweiskraft bedeutet, dass die Urkunde vollen Beweis dafür erbringt, dass die über den Unterschriften stehenden Erklärungen von den Ausstellern abgegeben und abgesandt worden sind.
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Materielle Beweiskraft bedeutet, dass die Erklärungen auch inhaltlich zutreffen.
Voraussetzung der Beweiskraft ist, dass es sich um eine echte Urkunde handelt.
a) Echtheit der Urkunde
Gibt es zwischen den Parteien Streit über die Echtheit der Urkunde, gehst du wie folgt vor:
aa) Privaturkunde
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Der Gegner der beweisbelasteten Partei muss sich zur Echtheit der Urkunde bzw. der Unterschrift(en) erklärt haben (§ 439 Abs. 1, Abs. 2 ZPO), andernfalls ist die Urkunde als anerkannt anzusehen (§ 439 Abs. 3 ZPO).
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Hat der Gegner die Echtheit bestritten, muss sie die beweispflichtige Partei bewiesen haben (§ 440 Abs. 1 ZPO), und zwar durch Schriftvergleichung (§ 441 ZPO), die ggf. durch Sachverständigen vorzunehmen ist (§ 442 ZPO).
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Die Echtheit der Urkunde wird vermutet, wenn die Echtheit der Unterschrift feststeht oder ein Handzeichen notariell beglaubigt ist (§ 440 Abs. 2 ZPO).
bb) Öffentliche Urkunde
Die Echtheit inländischer öffentlicher Urkunden wird grundsätzlich vermutet (§ 437 Abs. 1 ZPO). Bei ausländischen öffentlichen Urkunden kommt es auf den Einzelfall an (§ 438 Abs. 1 ZPO), wobei die Legalisation nach Abs. 2 genügt.
b) Beweiskraft
aa) Privaturkunden
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Privaturkunden erbringen vollen Beweis dafür, dass die über den Unterschriften stehenden Erklärungen von den Ausstellern abgegeben und abgesandt worden sind (formelle Beweiskraft, § 416 ZPO; beachte aber für mangelbehaftete Urkunden § 419 ZPO); nicht aber für Zugang der Erklärungen oder die Begleitumstände der Vereinbarung (zB Ort und Zeit, Beteiligte).
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Sie erbringen grundsätzlich keinen Beweis dafür, dass der Inhalt richtig und wirksam ist (materielle Beweiskraft). Insoweit muss im Rahmen der freien Beweiswürdigung geprüft werden, ob der Beweis geführt ist. Es gilt aber die Vermutung, dass unterschriebene Vertragsurkunden die vollständigen Willenserklärungen richtig wiedergeben, also nur das vereinbart worden ist, was im Text steht, und es keine Nebenabreden gibt (BGH V ZR 353/97). Beruft sich eine Partei auf eine Nebenabrede, muss sie diese beweisen.
bb) Öffentliche Urkunden
Bei der Beweiskraft öffentlicher Urkunden wird unterschieden:
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Die Beurkundung einer Erklärung vor einer Behörde oder einem Notar erbringt vollen Beweis dafür, dass alle Erklärungen, die Rechtswirkungen erzeugen, vollständig und richtig nach Inhalt und Begleitumständen wiedergegeben wurden (formelle Beweiskraft, § 415 Abs. 1 ZPO); der Gegenbeweis ist zulässig (§ 415 Abs. 2 ZPO). Materielle Beweiskraft haben solche Urkunden indes nicht. Jedoch gilt für eine notariell beurkundete Vereinbarung ebenfalls die Vermutung der Vollständigkeit und Richtigkeit; die nicht durch die Vorlage eines inhaltlich abweichenden Vertragsentwurfs widerlegt werden kann (BGH V ZR 295/14).
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Die Beurkundung einer auf Außenwirkung gerichteten Willenserklärung einer Behörde – bspw. Urteile, Erbscheine oder Verwaltungsakte -, erbringt vollen Beweis dafür, dass die Erklärung nach Inhalt und Begleitumständen (Ort, Zeit, Teilnahme) ergangen ist; der Gegenbeweis ist nicht zulässig (§ 417 ZPO). Materielle Rechtskraft haben aber auch diese Urkunden nicht.
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Sonstige öffentliche Beurkundungen erbringen den Vollbeweis für die in der Urkunde enthaltene eigene Wahrnehmung der Urkundsperson (§ 418 Abs. 1 ZPO); der Gegenbeweis ist zulässig (Abs. 2). Hierunter fällt bspw. die Zustellungsurkunde (§ 182 Abs. 1 Satz 2 ZPO).