Schuldunfähigkeit, actio libera in causa
1. Examen/SR/AT 2
Prüfungsschema: Schuldunfähigkeit, actio libera in causa
I. Schuldunfähigkeit des Kindes, § 19 StGB
- Kinder bis zum vollendeten 14. Lebensjahr
II. Allgemeine Schuldunfähigkeit, § 20 StGB
- Personen, die aus den in § 20 genannten Gründen unfähig sind, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.
1. Voraussetzungen
- Krankhafte seelische Störung; Beispiel: Endogene Psychosen, Schizophrenie
- Tiefgreifende Bewusstseinsstörung; Beispiel: Vollrausch, Erschöpfung, Ermüdung
- Intelligenzminderung oder andere schwere seelische Abartigkeit; Beispiel: Psychopathien, Neurosen, Triebstörungen
2. Rechtsfolge
- Wenn der Täter aufgrund des biologischen Merkmals unfähig war, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, dann ist die Schuld nach § 20 StGB ausgeschlossen und die Strafbarkeit entfällt.
III. Actio libera in causa (a.l.i.c.)
1. Anwendbarkeit
- Der strafrechtliche Vorwurf wird auf die im Rausch begangene Tat trotz fehlender Schuld im Zeitpunkt ihrer Begehung erstreckt, da der Täter bereits im Zustand der Verantwortlichkeit eine vorwerfbare innere Beziehung zur späteren Tat hergestellt hat.
- Problem: Verfassungsmäßigkeit der a.l.i.c.
- aA: (-); Arg.: Abschließende Regelungen der §§ 20, 323 a StGB; unzulässige Analogie zu Lasten des Täters; Vorverlagerung der Strafbarkeit in (straffreie) Vorbereitungsphase
- hM: (+); Arg.: Strafbarkeitslücken, da § 323a StGB nur einen begrenzten Strafrahmen aufweist (weitere Argumente bei den jeweiligen Modellen)
2. Herleitung
a) aA: Ausnahmemodell
- Die a.l.i.c. stellt eine gewohnheitsrechtlich anerkannte Ausnahme von dem Grundsatz des § 20 StGB dar.
- Anwendbar auf alle Tatbestände
- Kritik: Verstoß gegen das Koinzidenzprinzip des § 8 StGB und Art. 103 II GG.
b) aA: Ausdehnungsmodell
- Bei der a.l.i.c. wird in der Form an die Vorhandlung angeknüpft, dass der Begriff „bei Begehung der Tat“ i.S.d. § 20 StGB auf das vortatbestandliche Verhalten ausgedehnt wird.
- Kritik: Verstoß gegen das Koinzidenzprinzip des § 8 StGB; keine Anhaltspunkte für ein anderes Verständnis des Begriffs „Tat“ als in den §§ 8, 16, 17 StGB.
c) aA: Werkzeugmodell
- Die a.l.i.c. ist ein Fall der mittelbaren Täterschaft, sodass sich der Täter selbst als schuldlos handelndes Werkzeug zur Tatbestandsverwirklichung benutzt.
- Keine Anwendbarkeit bei Delikten, die nicht in mittelbarer Täterschaft begangen werden können.
- Kritik: § 25 I 2. Fall StGB verlangt, dass die Tat „durch einen anderen“ begangen wird.
d) hM: Tatbestandsmodell (= Vorverlagerungstheorie)
- Anknüpfung an das Herbeiführen des Defektzustands (Berauschen etc.), da damit die Tatbestandsverwirklichung beginnt.
- Keine Anwendbarkeit bei eigenhändigen Delikten und verhaltensgebundenen Tatbeständen; Beispiel: §§ 315c, 316 StGB.
- Kritik: Friktionen mit geltenden Grundsätzen der Tatbestandslehre, da Tathandlung sonst i.d.R. unmittelbare Verletzungshandlung; begrenzte Anwendbarkeit.
3. Voraussetzungen
a) Herbeiführen des Schuldunfähigkeitszustands
b) Rechtswidrige Deliktsbegehung in diesem Zustand
c) Vorsatz bezüglich a) und b)