Sachverständigenbeweis
2) Sachverständigenbeweis, Parteivernehmung und Augenschein in der Klausur
I. Sachverständigenbeweis
1. Abgrenzung zum Zeugenbeweis
In allen Klausurtypen musst du den Sachverständigenbeweis vom Zeugenbeweis abgrenzen können.
Gegenstand einer Beweiserhebung durch Zeugen sind deren Wahrnehmungen über vergangene Tatsachen und Zustände. Demgegenüber ist es Aufgabe des Sachverständigen, Fachwissen zur Beurteilung von Tatsachen zu vermitteln.
Vereinfacht kannst du dir merken: Der Sachverständige ist ersetzbar, der Zeuge nicht.
Eine Zwischenstellung hat der sog. sachverständige Zeuge, der sowohl eigene Wahrnehmungen über Tatsachen schildert als auch Bewertungen vornimmt.
Bsp.: Die Unfallärztin schildert den Zustand der Klägerin nach dem Unfall und erläutert die zu erwartenden Folgen der Verletzungen.
Hier musst du eine doppelte Beweiswürdigung vornehmen:
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In Bezug auf den Zustand der Klägerin ist die Unfallärztin Zeugin. Insoweit gelten die Regeln über die Beweiswürdigung bei Zeugen (§ 414 ZPO).
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Hinsichtlich der zu erwartenden Verletzungsfolgen gibt die Ärztin eine Bewertung ab und ist damit Sachverständige. Es gelten die Regeln über den Sachverständigenbeweis.
2. Beweisantritt in der Anwaltsklausur
Auch wenn das Gericht von Amts wegen ein Sachverständigengutachten einholen kann (§ 144 Abs. 1 Satz 1 ZPO), macht dies den Beweisantritt nicht überflüssig. Hierzu musst du die zu begutachtende Tatsache benennen und als Beweismittel den Sachverständigenbeweis anbieten (§ 403 ZPO).
Findest du in der Klausur-Akte der Anwaltsklausur ein Privatgutachten, ersetzt das den Beweisantritt nicht. Das Privatgutachten stellt im Prozess nur substanziierten Parteivortrag dar.
3. Sachverständigenbeweis in der Urteilsklausur
a) Quellen
Der Sachverständigenbeweis kann mündlich oder schriftlich geführt werden. Du wirst deshalb in der Klausur-Akte entweder ein schriftliches Gutachten finden oder das Protokoll der Anhörung des Sachverständigen im Termin oder sogar beides.
b) Beweiswürdigung
Du darfst das Ergebnis des Sachverständigen nicht einfach hinnehmen, sondern musst das Gutachten sorgfältig und kritisch würdigen. In den Entscheidungsgründen musst du darlegen, warum du das Gutachten für vollständig und überzeugend hältst. Dabei kannst du dich an den folgenden Fragen orientieren:
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Hat der Sachverständige die Beweisfrage richtig erfasst und vollständig beantwortet?
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Hat der Sachverständige die zutreffenden Anknüpfungstatsachen zugrunde gelegt?
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Hat der Sachverständigedie gesuchte Haupttatsache richtig erfasst; welche Indiztatsachen hat er zugrunde gelegt?
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Welche Mittel/Methoden hat der Sachverständige angewendet?
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Hat der Sachverständige das Gutachten ohne gedankliche Brüche und auf der Basis des aktuellen Standes von Wissenschaft und Forschung erstattet?
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Wie erfahren ist der Sachverständige?
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Ist die Fachkunde des Sachverständigen gesichert?
c) Formulierungsbeispiel
„Das Gericht ist davon überzeugt, dass die Kupplung des streitgegenständlichen Fahrzeugs mangelhaft war, indem (…).
Zu dieser Gewissheit ist das Gericht auf der Grundlage des überzeugenden Gutachtens der Sachverständigen S gelangt, das die Beweisfrage unter Zugrundelegung der zutreffenden Anknüpfungstatsachen vollständig, nachvollziehbar und widerspruchsfrei beantwortet und dabei die technischen Zusammenhängen ebenso gut nachvollziehbar darstellt. Zugleich hat das Gericht die Überzeugung gewonnen, dass die Sachverständige die nötige Sachkunde zur Beurteilung der Beweisfrage besitzt. Sie ist seit mehr als 20 Jahren KfZ-Meisterin und seit knapp zehn Jahren zugleich als Sachverständige für Mängel an KfZ tätig.
Den Angriffen der Beklagten gegen die Überzeugungskraft dieses Gutachtens vermag das Gericht nicht zu folgen. Das betrifft zum einen die gerügte fachliche Eignung der Sachverständigen…”
II. Parteivernehmung
1. Beweisantritt in der Anwaltsklausur
Eine Partei kann zwar nicht Zeuge sein, kommt aber trotzdem als Beweismittel in Betracht. Das musst du vor allem dann beachten, wenn es sich um Gesellschaften handelt, die im Prozess vertreten werden müssen. Der gesetzliche Vertreter der Gesellschaft ist dann selbst Partei des Rechtsstreits.
Du bezeichnest die Tatsachenbehauptung und benennst die Partei, die vernommen werden soll. Dabei kommen beide Parteien in Betracht, wobei die Vernehmung der beweisbelasteten Partei selbst die ausdrückliche Zustimmung des Gegners voraussetzt (§§ 445, 447 ZPO). Darüber hinaus kann das Gericht eine Partei auch von Amts wegen vernehmen (§ 448 ZPO).
2. Parteivernehmung in der Urteilsklausur
a) Quelle
Da eine schriftliche Parteivernehmung nicht zulässig ist, kann sich die Aussage der vernommenen Partei nur aus dem Terminsprotokoll ergeben.
Dabei musst du genau prüfen, ob die Äußerungen der Partei tatsächlich im Rahmen einer Parteivernehmung erfolgt sind oder ob es sich nur um eine Parteianhörung nach § 141 Abs. 1 ZPO gehandelt hat.
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Die Parteivernehmung setzt einen Beweisbeschluss voraus (§ 450 ZPO), außerdem wird die Partei – wie der Zeuge auch – zunächst zur Person vernommen (§§ 451, 395 Abs. 1 ZPO). Achte auf diese Anhaltspunkte im Protokoll.
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Die Parteianhörung dient der Aufklärung des Sachverhalts, so dass es sich eigentlich nur um Parteivortrag handelt. Allerdings kann nach der Rechtsprechung des BGH auch die Parteianhörung im Rahmen des § 286 Abs. 1 ZPO zur Überzeugungsbildung herangezogen werden (BGH XII ZR 48/17).
b) Beweiswürdigung
Für die Beweiswürdigung gelten dieselben Grundsätze wie beim Zeugenbeweis. Deshalb wird auf diesen Exkurs verwiesen.
III. Augenscheinsbeweis
Beim Augenscheinsbeweis geht es um alle sinnlichen Wahrnehmungen, also nicht nur das Sehen, sondern auch Hören, Riechen, Fühlen und Schmecken. Die häufigste Form ist der Ortstermin des Gerichts, bspw. bei der Inaugenscheinnahme eines Bauwerks.
1. Beweisantritt in der Anwaltsklausur
Der Beweisantritt erfolgt durch Benennung der Tatsache und des Gegenstands des Augenscheins (§ 371 ZPO). Auch wenn das Gericht eine Inaugenscheinnahme von Amts wegen anordnen kann (§ 144 Abs. 1 Satz 1 ZPO), macht dies einen Beweisantritt nicht überflüssig.
2. Augenscheinsbeweis in der Urteilsklausur
a) Quelle
Das Gericht muss das Ergebnis des Augenscheins protokollieren (§ 160 Abs. 3 Nr. 5 ZPO).
b) Beweiswürdigung
Die Beweiswürdigung ist denkbar einfach: Du gibst das Ergebnis des Augenscheins wieder.