Prüfung der Grundfreiheiten
Aufbau der Prüfung - Grundfreiheiten
Die Prüfung der Grundfreiheiten ist ähnlich aufgebaut wie die Prüfung der deutschen Grundrechte. Auch die Prüfung der Grundfreiheiten erfolgt in drei Schritten: Schutzbereich, Eingriff und Rechtfertigung.
I. Schutzbereich
Die Prüfung der Grundfreiheiten beginnt folglich mit der Erörterung des Schutzbereichs der Grundfreiheiten.
1. Kein spezielles Sekundärrecht
Hier darf bei der Prüfung der Grundfreiheiten zunächst kein spezielles Sekundärrecht greifen. Regelt beispielsweise eine Verordnung diesen speziellen Fall, wäre diese vorrangig anzuwenden. Man würde somit nicht auf die Grundfreiheiten zurückgreifen.
2. Unmittelbare Anwendbarkeit
Zudem müssen die Grundfreiheiten auch unmittelbar anwendbar sein. Das Primärrecht ist nur unmittelbar anwendbar, wenn es hinreichend bestimmt ist, es also keines weiteren Umsetzungsaktes bedarf („self-executing“). Für die Grundfreiheiten ist dies allgemein anerkannt.
3. Grenzüberschreitender Sachverhalt
Ferner erfordert die Prüfung der Grundfreiheiten im Schutzbereich, dass ein grenzüberschreitender Sachverhalt gegeben ist. An dieser Stelle hat gegebenenfalls eine Abgrenzung zur reinen Inländerdiskriminierung zu erfolgen.
4. Persönlicher Schutzbereich
Persönlicher und sachlicher Schutzbereich variieren je nach Grundfreiheit.
5. Sachlicher Schutzbereich
Im Rahmen der Prüfung der Grundfreiheiten ist zu beachten, dass es sogenannte Bereichsausnahmen gibt. Dabei handelt es sich um einschränkende Tatbestandsmerkmale im sachlichen Schutzbereich, wie dies auch schon aus den Grundrechten bekannt ist. Beispielsweise ist bei der Versammlungsfreiheit im Schutzbereich zu prüfen, ob die Versammlung friedlich ist und ohne Waffen stattfindet. Derartige Bereichsausnahmen sind in den Art. 45 IV, 51 I, 62 AEUV geregelt. Art. 45 IV betrifft die Beschäftigung in der öffentlichen Verwaltung im Rahmen der Freizügigkeit der Arbeitnehmer. Darauf sollen die Regelungen keine Anwendung finden.
II. Eingriff
Ferner erfordert die Prüfung der Grundfreiheiten einen Eingriff in den Schutzbereich. Bei der Prüfung von Grundfreiheiten gibt es zwei Arten von Eingriffen, die Diskrimierung und die Beschränkung.
1. Diskriminierung
Diskrimierungen wirken unterschiedlich. Bei der Diskriminierung werden beispielsweise Deutsche und andere Unionsbürger unterschiedlich behandelt. Die Beschränkung wirkt hingegen unterschiedslos, stellt aber dennoch einen Eingriff dar. Bei der Prüfung von Grundfreiheiten ist zwischen offenen und verdeckten Diskrimierungen zu differenzieren.
a) Offen
Die offene Diskrimierung betrifft die Fälle, in denen ausdrücklich eine unterschiedliche Behandlung angeordnet wird. Beispiel: Es werde gezielt deutsche Arbeitnehmer in Deutschland subventioniert.
b) Verdeckt
Die verdeckte Diskrimierung bezieht sich auf die Fälle, in denen nicht ausdrücklich eine unterschiedliche Behandlung angeordnet wird, aber typischerweise als Folge dieser Regelung Nichtdeutsche schlechter behandelt werden. Beispiel: Etikettierungspflicht in der Landessprache. Dies fällt einem deutschen Unternehmen leicht, ausländischen europäischen Unternehmen jedoch nicht.
2. Beschränkung
Nach der Dassonville-Entscheidung des EuGH liegt eine Beschränkung und somit ein Eingriff auch bei Maßnahmen vor, die unterschiedslos wirken, wenn die Handelsregelung geeignet ist, tatsächlich oder potentiell, unmittelbar oder mittelbar den innergemeinschaftlichen Handel zu beeinträchtigen. Dies ist seht weit gefasst, sodass bei der Prüfung der Grundfreiheiten an dieser Stelle eine Einschränkung durch die Keck-Formel zu erfolgen hat. Bei Beschränkungen soll danach nur dann ein Eingriff vorliegen, wenn die Regelung produktbezogen ist, nicht jedoch dann, wenn vertriebsbezogenen Handelsregelungen vorliegen. Beispiel: Das deutsche Reinheitsgebot gilt für alle gleichermaßen und wirkt daher unterschiedslos. Es ist somit eine Beschränkung, die jedoch geeignet ist, den innergemeinschaftlichen Handel zu beeinträchtigen, da sich andere danach richten müssen. Es handelt sich somit um eine produktbezogene Handelsregelung, da die Zusammensetzung des Bieres betroffen ist. Gegenbeispiel: Das Ladenschlussgesetz ist lediglich eine vertriebsbezogene Regelung, die unterschiedslos wirkt, aber geeignet ist, Handelshemmnisse aufzubauen. Dies reicht jedoch für einen Eingriff nicht aus.
III. Rechtfertigung
Sodann folgt in der Prüfung der Grundfreiheiten die Rechtfertigung.
1. Schranken
Hier sind zunächst die Schranken der Grundfreiheiten zu erörtern. In der Prüfung der Grundfreiheiten ist zu beachten, dass es ausdrückliche und ungeschriebene Schranken gibt.
a) Ausdrückliche
Ausdrückliche Schranken sind in den Art. 36, 45 III, 64 I, 65 I AEUV normiert. Art. 36 AEUV betrifft die Warenverkehrsfreiheit. Ein Eingriff in die Warenverkehrsfreiheit kann danach aufgrund der Belange der öffentlichen Ordnung, der Sicherheit oder der Gesundheit gerechtfertigt sein.
b) Ungeschriebene
Ferner existieren auch ungeschriebene Schranken. Diese gelten jedoch nur für verdeckte Diskrimierungen und Beschränkungen, nicht jedoch für offene Diskrimierungen. Ein Eingriff kann nach der „Cassis de Dijon“ Entscheidung dann gerechtfertigt sein, wenn zwingende Erfordernisse des betreffenden Mitgliedsstaates gegeben sind. Hieran sind hohe Anforderungen zu stellen. Beispiel: Umweltschutz. Nicht ausreichend sind dagegen bloß wirtschaftliche Interessen.
2. Schranken-Schranken
Zuletzt erfolgt in der Prüfung der Grundfreiheiten eine Erörterung der Schranken-Schranken.
a) Verhältnismäßigkeit
An dieser Stelle findet eine Verhältnismäßigkeitsprüfung, also eine Güterabwägung im Einzelfall statt.
b) Sonstiges Primärrecht
Zudem ist das sonstige Primärrecht zu berücksichtigen, beispielsweise Art. 6 EUV in Verbindung mit der Grundrechtscharta.