Stückschuld, Gattungsschuld, Wahlschuld, Ersetzungsbefugnis
Stückschuld, Gattungsschuld, Wahlschuld, Ersetzungsbefugnis
Wird ein Rechtsgeschäft vereinbart, muss der Inhalt bestimmt oder zumindest bestimmbar sein. Hinsichtlich der Art des geschuldeten Leistungsgegenstands lassen sich dabei Stückschuld, Gattungsschuld, Wahlschuld und Ersetzungsbefugnis unterscheiden.1
Gattungs- und Wahlschulden sind Sonderfälle eines unbestimmten, aber bestimmbaren Leistungsinhalts.2
Stückschuld
Eine Stückschuld liegt vor, wenn die geschuldete Sache nach ganz bestimmten, individuellen Merkmalen (Sondermerkmalen) bestimmt ist.3 Es muss sich um eine einzigartige Sache handeln.4
Auch wenn ein Gegenstand aus einer Gattung i.S.v. § 243 II BGB konkretisiert wird, handelt es sich nach der Konkretisierung um eine Stückschuld. Diese Stückschuld kann dann grundsätzlich nur mit dem konkretisierten Gegenstand erfüllt werden.
Gattungsschuld
Eine Gattungsschuld liegt vor, wenn die geschuldete Leistung nur nach allgemeinen Merkmalen (Gattungsmerkmalen) bestimmt ist.5 Das Schuldverhältnis ist bei ihr auf die Leistung einer vertretbaren Sache i.S.v. § 91 BGB gerichtet.
Zu den Gattungsmerkmalen zählen beispielsweise: Typ, Sorte, Gewicht, Farbe, Herkunft, Jahrgang. Je mehr Merkmale festgelegt sind, desto stärker ist der Umfang der Gattung eingegrenzt. Eine Unterart der Gattungsschuld ist die Vorratsschuld. Sie wird auch als beschränkte Gattungsschuld bezeichnet und liegt vor, wenn der Umfang der Gattung, aus welcher der Schuldner zu leisten hat, auf eine bestimmte Teilmenge beschränkt ist.
Der Schuldner einer Gattung ist nicht verpflichtet, bestimmte Stücke aus der Gattung zu liefern.6 Er kann die zu leistende Sache auswählen und ist dabei gemäß § 243 I BGB nur gehalten, eine Sache von mittlerer Art und Güte zu leisten (vgl. auch § 360 HGB: „Handelsgut mittlerer Art und Güte“).
Bei der Gattungsschuld bezieht sich die Verbindlichkeit zunächst auf die gesamte Gattung.7 Die anfängliche Gattungsschuld wird aber durch Konkretisierung zur Stückschuld.8 Nach § 243 II BGB9 konkretisiert sich die Gattungsschuld auf einen bestimmten Gegenstand, wenn der Schuldner „das zur Leistung einer solchen Sache seinerseits Erforderliche getan“ hat. Mit „einer solchen Sache“ ist dabei auf § 243 I BGB verwiesen, d. h. der Schuldner muss eine Sache mittlerer Art und Güte aussondern. Eine Aussonderung liegt vor, wenn der Schuldner die Ware von anderen Sachen derselben Gattung trennt und sie als die für den Gläubiger bestimmte Ware kennzeichnet. Was zudem erforderlich ist, damit der Schuldner das „seinerseits Erforderliche“ getan hat, bestimmt sich nach dem Inhalt des Schuldverhältnisses, namentlich nach der Art der Schuld und dabei insbesondere nach dem Leistungsort (§ 269 BGB).
Bei einer Holschuld muss der Schuldner aus der Gattung eine Sache mittlerer Art und Güte auswählen und aussondern sowie den Gläubiger auffordern, die ausgewählte und ausgesonderte Sache innerhalb angemessener Zeit abzuholen.
Bei einer Bringschuld muss der Schuldner dem Gläubiger die ausgewählte und ausgesonderte Sache mittlerer Art und Güte am vereinbarten Ort in einer den Annahmeverzug begründenden Weise tatsächlich anbieten (§ 294 BGB).
Bei einer Schickschuld reicht es grundsätzlich10 aus, wenn der Schuldner die ausgewählte und ausgesonderte Sache mittlerer Art und Güte richtig adressiert und frankiert an eine geeignete Transportperson aushändigt.
Ist die Konkretisierung eingetreten, bindet sie auch den Schuldner.11 Er soll sie nicht wieder rückgängig machen können, damit er nicht motiviert ist, auf Kosten des Gläubigers zu spekulieren. Allerdings verstößt der Gläubiger gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB), wenn er die Annahme einer gleichwertigen Sache ohne Grund verweigert.12
Die Konkretisierung ist auch für die Verteilung der Leistungsgefahr von Bedeutung.13 Dabei geht es um die Frage, wen die nachteiligen Folgen im Falle einer Nichtleistung treffen. Vor der Konkretisierung obliegt es – sofern keine Vorratsschuld vereinbart wurde – dem Schuldner, sich im Rahmen des § 275 II BGB eine Gattungssache am Markt zu beschaffen. Er trägt also vor der Konkretisierung die Leistungsgefahr. Nach der Konkretisierung hat der Schuldner hingegen das seinerseits Erforderliche getan. Das Risiko der Nichterfüllung, also die Leistungsgefahr, trägt dann der Gläubiger.
Wahlschuld
Eine Wahlschuld liegt vor, wenn mehrere verschiedene Leistungen in der Weise geschuldet werden, dass nur die eine oder die andere zu bewirken ist (§ 262 BGB). Es werden von Anfang an mehrere verschiedene Leistungen geschuldet.14 Die Wahlschuld kann auf Rechtsgeschäft oder auf Gesetz15 beruhen.
Erst nach Ausübung des Wahlrechts, welches im Zweifel dem Schuldner zusteht (§ 262 BGB), durch Erklärung gegenüber dem anderen Teil (§ 263 I BGB) gilt die gewählte Leistung als die von Anfang an geschuldete (§ 263 II BGB). Bis zu dieser Wahl liegt ein einheitlicher Anspruch des Gläubigers gegen den Schuldner mit alternativem Inhalt vor.16
Übt der wahlberechtigte Schuldner sein Wahlrecht nicht aus, so verliert er es nicht. Der Gläubiger muss vielmehr auf Bewirkung der einen oder anderen Leistung nach Wahl des Schuldners klagen.17 Steht das Wahlrecht hingegen dem Gläubiger zu und verzögert er die Wahl, so kann der Schuldner ihm hierfür eine angemessene Frist setzen (§ 264 II 1 BGB). Nach fruchtlosem Ablauf dieser Frist geht das Wahlrecht auf den Schuldner über (§ 264 II 2 BGB).
Ist eine der Leistungen von Anfang an unmöglich oder wird sie später unmöglich, so beschränkt sich das Schuldverhältnis auf die übrigen Leistungen (§ 265 S. 1 BGB). Die Beschränkung tritt nicht ein, wenn die Leistung infolge eines Umstands unmöglich wird, den der nicht wahlberechtigte Teil zu vertreten hat (§ 265 S. 2 BGB).
Ersetzungsbefugnis
Im Gegensatz zur Wahlschuld ist bei der Ersetzungsbefugnis (facultas alternativa) von Beginn an nur eine Leistung geschuldet.18 Eine Ersetzungsbefugnis liegt vor, wenn an Stelle der geschuldeten Leistung eine andere vom Schuldner erbracht oder vom Gläubiger verlangt werden kann.
Die Ersetzungsbefugnis kann durch Parteiabrede (bei AGB ist § 308 Nr. 4 BGB zu beachten) oder durch Gesetz19 entstehen.
- R. Schmidt, Schuldrecht AT, 13. Aufl. 2019, Rn. 92.
- Brox/Walker, SchuldR AT, 43. Aufl. 2019, § 8 Rn. 1.
- Brox/Walker, SchuldR AT, 43. Aufl. 2019, § 8 Rn. 1.
- Hier und zum Folgenden: R. Schmidt, Schuldrecht AT, 13. Aufl. 2019, Rn. 93.
- Hier und zum Folgenden: Brox/Walker, SchuldR AT, 43. Aufl. 2019, § 8 Rn. 1; R. Schmidt, Schuldrecht AT, 13. Aufl. 2019, Rn. 94 – 96.
- Hier und zum Folgenden: Brox/Walker, SchuldR AT, 43. Aufl. 2019, § 8 Rn. 3.
- Hier und zum Folgenden: Brox/Walker, SchuldR AT, 43. Aufl. 2019, § 8 Rn. 6; R. Schmidt, Schuldrecht AT, 13. Aufl. 2019, Rn. 97 – 103.
- Siehe hierzu den Fall: „Gefahrtragung bei Annahmeverzug“.
- Vgl. auch die ergänzenden Regelungen in §§ 300 II, 524 II, 2155, 2182 BGB, 360, 373 ff. HGB.
- Etwas anderes gilt nach § 475 II BGB beim Verbrauchsgüterkauf (§ 474 BGB).
- Hier und zum Folgenden: Brox/Walker, SchuldR AT, 43. Aufl. 2019, § 8 Rn. 7.
- Erman/Westermann, BGB, 15. Aufl. 2017, § 243 Rn. 18.
- Hier und zum Folgenden: R. Schmidt, Schuldrecht AT, 13. Aufl. 2019, Rn. 104.
- Im Gegensatz dazu bezieht sich die Gattungsschuld auf eine von mehreren gleichartigen Leistungen (Brox/Walker, SchuldR AT, 43. Aufl. 2019, § 8 Rn. 8).
- Beispiel: § 179 I BGB (Bork, BGB AT, 4. Aufl. 2016, Rn. 1630; Brox/Walker, SchuldR AT, 43. Aufl. 2019, § 8 Rn. 8: MünchKomm-BGB/Schubert, 8. Aufl. 2018, § 179 Rn. 37; a. A. [elektive Konkurrenz] Grüneberg/Ellenberger, BGB, 83. Aufl. 2024, § 179 Rn. 5; Erman/Maier-Reimer, BGB, 15. Aufl. 2017, § 179 Rn. 8).
- R. Schmidt, Schuldrecht AT, 13. Aufl. 2019, Rn. 106.
- Brox/Walker, SchuldR AT, 43. Aufl. 2019, § 8 Rn. 12.
- Hier und zum Folgenden: Brox/Walker, SchuldR AT, 43. Aufl. 2019, § 8 Rn. 14 - 16; R. Schmidt, Schuldrecht AT, 13. Aufl. 2019, Rn. 108 – 110.
- Beispiele: §§ 244 I, 251 II 1, 528 I 2, 775 II BGB (jeweils Ersetzungsbefugnis des Schuldners), §§ 249 II 1, 340, 843 III BGB (jeweils Ersetzungsbefugnis des Gläubigers).