Schadensminderung

Schadensminderung

Unter bestimmten Umständen kann eine Schadensminderung eintreten. Schadensmindernde Faktoren sind insbesondere1 die Vorteilsanrechnung, das Mitverschulden (§ 254 BGB) und Reserveursachen.2

Diese Faktoren beruhen auf dem Grundgedanken, dass der Geschädigte durch eine Rechtsgutverletzung zwar einen Ausgleich, aber keine Besserstellung erhalten soll.3 Der Geschädigte soll zwar vollen Ersatz erhalten, aber an dem Schadensfall nicht verdienen.4 Nach dem schadensrechtlichen Bereicherungsverbot soll der Geschädigte nicht besser gestellt werden, als er ohne das schädigende Ereignis stünde.5

Vorteilsanrechnung

Von einer Vorteilsanrechnung spricht man, wenn das zum Schadensersatz verpflichtende Ereignis neben Nachteilen auch Vorteile mit sich bringt.6 Ob solche aus der Verletzungshandlung resultierenden Vorteile zu Lasten des Geschädigten von seinem Ersatzanspruch abzuziehen sind, ist durch wertende Betrachtung im jeweiligen Einzelfall zu entscheiden.

Vor- und Nachteile müssen bei wertender Betrachtungsweise gleichsam zu einer Rechnungseinheit verbunden sein. Letztlich folgt der Rechtsgedanke der Vorteilsausgleichung aus dem in § 242 BGB festgelegten Grundsatz von Treu und Glauben.7

Für die Beurteilung hat die Rechtsprechung verschiedene Kriterien entwickelt, die für die Anrechnung eines Vorteils – und damit für die Schadenskürzung – erforderlich sind:

  • Der Vorteil muss äquivalent und adäquat kausal durch das schädigende Ereignis herbeigeführt worden sein;
  • die Anrechnung des Vorteils muss dem Geschädigten zumutbar sein;
  • die Anrechnung des Vorteils darf den Schädiger nicht unbillig entlasten;
  • die Anrechnung des Vorteils muss dem Zweck des Schadensersatzes entsprechen.

Erspart der Geschädigte durch den Schadenseintritt Aufwendungen, wirken diese wegen ihres engen Zusammenhangs mit den entstandenen Nachteilen grundsätzlich anspruchsmindernd.8 Beispiele: Ersparte Eigenkosten bei der Ingebrauchnahme eines Mietwagens oder während eines Krankenhausaufenthalts. Ein „Abzug neu für alt“9 kommt nur in Betracht, wenn durch die Schadensbehebung für den Geschädigten eine dauerhafte Vermögensmehrung eingetreten ist, die sich für diesen auch subjektiv günstig auswirkt, und wenn der Abzug für den Geschädigten zumutbar ist und für den Schädiger keine unbillige Härte darstellt.10 Hat der Geschädigte aufgrund des Schadenseintritts Leistungen Dritter (z. B. seines Arbeitgebers oder eines Versicherers) erhalten, sind diese grundsätzlich nicht anrechenbar, da der Schädiger dadurch unbillig entlastet würde.11

Mitverschulden, § 254 BGB

Der Schadensersatzanspruch kann gemindert oder sogar ausgeschlossen sein, wenn den Geschädigten ein Mitverschulden am Eintritt des Verletzungserfolgs trifft. 12

Hat bei der Entstehung des Schadens ein Verschulden des Geschädigten mitgewirkt, hängt die Verpflichtung zum Ersatz sowie dessen Umfang von den Umständen ab, insbesondere davon, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder dem anderen Teil verursacht worden ist (§ 254 I BGB).13

Mit dem Begriff „Verschulden“ ist kein Verschulden im technischen Sinne gemeint. Als Verschulden i.S.v. § 254 I BGB ist ein vorwerfbarer Verstoß gegen Gebote des eigenen Interesses, also ein „Verschulden gegen sich selbst“ (eine Obliegenheit14) zu verstehen. Dieses muss bei der Mitverursachung der Verletzung äquivalent und adäquat kausal geworden sein. Auch die Vorschriften über die Verschuldensfähigkeit (§§ 827, 828 BGB) sind anwendbar.

Der Umfang der Ersatzpflicht hängt im Falle eines Mitverschuldens des Geschädigten gemäß § 254 I BGB von einer Würdigung aller Umstände des Einzelfalls ab. Dabei ist in zwei Schritten vorzugehen:

  • Zunächst ist auf den Verursachungsbeitrag abzustellen. Entscheidend ist dabei, mit welchem Grad der Wahrscheinlichkeit die beiderseitigen Beiträge zur Herbeiführung des Verletzungserfolgs geeignet waren.
  • Anschließend ist das Maß des beiderseitigen Verschuldens abzuwägen.

Darüber hinaus muss für eine Schadensminderung nach § 254 BGB die vom Geschädigten verletzte „Pflicht“ (also die Obliegenheit als „Pflicht gegen sich selbst“) gerade den Zweck gehabt haben, den konkret eingetretenen Schaden zu vermeiden (Schutzzweck der Norm).

Beispiel: Der Abschleppunternehmer kann bei einer Beschädigung des abgeschleppten Wagens nicht einwenden, der Eigentümer habe rechtswidrig geparkt. Zwar hat der Eigentümer (der zugleich Halter und Führer des Fahrzeugs ist) äquivalent und adäquat kausal zur Verletzungshandlung beigetragen, allerdings hatte seine Obliegenheitsverletzung nicht den Zweck, die konkrete Schädigung abzuwenden. Ein Parkverbotsschild hat nicht den Sinn, Beschädigungen durch Abschleppunternehmer abzuwehren.

Nach Eintritt der Rechtsverletzung kann das Mitverschulden des Geschädigten in dem Unterlassen einer gebotenen Warnung vor einem ungewöhnlich hohen Schaden liegen (§ 254 II 1 Alt. 1 BGB).15 Dann trifft ihn auch eine Schadensminderungspflicht (§ 254 II 1 Alt. 2 BGB).16

Nach § 254 II 2 BGB ist die Vorschrift des § 278 BGB entsprechend anzuwenden. Es ist allerdings anerkannt, dass der Geschädigte für das Mitverschulden seiner Erfüllungsgehilfen nicht nur im Bereich der Schadensminderung (§ 254 II 1 BGB), sondern auch bei der Schadensentstehung (§ 254 I BGB) einzustehen hat. § 254 II 2 BGB ist deshalb wie ein § 254 III BGB zu lesen.17

Umstritten ist, ob § 254 II 2 BGB eine Rechtsgrund- oder Rechtsfolgenverweisung auf § 278 BGB enthält.

Teilweise wird die Norm als (bloße) Rechtsfolgenverweisung aufgefasst.18 Der Geschädigte müsse sich das Mitverschulden seines Gehilfen unabhängig von einer bestehenden Sonderverbindung zurechnen lassen. Da es sich bei dem Mitverschulden um eine Obliegenheits- und eben nicht um eine Pflichtverletzung handelt, könne es nicht auf das Handeln des Gehilfen in einem bestimmten Pflichtenkreis (Sonderverbindung) ankommen, sondern nur darauf, ob der Geschädigte den Gehilfen zur Beaufsichtigung seiner Güter (als sog. „Bewahrungsgehilfe“) eingesetzt habe. Eine Einstandspflicht für Gehilfen auch ohne Schuldverhältnis gelte indes nicht für die von § 278 BGB ebenfalls erfassten gesetzlichen Vertreter, weil diese nicht vom Geschädigten zur Beaufsichtigung seiner Güter eingesetzt sind, sondern ihre Obhut kraft Gesetzes ausüben.

Nach h. M. liegt hingegen eine Rechtsgrundverweisung vor19 mit der Folge, dass der Geschädigte nur dann für das Mitverschulden seines Erfüllungsgehilfen oder gesetzlichen Vertreters einzustehen hat, wenn zwischen ihm und dem Schädiger eine Sonderverbindung – Vertrag oder vertragsähnliches Schuldverhältnis – bestand. Eine solche Sonderverbindung liegt im Bereich der Schadensminderung (§ 254 II 1 BGB) stets vor, da diese das Vorliegen eines schädigenden Ereignisses voraussetzt, durch das eine (gesetzliche) Sonderverbindung bereits entstanden ist. Bei der Schadensentstehung (§ 254 I BGB) muss sich der Geschädigte dagegen ein Mitverschulden seines Gehilfen ohne bestehende Sonderverbindung nur unter den Voraussetzungen des entsprechend anzuwenden 831 BGB zurechnen lassen. Dafür spricht, dass auch der Schädiger nach § 278 BGB nur im Rahmen eines bereits bestehenden Schuldverhältnisses haftet; dann kann für den Geschädigten kein strengerer Maßstab gelten.

Aus dem Vorstehenden ergibt sich für § 254 BGB folgende Übersicht:

Reserveursachen

Wenn eine Rechtsgutverletzung durch eine Person eingetreten ist, diese Schädigung aber zu einem späteren Zeitpunkt durch ein anderes Ereignis (Reserveursache) ebenfalls eingetreten wäre, ist fraglich, ob und ggf. in welchem Umfang der Schädiger zum Ersatz verpflichtet ist.1 Die h. M. differenziert bei der Frage, ob solche Reserveursachen beachtlich oder unbeachtlich sind, nach folgenden Fallgruppen:20

  • Die Reserveursache führt zu einer Minderung des (zurechenbaren) Schadens, wenn das Schadensobjekt bereits zum Zeitpunkt der tatsächlich eingetretenen Schädigung eine Schadensanlage in sich trug, die wenig später unausweichlich denselben Schaden herbeigeführt hätte.

Beispiel: Verletzung einer Person, die infolge schwerer Krankheit ohnehin in Kürze erwerbsunfähig geworden wäre. Hier muss der Schädiger nur für den durch die Erstursache entstandenen Mehrschaden haften.

  • Auch bei Schäden, die sich erst im Laufe der Zeit entwickeln (Vermögensfolgeschäden), ist eine Reserveursache beachtlich. Der Erstverursacher haftet nur bis zu dem Zeitpunkt, in dem der Schaden auch aufgrund der Reserveursache eingetreten wäre.

Beispiel: Nutzungsausfall, Verdienstausfall, entgangener Gewinn (§ 252 BGB).

  • Unbeachtlich sind hingegen Reserveursachen, die zu einer hypothetischen Ersatzpflicht Dritter führen. Der Dritter haftet nicht, weil er den Schaden nicht tatsächlich herbeigeführt hat. 21

Beispiel: S wirft eine Fensterscheibe des G ein. Wenige Stunden später wäre diese durch die Druckwelle einer von dem D verursachten nahen Explosion ohnehin zerstört worden. D haftet aber nicht für die Zerstörung der Fensterscheibe, weil er für diese nicht verantwortlich ist. Eine Anspruchsminderung im Verhältnis des G zu S zuzulassen, wäre unbillig.


  1. Siehe zudem etwa die gestörte Gesamtschuld.
  2. R. Schmidt, Schuldrecht AT, 13. Aufl. 2019, Rn. 868.
  3. R. Schmidt, Schuldrecht AT, 13. Aufl. 2019, Rn. 952.
  4. BGH, Urt. v. 09.06.2009 – VI ZR 110/08, Rn. 14.
  5. BGH, Urt. v. 04.04.2014 – V ZR 275/12, Rn. 20; BGH, Urt. v. 28.06.2007 – VII ZR 81/06, Rn. 18.
  6. Hier und zum Folgenden: R. Schmidt, Schuldrecht AT, 13. Aufl. 2019, Rn. 953.
  7. BGH, Urt. v. 28.06.2007 – VII ZR 81/06, Rn. 20.
  8. Hier und zum Folgenden: R. Schmidt, Schuldrecht AT, 13. Aufl. 2019, Rn. 957.
  9. R. Schmidt, Schuldrecht AT, 13. Aufl. 2019, Rn. 959.
  10. BGH, Urt. v. 04.04.2014 – V ZR 275/12, Rn. 20.
  11. R. Schmidt, Schuldrecht AT, 13. Aufl. 2019, Rn. 955. Siehe auch den Fall „Das Salatblatt“.
  12. Siehe hierzu den Fall: „Großer Knall beim Effzeh“.
  13. Hier und zum Folgenden: R. Schmidt, Schuldrecht AT, 13. Aufl. 2019, Rn. 961 – 964.
  14. BGH, Urt. v. 22.09.2016 – VII ZR 14/16, Rn. 31.
  15. Hier und zum Folgenden: Jacoby/v. Hinden, Studienkommentar BGB, 16. Aufl. 2018, § 254 Rn. 2.
  16. Der Geschädigte muss alle zumutbaren Maßnahmen treffen, um das Ausmaß des Schadens so gering wie möglich zu halten (BGH, Urt. v. 04.04.2014 – V ZR 275/12, Rn. 18).
  17. Hier und zum Folgenden: Jacoby/v. Hinden, Studienkommentar BGB, 16. Aufl. 2018, § 254 Rn. 4 – 6.
  18. Larenz, Schuldrecht I (1987), § 31 Id.
  19. BGH, Urt. v. 01.03.1988 – VI ZR 190/87, BGHZ 103, 338, 342; Hk-BGB/Schulze, 10. Aufl. 2019, § 254 Rn. 9.
  20. Hier und zum Folgenden: R. Schmidt, Schuldrecht AT, 13. Aufl. 2019, Rn. 890.
  21. Hier und zum Folgenden: Jacoby/v. Hinden, Studienkommentar BGB, 16. Aufl. 2018, Vor § 249 Rn. 19.