Streitgenossenschaft im Urteil

1) Streitgenossenschaft

Streitgenossenschaft liegt vor, wenn auf einer Seite des Rechtsstreits – oder auch auf beiden – mehr als eine Partei beteiligt ist. Sie wird deshalb auch subjektive Klagehäufung genannt.

Die Streitgenossenschaft kann schon bei Einleitung des Verfahrens bestehen oder im Laufe des Verfahrens durch Parteierweiterung herbeigeführt werden.

Die ZPO unterscheidet die einfache und die notwendige Streitgenossenschaft. Der maßgebliche Unterschied liegt darin, dass bei einfacher Streitgenossenschaft nicht sämtliche Streitgenossen am Prozess beteiligt werden müssen, während bei notwendiger Streitgenossenschaft die Klage unzulässig wäre, wenn nicht sämtliche Streitgenossen klagen bzw. nicht sämtliche Streitgenossen verklagt werden.

I. Einfache Streitgenossenschaft

Die einfache Streitgenossenschaft richtet sich nach §§ 59, 60 ZPO.

1. Rechtsgemeinschaft (§ 59 Alt. 1 ZPO)

Einfache Streitgenossenschaft besteht zwischen solchen Parteien, die in Rechtsgemeinschaft stehen. Hier kommen die folgenden Konstellationen in Betracht:

  • Gesamtschuld (§ 421 BGB)

  • Gesamtgläubiger eine teilbaren Leistung (§ 432 BGB)

  • Miteigentum

  • Erbengemeinschaft (§ 2032 BGB)

  • Aktivprozess eines Miterben zulässig (§ 2039 Satz 1 BGB).

  • Gesamtschuldklage des Nachlassgläubigers (§ 2058 BGB)

  • Hauptschuldner und Bürge

2. Identität des Klagegrundes (§ 59 Alt. 2 ZPO)

Besteht keine Rechtsgemeinschaft, kommt Streitgenossenschaft in Betracht, wenn der Klagegrund identisch ist, weil die Ansprüche aus demselben Vertrag oder aus derselben unerlaubten Handlung hergeleitet werden.

3. Gleichartigkeit der tatsächlichen und rechtlichen Anspruchsgründe (§ 60 ZPO)

Schließlich liegt einfache Streitgenossenschaft vor, wenn die Ansprüche in einem inneren sachlichen Zusammenhang stehen, der sie ihrem Wesen nach als gleichartig erscheinen lässt.

So können mehrere Geschädigte eines Unfalls in einem Prozess gegen den Verursacher vorgehen.

Einfache Streitgenossen sind auch Verkäufer und Hersteller in den Diesel-Verfahren, selbst wenn der Verkäufer nur aus Vertrag und der Hersteller aus unerlaubter Handlung in Anspruch genommen wird (BGH X ARZ 303/18).

4. Weitere Voraussetzungen

Weitere Voraussetzungen der einfachen Streitgenossenschaft sind:

  • Es muss dieselbe Prozessart vorliegen (§ 260 ZPO analog).

  • Die Streitgenossen dürfen nicht hilfsweise oder alternativ in Anspruch genommen werden.

5. Rechtsfolgen

Auch bei Bestehen der Streitgenossenschaft liegen getrennte Prozessrechtsverhältnisse vor. Nimmt bspw. ein Kläger zwei Beklagte in Anspruch, bestehen also auch zwei Prozessrechtsverhältnisse, die grundsätzlich nichts miteinander zu tun haben. Prozesshandlungen eines Streitgenossen (Rücknahme, Anerkenntnis, Verzicht etc.) und sein Tatsachenvortrag wirken deshalb nur für ihn. Ist ein Streitgenosse im Termin säumig, hilft ihm die Anwesenheit des anderen Streitgenossen nicht. Der andere Streitgenosse kann Zeuge sein, soweit das Beweisthema nicht sein Prozessrechtsverhältnis betrifft.

Besonders beachten musst du die getrennten Prozessrechtsverhältnisse, wenn die Streitgenossen unterschiedlich gewinnen bzw. unterliegen. Hier darfst du die Kosten des Rechtsstreits nicht so verteilen, dass ein Streitgenosse mit den außergerichtlichen Kosten des anderen belastet wird. Stattdessen musst du ausnahmsweise nach Gerichtskosten und außergerichtlichen Kosten getrennt tenorieren. Die Einzelheiten dieser sog. Baumbach’schen Kostenformel stellen wir dir in zwei gesonderten Exkursen dar.

II. Notwendige Streitgenossenschaft

Notwendige Streitgenossenschaft besteht in zwei Konstellationen:

1. Prozessual notwendige Streitgenossenschaft (§ 62 Abs. 1 Alt. 1 ZPO)

Eine Streitgenossenschaft ist prozessual notwendig, wenn eine einheitliche Sachentscheidung ergehen muss.

Das ist in Fällen der gesetzlichen Rechtskrafterstreckung (§§ 326, 327 ZPO) und bei Unteilbarkeit des Streitgegenstandes der Fall. Zur letzteren Konstellation gehören Klagen von Gesamtgläubigern.

2. Materiell-rechtlich notwendige Streitgenossenschaft (§ 62 Abs. 1 Alt. 2 ZPO)

Die Notwendigkeit der Streitgenossenschaft kann sich auch aus dem materiellen Recht ergeben. Hierunter fallen:

  • gesellschaftsrechtliche Gestaltungsklagen (§§ 117, 127, 133, 140 HGB)

  • Klagen von Gesamthandgemeinschaften (Erbengemeinschaft) bei einer unteilbaren Leistung (§ 432 BGB)

  • Klagen gegen Gesamthandgemeinschaften nur bei Gesamthandschuld

  • Grundbuchberichtigungsanspruch gegen Miteigentümer

  • Anspruch der Nachlassgläubiger gegen Miterben vor Teilung des Nachlasses (§ 2059 Abs. 2 BGB)

3. Rechtsfolgen

Die Rechtsfolgen der notwendigen Streitgenossenschaft unterscheiden sich wesentlich von denen der einfachen.

  • Die Anwesenheit nur eines Streitgenossen im Termin verhindert ein Versäumnisurteil gegen die abwesenden Streitgenossen (§ 62 ZPO).

  • Rechtzeitige Erklärungen eines Streitgenossen wahren auch für den anderen die Frist.

  • Rücknahme, Anerkenntnis, Verzicht etc. können nur gemeinsam erklärt werden.

  • Die Streitgenossen können keine Zeugen sein.