Präklusion verspäteter Angriffs- u. Verteidigungsmittel
Verspätete Angriffs- und Verteidigungsmittel (§§ 296, 296a ZPO)
Es kann vorkommen, dass du in deinem Urteil nicht sämtliche Angriffs- und Verteidigungsmittel der Parteien verwerten darfst, weil sie teilweise verspätet vorgebracht wurden.
Angriffs- und Verteidigungsmittel sind insbesondere Behauptungen, Bestreiten, Einwendungen, Einreden, Beweismittel und Beweiseinreden (§ 282 Abs. 1 ZPO), letztlich also alles, womit die Parteien ihre Klage bzw. Widerklage begründen. Klage, Klageerweiterung und Widerklage selbst sind keine Angriffs- und Verteidigungsmittel. Dasselbe gilt für Parteiänderungen und Rechtsausführungen. Hierfür gelten die folgenden Ausführungen also nicht.
Die maßgeblichen Vorschriften sind §§ 296, 296a ZPO.
1. Nichtberücksichtigung von Vortrag nach Schluss der mündlichen Verhandlung (§ 296a ZPO)
Nach § 296a Satz 1 ZPO können Angriffs- und Verteidigungsmittel nach Schluss der mündlichen Verhandlung grundsätzlich nicht mehr vorgebracht werden. Stellst du in der Klausur-Akte fest, dass ein Schriftsatz erst nach Schluss der mündlichen Verhandlung eingegangen ist, sich also nach dem Protokoll in der Akte befindet, darfst du die darin enthaltenen Angriffs- und Verteidigungsmittel grundsätzlich nicht berücksichtigen. Im schriftlichen Verfahren nach § 128 Abs. 2 ZPO ist das vom Gericht durch Beschluss angeordnete Schriftsatzende maßgeblich.
Etwas anderes gilt nur dann, wenn das Gericht der Partei einen solchen Schriftsatz nach § 283 ZPO oder § 139 Abs. 5 ZPO nachgelassen hat (§ 296a Satz 2 ZPO). Das musst du im Verhandlungsprotokoll prüfen (am Ende unter „b.u.v.“ = beschlossen und verkündet). Findest du dort einen Schriftsatznachlass, kommt es noch darauf an, ob sich das neue Angriffs- und Verteidigungsmittel auch im Rahmen dieses Schriftsatznachlasses bewegt. Hat bspw. das Gericht der Partei Vortrag zu einem konkreten Hinweis nachgelassen (§ 139 Abs. 5 ZPO), sind alle Angriffs- und Verteidigungsmittel aus dem nachgelassenen Schriftsatz zu berücksichtigen, die sich auf diesen Hinweis passieren, darüber hinaus gehende bleiben nach § 296a Satz 1 ZPO unberücksichtigt.
Nach § 296a Satz 1 ZPO nicht berücksichtigter Vortrag kann unter den Voraussetzungen des § 531 Abs. 2 ZPO im Berufungsverfahren zuzulassen sein.
Im Tatbestand des Urteils gibst du den Vortrag aus dem letzten Schriftsatz in der Prozessgeschichte wieder.
In den Entscheidungsgründen musst du sowohl die Berücksichtigung eines nachgelassenen Vortrags als auch die Nichtberücksichtigung nicht nachgelassenen Vortrags kurz begründen.
2. Zurückweisung verspäteter Angriffs- und Verteidigungsmittel (§ 296 ZPO)
Deutlich anspruchsvoller ist der Umgang mit Angriffs- und Verteidigungsmitteln, die zwar vor Schluss der mündlichen Verhandlung in den Prozess eingeführt wurden, jedoch nach § 296 ZPO präkludiert sein können. Hieran sind auch die schärferen Rechtsfolgen geknüpft, denn gemäß § 531 Abs. 1 ZPO bleiben Angriffs- und Verteidigungsmittel, die im erstinstanzlichen Verfahren zu Recht zurückgewiesen wurden, auch in der II. Instanz unberücksichtigt.
a) Zurückweisung nach § 296 Abs. 1 ZPO
Die Zurückweisung nach § 296 Abs. 1 ZPO steht nicht im Ermessen des Gerichts. Liegen die Voraussetzungen vor, muss das Angriffs- und Verteidigungsmittel zurückgewiesen werden.
aa) Verspätung
Das Angriffs- und Verteidigungsmittel muss verspätet vorgebracht worden sein.
Der Vortrag ist verspätet, wenn er erst nach Ablauf einer vom Gericht gesetzten und in § 296 Abs. 1 ZPO (abschließend) aufgeführten Frist in den Prozess eingeführt wurde. Folgende examensrelevante Fristen werden genannt:
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Klageerwiderungsfrist des Beklagten (§§ 275 Abs. 1, Abs. 3, 276 Abs. 1 Satz 2 ZPO)
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Replikfrist des Klägers (§§ 275 Abs. 4, 277 Abs. 3, 4 ZPO)
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Erläuterungsfrist nach § 272 Abs. 2 Nr. 1 ZPO).
Darüber hinaus gilt § 296 Abs. 1 ZPO auch für die Einspruchsfrist (§ 340 Abs. 3 Satz 3 ZPO) und die Antragsbegründung nach einem Mahnverfahren (§ 697 Abs. 3 Satz 2 ZPO).
bb) Keine Entschuldigung
Die Partei darf den verspäteten Vortrag nicht hinreichend entschuldigt haben.
cc) Verzögerung der Erledigung
Schließlich müsste die Zulassung des schuldhaft verspäteten Vortrags zu einer Verzögerung der Erledigung des Rechtsstreits führen. Das ist nach dem sog. absoluten Verzögerungsbegriff der Fall, wenn die Erledigung des Rechtsstreits bei Zulassung des verspäteten Vortrags länger dauern würde, als es bei einer Zurückweisung der Fall wäre. Entscheidend ist hierfür, ob bei Zulassung ein neuer Termin anberaumt werden müsste, bspw. zur Beweisaufnahme.
Die Präklusion darf aber nicht zu einer Überbeschleunigung führen, das Verfahren also nicht schneller beendet sein, als es bei rechtzeitigem Vortrag der Fall wäre. Bestreitet bspw. der Beklagte erstmals in der mündlichen Verhandlung die Mangelhaftigkeit der Kaufsache, so dass hierüber ein Sachverständigengutachten eingeholt werden müsste, ist dieses Verteidigungsmittel zwar verspätet, weil es der Beklagte in der Klageerwiderungsfrist hätte vorbringen müssen (§ 277 Abs. 1 Satz 1 ZPO), die Zulassung würde auch ersichtlich zu einer Verzögerung führen – dennoch kommt eine Zurückweisung hier nicht in Betracht, wenn das Gericht auch bei rechtzeitigem Bestreiten erst im Anschluss an die mündliche Verhandlung ein schriftliches Sachverständigengutachten eingeholt hätte.
dd) Urteil
Im Tatbestand des Urteils gibst du das Angriffs- und Verteidigungsmittel im streitigen Parteivortrag wieder.
In den Entscheidungsgründen musst du ausführlich darlegen, warum du es für präkludiert hältst oder trotz Verspätung gerade nicht.
b) Zurückweisung nach § 296 Abs. 2 ZPO
Im Gegensatz zu § 296 Abs. 1 ZPO steht die Zurückweisung nach Abs. 2 im Ermessen des Gerichts.
aa) Verspätung
Die Verspätungsregelung des § 296 Abs. 2 ZPO knüpft an die Verletzung der Prozessförderungspflicht der Parteien nach § 282 ZPO. Sie erfasst damit zunächst Angriffs- und Verteidigungsmittel, die erst in der mündlichen Verhandlung vorgebracht werden (Abs. 1). Dabei muss es sich allerdings um einen Folgetermin handeln, denn ein Vorbringen in der ersten mündlichen Verhandlung verstößt nur dann gegen die Prozessförderungspflicht, wenn es nach Ablauf der in § 296 Abs. 1 ZPO genannten Fristen erfolgt. In diesem Fall wäre aber auch allein § 296 Abs. 1 ZPO einschlägig.
Außerdem erfasst sind Angriffs- und Verteidigungsmittel, die zwar schriftsätzlich vorgebracht wurden, aber nicht so rechtzeitig, dass der Gegner noch die erforderlichen Erkundigungen einholen konnte (Abs. 2).
bb) Grobe Nachlässigkeit
Der Partei muss in Bezug auf die Verletzung der Prozessförderungspflicht grobe Nachlässigkeit vorzuwerfen sein. Dazu muss sie ihre Pflicht zur Prozessförderung in besonders gravierender Weise vernachlässigt, also dasjenige unterlassen haben, was nach dem Stand des Verfahrens jeder Partei als notwendig hätte einleuchten müssen. Die Rechtsprechung stellt hohe Anforderungen an die Annahme grober Nachlässigkeit.
cc) Verzögerung
Für die Verzögerung gilt das zu Absatz 1 Gesagte.
dd) Ermessen
Am Ende muss nach pflichtgemäßem Ermessen entschieden werden, ob der verspätete Vortrag berücksichtigt werden soll oder nicht.