Rücknahme eines Verwaltungsaktes, § 48 VwVfG

Aufbau der Prüfung - Rücknahme eines Verwaltungsaktes, § 48 VwVfG

Die Rücknahme eines Verwaltungsaktes ist in § 48 VwVfG geregelt. Beispiel: A bekommt ein Stipendium bewilligt. Später nimmt die Behörde den Stipendiumsbewilligungsbescheid zurück. A ist der Auffassung, dass diese Rücknahme nicht in Ordnung ist. Daher ist an dieser Stelle die Rechtmäßigkeit der Rücknahme zu prüfen. 

I. Ermächtigungsgrundlage

Die Rücknahme ist ein Verwaltungsakt. Insofern gelten die allgemeinen Regeln. Daher bedarf die Rücknahme eines Verwaltungsaktes zunächst einer Ermächtigungsgrundlage.

1. Spezialgesetzlich

Der erste Gedanke gilt hier spezialgesetzlichen Ermächtigungsgrundlagen. Beispiel: § 15 I GastG. Dieser regelt speziell die Rücknahme einer Gaststättenerlaubnis.

2. Allgemein

Wenn keine spezialgesetzliche Ermächtigungsgrundlage greift, ist § 48 VwVfG einschlägig. Dieser regelt allgemein die Anforderungen an die Rücknahme. 

II. Formelle Rechtmäßigkeit

Sodann ist die formelle Rechtmäßigkeit der Rücknahme zu prüfen. Diese gliedert sich in Zuständigkeit, Verfahren und Form.

1. Zuständigkeit

Im Rahmen der Zuständigkeit gilt im Zweifel die Annex-Zuständigkeit. Danach ist die Behörde, die für den Erlass des Verwaltungsaktes zuständig ist, auch für die Rücknahme desselben zuständig. Hat die falsche Behörde den Verwaltungsakt erlassen, muss die für den Erlass des Ausgangsverwaltungsaktes zuständige Behörde den Verwaltungsakt zurücknehmen. 

2. Verfahren

3. Form

III. Materielle Rechtmäßigkeit

Ferner ist die materielle Rechtmäßigkeit der Rücknahme zu prüfen.

1. Voraussetzungen

An dieser Stelle sind zunächst die Voraussetzungen der Rücknahme zu erörtern.

a) Rechtswidrigkeit des Erst-Verwaltungsaktes

Die Rücknahme setzt zunächst die Rechtswidrigkeit des Erst-Verwaltungsaktes voraus. Im Beispielsfall kann die Behörde folglich nur dann den Stipendiumsbewilligungsbescheid zurücknehmen, wenn dieser rechtswidrig ist. Sollte der Ausgangsverwaltungsakt rechtmäßig sein, kann jedoch ein Widerruf nach § 49 VwVfG erfolgen. Hier kann sich das Problem des rechtswidrig gewordenen Verwaltungsaktes stellen. Es stellt sich mithin die Frage, ob in diesen Konstellationen ein Fall der Rücknahme oder des Widerrufs vorliegt.

b) Begünstigend/ belastend, § 48 I 2 VwVfG

In einem zweiten Schritt ist zu erörtern, ob der Erst-Verwaltungsakt begünstigend oder belastend ist. Diese Unterscheidung liegt dem § 48 I 2 VwVfG zugrunde. Wird ein belastender Verwaltungsakt, beispielsweise eine Abrissverfügung, zurückgenommen, jubelt der Bürger. Daher müssen die weitergehenden Voraussetzungen des § 48 VwVfG nur geprüft werden, wenn die Rücknahme eines begünstigenden Verwaltungsaktes vorgenommen wurde.

c) Geldleistungsverwaltungsakt/ sonstige begünstigende Verwaltungsakte, § 48 II, III VwVfG

Hierbei ist zwischen begünstigenden Geldleistungsverwaltungsakten (Stipendiumsbewilligung) und sonstigen begünstigenden Verwaltungsakten (Baugenehmigung) zu unterscheiden, vgl. § 48 II, III VwVfG. 

d) Kein schutzwürdiges Vertrauen, § 48 II VwVfG

Nur bei Geldleistungsverwaltungsakten muss bei den Voraussetzungen der Rücknahme geprüft werden, ob ein schutzwürdiges Vertrauen vorliegt.

aa) Kein Ausschluss, § 48 II 3 VwVfG

Denn eine Rücknahme darf nur dann erfolgen, wenn kein schutzwürdiges Vertrauen des Bürgers gegeben ist, vgl. § 48 II 3 VwVfG. Dies wird auch Bestandsschutz genannt. Bei sonstigen Verwaltungsakten entfällt dieser Prüfungspunkt im Rahmen der Rücknahme. Beispiel: Wer durch arglistige Täuschung den Verwaltungsakt erwirkt hat, dessen Vertrauen ist im Ansatz niemals schutzwürdig.

bb) Regelvermutung, § 48 II 2 VwVfG

Sodann erfolgt eine Prüfung der Regelvermutung des § 48 II 2 VwVfG. Wurde das Geld verbraucht oder wurden Dispositionen für die Zukunft getroffen und dies im Vertrauen auf den Bestand des Verwaltungsaktes, ist im Zweifel das Vertrauen schutzwürdig.

cc) Interessenabwägung, § 48 II 1 VwVfG

Greift die Regelvermutung nicht oder greift diese doch, muss (zusätzlich) eine Interessenabwägung vorgenommen werden, vgl. § 48 II 1 VwVfG. Hier sind die formelle Gerechtigkeit – also das Vertrauen auf den Bestand des Verwaltungsaktes – und die materielle Gerechtigkeit – das Interesse an inhaltlich richtigen Entscheidungen – gegeneinander abzuwägen. Auf der einen Seite besteht somit ein privates Interesse daran, dass die Dinge so bleiben, wie sie sind. Auf der anderen Seite besteht ein öffentliches Interesse daran, einen rechtswidrigen Zustand zu beseitigen. Hierbei ist zu beachten, dass der Ausgangsverwaltungsakt rechtswidrig ist. Es spricht somit vieles dafür, dass korrigierend eingegriffen werden muss. Allein dann, wenn eine Regelvermutung greift, wendet sich das Blatt. Es müssen dann besonders schwerwiegende Umstände vorliegen, welche die Regelvermutung zum Kippen bringen.

d) Frist, § 48 IV VwVfG

Gemäß § 48 IV VwVfG hat die Behörde ein Jahr Zeit, eine Rücknahme des Verwaltungsaktes vorzunehmen. Fraglich ist jedoch, wann diese Frist beginnt. 

2. Rechtsfolge

Auf Rechtsfolgenseite wird der Behörde ein Ermessen eingeräumt. Sie muss einen Verwaltungsakt somit nicht zurücknehmen. Vielmehr kann bzw. darf sie eine Rücknahme vornehmen. Die Rücknahme steht somit im Ermessen der Behörde. Ebenfalls steht es im Ermessen der Behörde, ob die Rücknahme ex nunc – für die Zukunft – oder ex tunc – auch für die Vergangenheit - erfolgen soll. An dieser Stelle stellt sich die Frage, ob ein Bestandsschutz bei sonstigen Verwaltungsakten  die Behörde an der Rücknahme hindern kann. Erfolgt die Rücknahme mit Wirkung für die Vergangenheit, wird üblicherweise auch das bereits gezahlte Geld zurückgefordert. Dies ist eine selbstständige Maßnahme mit der selbstständigen Ermächtigungsgrundlage des § 49a VwVfG.
 

 

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