Standort und Regelungsgehalt des Schuldrechts

Standort des Schuldrechts im BGB

Das BGB ist in fünf Bücher eingeteilt.1 Das zweite Buch behandelt das Recht der Schuldverhältnisse. Es umfasst die §§ 241 – 853 BGB und lässt sich in zwei Bereiche teilen, in das allgemeine und in das besondere Schuldrecht.

Das allgemeine Schuldrecht ist in den §§ 241 – 432 BGB geregelt. Es enthält solche Regelungen, die grundsätzliche für alle Schuldverhältnisse gelten. Dazu zählen insbesondere die Regelungen über den Inhalt von Schuldverhältnissen, über das Leistungsstörungsrecht (Nichtleistung, Schlechtleistung, Verzug, Unmöglichkeit, Rücktritt, Schadensersatz) sowie über den Inhalt von Schadensersatzansprüchen.

Das allgemeine Schuldrecht gilt grundsätzlich auch für solche Schuldverhältnisse, die sich aus den übrigen Büchern des BGB oder aus anderen Gesetzen ergeben. 2
Ebenfalls anwendbar sind seine Vorschriften auf die gesetzlich nicht geregelten Arten von Schuldverträgen.3 Auf solche atypischen Verträge können auch die Vorschriften für ähnliche gesetzlich geregelte Vertragstypen entsprechend angewandt werden.4

Das besondere Schuldrecht ist in den §§ 433 – 853 BGB geregelt. Dort sind neben typischen Verträgen (z.B. Kauf-, Dienst- und Werkvertrag) auch einige gesetzliche Schuldverhältnisse – Geschäftsführung ohne Auftrag (§§ 677 ff. BGB), Bereicherungsrecht (§§ 812 ff. BGB), Deliktsrecht (§§ 823 ff. BGB) – geregelt.

Da im Schuldrecht (anders als im Sachenrecht) kein Typenzwang herrscht, sind die Parteien nicht auf die im Gesetz benannten Vertragstypen beschränkt.5

Im Abschnitt „Schuldrecht AT“ sind also die §§ 241 – 432 BGB zu behandeln.

Regelungsgehalt des Schuldrechts

Das Schuldrecht befasst sich mit Sonderverbindungen zwischen einzelnen Personen.6 Anders als im Sachenrecht wirken schuldrechtliche Verhältnisse nur zwischen den Parteien (inter partes). Man spricht insoweit von der Relativität der Schuldverhältnisse. Damit ist gemeint, dass der Gläubiger ein Recht auf Leistung nur gegen eine bestimmte Person hat, seine Forderung also ein relatives Recht ist.7

Das Sachenrecht regelt dagegen nicht das Rechtsverhältnis einer Person zu einer anderen, sondern ordnet die Beziehung einer Person zu einer Sache. Der Inhaber des Sachenrechts hat ein absolutes Recht, das sich gegen jedermann richtet.

Schuldrechtliche Beziehungen zwischen zwei Personen haben grundsätzlich keinen Einfluss auf sachenrechtliche Verhältnisse. Durch das schuldrechtliche Geschäft kann ein Anspruch auf dingliche Rechtsänderung entstehen. Zur Änderung der dinglichen Rechtsverhältnisse ist dann aber ein weiteres Geschäft, nämlich ein dingliches Verfügungsgeschäft erforderlich. Diese Unterscheidung zwischen schuldrechtlichen Verpflichtungs- und dinglichen Verfügungsgeschäften wird als Trennungsprinzip bezeichnet.

Beispiel: V verkauft dem K sein Fahrrad zu einem Preis von 200 EUR. Der Kaufvertrag stellt das schuldrechtliche Verpflichtungsgeschäft dar. Durch ihn verpflichtet sich der V zur Übergabe und Übereignung des Fahrrads (§ 433 I 1 BGB), und zwar frei von Sach- und Rechtsmängeln (§ 433 I 2 BGB). Umgekehrt verpflichtet sich der K zur Zahlung des vereinbarten Kaufpreises (§ 433 II BGB). An der dinglichen Rechtslage ändert dies aber noch nichts. V bleibt zunächst Eigentümer des Fahrrads und K Eigentümer des Geldes. Um dies zu ändern, sind zwei weitere, sachenrechtliche Rechtsgeschäfte („Erfüllungsgeschäfte“ in Gestalt dinglicher Verfügungsgeschäfte) erforderlich. Erst wenn sich V und K (dinglich) über den Eigentumsübergang am Fahrrad geeinigt haben und dieses durch V an K übergeben wurde, wird K Eigentümer des Fahrrads (§ 929 S. 1 BGB). Gleiches gilt spiegelbildlich für die Übereignung des Geldes (§ 929 S. 1 BGB). Damit finden insgesamt drei Rechtsgeschäfte: Ein Kaufvertrag gemäß § 433 BGB (= Verpflichtungsgeschäft) und zwei Übereignungen gemäß § 929 S. 1 BGB (= Verfügungsgeschäfte).

Aus diesem einfachen Beispielsfall lassen sich wesentliche Definitionen herleiten:

Ein Verpflichtungsgeschäft ist ein mehrseitiges Rechtsgeschäft, durch das mindestens eine Seite einen Anspruch (vgl. § 194 I BGB), die andere Seite eine entsprechende Pflicht auferlegt bekommt, den Anspruch zu erfüllen.8 Ein Verpflichtungsgeschäft ist zugleich ein Schuldverhältnis i.S.v. § 241 BGB. Aus ihm resultieren Erfüllungsansprüche.9 Beteiligte sind der Gläubiger und der Schuldner. Gläubiger ist, wer aus dem Schuldverhältnis berechtigt ist; Schuldner ist die Person, die aus dem Schuldverhältnis verpflichtet wird.10

Bei der Qualifikation einer Person als Gläubiger oder Schuldner ist zu beachten, dass der Schuldner einer Leistung zugleich auch Gläubiger der Gegenleistung sein kann. Dies ist bei allen gegenseitigen Verträgen i.S.v. §§ 320 ff. BGB der Fall, bei denen es sich i.d.R. um Austauschverträge handelt (z. B. Kauf, Tausch, Miete, Pacht, Dienst- und Werkvertrag).11

Ein Verfügungsgeschäft ist ein Rechtsgeschäft, das auf ein bestehendes Recht einwirkt, indem es dieses Recht aufhebt, belastet, überträgt oder inhaltlich verändert.12 Das Verfügungsgeschäft ist in der Regel auch ein Vertrag, allerdings kein schuldrechtlicher, sondern ein dinglicher.13

Auf dem Trennungsprinzip baut das sog. Abstraktionsprinzip auf. Es besagt, dass die Geschäfte nicht nur voneinander zu trennen, sondern auch in ihrer Wirksamkeit jeweils gesondert zu betrachten sind.14

Verfügungen sollen unabhängig davon wirken, ob ihnen eine wirksame Verpflichtung zugrunde liegt oder nicht. Dies dient der Leichtigkeit und Sicherheit des Rechtsverkehrs.15


  1. Hier und zum Folgenden: R. Schmidt, Schuldrecht AT, 13. Aufl. 2019, Rn. 6.
  2. Brox/Walker, SchuldR AT, 43. Aufl. 2019, § 1 Rn. 5 f.
  3. Bitter/Röder, BGB AT, 4. Aufl. 2018, § 5 Rn. 80; Bork, BGB AT, 4. Aufl. 2016, Rn. 448.
  4. Bitter/Röder, BGB AT, 4. Aufl. 2018, § 5 Rn. 81.
  5. R. Schmidt, Schuldrecht AT, 13. Aufl. 2019, Rn. 14.
  6. Hk-BGB/Schulze, BGB, 10. Aufl. 2019, § 320 Rn. 3.
  7. Bitter/Röder, BGB AT, 4. Aufl. 2018, § 5 Rn. 82; Bork, BGB AT, 4. Aufl. 2016, Rn. 450.
  8. Bitter/Röder, BGB AT, 4. Aufl. 2018, § 5 Rn. 83.
  9. Hier und zum Folgenden: Bitter/Röder, BGB AT, 4. Aufl. 2018, § 5 Rn. 87.
  10. Bork, BGB AT, 4. Aufl. 2016, Rn. 480.
  11. Hier und zum Folgenden: R. Schmidt, Schuldrecht AT, 13. Aufl. 2019, Rn. 1 f.
  12. Brox/Walker, SchuldR AT, 43. Aufl. 2019, § 1 Rn. 5 f.
  13. Hk-BGB/Schulze, 10. Aufl. 2019, Vor § 241 Rn. 11.
  14. Hk-BGB/Schulze, 10. Aufl. 2019, Vor § 311 Rn. 18.
  15. Hk-BGB/Schulze, 10. Aufl. 2019, Vor § 311 Rn. 14.