Sinn und Zweck von Strafe (Straftheorien)

Sinn und Zweck von Strafe

Strafe stellt eine Antwort auf die schuldhaft begangene Tat dar.1 Sie ist im Gesetz (§§ 38 ff. StGB i.V.m. der jeweiligen Strafandrohung des konkreten Straftatbestandes) als Rechtsfolge tatbestandsmäßiger, rechtswidriger und schuldhafter Taten vorgesehen und als solche durch den Rechtsanwender nicht in Frage zu stellen. Vorstellungen über Sinn und Zweck der Strafe gehören gleichwohl zum strafrechtlichen Grundwissen und tragen zum Verständnis strafrechtlicher Zusammenhänge bei.2 Deshalb soll nachstehend nur im Überblick skizziert werden, welche Zwecke der Gesetzgeber mit Strafen verfolgt.3

In der universitären Fallbearbeitung spielen Strafzwecke und Straftheorien eine eher untergeordnete Rolle.4 Relevant sind sie vor allem für die Rechtsfolgen der Tat und die konkrete Strafzumessung (§§ 46 ff. StGB). Die Frage, welchen Zwecken die Bestrafung von Menschen dient, kann aber auch Gegenstand sog. Frageklausuren speziell in Zwischenprüfungen sein,5 weshalb sich Studierende zumindest in Grundzügen mit den Straftheorien vertraut machen sollten.

Absolute Straftheorien

Die absoluten Straftheorien gehen auf Immanuel Kant (1724 – 1804) und Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770 – 1831) zurück.6 Sie sehen den Sinn der Strafe losgelöst von gesellschaftlichen Zwecken. Strafe wirkt danach ausschließlich repressiv. Sie dient der Vergeltung begangenen Unrechts (Vergeltungstheorie) und als Schuldausgleich.

Zu den absoluten Straftheorien zählt auch die Sühnetheorie. Nach ihr soll die Strafe den Täter mit der Rechtsordnung wieder versöhnen.

Relative Straftheorien

Die relativen Straftheorien beziehen den Sinn der Strafe auf den präventiven Zweck der künftigen Verhütung von Straftaten.7 Strafe wirkt danach nicht absolut, sondern wird in Relation zu anderen Zwecken gesetzt. Strafe habe eine Präventionswirkung.

Nach der insbesondere durch Paul Johann Anselm von Feuerbach (1775 – 1833) entwickelten Theorie der Generalprävention kommt es auf die Wirkung der Strafe für den betroffenen Täter nicht an. Die Strafe soll das Vertrauen der Allgemeinheit in die Bestands- und Durchsetzungskraft der Rechtsordnung erhalten und stärken (positive Generalprävention) und zugleich bewirken, dass die übrige Bevölkerung abgeschreckt wird, gleichgelagerte Taten zu begehen (negative Generalprävention).

Die maßgeblich durch Franz von Liszt (1851 – 1919) geprägte Theorie der Spezialprävention zielt hingegen auf den Täter selbst ab. Die Strafe diene der Besserung und Resozialisierung des Täters (positive Spezialprävention) und schütze die Allgemeinheit vor dem Täter, indem sie diesen davon abbringe, nochmals eine Tat zu begehen (negative Spezialprävention).

Vereinigungstheorie

Die heute herrschende Meinung geht von einer Vereinigung der genannten Aspekte aus (Vereinigungstheorie).8 Im Ausgangspunkt sei Strafe eine repressive Übelszufügung, die dem gerechten Schuldausgleich diene. Das Maß der individuellen Schuld bilde sodann den Rahmen der Strafzumessung, bei der allen Präventionszwecken Raum gegeben werde.9

Diesem Befund entspricht das StGB mit seinen Rechtsfolgen.10 Nach § 46 I 1 StGB ist die Schuld des Täters (nur) Grundlage für die Zumessung der Strafe. Daraus lässt sich ableiten, dass Vergeltung und Sühne – im Sinne der absoluten Straftheorien – nach wie vor den Grundzweck der Strafe bilden, für sich genommen aber nicht genügen, um eine Strafe zu rechtfertigen. Es ist bei der Findung einer angemessenen Strafe vielmehr stets eine Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalls erforderlich. Stehen general- und spezialpräventive Strafzwecke in einem Kollisionsverhältnis zueinander, ist eine Rangordnung zwischen beiden Prinzipien festzulegen. Nach § 46 I 2 StGB sind bei der Strafzumessung die Wirkungen, die von der Strafe für das künftige Leben des Täters in der Gesellschaft ausgehen, zu berücksichtigen. Dies verdeutlicht, dass spezialpräventiven Gesichtspunkten, insbesondere der Resozialisierung des Täters, tendenziell der Vorrang eingeräumt wird. Aus diesem Grund wird auf die Verhängung kurzer Freiheitsstrafen (§ 47 StGB) und auf die Vollstreckung mittlerer Freiheitsstrafen (§ 56 StGB) regelmäßig verzichtet. Ausnahmen gelten nur dann, wenn die Verteidigung der Rechtsordnung es gebietet (Generalprävention).


  1. R. Schmidt, Strafrecht AT, 20. Aufl. 2018, Rn. 12.
  2. Rengier, Strafrecht AT, 11. Aufl. 2019, § 3 Rn. 9.
  3. Ausführlich zu den Straftheorien: Momsen/Rackow, JA 2004, 336 ff.
  4. Rengier, Strafrecht AT, 11. Aufl. 2019, § 3 Rn. 25.
  5. R. Schmidt, Strafrecht AT, 20. Aufl. 2018, Rn. 12.
  6. Zum Folgenden: Rengier, Strafrecht AT, 11. Aufl. 2019, § 3 Rn. 10 – 13; R. Schmidt, Strafrecht AT, 20. Aufl. 2018, Rn. 13 f.
  7. Zum Folgenden: Rengier, Strafrecht AT, 11. Aufl. 2019, § 3 Rn. 14 – 20; R. Schmidt, Strafrecht AT, 20. Aufl. 2018, Rn. 14a – 15a.
  8. BVerfG, Urt. v. 21.06.1977 – 1 BvL 14/76, BVerfGE 45, 187, 253 ff. (Vereinbarkeit der lebenslangen Freiheitsstrafe für Mord mit dem Grundgesetz); BVerfG, Beschl. v. 16.04.1980 – 1 BvR 505/78, BVerfGE 54, 100, 108; BGH, Urt. v. 04.08.1965 – 2 StR 282/65, BGHSt 20, 264, 266 f.; BGH, Urt. v. 08.12.1970 – 1 StR 353/70, BGHSt 24, 40, 42; BGH, Urt. v. 07.08.1986 – 4 StR 318/86, BGHSt 34, 150, 151 (Strafaussetzung bei Exhibitionismus).
  9. Rengier, Strafrecht AT, 11. Aufl. 2019, § 3 Rn. 22.
  10. Hier und zum Folgenden. R. Schmidt, Strafrecht AT, 20. Aufl. 2018, Rn. 15b.