Überblick über das Leistungsstörungsrecht

Überblick über das Leistungsstörungsrecht

Wenn eine geschuldete Leistung nicht, nicht rechtzeitig oder nicht ordnungsgemäß erbracht wird, spricht man von einer Leistungsstörung.1 Die Rechtsfolgen solcher Leistungsstörungen sind für einige Schuldverhältnisse speziell geregelt; man spricht dann von dem „besonderen Leistungsstörungsrecht“.

Beispiele: In § 437 BGB wird für das Kaufrecht, in § 634 BGB für das Werkvertragsrecht auf die Regelungen des allgemeinen Leistungsstörungsrechts verwiesen. Es handelt sich jeweils um Rechts_grund_verweisungen, d. h. die Tatbestandsvoraussetzungen der Normen, auf die verwiesen wird, müssen vorliegen. Diese allgemeinen Regelungen werden sodann durch spezialgesetzliche Regelungen in den §§ 434 ff. bzw. §§ 633 ff. BGB ergänzt bzw. modifiziert.

Das allgemeine Leistungsstörungsrecht betrifft demgegenüber nicht nur einzelne Vertragstypen, sondern grundsätzlich alle vertraglichen und auch gesetzlichen Schuldverhältnisse, soweit diese keine abschließenden Spezialregelungen vorsehen.

Das gilt z. B. für das Dienstvertragsrecht (§§ 611 ff. BGB), in welchem sich keine speziellen Regelungen über die Schlechtleistung auffinden. Hier ist ohne entsprechende Verweisungsnorm auf die allgemeinen Vorschriften des Schuldrecht AT zurückzugreifen. Regelungen des Leistungsstörungsrechts finden sich in den §§ 275 – 304 BGB, in den §§ 320 – 326 BGB sowie in den §§ 311 II, III, 311a, 313, 314 BGB.

Arten von Leistungsstörungen

Es lassen sich mehrere Arten von Leistungsstörungen unterscheiden: 2

Eine Leistungsstörung liegt zunächst vor, wenn eine Leistung ganz oder teilweise nicht erbracht wird. Dies kann entweder daran liegen, dass dem Schuldner die Leistung unmöglich ist, oder daran, dass er die ihm mögliche Leistung aus einem anderen Grund nicht erbringt. In beiden Fällen liegt eine Nichtleistung vor.

Die Leistung ist auch dann gestört, wenn der Schuldner die geschuldete Leistung zu spät erbringt. In diesen Fällen liegt eine Leistungsverzögerung vor. Unter den Voraussetzungen der §§ 286 ff. BGB gerät der Schuldner in den Schuldnerverzug.

Weiterhin liegt eine Leistungsstörung vor, wenn die Leistung vom Schuldner war (rechtzeitig) erbracht wird, sie aber nicht die geschuldete Qualität hat. Man spricht in diesen Fällen von einer Schlechtleistung.

Von einer Leistungsstörung kann man ferner dann sprechen, wenn der Schuldner die Leistung zwar wie geschuldet, also rechtzeitig und ordnungsgemäß erbringt, dabei aber bestimmte Sorgfaltspflichten in Bezug auf andere Rechtsgüter des Gläubigers verletzt. Diese Fallgruppe der Leistungsstörung lässt sich unter dem Stichwort der Schutzpflichtverletzung zusammenfassen. Bei ihr geht es um die Verletzung von Schutzpflichten i.S.v. § 241 II BGB.

Eine Leistungsstörung kann zudem auch darin liegen, dass der Schuldner die Leistung zwar rechtzeitig und ordnungsgemäß anbietet, der Gläubiger sie aber nicht annimmt oder nicht bereit ist, gleichzeitig die nach § 320 BGB Zug um Zug geschuldete Gegenleistung zu erbringen. Dann liegt ein Annahmeverzug (§§ 293 ff. BGB vor.

Liegen besondere Umstände vor, die den Leistungsaustausch in ungeplanter Weise beeinträchtigen, kann eine Störung der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB) vorliegen. Dies betrifft namentlich Fälle, in denen die geschuldete Leistung den Schuldner erheblich mehr belastet als vertraglich vorausgesetzt.

Ähnliches gilt für die Unzumutbarkeit des Festhaltens an einem Dauerschuldverhältnis. Diese führt zu einem außerordentlichen Kündigungsrecht gemäß § 314 BGB.

Leistungsstörungen in der Fallprüfung

In der Fallbearbeitung stellt sich in der Regel nicht die Frage nach einer Art der Leistungsstörung, sondern nach einem bestimmten Anspruch (vgl. § 194 I BGB).3 Dementsprechend ist danach zu fragen, was der Anspruchsteller will, welche Vorschriften ihm dieses Begehren verschaffen können und welche Normen dem entgegenstehen könnten. Es ist also eine rechtsfolgenorientierte Herangehensweise geboten.

Begehrt der Anspruchsteller eine Primärleistung, ist Anspruchsgrundlage der Vertrag.4 Es stellt sich dann die Frage, ob eine Leistungsstörung dem Vertragserfüllungsbegehren entgegensteht (z. B. Unmöglichkeit, Rücktritt bzw. Kündigung, Störung der Geschäftsgrundlage).

Begehrt der Anspruchsteller die Rückgewähr bereits erbrachter Leistungen, ist primär an den Rücktritt gemäß §§ 346 ff. BGB zu denken. Anspruchsgrundlage ist dann § 346 I BGB, der allerdings ein vertragliches oder gesetzliches Rücktrittsrechts voraussetzt. Auch unter dem Gesichtspunkt des Schadensersatzes statt der ganzen Leistung kommt eine Rückforderung des Geleisteten nach den §§ 346 – 348 BGB in Betracht (§ 281 V BGB).5

Begehrt der Anspruchsteller Schadensersatz, sind die §§ 280 ff., 311a II BGB mögliche Anspruchsnormen. Dabei ist grundlegend zwischen Schäden statt und neben der Leistung zu differenzieren.

Anstelle des Schadensersatzes statt der Leistung kann der Schuldner nach Maßgabe des § 284 BGB auch den Ersatz vergeblicher Aufwendungen verlangen.

Strebt der Anspruchsteller eine Modifikation oder sogar die Aufhebung eines Vertrags an, ist an eine Störung der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 BGB zu denken. Von Dauerschuldverhältnissen kann er sich unter den Voraussetzungen des § 314 BGB durch Kündigung vom Vertrag lösen.

Gesetzliche Grundlagen

Das BGB regelt die verschiedenen Typen von Leistungsstörungen in gemeinsamen Vorschriften.6 Diese sind in erster Linie nach Rechtsfolgen geordnet. Es bestehen allgemeine Vorschriften zum Schadens- und Aufwendungsersatzanspruch (§§ 280, 284 BGB) und zum Rücktritt (§§ 323 ff., 346 ff. BGB). Daneben gibt es besondere Vorschriften zur Unmöglichkeit (§§ 283, 326 BGB), zum Schuldnerverzug (§§ 286 ff. BGB) und zum Gläubigerverzug (§§ 293 ff. BGB) sowie zur Störung der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB) und zur Kündigung von Dauerschuldverhältnissen (§ 314 BGB).

Im Besonderen Schuldrecht sind zudem ergänzende Regelungen zu den Mängelrechten vorgesehen. Beispiele: §§ 437 ff. BGB (Kaufvertrag), §§ 634 ff. BGB (Werkvertrag).


  1. Hier und zum Folgenden: R. Schmidt, Schuldrecht AT, 13. Aufl. 2019, Rn. 363.
  2. Bei typischen Verträgen findet sich die als Anspruchsgrundlage zu nennende Norm jeweils am Anfang des einschlägigen Abschnitts im BGB, also beispielsweise für den Kaufvertrag in § 434 BGB, für den Darlehensvertrag in § 488 BGB, für den Mietvertrag in § 535 BGB, für den Dienstvertrag in § 611 BGB, für den Werkvertrag in § 633 BGB usw.
  3. Bei § 281 V BGB handelt es sich um eine Rechtsfolgenverweisung (Hk-BGB/Schulze, 10. Aufl. 2019, § 281 Rn. 24).
  4. Hier und zum Folgenden: Brox/Walker, SchuldR AT, 43. Aufl. 2019, § 21 Rn. 6.
  5. Hier und zum Folgenden: Medicus/Lorenz, Schuldrecht I – AT, 21. Aufl. 2015, Rn. 322 f.
  6. Zum Folgenden: Medicus/Lorenz, Schuldrecht I – AT, 21. Aufl. 2015, Rn. 324.