Schadensersatz statt der Leistung wegen anfänglicher Unmöglichkeit

Schadensersatz statt der Leistung wegen anfänglicher Unmöglichkeit (§ 311a II BGB)

§ 311a II BGB enthält eine eigenständige Anspruchsgrundlage.1 Es handelt sich – anders als § 283 BGB – nicht um einen Unterfall des allgemeinen Pflichtverletzungstatbestandes des § 280 I BGB, auf den § 311a BGB – anders als die §§ 281 – 283 BGB – auch nicht Bezug nimmt.

Voraussetzungen

Es muss zunächst ein wirksames Vertragsverhältnis vorliegen. § 311a I BGB stellt klar, dass ein bereits bei Vertragsschluss vorliegendes Leistungshindernis der Wirksamkeit des Vertrags nicht entgegensteht.2 Der Vertrag darf aber nicht aus einem anderen Grund nichtig sein, etwa gemäß §§ 125, 134, 138, 142 BGB.3

Als Rechtsfolge des § 311a I BGB entsteht ein Vertrag ohne primäre Leistungspflicht, der die Grundlage für die Ersatzansprüche nach § 311a II BGB und etwaige Surrogationsansprüche gemäß § 285 BGB bildet.4

Ferner setzt § 311a II BGB eine anfängliche Befreiung des Schuldners von der Leistungspflicht nach § 275 I – III BGB voraus. Das Leistungshindernis muss bereits bei Vertragsschluss vorgelegen haben.5

In den Fällen von § 275 II, III BGB muss der Schuldner dafür die Einrede tatsächlich erhoben haben.6 Dass der Schuldner eine solche Einrede erhebt und erst danach den von ihm sodann nicht mehr zu erfüllenden Vertrag abschließt, ist indes kaum vorstellbar. Deshalb dürfte es sich in den Fällen des § 311a II BGB in aller Regel um Leistungsausschlüsse gemäß § 275 I BGB handeln.

Der Anspruch ist nach § 311a II 2 BGB ausgeschlossen, wenn der Schuldner nachweist, dass er das Leistungshindernis bei Vertragsschluss nicht kannte und seine Unkenntnis auch nicht zu vertreten hat (§§ 276, 278 BGB).7

Ungeregelt ist die Rechtsfolge für den Fall, dass der Schuldner seine Unkenntnis vom Leistungshindernis nicht zu vertreten hat.8 Der Gesetzgeber hat diese Frage ausdrücklich offen gelassen.9 Teilweise wird eine analoge Anwendung des § 122 BGB befürwortet und zur Begründung angeführt, der Irrtum über die eigene Leistungsunfähigkeit sei ebenso wie der Eigenschaftsirrtum (§ 119 II BGB) ein Motivirrtum und mit diesem vergleichbar.10 Vorzugswürdig ist die Gegenauffassung, die eine Analogie zu § 122 BGB ablehnt.11 Motivirrtümer sind absolute Ausnahmen. Zudem würde das Verschuldenserfordernis des § 311a II 2 BGB umgangen, wenn man ersatzweise auf den verschuldensunabhängigen Anspruch des § 122 BGB zurückgreifen könnte.

Ist der Schuldner nur teilweise von seiner Leistungspflicht befreit, setzt der Anspruch auf Schadensersatz statt der Leistung zusätzlich voraus, dass der Gläubiger an der Teilleistung kein Interesse hat (§ 311a II 3 i.V.m. § 281 I 2 BGB).

Im Falle unmöglicher Nacherfüllung bei vorheriger Schlechtleistung muss die Pflichtverletzung erheblich sein (§ 311a II 3 i.V.m. § 281 I 3 BGB).

Rechtsfolgen

Liegen die vorgenannten drei Voraussetzungen vor, ist der Schuldner dem Gläubiger nach dessen Wahl zum Schadensersatz statt der Leistung oder zum Aufwendungsersatz in dem in § 284 BGB bestimmten Umfang verpflichtet. Entscheidet sich der Gläubiger für den Schadensersatz statt der Leistung, so ist das positive Interesse zu ersetzen.12

Im Gegenzug kann der Schuldner nach § 311a II 3 i.V.m. § 281 V BGB bereits erbrachte Leistungen gemäß §§ 346 – 348 BGB zurückfordern.13

Prüfungsschema

Aus Vorstehendem ergibt sich für den Schadensersatzanspruch aus § 311a II BGB folgendes Prüfungsschema:

  1. Wirksames Vertragsverhältnis
  2. Anfängliche Befreiung des Schuldners von der Leistungspflicht nach § 275 I – III BGB
  3. Keine Exkulpation des Schuldners nach § 311a II 2 BGB
  4. Bei Bedarf: § 311a II 3 i.V.m. § 281 I 2 u. 3 BGB

RF: Schadensersatz (Ersatz des positiven Interesses)


  1. Zum Folgenden: Jacoby/v. Hinden, Studienkommentar BGB, 16. Aufl. 2018, § 311a Rn. 2.
  2. Siehe hierzu den Fall: „Schenkung unter Auflage“.
  3. Brox/Walker, SchuldR AT, 43. Aufl. 2019, § 22 Rn. 64; Hk-BGB/Schulze, 10. Aufl. 2019, § 311a Rn. 5.
  4. Hk-BGB/Schulze, 10. Aufl. 2019, § 311a Rn. 4.
  5. Hk-BGB/Schulze, 10. Aufl. 2019, § 311a Rn. 6.
  6. BGH, Urt. v. 19.12.2012 – VIII ZR 96/12, Rn. 28.
  7. Siehe hierzu den Fall: „Schenkung unter Auflage“.
  8. Zum Folgenden: Jacoby/v. Hinden, Studienkommentar BGB, 16. Aufl. 2018, § 311a Rn. 7; Hk-BGB/Schulze, 10. Aufl. 2019, § 311a Rn. 9.
  9. BT-Drucks. 14/6040, S. 166.
  10. Canaris, JZ 2001, 499, 505; Hk-BGB/Schulze, 10. Aufl. 2019, § 311a Rn. 9.
  11. MünchKomm-BGB/Ernst, 8. Aufl. 2019, § 311a Rn. 41; Medicus/Lorenz, Schuldrecht I – AT, 21. Aufl. 2015, Rn. 332.
  12. Hier und zum Folgenden: Hk-BGB/Schulze, 10. Aufl. 2019, § 311a Rn. 7.
  13. Bei § 281 V BGB handelt es sich um eine Rechtsfolgenverweisung (Hk-BGB/Schulze, 10. Aufl. 2019, § 281 Rn. 24).