Problem - Ingerenz, Anforderungen
Problem – Ingerenz, Anforderungen
Ingerenz ist die streitigste Form der Garantenstellung. Umstritten sind die Anforderungen, welche an die Ingerenz zu stellen sind. Konsens besteht jedoch hinsichtlich der Definition der Ingerenz: Ingerenz ist ein die Gefahr erhöhendes Vorverhalten. Somit könnte jedes gefährliche Vorverhalten zu einer Garantenstellung aus Ingerenz führen. Streitig ist allerdings, ob eine Garantenstellung aus Ingerenz auch in der Situation vorliegt, in welcher das Vorverhalten nicht rechtswidrig war. Beispiel: Eine Frau wird von einem Mann in der Absicht überfallen, sie zu vergewaltigen. Das Opfer wehrt sich mit mehreren Messerstichen und erkennt daraufhin, dass der Täter so schwer verletzt ist, dass er an seinen Verletzungen versterben wird, wenn ihm nicht geholfen wird. Das Opfer kümmert sich jedoch nicht und verlässt den Ort des Überfalls, sodass der Täter verstirbt.
I. Eine Ansicht (h.L.)
Nach der Literaturauffassung ist Ingerenz in Fällen wie diesen abzulehnen. Die Ablehnung der Ingerenz wird damit begründet, dass ein Vorverhalten, das eigentlich straffrei sei, nicht durch eine Bewertung eines strafbaren Nachverhaltens umgangen werden könne. Dies stelle vielmehr einen Wertungswiderspruch dar. Außerdem wäre die Frau auch ohne die Annahme einer Ingerenz wegen unterlassener Hilfeleistung, § 323c StGB, strafbar.
II. Andere Ansicht (BGH)
Der BGH bejaht hingegen vorliegend das Vorliegen einer Garantenstellung aus Ingerenz. Die Annahme eines gefährlichen Vorverhaltens wird damit begründet, dass nach der gerechtfertigten Handlung - das Einstechen auf den Täter – eine Situationsveränderung, also eine Art Zäsur stattgefunden habe, nämlich die schwere Verletzung des Täters, der abgeholfen werden muss. Vorliegend hätte das Opfer des Überfalls damit nach der Rechtsprechung eine Garantenstellung aus Ingerenz inne und hätte sich somit wegen Totschlags durch Unterlassen, §§ 212 I, 13 StGB, strafbar gemacht.