Untauglicher Versuch und Wahndelikt

Untauglicher Versuch und Wahndelikt

Der Strafgrund des Versuchs besteht darin, kriminelles Unrecht unabhängig vom Erfolgseintritt zu ahnden.1 Aus welchem Grund es nicht zur Verwirklichung des Tatbestandes kommt, ist dabei grundsätzlich unbeachtlich. Deshalb schließt der Versuch nach § 22 StGB grundsätzlich auch den untauglichen Versuch ein. Das folgt bereits aus § 23 III StGB, der allein für den grob untauglichen Versuch eine Strafmilderung nach § 49 II StGB oder gar ein vollständiges Absehen von Strafe ermöglicht.2

Untauglicher Versuch

Ein (strafbarer) untauglicher Versuch liegt vor, wenn der Täter aufgrund von zu seinen Ungunsten vorgestellten Tatsachen glaubt, einen Straftatbestand zu verwirklichen, und dabei verkennt, dass der Versuch „überhaupt nicht zur Vollendung führen konnte“ (§ 23 III StGB).3 Der Grund hierfür kann ein rechtlicher oder ein tatsächlicher sein. Untauglich ist der Versuch, wenn die Verwirklichung des Tatbestandes entgegen der Vorstellung des Täters aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen nicht eintreten kann.4

Die Vorstellung des Täters entspricht beim untauglichen Versuch einem umgekehrten Tatbestandsirrtum; „umgekehrt“ deshalb, weil die Fehlvorstellung im tatsächlichen Bereich belastend wirkt.5

In Betracht kommen eine Untauglichkeit des Tatsubjekts, des Tatobjekts und des Tatmittels.6 Beispiele: (1) T glaubt, er sei ein Amtsträger, und nimmt Bestechungsgelder an. Tatsächlich war seine Beamtenernennung nichtig. Es liegt eine Untauglichkeit des Tatsubjekts vor. (2) T schießt mit Tötungsvorsatz auf eine Leiche. Es liegt eine Untauglichkeit des Tatobjekts vor. (3) T schießt mit Tötungsvorsatz und einer ungeladenen oder defekten Waffe auf O.7 Es liegt eine Untauglichkeit des Tatmittels vor.

Grob untauglicher Versuch, § 23 III StGB

§ 23 III StGB regelt nur einen kleinen Ausschnitt aus der Gesamtheit der untauglichen Versuche.8 Hat der Täter aus grobem Unverstand verkannt, dass der Versuch nach der Art des Gegenstandes, an dem, oder des Mittels, mit dem die Tat begangen werden sollte, überhaupt nicht zur Vollendung führen konnte, so kann das Gericht von Strafe absehen oder die Strafe nach seinem Ermessen gemäß § 49 II StGB mildern (§ 23 III StGB; sog. Trottelprivileg).

Grober Unverstand liegt vor, wenn der Täter einfachste naturgesetzliche Zusammenhänge, die jedem Laien bekannt sind, verkennt und demzufolge völlig abwegige Vorstellungen von Kausalzusammenhängen hat. Der grob unverständige Täter hat völlig abwegige Vorstellungen von gemeinhin bekannten Ursachenzusammenhängen.9 Beispiele: Abtreibung mit Kamillentee; Schuss mit einem Luftgewehr auf ein weit außerhalb der Reichweite fliegendes Flugzeug. In der Fallbearbeitung sollte man § 23 III StGB, weil es sich um eine Strafzumessungsvorschrift handelt, am besten im Anschluss an die Schuld erörtern.

Von den Fällen des § 23 III StGB abzugrenzen ist der abergläubische Versuch. Bei ihm glaubt der Täter, einen Taterfolg mit magischen Kräften (z. B. Zaubern, Verhexen, Totbeten) herbeiführen zu können. Ein solcher Versuch ist von vornherein straflos, weil derjenige, der auf übersinnliche Kräfte vertraut, ein Tatgeschehen weder wollen noch beherrschen, sondern allenfalls herbeiwünschen kann. In der Fallbearbeitung hat der abergläubische Versuch beim Vorsatz seinen Platz.

Wahndelikt

Vom strafbaren untauglichen Versuch zu unterscheiden ist das straflose Wahndelikt.10 Beim Wahndelikt erfasst der Täter die tatsächlichen Umstände völlig richtig, hält sein in Wirklichkeit strafloses Verhalten aber aufgrund einer fehlerhaften („wahnhaften“) rechtlichen Wertung für strafbar.

Die Fehlwertung kann sich (1) auf die Existenz einer Strafnorm („umgekehrter direkter Verbotsirrtum“), (2) auf die ungünstige Auslegung eines Tatbestandsmerkmals („umgekehrter Subsumtionsirrtum“) oder (3) auf die Grenzen eines Rechtfertigungsgrundes („umgekehrter indirekter Verbotsirrtum“) beziehen. Beispiel zu (1): T glaubt, seine homosexuelle Betätigung sei strafbar. Beispiel zu (2): Ein Verkäufer, der einem Kunden eine Sache zum normalen Ladenpreis verkauft (und damit nicht dessen Vermögen schädigt), aber als einmaliges Sonderangebot anpreist, nimmt irrig an, den Käufer betrügerisch zu schädigen. Beispiel zu (3): O verletzt in Ausübung einer geeigneten, erforderlichen und auch gebotenen Notwehrhandlung zur Abwendung eines gegenwärtigen rechtswidrigen Angriffs den Angreifer T, glaubt dabei jedoch irrig, die Grenzen der Notwehr (§ 32 StGB) zu überschreiten. In all diesen Fällen liegt ein strafloses Wahndelikt vor.


  1. Hier und zum Folgenden: R. Schmidt, Strafrecht AT, 20. Aufl. 2018, Rn. 651.
  2. Joecks/Jäger, StGB, 12. Aufl. 2018, § 23 Rn. 3.
  3. Rengier, Strafrecht AT, 11. Aufl. 2019, § 35 Rn. 1.
  4. R. Schmidt, Strafrecht AT, 20. Aufl. 2018, Rn. 652.
  5. Rengier, Strafrecht AT, 11. Aufl. 2019, § 35 Rn. 1; R. Schmidt, Strafrecht AT, 20. Aufl. 2018, Rn. 654.
  6. Hier und zum Folgenden: R. Schmidt, Strafrecht AT, 20. Aufl. 2018, Rn. 653.
  7. Rengier, Strafrecht AT, 11. Aufl. 2019, § 35 Rn. 3.
  8. Hier und zum Folgenden: Rengier, Strafrecht AT, 11. Aufl. 2019, § 35 Rn. 9 – 14; R. Schmidt, Strafrecht AT, 20. Aufl. 2018, Rn. 656 – 658.
  9. BGH, Urt. v. 14.03.1995 – 1 StR 846/94, BGHSt 41, 94, 95 (untauglicher Mordversuch aus grobem Unverstand – Irrtum über Giftdosis).
  10. Hier und zum Folgenden: Rengier, Strafrecht AT, 11. Aufl. 2019, § 35 Rn. 15 f.; R. Schmidt, Strafrecht AT, 20. Aufl. 2018, Rn. 659 – 668.