Schicksal der Gegenleistungspflicht bei Unmöglichkeit

Schicksal der Gegenleistungspflicht bei Unmöglichkeit (§ 326 BGB)

Ist eine Leistungspflicht gemäß § 275 I – III BGB im Rahmen eines gegenseitigen Vertrags ausgeschlossen, stellt sich die Frage nach dem Schicksal der Gegenleistungspflicht. Die Antwort findet sich in § 326 BGB.

§ 326 BGB gilt – ebenso wie § 275 BGB – unabhängig davon, ob es sich um eine anfängliche oder nachträgliche Unmöglichkeit handelt; auch kommt es nicht darauf an, ob der Schuldner die Unmöglichkeit zu vertreten hat oder nicht.1

Grundsatz: Befreiung des Gläubigers von der Gegenleistungspflicht

Braucht der Schuldner nach § 275 I – III BGB nicht zu leisten,2 entfällt der Anspruch auf die Gegenleistung (§ 326 I 1 Hs. 1 BGB), und zwar kraft Gesetzes.3 Der Gläubiger trägt also grundsätzlich die Leistungsgefahr, der Schuldner hingegen die Gegenleistungsgefahr („Preisgefahr“).4

Beispiel: Der Kaufgegenstand ist zerstört. Der Käufer verliert deshalb seinen Anspruch aus § 433 I 1 BGB, muss aber umgekehrt auch den Kaufpreisanspruch des Verkäufers aus § 433 II BGB nicht mehr erfüllen.

Ist der Schuldner nur teilweise von der Leistungspflicht befreit, ist § 326 I 1 BGB ebenfalls anwendbar. Der Anspruch auf die Gegenleistung mindert sich dann in entsprechender Anwendung des § 441 III BGB (§ 326 I 1 Hs. 2 BGB).

Beispiel: Der Verkäufer verkauft dem Käufer eine Segelyacht nebst Beiboot. Das Beiboot sinkt und kann nicht mehr geborgen werden. Betrug der Kaufpreis für das Beiboot 10% des Gesamtkaufpreises, muss der Käufer nur noch 90% bezahlen.

Braucht der Schuldner nach § 275 I – III BGB nicht zu leisten, kann der Gläubiger von einem gegenseitigen Vertrag zurücktreten, und zwar nach § 323 BGB mit der Maßgabe, dass die dort vorgesehene Fristsetzung entbehrlich ist (§ 326 V BGB). Die zusätzlichen Voraussetzungen des § 323 V BGB und die Ausschlussgründe des § 323 VI BGB sind allerdings zu beachten.5

Das Fristsetzungserfordernis macht nämlich nur dann einen Sinn, wenn der Schuldner überhaupt noch zu leisten verpflichtet ist; das ist in den Fällen des § 275 I BGB stets und in den Fällen von § 275 II, III BGB nach Erhebung der Einrede nicht der Fall.6

Hat der Gläubiger die Gegenleistung bewirkt, obwohl er dazu gemäß § 326 I 1 BGB nicht (mehr) verpflichtet gewesen ist, so kann er das Geleistete nach den §§ 346 – 348 BGB zurückfordern (§ 326 IV BGB).

§ 326 I 1 BGB gilt nicht, wenn der Schuldner im Falle der nicht vertragsgemäßen Leistung die Nacherfüllung nach § 275 I – III BGB nicht zu erbringen braucht (§ 326 I 2 BGB). Damit ist der Fall des nicht behebbaren Leistungsmangels angesprochen.7

Beispiel: V verkauft K ein Gemälde. Wird das Gemälde vor der Übergabe irreparabel beschädigt, scheidet die Erfüllung des sich aus §§ 437 Nr. 1, 439 BGB ergebenden Nacherfüllungsanspruchs aus, da es sich um ein Unikat handelt. Die Nacherfüllung ist gemäß § 275 I BGB ausgeschlossen. Mit § 326 I 2 BGB ist somit zugleich klargestellt, dass die Schlechtleistung keine Teilleistung i.S.v. § 326 I 1 Hs. 2 BGB ist. Der Käufer kann entweder die Kaufsache behalten und den Kaufpreis mindern (§§ 437 Nr. 2, 441 BGB) oder vom Kaufvertrag zurücktreten (§§ 437 Nr. 2, 326 V, 323 V 2 BGB). Entsprechendes gilt für den Besteller beim Werkvertrag (§ 634 Nr. 3 i. V. m. § 638 bzw. §§ 636, 326 V, 323 V 2 BGB).

Ausnahmen von der Befreiung des Gläubigers von der Gegenleistungspflicht

Abweichend von § 326 I 1 BGB behält der Schuldner der unmöglichen Leistung nach § 326 II 1 BGB den Anspruch auf die Gegenleistung, wenn

  • der Gläubiger für den zum Ausschluss der Leistungspflicht nach § 275 I – III BGB führenden Umstand allein oder weit überwiegend8 verantwortlich ist (§ 326 II 1 Alt. 1 BGB) oder

  • dieser vom Schuldner nicht zu vertretende Umstand zu einer Zeit eintritt, zu welcher sich der Gläubiger im Annahmeverzug (§§ 293 ff. BGB) befindet (§ 326 II 1 Alt. 2 BGB).9

In beiden Fällen muss sich der Schuldner jedoch dasjenige anrechnen lassen, was er infolge der Befreiung von der Leistung erspart oder durch anderweitige Verwendung seiner Arbeitskraft erwirbt oder zu erwerben böswillig unterlässt (§ 326 II 2 BGB).

Zu beachten ist, dass der Schuldner während des Annahmeverzugs abweichend von § 276 I 1 BGB nur Vorsatz und Fahrlässigkeit zu vertreten hat (§ 300 I BGB).10 Er behält deshalb den Anspruch auf die Gegenleistung auch dann, wenn er das Leistungshindernis leicht fahrlässig herbeigeführt hat. § 446 S. 3 und § 644 I 2 BGB enthalten ausdrückliche Zuweisungen der Vergütungsgefahr an den Käufer und den Besteller für den Fall des Annahmeverzugs; sie decken sich in ihrem Anwendungsbereich mit der allgemeinen Vorschrift des § 326 II 1 Alt. 2 BGB.

Fordert der Gläubiger das "stellvertretende commodum" gemäß § 285 I BGB, so bleibt er auch zu einer für den ursprünglich geschuldeten Gegenstand vereinbarten Gegenleistung verpflichtet (§ 326 III 1 BGB). Diese Gegenleistung mindert sich aber verhältnismäßig, soweit der Wert des Surrogats hinter dem Wert des geschuldeten Gegenstands zurückbleibt (§ 326 III 2 i.V.m. § 441 III BGB).

Weitere Ausnahmen vom Grundsatz des § 326 I 1 BGB enthalten die §§ 446 S. 1; 447 I, 615 S. 3, 644 II BGB. Nach diesen Vorschriften trägt jeweils der Gläubiger die sog. Vergütungsgefahr (dazu näher im Schuldrecht BT).

Sonderfall: Von beiden Seiten zu vertretende Unmöglichkeit

Die von beiden Seiten zu vertretende Unmöglichkeit ist in § 326 II 1 BGB nur rudimentär geregelt, nämlich für den Fall, dass den Gläubiger ein „weit überwiegendes“ Verschulden trifft.11 Damit sind Fälle gemeint, in denen ein Schadensersatzanspruch über § 254 BGB ausgeschlossen ist.12

Richtgröße: Mindestens 90% Verantwortungsanteil des Gläubigers.13

Ist dieser Grad der (Mit-)Verantwortung des Gläubigers unterschritten, kommen mehrere Lösungswege in Betracht. Überzeugend ist es, dem Gläubiger einen Schadensersatzanspruch statt der Leistung in Höhe der Differenz zwischen der vereinbarten Gegenleistung und dem Wert des untergegangenen Leistungsgegenstandes zuzugestehen (§ 311a II BGB bzw. §§ 280 I, III, 283 BGB), der gemäß § 254 BGB um seinen Mitverantwortungsteil zu kürzen ist. Der Anspruch des Schuldners auf die Gegenleistung fällt nach § 326 I 1 BGB weg. Der Verlust des Gegenleistungsanspruchs stellt jedoch einen Schaden dar, den der Gläubiger durch Verletzung einer Schutzpflicht mitverursacht hat; deshalb steht dem Schuldner ein Schadensersatzanspruch gemäß §§ 280 I, 241 II BGB zu, der gemäß § 254 BGB wiederum um seinen Mitverantwortungsteil zu kürzen ist.14 Beide Schadensersatzansprüche sind miteinander zu verrechnen. Im Ergebnis erfolgt damit eine Verteilung des durch die Unmöglichkeit eintretenden Verlustes nach dem Rechtsgedanken des § 254 BGB.


  1. Jacoby/v. Hinden, Studienkommentar BGB, 16. Aufl. 2018, § 326 Rn. 1.
  2. In den Fällen von § 275 II, III BGB muss die Einrede dafür durch den Schuldner tatsächlich erhoben worden sein (Brox/Walker, SchuldR AT, 43. Aufl. 2019, § 22 Rn. 32; Jacoby/v. Hinden, Studienkommentar BGB, 16. Aufl. 2018, § 326 Rn. 2); denn nur dann „braucht“ er nicht zu leisten (BGH, Urt. v. 19.12.2012 – VIII ZR 96/12, Rn. 28).
  3. Jacoby/v. Hinden, Studienkommentar BGB, 16. Aufl. 2018, § 326 Rn. 2. Zu den Folgen siehe den Fall: „Schadensersatz wegen nachträglicher Unmöglichkeit“.
  4. Brox/Walker, SchuldR AT, 43. Aufl. 2019, § 22 Rn. 30.
  5. Jacoby/v. Hinden, Studienkommentar BGB, 16. Aufl. 2018, § 326 Rn. 2.
  6. Brox/Walker, SchuldR AT, 43. Aufl. 2019, § 22 Rn. 81.
  7. Hier und zum Folgenden: Brox/Walker, SchuldR AT, 43. Aufl. 2019, § 22 Rn. 35 f.
  8. Eine „weit überwiegende“ Verantwortlichkeit meint Fälle, in denen ein Schadensersatzanspruch nach § 254 BGB komplett ausgeschlossen wäre (Brox/Walker, SchuldR AT, 43. Aufl. 2019, § 22 Rn. 40).
  9. Siehe hierzu den Fall: „Gefahrtragung bei Annahmeverzug“.
  10. Hier und zum Folgenden: Brox/Walker, SchuldR AT, 43. Aufl. 2019, § 22 Rn. 44 f.
  11. Zum Folgenden: Jacoby/v. Hinden, Studienkommentar BGB, 16. Aufl. 2018, § 326 Rn. 4.
  12. BT-Drucks. 14/6040, S. 187.
  13. Canaris, FS Picker (2010), S. 113, 126; Medicus/Lorenz, Schuldrecht I – AT, 21. Aufl. 2015, Rn. 443.
  14. Canaris, FS Lorenz (2004), S. 147, 158 ff.; Medicus/Lorenz, Schuldrecht I – AT, 21. Aufl. 2015, Rn. 444.