Rechtliche Bedeutung des Schweigens

Rechtliche Bedeutung des Schweigens

Schweigen erzeugt grundsätzlich keine Rechtswirkungen.1 Schweigen wird daher auch als „rechtliches Nullum“ bezeichnet.2 Von diesem Grundsatz gibt es aber Ausnahmen:

Normiertes Schweigen

In einigen Fällen legt das Gesetz dem Schweigen Erklärungswirkung bei. Wird eine Ablehnung fingiert (z. B. §§ 108 II 2, 177 II 2, 415 II 2 BGB), kann sich der Schweigende weder auf mangelnde Geschäftsfähigkeit noch auf Willensmängel (§§ 119 ff. BGB) berufen. Wird hingegen eine Zustimmung fingiert (z. B. §§ 416 I 2, 455 S. 2, 516 II 2, 1943 BGB; 362 I 1, 377 II HGB), wird das Schweigen als echte Willenserklärung behandelt, die der durch die fingierte Erklärung Gebundene nach Maßgabe der §§ 119 ff. BGB anfechten kann.

Beredetes Schweigen

Über die Fälle des normierten Schweigens hinaus können die Parteien auch ausdrücklich oder konkludent3 vereinbaren, welche Bedeutung das Schweigen haben soll. Dieses sog. beredte Schweigen ist dann eine echte Willenserklärung, auf die die §§ 104 ff. und 119 ff. BGB anwendbar sind.

Bei AGB-Klauseln, die dem Schweigen eine bestimmte Bedeutung beimessen, ist § 308 Nr. 5 BGB zu beachten.

Schweigen auf ein kaufmännisches Bestätigungsschreiben

Das Schweigen auf ein kaufmännisches Bestätigungsschreiben ist ein gewohnheitsrechtlich anerkannter Sonderfall des normierten Schweigens.4 Unter folgenden Voraussetzungen kommt unabhängig davon, was die Parteien zuvor vereinbart hatten, ein Vertrag mit dem Inhalt des Bestätigungsschreibens zustande:5

Absender und Empfänger müssen Kaufmann sein oder ähnlich wie ein Kaufmann in größerem Umfang am kaufmännischen Geschäftsverkehr teilnehmen.

Die Eigenschaft als Kaufmann ergibt sich aus den §§ 1 ff. HGB. Dem stehen Unternehmer i.S.v. § 14 BGB gleich, sofern ein kaufmännischer Umgang mit dem Schreiben zu erwarten ist.6 Das gilt für beide Seiten der geschäftlichen Verhandlungen.7

Es müssen bereits Verhandlungen zwischen den Parteien stattgefunden haben.

Es muss jedenfalls ein geschäftliches Gespräch über den schriftlich „bestätigten" Vorgang stattgefunden haben. Dies ist von dem Absender des Schreibens, der aus dem Schweigen des Geschäftsgegners Rechte herleiten will, darzutun und zu beweisen.8

Der Absender muss infolge der Verhandlungen für den Empfänger erkennbar von der Bestätigung eines bereits (mündlich) geschlossenen Vertrags ausgehen.

Bei einem kaufmännischen Bestätigungsschreiben bedarf es aus der Sicht des Absenders einer Annahme nicht mehr, weil er davon ausgeht, dass ein Vertrag bereits zustande gekommen ist. Ob das Schreiben als „Bestätigungsschreiben“ gekennzeichnet ist, ist unerheblich. Es genügt, dass der Inhalt des Schreibens den Bestätigungswillen des Absenders erkennen lässt.9 Es ist aber durch Auslegung (§§ 133, 157 BGB) zu ermitteln, ob nicht stattdessen eine „Auftragsbestätigung“ vorliegt, die nichts anderes als die Annahme eines Angebots ist. Allein die (falsche) Bezeichnung des Schreibens als „Auftragsbestätigung“ steht allerdings der Annahme eines kaufmännischen Bestätigungsschreibens aber nicht entgegen.10

Das Bestätigungsschreiben muss dem Empfänger in engem zeitlichem Zusammenhang mit den vorausgegangenen Vertragsverhandlungen zugehen. Insoweit gelten die allgemeinen Grundsätze für den Zugang von Willenserklärungen entsprechend.11

Der Absender muss redlich sein und annehmen, dass der Inhalt seines Schreibens der aus seiner Sicht mit dem Empfänger getroffenen Vereinbarung entspricht und allenfalls solche Abweichungen enthält, bei denen er vernünftigerweise mit dem Einverständnis des Empfängers rechnen konnte.

Der Empfänger des Bestätigungsschreibens braucht diesem nicht zu widersprechen, wenn sich der Inhalt des Schreibens so erheblich von dem Verhandlungsergebnis entfernt, dass der Absender mit dem Einverständnis des Empfängers redlicherweise nicht rechnen konnte.12 Dabei ist es Sache des Empfängers, darzutun und zu beweisen, dass das Schreiben vom Inhalt der Verhandlungen so erheblich abweicht, dass ihm eine Bindungswirkung nicht zukommt.13

Schließlich darf kein unverzüglicher (vgl. § 121 I 1 BGB) Widerspruch des Empfängers erfolgen.

Die Frist ist sehr kurz, länger als ein bis zwei Tage darf der Empfänger nicht zuwarten.14

Liegen die vorgenannten Voraussetzungen vor, kommt – im Interesse der Rechtssicherheit – der Vertrag mit dem Inhalt des Bestätigungsschreibens zustande.15

Ob und mit welchem Inhalt der Vertrag vorher bereits mündlich geschlossen war, ist unerheblich.16 Das widerspruchslos entgegengenommene Bestätigungsschreiben bestimmt den Inhalt des Vertrags auch dann, wenn es gegenüber dem mündlich Vereinbarten ergänzende oder klarstellende Bestimmungen enthält. Es ist anerkannt, dass im Schweigen auf ein kaufmännisches Bestätigungsschreiben in der Regel das Einverständnis mit seinem Inhalt liegt. Deckt sich der Inhalt des Bestätigungsschreibens mit dem, was die Parteien zuvor vereinbart hatten, hat das Bestätigungsschreiben nur deklaratorische Bedeutung; hatten die Parteien sich noch nicht oder mit anderem Inhalt geeinigt, handelt es sich um ein konstitutives kaufmännisches Bestätigungsschreiben.

Aus Vorstehendem ergibt sich folgendes Prüfungsschema:

(1) Absender und Empfänger müssen Kaufmann sein oder ähnlich wie ein Kaufmann am Geschäftsleben teilnehmen.

(2) Es haben Verhandlungen stattgefunden.

(3) Der Absender geht für den Empfänger erkennbar von einem bereits geschlossenen Vertrag aus.

(4) Zugang des Bestätigungsschreibens beim Empfänger in engem zeitlichem Zusammenhang mit der Verhandlung.

(5) Der Absender ist redlich und nimmt an, dass der Inhalt seines Schreibens im Wesentlichen dem Vereinbarten entspricht.

(6) Kein unverzüglicher (§ 121 I 1 BGB) Widerspruch des Empfängers.

RF: Der Vertrag kommt mit dem Inhalt des Bestätigungsschreibens zustande.


  1. Schack, BGB AT, 17. Aufl. 2023, Rn. 369.
  2. Fischinger, JuS 2015, 294.
  3. Schweigen kann durch konkludente Vereinbarung Erklärungswert beigemessen werden, Fischinger, JuS 2015, 294, 295.
  4. Lettl, JuS 2008, 849; Schack, BGB AT, 17. Aufl. 2023, Rn. 373. Teilweise werden die Grundsätze über das Schweigen auf ein kaufmännisches Bestätigungsschreiben auch als Handelsbrauch (§ 346 HGB) eingeordnet (Fischinger, JuS 2015, 294, 296).
  5. Zum Folgenden: Fischinger, JuS 2015, 294, 296.
  6. Bitter/Röder, BGB AT, 5. Aufl. 2020, § 5 Rn. 28.
  7. OLG Koblenz, Urt. v. 26.06.2006 – 12 U 685/05, NJW-RR 2007, 813, 814.
  8. BGH, Urt. v. 08.02.2001 – III ZR 268/00, NJW-RR 2001, 680, unter II.2; OLG Koblenz, Urt. v. 26.06.2006 – 12 U 685/05, NJW-RR 2007, 813, 814.
  9. BGH, Urt. v. 08.02.2001 – III ZR 268/00, NJW-RR 2001, 680, unter II.3; BGH, Urt. v. 30.01.1985 – VIII ZR 238/83, BGHZ 93, 338, 343.
  10. OLG Koblenz, Urt. v. 26.06.2006 – 12 U 685/05, NJW-RR 2007, 813, 814.
  11. Zum Zugang eines kaufmännischen Bestätigungsschreibens per Telefax siehe OLG Hamm, Urt. v. 22.03.1994 – 7 U 133/93, NJW 1994, 3172; dazu Schmittmann, NJW 1994, 3149.
  12. BGH, Urt. v. 08.02.2001 – III ZR 268/00, NJW-RR 2001, 680, unter II.1; BGH, Urt. v. 25.02.1987 – VIII ZR 341/86, NJW 1987, 1940, 1941.
  13. BGH, Urt. v. 08.02.2001 – III ZR 268/00, NJW-RR 2001, 680, unter II.3; BGH, Urt. v. 20.03.1974 – VIII ZR 234/72 – NJW 1974, 991, 992; OLG Koblenz, Urt. v. 26.06.2006 – 12 U 685/05, NJW-RR 2007, 813, 814.
  14. Schack, BGB AT, 17. Aufl. 2023, Rn. 379.
  15. BGH, Urt. v. 08.02.2001 – III ZR 268/00, NJW-RR 2001, 680, unter II.2.; Fischinger, JuS 2015, 294, 296.
  16. Zum Folgenden: OLG Koblenz, Urt. v. 26.06.2006 – 12 U 685/05, NJW-RR 2007, 813 f.; Fischinger, JuS 2015, 294, 296 f.